Entscheidungsstichwort (Thema)
Divergenz in der Kostenentscheidung. Beschlußverfahren
Leitsatz (amtlich)
Eine Divergenz bei der Kostenentscheidung reicht nicht aus, um eine Nichtzulassungsbeschwerde zu rechtfertigen. Das ergibt sich aus § 99 Abs. 1 ZPO.
Normenkette
ArbGG §§ 92a, 72a; ZPO § 99
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Beschluss vom 24.08.1995; Aktenzeichen 12 TaBV 102/94) |
ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 01.03.1994; Aktenzeichen 4 BV 14/91) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluß des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 24. August 1995 – 12 TaBV 102/94 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I. Die Beteiligten haben über die Tariffähigkeit des Beteiligten zu 2) gestritten. Der Antragsteller ist ein für Hessen zuständiger Verband des Kraftfahrzeughandels und Tankstellengewerbes. Der Beteiligte zu 2) sieht sich als bundesweit zuständiger Zentralverband des Tankstellen- und Garagengewerbes. Die Beteiligten zu 5) bis 17) sind regionale Mitgliedsverbände des Beteiligten zu 2). Der Beteiligte zu 16) (Fachverband Südwest) ist nach einer Satzungsänderung, der arbeitsgerichtliche Streitigkeiten zwischen dem Antragsteller sowie den Beteiligten zu 2) und 16) vorausgegangen waren, räumlich auch für Hessen zuständig.
Die Gewerkschaft ÖTV (Beteiligte zu 3)) hat mit dem Antragsteller sowie den Beteiligten zu 2) bzw. 16) je einen Manteltarifvertrag sowie Lohn- und Gehaltstarifverträge für den Bereich des Bundeslandes Hessen abgeschlossen. Der Antragsteller hat die Tariffähigkeit des Beteiligten zu 2) als Spitzenverband bestritten. Dieser habe in einer Reihe von Bundesländern keinen tariffähigen Unterbau. Die entsprechenden Mitgliedsverbände seien solche des Kraftfahrzeuggewerbes. Ihnen fehle es an der Kompetenz zur Vertretung des Tankstellengewerbes. Außerdem werde der Beteiligte zu 2) über seine regionalen Mitgliedsverbände durch den Bundesverband des Kraftfahrzeughandels beherrscht. Zwischen dem Kraftfahrzeughandel einerseits sowie den Tankstellen- und Garagenbetrieben andererseits gebe es massive Interessengegensätze, so z.B. im Bereich der Öffnungs- und Arbeitszeiten. Der Antragsteller hat zweitinstanzlich zuletzt beantragt
festzustellen, daß der Beteiligte zu 2) nicht befugt ist, Tarifverträge abzuschließen, die Geltung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, hilfsweise im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für das Land Hessen beanspruchen.
Der Beteiligte zu 2) hat demgegenüber seine Tariffähigkeit verteidigt. Die Mitgliedsverbände seien sämtlich tariffähig. In den Verbänden des Kraftfahrzeuggewerbes seien die Bereiche Handel, Handwerk und Tankstellengewerbe zusammengeschlossen. Die Lohntarifverhandlungen würden jeweils von Fachgruppenvertretungen geführt. Er, der Beteiligte zu 2), beschränke sich auf den Abschluß des Manteltarifvertrages.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen. Zweitinstanzlich haben sich der Beteiligte zu 2) und der Beteiligte zu 7) anwaltlich vertreten lassen. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt. Es hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist weder aus dem Gesichtspunkt der Divergenz noch dem der grundsätzlichen Bedeutung begründet.
1. Der Antragsteller beruft sich ohne Erfolg auf eine Divergenz des anzufechtenden Beschlusses zu verschiedenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts.
a) Eine rechtserhebliche Divergenz setzt voraus, daß die anzufechtende Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der seinerseits von einem abstrakten Rechtssatz des Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichts abweicht. Dabei müssen sich die voneinander abweichenden Rechtssätze aus der anzufechtenden wie aus der angezogenen Entscheidung unmittelbar ergeben und so deutlich ablesbar sein, daß nicht zweifelhaft bleibt, welche abstrakten Rechtssätze die Entscheidungen jeweils aufgestellt haben. Eine lediglich fehlerhafte oder den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entsprechende Rechtsanwendung vermag hingegen eine Divergenz nicht zu begründen.
b) Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
aa) Der Antragsteller rügt zum einen die Abweichung des anzufechtenden Beschlusses von dem Senatsbeschluß vom 2. November 1960 (– 1 ABR 18/59 – AP Nr. 1 zu § 97 ArbGG 1953). Danach sei das Verfahren auszusetzen gewesen, bis die Tariffähigkeit der einzelnen Mitgliedsverbände des Beteiligten zu 2) rechtskräftig festgestellt worden sei. Der Versuch der Inzidentfeststellung, wie ihn das Arbeitsgericht und ihm sich anschließend das Landesarbeitsgericht unternommen hätten, sei unzulässig.
