Ein Arbeitnehmer kann auch in seiner Freizeit verpflichtet sein, eine SMS des Arbeitgebers zu lesen
Der Arbeitnehmer ist als Notfallsanitäter bei einem Arbeitgeber beschäftigt, der in fünf Kreisen den Rettungsdienst durchführt. Auf sein Arbeitsverhältnis findet kraft Bezugnahme der TVöD-VKA Anwendung. In einer Betriebsvereinbarung wurden während der Corona-Pandemie spezielle Regelungen zu Soll- und Ist-Dienstplänen sowie zu Springerdiensten getroffen: Danach konnten unkonkret zugeteilte Springerdienste vom Arbeitgeber noch bis 20 Uhr am Vortag des Dienstbeginns konkretisiert werden. Ist dies nicht geschehen, konnte der Mitarbeiter am Tag des Springerdienstes um 7.30 Uhr seine Einsatzfähigkeit telefonisch mitteilen und erhielt bei Nichtinanspruchnahme eine Zeitgutschrift in Höhe des Springerdienstes.
An zwei Tagen, an denen dem Arbeitnehmer ein Springerdienst zugeteilt war, wollte der Arbeitgeber jeweils kurzfristig den Dienstbeginn auf 6.00 Uhr bzw. 6.30 Uhr festsetzen. Dazu versuchte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer jeweils am Vortag - an dem der Arbeitnehmer frei hatte - telefonisch zu kontaktieren, was jedoch misslang. Ersatzweise übersandte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer daher jeweils, im einen Fall um 13.27 Uhr, im anderen Fall um 9.15 Uhr, eine SMS mit der Festsetzung des Dienstbeginns für den Folgetag. Der Arbeitnehmer ignorierte diese bzw. nahm diese nicht zur Kenntnis und meldete sich am Tag des Springerdienstes jeweils telefonisch erst um 7.30 Uhr. An einem der Tage konnte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer daraufhin zumindest noch für einen Teil des Springerdienstes einsetzen, an dem anderen Tag bestand diesbezüglich keine Möglichkeit mehr. Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer daraufhin die betreffenden Arbeitsstunden für die jeweils entfallenen Zeiten vom Arbeitszeitkonto abgezogen und eine Abmahnung ausgesprochen. Der Arbeitnehmer klagte schließlich auf Wiedergutschrift der abgezogenen Arbeitsstunden sowie auf Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte.
BAG: Abmahnung und Abzug der Arbeitszeit sind zulässig
Aus Sicht des BAG ist die Klage insgesamt unbegründet. Das Gericht führt dabei zunächst aus, dass der Arbeitgeber auf Grund des Regelungszusammenhangs in der Betriebsvereinbarung grundsätzlich befugt war, Zeitgutschriften zu reduzieren. Mangels anderweitigen Vortrags war hier von der Vornahme eines Freizeitausgleichs auszugehen. Die streitgegenständlichen Zeiträume waren dem Arbeitnehmer also nicht zu vergüten. Da der Arbeitnehmer nicht gearbeitet hat, wäre ein Vergütungsanspruch allenfalls dann in Betracht gekommen, wenn sich der Arbeitgeber in Annahmeverzug nach § 293 BGB befunden hätte. Dazu hätte der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung so anbieten müssen, wie sie zu bewirken ist:
„[…] also am rechten Ort, zur rechten Zeit und in der rechten Art und Weise entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen bzw. deren Konkretisierung kraft Weisung nach § 106 Satz 1 GewO.“
Eine telefonische Anzeige der Einsatzbereitschaft um 7.30 Uhr war aus Sicht des BAG nicht ausreichend, sondern der Arbeitnehmer hätte jeweils um 6.00 Uhr bzw. 6.30 Uhr auf der Wache erscheinen und tatsächlich seinen Springerdienst antreten müssen.
Vertragliche Nebenpflicht zur Kenntnisnahme von der Zuteilung des Dienstes
Denn der Arbeitnehmer kann sich nicht darauf berufen, von der Festsetzung des Springerdienstes auf 6.00 Uhr bzw. 6.30 Uhr keine Kenntnis gehabt zu haben. Die jeweils maßgeblichen SMS waren dem Arbeitnehmer zugegangen und dieser wusste auch über die Einteilung zu einem unkonkreten Springerdienst am jeweiligen Folgetag Bescheid, weshalb er mit der konkretisierenden Festsetzung rechnen konnte. Die aus § 241 Abs. 2 BGB abzuleitende Nebenpflicht des Arbeitnehmers hätte daher aus Sicht des BAG geboten, ein solches Erfüllungshindernis gar nicht erst entstehen zu lassen. Das BAG führt zur Pflicht des Arbeitnehmers aus:
„Es blieb ihm überlassen, wann und wo er von der SMS Kenntnis nehmen wollte […]. Der Kläger war keineswegs verpflichtet, den gesamten Tag auf sein Mobiltelefon zu schauen und sich dienstbereit zu halten. Da die Beklagte die Konkretisierung des Dienstbeginns und Dienstortes bis 20.00 Uhr vornehmen konnte, war es ausreichend, dass er sich ab dieser Zeit informierte […]. Der Kläger war auch nicht verpflichtet, mit der Beklagten in Kommunikation zu treten. Er hatte lediglich die Nachricht der Beklagten über die Zuteilung eines bestimmten Dienstes für den folgenden Tag zur Kenntnis zu nehmen.“
Die Freizeit des Klägers war aus Sicht des Gerichts also auch bei Erfüllung dieser Nebenpflicht nicht beeinträchtigt und es lag ebenso kein Fall der Rufbereitschaft vor.
Indem der Arbeitnehmer es unterließ, die Weisungen des Arbeitgebers zur Aufnahme der Dienste zur Kenntnis zu nehmen bzw. die Dienste anzutreten, hat er also seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Daher war der Arbeitgeber auch zum Ausspruch der Abmahnung berechtigt.
(BAG, Urteil vom 23.8.2023, 5 AZR 349/22)
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