Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 25. September 1996 – 3 TaBV 44/95 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Anrechnung der Tariferhöhung 1994 und deren gleichzeitige Weitergabe an einen Teil der sog. AT-Angestellten dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegt.
Die Arbeitgeberin produziert, vertreibt und wartet Maschinen der Backtechnik. Kraft Verbandsmitgliedschaft ist sie an die Tarifverträge der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden gebunden. Sie beschäftigt in ihrem Betrieb in D. rund 460 Arbeitnehmer. Vielen von ihnen gewährt sie übertarifliche Zulagen, die in den Lohn- und Gehaltsabrechnungen als solche ausgewiesen werden. Eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat über die Verteilung und mögliche Anrechnung der Zulagen besteht nicht.
Die Arbeitgeberin betrachtet zwölf Arbeitnehmer als außertarifliche (AT-)Angestellte. Deren Monatsgehälter sind nicht in tarifliche und übertarifliche Bestandteile aufgegliedert, sondern jeweils als einheitlicher Betrag ausgewiesen, der über dem Gehalt der höchsten Tarifgruppe T 7 liegt. In den Arbeitsverträgen von fünf dieser Angestellten ist folgendes bestimmt:
„An tariflichen Gehaltserhöhungen nehmen Sie teil. Ihr Gehalt wird dabei mindestens um den gleichen DM-Betrag erhöht wie die Gehälter der Tarifgruppe T 7.”
Mit den übrigen AT-Angestellten ist eine solche Anpassungsklausel nicht vereinbart. Auch hinsichtlich des Entgeltsystems für die AT-Angestellten besteht keine mitbestimmte Regelung.
Zum 1. Juni 1994 wurden die Tariflöhne und -gehälter um 2 % erhöht. Gleichzeitig wurden andere tarifliche Ansprüche, insbesondere derjenige auf Weihnachtsgeld, vermindert. Der Arbeitgeberverband bezeichnete die Kompensation der Tariferhöhung in einem Rundschreiben an seine Mitglieder als vollständig, so daß sich aus dem Abschluß keine Kostensteigerungen für die Unternehmen ergäben.
Die Arbeitgeberin verrechnete die zweiprozentige Tariferhöhung bei allen betroffenen Arbeitnehmern vollständig mit den gesondert ausgewiesenen übertariflichen Zulagen, soweit das nach deren Volumen möglich war. Die Zustimmung des Betriebsrats holte sie hierzu nicht ein. Die Monatsgehälter der fünf AT-Angestellten, deren Arbeitsverträge eine Anpassungsklausel enthalten, wurden von der Arbeitgeberin zum 1. Juni 1994 um den Betrag von 126,00 DM, welcher der zweiprozentigen Gehaltserhöhung in der Tarifgruppe T 7 entspricht, aufgestockt. Auch zwei AT-Angestellte, mit denen eine derartige Anpassung nicht vereinbart ist, erhielten zunächst diese Gehaltserhöhung. Sie wurde von der Arbeitgeberin jedoch im Dezember 1994 bzw. Januar 1995 mit der Begründung, es habe sich um ein Versehen gehandelt, zurückgenommen; die überzahlten Beträge wurden zurückgefordert. Die Gehälter der übrigen AT-Angestellten wurden nicht erhöht. Im Jahr 1995 wurde die Tariferhöhung an keinen der AT-Angestellten weitergegeben.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Arbeitgeberin habe durch ihr Vorgehen anläßlich der Tarifbewegung 1994 sein Mitbestimmungsrecht verletzt. Sowohl die Anrechnung der Tariferhöhung auf die übertariflichen Zulagen als auch die Erhöhung der Gehälter eines Teils der AT-Angestellten unterlägen seiner Mitbestimmung. Die Anrechnung sei schon individualrechtlich unzulässig gewesen, weil eine Tariferhöhung gar nicht vorgelegen habe. Bei der Tarifbewegung habe es sich vielmehr um eine „Nullrunde” gehandelt. Durch die Anrechnung hätten sich die Verteilungsrelationen zwischen den Zulagen verändert. Dem Mitbestimmungsrecht stehe auch nicht entgegen, daß die Arbeitgeberin etwa im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig angerechnet hätte. Sie habe nämlich fünf AT-Angestellten die Tariferhöhung ungekürzt weitergegeben. Der jeweils das Tarifgehalt übersteigende Teil ihrer Gehälter, der nicht angetastet worden sei, stelle eine übertarifliche Zulage dar. Vertraglich sei die Arbeitgeberin zur Gehaltserhöhung nicht verpflichtet gewesen, denn auch i.S. der Anpassungsklausel habe keine Tariferhöhung vorgelegen. Das Vorgehen bei den sog. AT-Angestellten könne mitbestimmungsrechtlich nicht von der Anrechnung bei den übrigen Arbeitnehmern getrennt werden.
