Entscheidungsstichwort (Thema)

Abmahnungs-Anzeige eines Betriebsrats gegen Arbeitgeber

 

Orientierungssatz

Zur Frage welche Schritte von einem Arbeitnehmer zu verlangen sind, bevor er außerbetriebliche Stellen über Gesetzesverstöße informiert. Der Senat hat keine Veranlassung gesehen, diese Fragen im Rahmen des Kostenrechtsstreits abschließend zu entscheiden.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 611, 1004; ZPO § 91a; BetrVG § 2 Abs. 1, § 80 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 23.06.1986; Aktenzeichen 6 Sa 233/86)

ArbG Köln (Entscheidung vom 24.01.1986; Aktenzeichen 14/11 Ca 11087/85)

 

Gründe

I. Die Parteien haben über die Verpflichtung der Beklagten gestritten, ein Abmahnungsschreiben aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen. Nachdem sie die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden.

Die Klägerin ist seit 1980 als Physiklaborantin bei der Beklagten beschäftigt und gehört seit 1981 dem Betriebsrat an.

Die Beklagte produziert und vertreibt Druckwalzen: dabei handelt es sich häufig um Eilaufträge, die zum Teil Überstunden erforderlich machen. Wiederholt ist es zu Sonntagsarbeit gekommen. Dem Gewerbeaufsichtsamt gegenüber hat die Beklagte in diesen Fällen folgendes Verfahren gewählt: Der Sicherheitsingenieur der Beklagten teilte dem Gewerbeaufsichtsamt jeweils samstags über den Anrufbeantworter die beabsichtigte Sonntagsarbeit mit; zugleich hinterlegte er, wie er in dem Anruf angekündigt hatte, für den Fall einer Kontrolle des Gewerbeaufsichtsamts eine Personenliste der am Sonntag beschäftigten Arbeitnehmer sowie eine schriftliche Begründung für die Notwendigkeit der Sonntagsarbeit beim Pförtner des Betriebes. Dieses Verfahren hatte bisher nicht zu Beanstandungen seitens des Gewerbeaufsichtsamtes geführt.

Die Beklagte wollte wieder am Sonntag, dem 23. Juni 1985, eine Sonderschicht arbeiten lassen. Nachdem sie hierfür um die Zustimmung des Betriebsrates gebeten hatte, trat am 20. Juni 1985 der für solche Angelegenheiten zuständige Betriebsausschuß zusammen, dem auch die Klägerin angehört. Während der Sitzung, an der zwei Vertreter der Beklagten teilnahmen, wies die Klägerin erstmals darauf hin, daß eine Anordnung von Überstunden an Sonntagen ohne Ausnahmegenehmigung der Gewerbeaufsicht rechtswidrig sei und daher die Gewerbeaufsicht eingeschaltet werden müsse. Ferner beanstandete sie das Ausmaß der Überstunden. Auf Antrag der Klägerin beschloß der Ausschuß, den Antrag auf Zustimmung zur Sonntagsarbeit dem Betriebsrat vorzulegen.

Auf der Sitzung des Betriebsrats, am Freitag, dem 21. Juni 1985 gegen 9.00 Uhr, ohne Vertreter der Beklagten, wiederholte die Klägerin ihre Bedenken. Trotzdem stimmte der Betriebsrat mehrheitlich der Sonderschicht für Sonntag, den 23. Juni 1985, zu.

Die Beklagte ordnete daraufhin die Sonntagsarbeit an; auftragsgemäß benachrichtigte der Sicherheitsingenieur der Beklagten das Gewerbeaufsichtsamt am Samstag, dem 22. Juni 1985 gegen 15.00 Uhr, über den telefonischen Anrufbeantworter. Die Klägerin, die selbst von der Anordnung der Sonntagsarbeit nicht betroffen war, hatte jedoch bereits am Freitag, dem 21. Juni 1985, das Gewerbeaufsichtsamt über das Vorhaben der Beklagten informiert, ohne die Beklagte davon vorher oder später in Kenntnis zu setzen. Das Verhalten der Klägerin führte dazu, daß sich ein Mitarbeiter des Gewerbeaufsichtsamtes kurz nach der Mitteilung des Sicherheitsingenieurs nach den Gründen für die geplante Sonntagsarbeit erkundigte. Gegen 20.00 Uhr teilte er dem Pförtner mit, daß die Arbeitnehmer der Beklagten am Sonntag das Betriebsgelände nicht betreten dürften, da er die geplante Arbeit verbieten müsse. Gleichwohl ordnete ein Geschäftsführer der Beklagten an, daß die Sonntagsarbeit durchzuführen sei. Wegen Nichtbeachtung des Verbotes hat er einen Bußgeldbescheid erhalten.

