Entscheidungsstichwort (Thema)
Revision gegen Urteil eines Bezirksgerichts der ehemaligen DDR
Leitsatz (amtlich)
- Die Revision gegen ein nach dem 1. Juli 1990 verkündetes Urteil eines Bezirksgerichts der früheren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ist unstatthaft, wenn das Berufungsgericht die Revision nicht für zulässig erklärt hat § 160 Abs. 2 Nr. 1 ZPO-DDR i.d.F. vom 29. Juni 1990 – GBl S. 547 –) oder der Wert der Beschwerde 10.000,-- DM nicht übersteigt (§ 160 Abs. 2 Nr. 2, aaO).
- Eine Zulassung der Revision durch das Revisionsgericht gem. § 72a ArbGG kommt nicht in Betracht, wenn die Möglichkeit der Zulassung im angefochtenen Urteil schon vor Inkrafttreten des Einigungsvertrags nach dem bis zum 2. Oktober 1990 geltenden Recht der DDR gegeben war.
Normenkette
Einigungsvertragsgesetz vom 23. September 1990 (BGBl II S. 885) Art. 1; EinigVtr vom 31. August 1990 (BGBl II S. 889, 937) Anl. I Kap. III Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1y Abs. 2, Nrn. 28g, 28i, 28j; ZPO-DDR i.d.F. vom 29. Juni 1990 (GBl-DDR S. 547) § 160 Abs. 2; ArbGG § 72 Abs. 1, § 72a Abs. 2 S. 1, § 12 Abs. 7 S. 1
Verfahrensgang
BezirksG Erfurt (Urteil vom 01.08.1990; Aktenzeichen BAB 24/90) |
KreisG Erfurt-Nord (Urteil vom 14.06.1990; Aktenzeichen 38 45/90) |
Tenor
Die Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin gegen das Urteil des Bezirksgerichts Erfurt vom 1. August 1990 – BAB 24/90 – werden auf ihre Kosten als urzulässig verworfen.
Tatbestand
I. Der Beklagte war bei der Klägerin als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Betriebsdirektors aufgrund des Arbeitsvertrages vom 1. Februar 1983 für ein Bruttomonatsgehalt von 1.200,00 M angestellt. Abweichend vom Vertragsinhalt vertrat der Beklagte vorwiegend den BGL-Vorsitzenden. Seit 1. Dezember 1984 übte er nach der Wahl im November 1984 die Funktion des BGL-Vorsitzenden im Betrieb hauptamtlich aus. Am 31. Januar 1990 übergab er die Geschäfte der im Dezember 1989 neu gewählten BGL.
Mit Wirkung vom 1. Februar 1990 verwehrte die Klägerin dem Beklagten die Weiterbeschäftigung mit der Behauptung, mit der Wahl zum BGL-Vorsitzenden 1984 sei das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen beendet worden.
Der Beklagte wandte sich an die Konfliktkommission und forderte seine Weiterbeschäftigung. Mit Beschluß vom 26. April 1990 stellte die Konfliktkommission das Bestehen des Arbeitsverhältnisses fest und verpflichtete die Klägerin, an den Beklagten für die Monate Februar bis April 1990 insgesamt 2.738,10 M netto zu zahlen.
Gegen den Beschluß der Konfliktkommission hat die Klägerin Einspruch eingelegt und beantragt,
den Beschluß der Konfliktkommission aufzuheben und den an sie gestellten Antrag des Beklagten abzuweisen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Mit seinem am 14. Juni 1990 verkündeten Urteil hat das Kreisgericht dem Klageantrag der Klägerin entsprochen. Das Bezirksgericht Erfurt hat mit Urteil vom 1. August 1990, welches der Rechtsnachfolgerin der Klägerin am 8. August 1990 zugestellt wurde, das Urteil des Kreisgerichts sowie den Beschluß der Konfliktkommission aufgehoben und festgestellt, daß das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis nicht mit der Wahl des Beklagten zum hauptamtlichen BGL-Vorsitzenden beendet worden sei, außerdem hat er die Rechtsnachfolgerin der Klägerin verurteilt, an den Beklagten 456,35 DM zu zahlen.
Mit der beim Bezirksgericht Erfurt am 6. September 1990 eingelegten Revision begehrt die Rechtsnachfolgerin der Klägerin die Aufhebung des Urteils des Bezirksgerichts, mit ihrer beim Bundesarbeitsgericht am 10. Januar 1991 eingegangenen Nichtzulassungsbeschwerde erstrebt sie die Zulassung der Revision gegen das Urteil des Bezirksgerichts.
Das Bezirksgericht Erfurt hat die eingelegte Revision an das Oberste Gericht der DDR übermittelt, von dort ist sie nach dem 2. Oktober 1990 zunächst dem Bundesgerichtshof, dann dem Bundesarbeitsgericht vorgelegt worden.
II. Die Revision ist nicht statthaft:
1. Nach der Anlage I des Einigungsvertrages Kapitel III Sachgebiet A Abschn. III Nr. 28g (BGBl II S.885, 937) werden die am Tag des Wirksamwerdens des Beitritts anhängigen Verfahren in der Lage, in der sie sich befinden, nach den in Kraft gesetzten Vorschriften fortgesetzt; nach Nr. 28i (aaO) richtet sich die Zulässigkeit des Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs und das weitere Verfahren hierzu nach den in Kraft gesetzten Vorschriften, wenn am Tag des Wirksamwerdens des Beitritts ein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf bereits eingelegt ist. Über die Zulässigkeit des Rechtsstreits ist daher nach neuem Recht unter Berücksichtigung der Lage des Verfahrens nach dem alten Recht der früheren Deutschen Demokratischen Republik zu entscheiden.