Selbst wenn man aber hinsichtlich der Erhöhung der AT-Gehälter eine Rechtspflicht der Arbeitgeberin annehmen wollte, werde dadurch das Mitbestimmungsrecht nicht ausgeschlossen. Die Anpassungsvereinbarungen seien nämlich als vorweggenommene – negative – Anrechnungsentscheidungen anzusehen. Diese könnten nicht isoliert, sondern nur im Zusammenhang mit dem späteren Vorgehen gegenüber der übrigen Belegschaft gewürdigt werden. Schließlich sei die Veränderung der AT-Gehälter auch für sich allein betrachtet mitbestimmungspflichtig gewesen, weil es sich um kollektive Tatbestände handele.
Die danach bestehenden Mitbestimmungsrechte könne er, der Betriebsrat, auch jetzt noch ausüben.
Nachdem der Betriebsrat erstinstanzlich die Feststellung begehrt hatte, daß die Arbeitgeberin durch die Anrechnung sein Mitbestimmungsrecht verletzt habe, hat er in der Beschwerdeinstanz beantragt
festzustellen, daß ihm bei der im Zusammenhang mit der Tariflohnerhöhung zum 1. Juni 1994 erfolgten Änderung der betrieblichen Lohngestaltung, die in Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen sowie Gehaltserhöhungen eines Teils der sogenannten „außertariflichen Angestellten” bestand, ein Mitbestimmungsrecht noch zusteht.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Nach ihrer Meinung hatte der Betriebsrat bei der Anrechnung nicht mitzubestimmen. Für eine andere Anrechnungsentscheidung habe sie nämlich innerhalb des mitbestimmungsfrei vorgegebenen Dotierungsrahmens keinen Spielraum gehabt. Gegenüber den AT-Angestellten, an welche die Tariferhöhung ungekürzt weitergegeben worden sei, habe eine entsprechende vertragliche Verpflichtung bestanden. Die Anpassungsklausel stelle insoweit nur auf die Erhöhung der Monatsgehälter ab, so daß kompensierende Kürzungen bei anderen tariflichen Arbeitsbedingungen unerheblich seien. Im übrigen könne die Vergütung der AT-Angestellten mitbestimmungsrechtlich nicht mit den Zulagen der übrigen Arbeitnehmer in Verbindung gebracht werden. Die AT-Angestellten erhielten keine übertariflichen Zulagen, denn ihre Gehälter seien unabhängig von Tarifgehältern festgesetzt. Sie unterlägen auch nicht der Mitbestimmung, weil der Betriebsrat sonst in die individuelle Vertragsgestaltung eingreifen könnte.
Das Arbeitsgericht hat den Feststellungsantrag des Betriebsrats abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat den Feststellungsantrag hinsichtlich der Mitbestimmungspflichtigkeit der Anrechnung weiter. Die Feststellung, daß ihm auch hinsichtlich der 1994 vorgenommenen Gehaltserhöhung bei den AT-Angestellten ein Mitbestimmungsrecht zustehe, begehrt der Betriebsrat nur noch hilfsweise und bezieht erstmals die Schaffung der AT-Gehaltsgruppen in sein Begehren mit ein.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die mit ihr verfolgten Sachanträge sind teils unzulässig, teils unbegründet.