Es kann dahinstehen, ob die gerügte Abweichung im Verfahren überhaupt divergenzfähig ist. Der Antragsteller legt jedenfalls nicht dar, welchen abstrakten Rechtssatz das Landesarbeitsgericht abweichend von der angezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aufgestellt haben soll. Tatsächlich enthält der Beschluß keinen solchen abstrakten Satz, sondern setzt sich mit der Frage einer Aussetzung gar nicht auseinander. Das Landesarbeitsgericht nimmt auch nicht pauschal gem. § 543 ZPO auf den erstinstanzlichen Beschluß Bezug, so daß ein eventuell in diesem enthaltener abstrakter Rechtssatz herangezogen werden könnte. Es verweist nach eigener Darlegung der Voraussetzungen der Tariffähigkeit zwar darauf, daß das Arbeitsgericht den einzelnen Regionalverbänden mit Recht die Tariffähigkeit zugesprochen habe. In diesem Zusammenhang stellt es aber auch fest, daß die Beschwerde sich dagegen nicht mehr wende, sondern die Tariffähigkeit nur noch unter dem Gesichtspunkt des “Interessenverrats” angreife, den das Landesarbeitsgericht als inhaltlich nicht überprüfbar ansieht. Es setzt sich also in eigener Begründung mit der Frage der Tariffähigkeit auseinander, ohne die Frage einer Aussetzung zu erörtern. Bei dieser Sachlage ist nicht auszuschließen, daß das Landesarbeitsgericht der Annahme war, der Streit habe sich insoweit erledigt oder daß es das Problem übersehen hat. Dies wäre aber als Frage der richtigen Rechtsanwendung erst auf eine zugelassene Rechtsbeschwerde hin zu überprüfen.
bb) Nur eine fehlerhafte Rechtsanwendung rügt der Antragsteller auch, soweit er eine Abweichung der anzufechtenden Entscheidung von dem Senatsbeschluß vom 25. November 1986 (– 1 ABR 22/85 – BAGE 53, 347 = AP Nr. 36 zu § 2 TVG) geltend macht. Danach seien die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, nicht hingegen die Mitgliedsverbände des Beteiligten zu 2) am Verfahren zu beteiligen gewesen. Es fehlt wiederum schon an der Darlegung, welchen abstrakten Rechtssatz das Landesarbeitsgericht aufgestellt haben soll. Tatsächlich hat es sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen Organisationen im einzelnen zu beteiligen bzw. nicht zu beteiligen sind, nicht näher auseinandergesetzt.
cc) Nicht begründet ist die Beschwerde auch insoweit, als der Antragsteller eine Abweichung des anzufechtenden Beschlusses von dem Senatsbeschluß vom 10. September 1985 (– 1 ABR 32/83 – BAGE 49, 322 = AP Nr. 34 zu § 2 TVG) rügt, indem das Landesarbeitsgericht die Antragsbefugnis nur für das Land Hessen als gegeben ansieht, weil sich nur insoweit die räumliche Zuständigkeit des Antragstellers und des Beteiligten zu 2) überschneidet. Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts reiche diese Überschneidung aus, um die uneingeschränkte Antragsbefugnis in bezug auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu begründen.
Ein abstrakter Rechtssatz ist nicht dargelegt. Tatsächlich rügt der Antragsteller auch hier wieder eine fehlerhafte Rechtsanwendung. Unabhängig davon wäre die behauptete Divergenz aber auch nicht entscheidungserheblich gewesen. Das Landesarbeitsgericht hat zwar den Antrag als unzulässig angesehen, soweit er über den Bereich des Bundeslandes Hessen hinausreicht. Es hat aber weiter angenommen, daß selbst wenn der Hauptantrag in vollem Umfang zulässig wäre, er jedenfalls in diesem Umfang unbegründet wäre.