Die Beklagte richtete daraufhin am 4. Juli 1985 folgendes als "Abmahnung" bezeichnetes Schreiben an die Klägerin:

"Sehr geehrte Frau K,

am 21. Juni 1985 haben Sie das Gewerbeaufsichtsamt

über die von uns beabsichtigte

Sonntagsarbeit am 23. Juni 1985 informiert.

Hierdurch haben Sie unserer Firma erheblichen

Schaden zugefügt. Das Gewerbeaufsichtsamt

hat ein B u ß g e l d v e r f a h r e n

wegen Verstoßes gegen die Vorschriften über

die Sonntagsarbeit eingeleitet.

Mit Ihrem Verhalten haben Sie Ihre arbeitsvertragliche

Treuepflicht verletzt. Anzeigen

gegen den Arbeitgeber, die zur Einleitung

eines Bußgeld- oder Strafverfahrens führen,

können nach ständiger Rechtsprechung eine

außerordentliche Kündigung rechtfertigen, auch

ohne vorherige Abmahnung.

Wegen Verletzung Ihrer arbeitsvertraglichen

Treuepflicht erteilen wir Ihnen hiermit eine

Abmahnung. Im Wiederholungsfall oder bei vergleichbaren

Verletzungen Ihrer arbeitsvertraglichen

Pflichten müssen Sie mit Ihrer fristlosen

Entlassung rechnen."

Daraufhin hat die Klägerin die Rücknahme der Abmahnung und ihre Entfernung aus der Personalakte verlangt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision hat die Klägerin ihr Klageziel weiterverfolgt.

Nachdem die Beklagte die streitige Abmahnung mit Ablauf des Jahres 1987 wegen Zeitablaufs aus der Personalakte der Klägerin entfernt hatte, haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache als erledigt erklärt und eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren über die Kosten des Rechtsstreits erbeten.

II. 1. Nachdem die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist nur noch über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluß gemäß § 91 a ZPO zu entscheiden. Diese Vorschrift gilt ebenfalls für die Revisionsinstanz (BAG Beschluß vom 17. August 1961 - 5 AZR 311/60 - Urteil vom 12. Juni 1967 - 3 AZR 368/66 - AP Nr. 9, 12 zu § 91 a ZPO, sowie die Beschlüsse vom 7. Mai 1986 - 5 AZR 335/83 - und vom 14. Januar 1987 - 5 AZR 454/86 -). Die weitere Voraussetzung, nämlich die Zulässigkeit des Rechtsmittels, ist ebenfalls erfüllt.

Die Kosten sind grundsätzlich der Partei aufzuerlegen, die im Kostenpunkt unterlegen wäre, wenn sich der Rechtsstreit nicht erledigt hätte. Da aber auch das billige Ermessen eine wesentliche Rolle spielt, kann das Gericht bei einer rechtlich schwierigen Sache davon absehen, zu jeder Rechtsfrage abschließend Stellung zu nehmen. Eine in Rechtsprechung und Rechtslehre umstrittene, vom Bundesarbeitsgericht bisher noch nicht entschiedene Rechtsfrage kann also offen bleiben und das billige Ermessen dahin ausgeübt werden, daß das Kostenrisiko beiden Parteien gleichmäßig auferlegt wird (BAG Beschluß vom 18. Februar 1957 - 2 AZR 231/56 - und Urteil vom 12. Juli 1967 - 3 AZR 368/66 - AP Nr. 2, 12 zu § 91 a ZPO; Beschluß vom 7. Mai 1986 - 5 AZR 335/83 - unveröffentlicht; BGHZ 67, 343, 345). Gleiches gilt, wenn es nur ältere höchstrichterliche Entscheidungen gibt und es aufgrund veränderter Auffassungen zweifelhaft erscheint, ob diesen heute noch zu folgen ist.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. statt aller BAGE 50, 202 = AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht) kann der Arbeitnehmer die Entfernung mißbilligender Äußerungen aus den Personalakten verlangen, wenn diese unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalten oder das gerügte Verhalten keine Pflichtwidrigkeit darstellt. Allerdings hat die Klägerin nicht nur die Entfernung aus der Personalakte, sondern auch deren "Rücknahme" verlangt. Es sind jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Klägerin damit etwas weiteres als die Entfernung aus der Personalakte begehrt (vgl. auch Urteil des Senats vom 16. September 1987 - 5 AZR 254/86 - unveröffentlicht).