I. Der Hauptantrag ist zulässig. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann ein Streit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über Bestand und Inhalt eines Mitbestimmungsrechts im Wege eines allgemeinen Feststellungsverfahrens geklärt werden (vgl. zuletzt Beschluß vom 23. Juli 1996 – 1 ABR 17/96 – AP Nr. 26 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, zu B II 1 der Gründe). Das hierfür erforderliche Feststellungsinteresse ist zu bejahen, da der Betriebsrat das streitige Mitbestimmungsrecht noch ausüben will.
Der Antrag ist aber unbegründet.
1. Nach den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen besteht ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Anrechnung einer Tariferhöhung auf übertarifliche Zulagen, wenn sich durch die Anrechnung die bisherigen Verteilungsrelationen ändern. Das ist dann der Fall, wenn sich das Verhältnis der Zulagenbeträge zueinander verschiebt. Weiter ist das Mitbestimmungsrecht davon abhängig, daß für eine anderweitige Regelung der Anrechnung innerhalb des vom Arbeitgeber mitbestimmungsfrei vorgegebenen Dotierungsrahmens ein Gestaltungsspielraum verbleibt. Deshalb ist die Anrechnung mitbestimmungsfrei, wenn sie das Zulagenvolumen völlig aufzehrt. Das gleiche gilt, wenn die Tariferhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertariflichen Zulagen angerechnet wird (BAGE 69, 134, 164 ff. = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu C III 4–6 der Gründe).
Dieses Mitbestimmungsrecht erstreckt sich allerdings nur auf generelle Regelungen und nicht auf die Gestaltung von Einzelfällen. Dabei hängt die Beantwortung der Frage, ob ein kollektiver und damit mitbestimmungspflichtiger Tatbestand vorliegt, nicht notwendigerweise von der Zahl der Betroffenen ab. Es sind generelle Regelungsfragen vorstellbar, die vorübergehend nur einen Arbeitnehmer betreffen; andererseits können individuelle Sonderregelungen auf Wunsch der betroffenen Arbeitnehmer gehäuft auftreten. Die Abgrenzung von Einzelfallgestaltungen zu kollektiven Tatbeständen richtet sich danach, ob es um Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsform geht oder nicht. Hierbei kann allerdings die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ein Indiz dafür sein, daß ein kollektiver Tatbestand vorliegt. Es widerspräche dem Zweck des Mitbestimmungsrechts, wenn der Arbeitgeber es allein dadurch ausschließen könnte, daß er mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern jeweils „individuelle” Vereinbarungen trifft und dabei die Formulierung einer allgemeinen Regel vermeidet. Sonst könnte mit der Behauptung, nur individuell entscheiden zu wollen, jedes Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen werden (st. Rspr. des BAG, z.B. Urteil vom 9. Juli 1996 – 1 AZR 690/95 – AP Nr. 86 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu II 1 der Gründe).
2. Danach hatte der Betriebsrat bei der von der Arbeitgeberin vorgenommenen Anrechnung der Tariferhöhung 1994 auf übertarifliche Zulagen nicht mitzubestimmen.
a) Zwar handelte es sich bei der Anrechnung um eine kollektive Maßnahme. Sie betraf eine große Anzahl von Arbeitnehmern. Die Arbeitgeberin ging nach allgemeinen Grundsätzen vor und verrechnete die tarifliche Erhöhung des Monatsentgelts bei allen Arbeitnehmern, die eine gesondert ausgewiesene übertarifliche Zulage erhielten, mit diesen Zulagen. Durch die Anrechnung änderten sich auch die Verteilungsrelationen zwischen den Zulagen. Insoweit besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.
b) Die Anrechnung war mitbestimmungsfrei, weil sie im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig war. Für eine anderweitige Regelung blieb innerhalb der von der Arbeitgeberin vorgegebenen Dotierung kein Spielraum. Bei den Arbeitnehmern, denen zusätzlich zum tariflichen Arbeitsentgelt eine gesondert ausgewiesene übertarifliche Zulage gezahlt wurde, rechnete die Arbeitgeberin die Tariferhöhung voll auf diese Zulage an. Der Betriebsrat hält die Maßnahme dennoch für mitbestimmungspflichtig, weil er meint, daß in die mitbestimmungsrechtliche Würdigung die gleichzeitige Erhöhung eines Teils der AT-Gehälter einbezogen werden müsse. Diese Erwägung ergibt jedoch nichts für die Annahme, die Anrechnung sei nicht vollständig gewesen. Die Arbeitgeberin war nämlich aufgrund der mit den betroffenen Angestellten vereinbarten Anpassungsklauseln zu den entsprechenden Gehaltserhöhungen verpflichtet.
