Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurückverweisung an das Gericht erster Instanz
Leitsatz (amtlich)
Das Landesarbeitsgericht ist nach § 68 ArbGG auch dann an der Zurückverweisung der Sache an das Arbeitsgericht gehindert, wenn das erstinstanzliche Urteil verspätet abgesetzt worden ist und deshalb gemäß § 551 Nr. 7 ZPO als Urteil ohne Gründe gilt.
Normenkette
ArbGG §§ 72a, 72 Abs. 2 Nr. 2, §§ 60, 68; ZPO § 551 Nr. 7
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.09.1995; Aktenzeichen 19 Sa 12/95) |
ArbG Karlsruhe (Urteil vom 20.05.1994; Aktenzeichen 2 Ca 631/93) |
Tenor
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 22. September 1995 – 19 Sa 12/95 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
- Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.132,00 DM festgesetzt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten u. a. darüber, ob der Arbeitsvertrag des Klägers vom 8. April 1974 dahin zu ergänzen ist, daß eine bestimmte Vergütungsgruppe in den Arbeitsvertrag aufgenommen wird. Mit diesem Antrag hatte der Kläger in erster Instanz überwiegend Erfolg. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist erst nach Ablauf von mehr als acht Monaten seit Verkündung in vollständiger Fassung unterschrieben zur Geschäftsstelle gelangt. Auf die Berufung der beklagten Rundfunkanstalt hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die auf Divergenz gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Der Kläger macht geltend, mit seinen Ausführungen zur Zulässigkeit der Berufung habe sich das Landesarbeitsgericht in Widerspruch zu Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts gesetzt. Das Landesarbeitsgericht habe den Rechtssatz aufgestellt, daß im Berufungsverfahren, anders als im Revisionsverfahren (§ 551 ZPO), eine verspätete Urteilsabsetzung nicht zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht führe (§ 68 ArbGG). Dieser Rechtssatz widerspreche dem vom Bundesarbeitsgericht (u.a. im Urteil vom 16. November 1995 – 6 AZR 843/94 –) aufgestellten Rechtssatz, daß ein Urteil, das nicht binnen fünf Monaten schriftlich niedergelegt und von den Richtern unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben worden sei, als ein Urteil ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe zu gelten habe.
2. Die behauptete Divergenz besteht nicht. Die auf der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 (– GmS-OGB 1/92 – AP Nr. 21 zu § 551 ZPO) beruhende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts betrifft die Behandlung verspätet abgesetzter Entscheidungen der Berufungsgerichts (BAG Urteil vom 12. Januar 1994 – 4 AZR 133/93 – AP Nr. 22 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk). Das Revisionsgericht ist grundsätzlich an die von den Tatsachengerichten getroffenen Feststellungen gebunden (§ 561 ZPO). Entstehen, wie bei verspätet abgesetzten Urteilen, Zweifel an der Zuverlässigkeit der Entscheidungsgrundlagen, führt dies zu der Annahme einer nicht mit Gründen versehenen Entscheidung (§ 551 Nr. 7 ZPO). Anders als das Revisionsgericht ist das Berufungsgericht nicht gehindert, die für seine Entscheidung erforderlichen Feststellungen selbst zu treffen. Es ist dazu grundsätzlich sogar verpflichtet (§ 525 ZPO, § 67 ArbGG). Eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht wegen unzureichender tatsächlicher Entscheidungsgrundlagen ist daher im Berufungsverfahren nicht geboten. Darüber hinaus ordnet § 68 ArbGG für das Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen an, daß eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht wegen eines Verfahrensmangels unzulässig ist. Im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren ist danach eine Zurückverweisung wegen eines wesentlichen Mangels des erstinstanzlichen Verfahrens gemäß § 539 ZPO gerade ausgeschlossen. Nur unter den Voraussetzungen des § 538 Abs. 1 ZPO kommt eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht in Betracht (BAG Urteil vom 4. Juli 1978 – 1 AZR 301/77 – AP Nr. 1 zu § 538 ZPO). Zu den Verfahrensmängeln, die eine Zurückverweisung nach § 68 ArbGG nicht zulassen, zählt auch der Fall der verspäteten Urteilsabsetzung (BAG Urteil vom 24. Februar 1982 – 4 AZR 313/80 – BAGE 38, 55 = AP Nr. 1 zu § 68 ArbGG 1979; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 68 Rz 4; Hauck, ArbGG, 1996, § 68 Rz 3). Der hiermit verbundene Verlust einer Instanz ist angesichts des für das arbeitsgerichtliche Verfahren besonders bedeutsamen Gebots der Beschleunigung hinzunehmen (Keil, NZA 1994, 817, 819).
Auch der nachträgliche Hinweis des Klägers auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13. September 1995 (2 AZR 855/94) führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Obwohl das arbeitsgerichtliche Urteil als ein Urteil ohne Gründe zu behandeln ist, bleibt dem Berufungsgericht die Zurückverweisung gemäß § 68 ArbGG verwehrt. Ob in einem solchen Fall die Rüge der verspäteteten Urteilsabsetzung als Berufungsbegründung ausreicht (so das Urteil vom 13. September 1995), ist eine andere Frage. Auch das Bundesarbeitsgericht ist in der angeführten Entscheidung davon ausgegangen, daß eine Zurückverweisung an die erste Instanz gleichwohl nicht in Betracht kommt.
Eine zur Revisionszulassung führende Divergenz scheidet damit aus.
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke, Krogmann, Kessel
Fundstellen
Haufe-Index 872484 |
BB 1996, 1512 |
NJW 1996, 3430 |
NZA 1997, 176 |
AP, 0 |