Das Landesarbeitsgericht hat die Klageabweisung im wesentlichen damit begründet, die Klägerin habe das Gewerbeaufsichtsamt über die geplante Sonntagsarbeit erst dann unterrichten dürfen, wenn sie zuvor versucht habe, die Beklagte zur Einholung der gewerberechtlichen Genehmigung zu veranlassen, und sie die Beklagte weiter davon in Kenntnis gesetzt habe, daß sie anderenfalls von sich aus die Gewerbeaufsicht unterrichten werde. In der Rechtsprechung sei anerkannt, daß Anzeigen des Arbeitnehmers bei staatlichen Behörden gegen einen gesetzwidrig handelnden Arbeitgeber einen Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Treuepflicht und damit einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darstellen könnten, wenn der Arbeitnehmer nicht vorher versucht habe, den Arbeitgeber durch entsprechende Hinweise von seiner Handlungsweise abzubringen. Dies werfe die Beklagte der Klägerin zu Recht vor. Hätte die Klägerin die Beklagte alsbald nach der Sitzung des Betriebsrats über ihre Absicht, gegebenenfalls selbst die Gewerbeaufsicht einzuschalten, informiert, so hätte die Beklagte sich unter Umständen noch am Freitag nachmittag an das Gewerbeaufsichtsamt wenden und versuchen können, die Genehmigung zu erlangen. Die Klägerin habe durch ihre Handlungsweise bewirkt, daß die Beklagte die Sonderschicht entweder ganz habe ausfallen lassen müssen oder nur ordnungswidrig habe durchführen können.

3. Es kann im Rahmen der Kostenentscheidung dahingestellt bleiben, ob der Rechtsauffassung des Landesarbeitsgerichts in jeder Hinsicht gefolgt werden kann.

a) Das Bundesarbeitsgericht hatte in seinem Urteil vom 5. Februar 1959 (- 2 AZR 60/56 - AP Nr. 2 zu § 70 HGB) über die fristlose Entlassung eines Kraftfahrers zu entscheiden, der seinen Arbeitgeber zweimal wegen Verstoßes gegen gesetzliche Bestimmungen angezeigt hatte. Es hat die fristlose Kündigung seitens des Arbeitgebers im Ergebnis gebilligt. Selbst wenn man berücksichtige, daß der Kläger Gefahr gelaufen sei, sich mit strafbar zu machen. Entscheidend sei die Abwägung einerseits der Drucksituation und Pflichtenkollision, in denen sich der Kläger insgesamt befunden habe, und andererseits der Situation, in die die Beklagte durch die Anzeige ihres eigenen Angestellten geraten würde. Die Kündigung sei wirksam, weil der Kläger habe die Arbeit verweigern dürfen, wenn seitens der Beklagten von ihm verlangt würde, an Gesetzesverstößen mitzuwirken oder unter gesetzwidrigen Gesamtumständen zu arbeiten. Das Bundesarbeitsgericht hielt eine fehlerhafte Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffes des wichtigen Grundes durch das Landesarbeitsgericht für nicht gegeben und ist unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten nicht darauf eingegangen, welche Bedeutung etwa mögliche innerbetriebliche Versuche des Arbeitnehmers haben, den Arbeitgeber durch entsprechende Hinweise von seiner Handlungsweise abzubringen.