aa) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht diese Vereinbarung dahin ausgelegt, daß auch eine Tariferhöhung der hier vorliegenden Art die Anpassungspflicht der Arbeitgeberin auslöste. Die angefochtene Entscheidung unterliegt insoweit in vollem Umfang der Nachprüfung durch den Senat, weil es sich bei der Anpassungsklausel um eine typische Vereinbarung handelt, die von der Arbeitgeberin über viele Jahre hinweg in gleichlautender Form bei Verträgen mit AT-Angestellten verwandt wurde (vgl. BAG Urteil vom 20. Juni 1985 – 2 AZR 427/84 – AP Nr. 33 zu § 112 BetrVG 1972, zu B I 2 der Gründe). Die zweiprozentige Erhöhung der Tarifgehälter zum 1. Juni 1994 war eine „tarifliche Gehaltserhöhung” i.S. der Anpassungsklausel. Dem steht nicht entgegen, daß die Erhöhung der Monatsgehälter wirtschaftlich durch die Minderung anderer tariflicher Ansprüche der Arbeitnehmer, u.a. desjenigen auf Weihnachtsgeld, möglicherweise voll kompensiert wurde.
Hierfür spricht schon die Verwendung des Begriffs „Gehaltserhöhungen”, der sich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auf das regelmäßig gezahlte Arbeitsentgelt bezieht und nicht auch den wirtschaftlichen Gegenwert der Änderung sonstiger Arbeitsbedingungen, etwa einer Arbeitszeitverkürzung ohne entsprechende Gehaltsminderung, umfaßt (vgl. dazu Senatsurteil vom 23. Oktober 1996 – 1 AZR 299/96 – n.v., zu II 3 a der Gründe). Im vorliegenden Fall wird dies durch den zweiten Satz der Anpassungsklausel noch bestätigt, der auf die Gehälter der Tarifgruppe T 7 und damit auf die Bemessungsgrundlage für das Monatsgehalt Bezug nimmt. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht weiter darauf hingewiesen, daß die vom Betriebsrat für richtig gehaltene Gesamtbetrachtung der wirtschaftlichen Auswirkungen einer Tarifbewegung es dem Arbeitgeber, dem Betriebsrat und den Arbeitnehmern in der Praxis vielfach unmöglich machen würde, das Vorliegen einer Tariferhöhung und deren Ausmaß festzustellen. So soll sich im vorliegenden Fall die Kompensation der zweiprozentigen Tariferhöhung daraus ergeben, daß das tarifliche Weihnachtsgeld um 10 % gekürzt wurde und zugleich die Berechnungsgrundlagen für Weihnachts- und Urlaubsgeld hinsichtlich der Berücksichtigung von Mehrarbeitsvergütungen und von vorangegangenen Tariferhöhungen geändert wurden. Es kann nicht angenommen werden, daß die Arbeitsvertragsparteien die Anpassungsverpflichtung der Arbeitgeberin auf eine derart unsichere Grundlage stellen wollten.
Soweit der Betriebsrat in diesem Zusammenhang darauf verweist, daß die Arbeitgeberin die für 1995 vereinbarte Erhöhung der Tarifgehälter an die AT-Angestellten mit Anpassungsvereinbarungen nicht weitergegeben habe, ist dies unerheblich. Zum einen hat er nicht dargetan, daß die Arbeitgeberin ihr Vorgehen überhaupt damit begründet hätte, auch der Tarifabschluß 1995 sei wirtschaftlich als „Nullrunde” zu bewerten gewesen. Zum anderen könnte dieses Verhalten der Arbeitgeberin selbst dann, wenn es nicht als Vertragsverletzung, sondern aufgrund der Hinnahme durch die betroffenen Angestellten als Vertragsänderung anzusehen wäre, für die Beurteilung der arbeitsvertraglichen Situation im hier interessierenden früheren Zeitraum, nämlich im Jahr 1994, keine Bedeutung haben.