Da die Revisionsklägerin am 6. September 1990 durch ihren Rechtsanwalt beim Bezirksgericht Erfurt Revision beantragt hat, ist das Bundesarbeitsgericht – nach Übergang des Verfahrens gem. Nr. 1y Abs. 2 Satz 1 (aaO) vom Obersten Gericht der DDR – zur Entscheidung zuständig.
2. Die Revision ist unstatthaft. Sowohl nach dem früheren Recht der Deutschen Demokratischen Republik als auch nach dem nunmehr geltenden Bundesrecht hing die Statthaftigkeit der Revision von der Zulassung des Bezirksgerichts bzw. dem Überschreiten einer Beschwerdesumme ab. Das Bezirksgericht hat die Revision nicht zugelassen und der Wert der Beschwerde übersteigt nicht den Betrag von 10.000,00 DM.
a) Gem. § 160 Abs. 2 ZPO-DDR n. F. (GBl-DDR 1990 S. 547, 564) konnte die Revision gegen in II. Instanz erlassene Urteile und verfahrensbeendende Beschlüsse nur beantragt werden, wenn sie vom Gericht der II. Instanz wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zu entscheidenden Rechtslage für zulässig erklärt wurde oder in vermögensrechtlichen Streitigkeiten der Wert der Beschwerde 10.000,00 DM überstieg. Beide Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben:
aa) Das Bezirksgericht hat in seinem Urteil vom 1. August 1990 die Revision nicht zugelassen. Die gegen dieses Urteil erhobene Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig (siehe unten unter III).
bb) Der Wert der Beschwerde übersteigt 10.000,00 DM nicht.
Gem. § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG ist für die Wertberechnung bei Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses höchstens der Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistende Arbeitsentgelt maßgebend, dies wäre selbst dann nur ein Betrag von 3.600,00 DM, wenn der Gehaltsanspruch in Mark der DDR dem Gehaltsanspruch in DM gleichgesetzt wird (anderer Ansicht LAG Berlin vom 19. Oktober 1990 – 6 Sa 79/90 – NZA 1991, 72: Gehalt in Mark der DDR ist zu halbieren). Dazu kommt der Betrag von 456,35 DM, insgesamt beträgt die Beschwer der Revisionsklägerin somit allenfalls 4.056,35 DM.
b) Auch nach dem nunmehr gem. der Anlage I zum Einigungsvertrag Kapitel III Sachgebiet A Abschn. III Nr. 28i (aaO) geltenden Bundesrecht findet gem. § 72 Abs. 1 ArbGG gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts die Revision an das Bundesarbeitsgericht nur statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 ArbGG zugelassen worden ist.
Auch diese Voraussetzungen liegen nicht vor (siehe oben unter II 2a aa).
c) Der Senat hatte auch nicht gem. Nr. 28i Satz 3 (aaO) über die Zulassung der Revision selbst zu entscheiden. Die angegebene Vorschrift betrifft nur diejenigen Fälle, in denen erstmals nach den in Kraft getretenen Vorschriften die Zulässigkeit eines Rechtsmittels davon abhängig ist, daß es von dem Gericht, dessen Entscheidung bereits angefochten ist, hätte zugelassen werden müssen (siehe Erläuterungen zu den Anlagen zum Einigungsvertrag, Bundestagsdrucks. 11/7817, S. 32). Vorliegend bestand die Möglichkeit der Zulassung jedoch schon seit dem 1. Juli 1990, also mit Inkrafttreten der ZPO-DDR n. F.
III. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Revisionsklägerin ist unstatthaft.
Es kann dabei dahinstehen, ob die Nichtzulasungsbeschwerde nicht schon deshalb unstatthaft ist, weil diese Rechtsbehelfsmöglichkeit zum Zeitpunkt der Zustellung des Bezirksgerichtsurteils nach der ZPO-DDR nicht gegeben war. Jedenfalls hat die Klägerin bereits die formellen Voraussetzungen einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht erfüllt. Gem. § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG muß die Beschwerde bei dem Bundesarbeitsgericht innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils schriftlich eingelegt werden. Selbst wenn diese Frist nicht ab Zustellung des Urteils, sondern erst ab dem 3. Oktober 1990 laufen würde, ist diese Frist durch die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde am 10. Januar 1991 nicht gewahrt worden.
IV. Die Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde waren daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
Eine Anwendung der Kostenbestimmung nach der Anlage I des Einigungsvertrages Kapitel III Sachgebiet A Abschn. III Nr. 28j (aaO) kam nicht in Betracht. Dies hätte vorausgesetzt, daß die von der Klägerin eingelegten Rechtsmittel nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik vor dem Wirksamwerden des Beitritts zulässig gewesen wären und nunmehr nach dem in Kraft gesetzten Bundesrecht unzulässig geworden sind. Dies ist weder bei der Revision noch bei der Nichtzulassungsbeschwerde der Fall.
Unterschriften
Hillebrecht, Triebfürst, Dr. Ascheid
Fundstellen
BAGE, 28 |
BB 1991, 1793 |
RdA 1991, 319 |
ZIP 1991, 1104 |