Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenniederschlagung bei verspäteter Urteilszustellung
Leitsatz (amtlich)
Wird gegen ein Urteil eines Berufungsgerichts, das verspätet zugestellt worden ist (§ 551 Nr. 7 ZPO), zugleich Revision und Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt, so ist die bloße Verspätung der Urteilszustellung kein Grund, die in der Revisionsinstanz entstandenen Gerichtskosten nicht zu erheben.
Normenkette
GKG § 8; ZPO § 551 Nr. 7
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag des Beklagten anzuordnen, Gerichtskosten für das Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Hamm – 9 (2/13/18) Sa 1099/89 – sowie für das Revisionsverfahren und das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde – 5 AZN 274/94 – nicht zu erheben, wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I. Durch Urteil vom 11. August 1993 – 9 (2/13/18) Sa 1099/89 – hat das Landesarbeitsgericht den Beklagten verurteilt, an die Klägerin eine Vertragsstrafe nebst Zinsen zu zahlen. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Das Urteil ist am 8. März 1994 von allen Richtern unterschrieben zur Geschäftsstelle gelangt und den Prozeßbevollmächtigten des Beklagten am 9. März 1994 in vollständiger Form zugestellt worden. Mit Eingang vom 11. April 1994 (Montag) hat der Beklagte gegen dieses Urteil Revision und Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde hat der Beklagte ausgeführt, durch die verspätete Absetzung und Zustellung des Urteils sei er in Grundrechten verletzt. Die Zulassung der Revision sei entgegen der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts im Beschluß vom 20. September 1993 – 9 AZN 400/93 – in ergänzender Auslegung des § 72 Abs. 2 ArbGG geboten. Durch Beschluß vom 14. September 1994 – 5 AZN 274/94 – hat der Senat die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen. Der Beklagte hat die Revision zurückgenommen und beantragt anzuordnen, für die Verfahren vor dem Berufungsgericht und dem Revisionsgericht keine Gerichtskosten zu erheben.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag ist unbegründet.
1. Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG, der gemäß § 1 Abs. 3 GKG auch für das arbeitsgerichtliche Verfahren gilt, werden Kosten, die bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären, nicht erhoben. Eine unrichtige Sachbehandlung in diesem Sinne liegt vor, wenn ein Verstoß gegen eindeutige gesetzliche Normen offen zu Tage tritt (vgl. die Nachweise bei Hartmann, Kostengesetze, 25. Aufl., § 8 GKG Rz 8 bis 10).
Der Beklagte sieht einen offensichtlichen schweren Verfahrensfehler darin, daß die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht binnen fünf Monaten von allen Richtern unterschrieben zur Geschäftsstelle gelangt ist. Dem ist zuzustimmen. Gelangt ein vollständig abgesetztes Urteil erst nach Ablauf von fünf Monaten seit seiner Verkündung mit allen richterlichen Unterschriften zur Geschäftsstelle, so ist dieses Urteil als ein Urteil ohne Entscheidungsgründe anzusehen, das auf eine entsprechende Verfahrensrüge aufzuheben und an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (BAG Urteil vom 4. August 1993 – 4 AZR 501/92 – NZA 1993, 1150 und BAG Beschluß vom 20. September 1993 – 9 AZN 400/93 – NZA 1993, 1151).
2. Eine Nichterhebung von Kosten wegen unrichtiger Sachbehandlung kommt nach § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG nur in Betracht, soweit die unrichtige Sachbehandlung für die Kosten ursächlich geworden ist (vgl. die Nachweise bei Hartmann, aaO, § 8 GKG Rz 41 bis 42).
Die verspätete Urteilsbegründung ist für die Einlegung der Revision und der Nichtzulassungsbeschwerde nicht ursächlich geworden.
a) Da das Urteil des Landesarbeitsgerichts die Revision nicht zugelassen hatte, war dieses Rechtsmittel nicht statthaft. Die fehlende Statthaftigkeit lag offen zu Tage. Sie ergab sich aus der Rechtsmittelbelehrung des Berufungsgerichts und war dem Beklagten bewußt. Die Revision wurde auch nicht dadurch statthaft, daß das Urteil verspätet abgesetzt wurde. Die Möglichkeit einer Rechtswahrung gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts wurde durch die Einlegung der unstatthaften Revision nicht verbessert.
b) Auch für die Nichtzulassungsbeschwerde war die fehlerhafte Sachbehandlung durch das Berufungsgericht nicht ursächlich. Dem Beklagten ist einzuräumen, daß die verspätete Urteilsabsetzung einen absoluten Revisionsgrund nach § 551 Nr. 7 ZPO darstellt, weil die verspätete Begründung nicht als Begründung anzuerkennen ist. Das hätte den Beklagten aber nicht gehindert, die Nichtzulassungsbeschwerde nach den Regeln der §§ 72, 72a ArbGG einzulegen und zu begründen. Der Beklagte war nicht durch die verspätete Begründung gehindert, etwa divergierende abstrakte Rechtssätze des angegriffenen Urteils und abstrakte Rechtssätze einer divergenzfähigen Entscheidung darzustellen. Der Beklagte befand sich in keiner anderen Situation als eine Partei, die gegen ein rechtzeitig zugestelltes Urteil Nichtzulassungsbeschwerde einlegt. Die Auffassung des Beklagten, mangels Begründung des Berufungsurteils habe er sich mit dessen Rechtsausführungen nicht auseinandersetzen können, trifft nicht zu. Die verspätete Urteilsabsetzung ist nur auf eine entsprechende Revisionsrüge hin zu beachten. Der Beklagte war daher nicht gehindert, jedenfalls zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde, statt der Rüge nach § 771 ZPO Gründe für die Zulassung der Revision vorzutragen.
3. Soweit der Beklagte die Nichterhebung von Kosten der Berufungsinstanz begehrt, ist sein Antrag beim Revisionsgericht unzulässig. Jedes Gericht kann nur über die Kosten seiner Instanz entscheiden (Nachweise bei Hartmann, aaO, § 8 GKG Rz 54).
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Dr. Reinecke
Fundstellen
Haufe-Index 856773 |
BB 1994, 2500 |
NZA 1995, 807 |