bb) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht weiter erkannt, daß die Anrechnung nicht etwa deshalb unvollständig war, weil die Arbeitgeberin die tarifliche Gehaltserhöhung zunächst auch an zwei AT-Angestellte weitergegeben hatte, denen gegenüber keine entsprechende Verpflichtung bestand. In diesen beiden Fällen wurden die Gehälter auf Grund eines Irrtums erhöht; nach dessen Aufdeckung wurde die Erhöhung wieder rückgängig gemacht, die überzahlten Beträge wurden zurückgefordert. Ergibt sich beim Vollzug der Anrechnungsentscheidung eine derartige planwidrige Abweichung, so hat diese nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 31. Oktober 1995 – 1 AZR 276/95 – AP Nr. 80 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu II 2 b der Gründe) bei der mitbestimmungsrechtlichen Bewertung der Anrechnung außer Betracht zu bleiben. Gegenstand der Mitbestimmung ist die Entscheidung des Arbeitgebers, nicht deren Durchführung.
cc) Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zu folgen, daß die Bindung der Arbeitgeberin durch die Anpassungsvereinbarungen hier nicht etwa deshalb außer Betracht zu bleiben hat, weil diese für die Anwendung des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG als vorweggenommene Teile der Anrechnungsentscheidung zu werten wären. Zu Unrecht beruft sich der Betriebsrat in diesem Zusammenhang auf den Grundsatz, daß der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht nicht dadurch ausschließen kann, daß er anstelle einer kollektiven Regelung eine Vielzahl von scheinbar individuellen Vereinbarungen trifft (BAGE 69, 134, 163 = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu C III 3 b dd der Gründe).
Dieser Grundsatz betrifft die Frage, ob eine Anrechnung als kollektiver Tatbestand überhaupt der Mitbestimmung unterliegen kann, oder ob sie eine mitbestimmungsfreie Individualentscheidung darstellt. Darum geht es im vorliegenden Fall aber nicht. Die Anpassungsvereinbarungen haben nichts mit dem kollektiven Charakter der Anrechnung zu tun. Die mitbestimmungsrechtliche Bedeutung dieser Vereinbarungen beschränkt sich vielmehr darauf, daß die aus ihnen fließenden Bindungen den Spielraum der Arbeitgeberin hinsichtlich des Inhalts der Anrechnungsentscheidung begrenzen. Auch vom Großen Senat ist diese Möglichkeit, die der Betriebsrat für mitbestimmungsrechtlich unerheblich ansieht, anerkannt worden. So ist eine Anrechnung selbst dann, wenn sich durch sie die Verteilungsrelationen ändern, dennoch mitbestimmungsfrei, sofern der Arbeitgeber seine insoweit vorhandenen individualrechtlichen Möglichkeiten voll ausschöpft (BAGE 69, 134, 168 f. = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu C III 6 b bb der Gründe). Schranken, die sich dabei aus der Begrenzung der Reichweite eines arbeitsvertraglichen Anrechnungsvorbehalts ergeben, sind demnach auch mitbestimmungsrechtlich beachtlich. Wäre das Argument richtig, daß es sich insoweit um vorweggenommene negative Anrechnungsentscheidungen handele, dann bestünde die vom Großen Senat vorausgesetzte Möglichkeit einer Begrenzung der Handlungsfreiheit des Arbeitgebers, die entsprechende arbeitsvertragliche Rechtpositionen der Arbeitnehmer voraussetzt, nicht.
dd) War danach die Anrechnung selbst unter Berücksichtigung der gleichzeitig bei fünf AT-Angestellten vorgenommenen Gehaltserhöhungen nicht mitbestimmungspflichtig, so kann die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage offenbleiben, ob die Entgeltentwicklung bei diesen Angestellten und diejenige der Zulagen bei den übrigen Arbeitnehmern mitbestimmungsrechtlich überhaupt einer einheitlichen Betrachtung zugänglich sind. Nach der Senatsrechtsprechung (Beschlüsse vom 19. September 1995 – 1 ABR 20/95 – AP Nr. 81 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu B II 3 der Gründe; vom 5. März 1996 – 1 ABR 49/95 – n.v., zu B I 3 der Gründe) erscheint dies nicht zweifelsfrei. Auch bedarf die Streitfrage, ob die Gehälter der hier betroffenen AT-Angestellten hinsichtlich einer Anrechnung in einen tariflichen und einen übertariflichen Bestandteil zerlegt werden können (dazu auch BAGE 78, 74, 84 ff. = AP Nr. 68 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu III der Gründe), keiner Entscheidung.