Hierzu haben aber einige Landesarbeitsgerichte den Vorrang der innerbetrieblichen Bereinigung von Mißständen betont (so z.B. LAG Berlin, Urteil vom 25. November 1960 - 3 Sa 88/60 - DB 1961, 576; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 3. Februar 1987 - 7 (13) Sa 95/86 - NZA 1987, 756).

Es ist in der Literatur bislang umstritten, welche Schritte von einem Arbeitnehmer zu verlangen sind, bevor er außerbetriebliche Stellen über Gesetzesverstöße informiert. Einerseits werden Anzeigen wegen gesetzwidriger Verhaltensweisen im Betrieb auch dann für zulässig gehalten, wenn ein innerbetriebliches "Vorverfahren" nicht stattgefunden hat (so z.B. Hinrichs, Das Beschwerde- und Anzeigerecht der Arbeitnehmer, in: Das Arbeitsrecht der Gegenwart 1980 S. 35, 45 ff.). Die wohl überwiegende Auffassung verlangt dagegen vom Arbeitnehmer grundsätzlich den Versuch einer innerbetrieblichen Bereinigung des Mißstandes, bevor er betriebsexterne Stellen einschaltet (Denck, Arbeitsschutz- und Anzeigerecht des Arbeitnehmers, DB 1980, 2132; Söllner, "Wes Brot ich eß, des Lied ich sing", Meinungsäußerungen im Arbeitsverhältnis, Festschrift für Herschel, Seite 389, 404; vgl. auch Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., 1987 § 53 I 4 S. 276). Auch innerhalb dieser Meinung gehen die Auffassungen darüber, welche konkreten Schritte vom Arbeitnehmer zu erwarten sind, weit auseinander (vgl. einerseits Denck, aaO, andererseits Söllner, aaO). Söllner betont, daß als Voraussetzung für das Anrufen externer Stelle nur zumutbare Anforderungen gestellt werden dürfen.

Ferner ist in diesem Zusammenhang auf die Urteile des Zweiten Senats vom 18. Juni 1970 (- 2 AZR 369/69 - AP Nr. 82 zu § 1 KSchG) und vom 14. Dezember 1972 (- 2 AZR 115/72 - AP Nr. 8 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung) zu verweisen. Nach dem Leitsatz des erstgenannten Urteils braucht der Angestellte des öffentlichen Dienstes keine Kündigung zu befürchten, wenn er von seinem Petitionsrecht Gebrauch und dabei auf bestimmte Mißstände in seinem Amt aufmerksam macht. Nach dem zweitgenannten Urteil hat ein Arbeitnehmer, dem die Verantwortung für die Sicherheit von betrieblichen Einrichtungen übertragen ist, das Recht, Bedenken gegen den sicheren Zustand solcher Einrichtungen bei allen zuständigen Stellen in der gehörigen Form zu erheben.

Diese Ausführungen beziehen sich auf Arbeitnehmer, die nicht Betriebsratsmitglieder sind. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bislang noch nicht entschieden, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Betriebsratsmitglieder zur Anzeige von Gesetzwidrigkeiten an staatliche Stellen berechtigt sind.

Die Klägerin hat ohne Zustimmung des Betriebsrats die Anzeige erstattet. Hiernach ist zweifelhaft, ob die Klägerin allein in Wahrnehmung der Betriebsratsaufgaben des § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG handeln konnte, wonach der Betriebsrat die allgemeine Aufgabe hat, darüber zu wachen, daß die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Rechtsvorschriften durchgeführt werden. Aber selbst wenn der Betriebsrat als Organ eine Anzeige erstattet, ist zu fragen, ob sich aus dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) ein Vorrang innerbetrieblicher Abhilfe ergibt (bejahend Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., 1987, § 80 Rz 11), und wenn ja, welche konkreten Schritte vom Betriebsrat zu unternehmen sind.

Der Senat sieht keine Veranlassung, diese Fragen im Rahmen des Kostenrechtsstreits abschließend zu entscheiden. Daher ist das Kostenrisiko gleichmäßig auf die Klägerin und die Beklagte zu verteilen.

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog

Dr. Frey Halberstadt

 

Fundstellen

Dokument-Index HI440225

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