c) Schließlich ist es hier entgegen der Auffassung des Betriebsrats ohne Bedeutung, ob die Arbeitgeberin nach den Arbeitsverträgen und den einschlägigen Tarifbestimmungen (zur Reichweite und Wirksamkeit von tariflichen Regelungen übertariflicher Zulagen vgl. BAGE 73, 364, 369 ff. = AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung, zu B II 1 der Gründe) überhaupt zur Anrechnung befugt war. Das Fehlen dieser Befugnis macht eine dennoch vollzogene Anrechnung nicht mitbestimmungspflichtig. Ein Mitbestimmungsrecht kann nur bestehen, soweit die Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers reicht (Senatsurteil vom 7. Februar 1996 – 1 AZR 657/95 – AP Nr. 85 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu II 1 der Gründe).
II. Der Hilfsantrag des Betriebsrats auf Feststellung, daß die 1994 bei fünf AT-Angestellten vorgenommene Gehaltserhöhung und die Schaffung der AT-Gehaltsgruppen als solche mitbestimmungspflichtig waren, ist teils unzulässig, teils unbegründet.
1. Insoweit liegt eine Antragsänderung vor. Die Gehaltserhöhung 1994 war in der Beschwerdeinstanz Teil des damaligen Hauptantrags, die Schaffung der AT-Gehaltsgruppen war in den Vorinstanzen noch nicht Verfahrensgegenstand.
Eine Änderung des Sachantrags ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz grundsätzlich nicht mehr möglich (Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 94 Rz 13). Sie ist hier jedoch zulässig, soweit sich der Hilfsantrag auf die Gehaltserhöhung 1994 bezieht. In diesem Umfang stützt sich der Hilfsantrag nämlich auf den vom Beschwerdegericht festgestellten Sachverhalt, überdies war sein Inhalt insoweit auch Gegenstand der zweitinstanzlichen Entscheidung.
Dagegen ist der Hilfsantrag, soweit er die Schaffung der AT-Gehaltsgruppen zum Gegenstand hat, unzulässig. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt umfaßt nicht die Modalitäten der Entstehung des AT-Gehaltsgefüges, ohne deren Kenntnis dessen mitbestimmungsrechtliche Bewertung nicht möglich ist.
2. Soweit der Hilfsantrag zulässig ist, ist er unbegründet. Der Betriebsrat hatte auch bei der Weitergabe der tariflichen Gehaltserhöhung 1994 an die fünf betroffenen AT-Angestellten nicht mitzubestimmen. Mit der fraglichen Gehaltserhöhung kam die Arbeitgeber in nur ihren Verpflichtungen aus den mit den betreffenden Angestellten geschlossenen Arbeitsverträgen nach. Dabei bestand für die Arbeitgeberin innerhalb des mitbestimmungsfrei vorgegebenen Gehaltsvolumens kein Spielraum für eine andere Ausgestaltung der Gehaltserhöhung (siehe oben I 2 b aa).
Zu Unrecht beruft sich der Betriebsrat in diesem Zusammenhang auf den Beschluß vom 27. Oktober 1992 (– 1 ABR 17/92 – AP Nr. 61 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu B II der Gründe), mit dem der Senat ein Mitbestimmungsrecht bei der Anhebung der Gehälter von AT-Angestellten für den Fall bejaht hat, daß ein mitbestimmtes Gehaltsgruppensystem noch nicht besteht. Anders als im vorliegenden Fall war seinerzeit der als Voraussetzung für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu fordernde Gestaltungsspielraum vorhanden. Es bestand nämlich keine individualrechtliche Verpflichtung der Arbeitgeberin, die Gehälter zu erhöhen.
Unterschriften
Rost, Dr. Armbrüster, Wißmann, Gnade, Spiegelhalter
Fundstellen