dd) Ohne Erfolg rügt der Antragsteller weiter eine Abweichung des anzufechtenden Beschlusses von dem Senatsbeschluß vom 31. Oktober 1972 (– 1 ABR 7/72 – BAGE 24, 459 = AP Nr. 2 zu § 40 BetrVG 1972), indem das Landesarbeitsgericht eine Kostenentscheidung getroffen habe; die angezogene Entscheidung habe demgegenüber festgestellt, daß es im Beschlußverfahren keine Kostenentscheidung gebe. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Begründung den Anforderungen an die Darlegung abstrakter Rechtssätze genügt. Auch wenn man zugunsten des Beschwerdeführers einen solchen Rechtssatz annimmt, liegt eine für die Zulassung erhebliche Divergenz nicht vor. Das Bundesarbeitsgericht hat zwar in der angezogenen Entscheidung den Satz aufgestellt, daß im Beschlußverfahren für eine Kostenentscheidung kein Raum sei. Diese Entscheidung erging jedoch nicht in einem Beschlußverfahren nach Maßgabe des § 97 i.Verb.m. § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG. Zwar verweist § 97 Abs. 2 ArbGG auf die entsprechende Anwendung der Bestimmungen über das Beschlußverfahren. Dies zwingt aber nicht notwendig zu der Annahme, daß der der angezogenen Entscheidung entnommene Rechtssatz auch für die spezielle Beteiligtenkonstellation des Verfahrens nach § 97 ArbGG Geltung beanspruchte, über die im konkreten Fall nicht zu entscheiden war. Geht man deshalb davon aus, daß der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ein so weitgehender abstrakter Rechtssatz nicht zu entnehmen ist, fehlt es an einer Divergenz überhaupt. Das Landesarbeitsgericht begründet seine Entscheidung nämlich gerade mit der vom normalen Beschlußverfahren abweichenden Interessenlage der an dem Verfahren nach § 97 ArbGG beteiligten Verbände, die quasi als Wettbewerber auftreten.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat jedoch auch dann keinen Erfolg, wenn man dies anders sieht. Eine Divergenz hinsichtlich der Kostenentscheidung kann die Zulassung des Rechtsmittels nicht eröffnen, wenn nicht die Zulassung in der Hauptsache begründet ist (vgl. auch BFH Beschluß vom 12. November 1993 – III B 234/92 – BFHE 173, 196; Grunsky, ArbGG, 7. Aufl., § 72 Rz 32a). Andernfalls müßte auch die Einlegung des Rechtsmittels nur wegen der Kostenentscheidung möglich sein. Dies ist aber gem. § 99 Abs. 1 ZPO ausgeschlossen, dessen Rechtsgedanke jedenfalls auch im Beschlußverfahren heranzuziehen ist.
Es liegen auch nicht die Voraussetzungen einer wegen “greifbarer Gesetzeswidrigkeit” unzulässigen Kostenentscheidung vor, bei der ausnahmsweise eine isolierte Anfechtung in Betracht käme (vgl. nur Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 54. Aufl., § 99 Rz 19; MünchKommZPO/Belz, § 99 Rz 13 – beide m.w.N.). Eine solche auf Fälle krassen Unrechts beschränkte Ausnahme ist dann gegeben, wenn die Entscheidung mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist, weil sie jeder rechtlichen Grundlage entbehrt und dem Gesetz inhaltlich fremd ist (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. nur BGH Beschluß vom 4. März 1993 – V ZB 5/93 – BGHZ 121, 397, 398 f.). Auch wenn man dem Landesarbeitsgericht nicht folgt, kann dies nicht gesagt werden. Seine Überlegungen sind nachvollziehbar und jedenfalls nicht mit der Rechtsordnung schlechthin unvereinbar. Immerhin wird auch in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten, in Beschlußverfahren sei (allgemein) eine Kostenentscheidung zulässig und geboten (Grunsky, aaO, § 80 Rz 46; vgl. auch Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 91 Rz 121). Es bedarf daher auch keiner Entscheidung, ob bei Annahme einer greifbaren Gesetzeswidrigkeit ausnahmsweise eine beschränkte Zulassung der Rechtsbeschwerde in Betracht käme oder aber in analoger Anwendung des § 99 Abs. 2 ArbGG und abweichend von § 70 ArbGG etwa eine außerordentliche Beschwerde an das Bundesarbeitsgericht (vgl. dazu etwa Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO; MünchKommZPO/Belz, aaO).
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet auch insoweit, als der Antragsteller sie auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache stützt. Es handelt sich zwar um eine im Sinne des § 92a i. Verb. m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG privilegierte Streitigkeit über die Tariffähigkeit einer Vereinigung, bei der die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung eröffnet ist. Der Antragsteller hat aber nicht dargelegt, daß eine entsprechende Rechtsfrage zu entscheiden war. Dies ist dann anzunehmen, wenn die Entscheidung von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Frage abhängt und diese Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkung die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils davon betroffen sind (BAG Beschluß vom 5. Dezember 1979 – 4 AZN 41/79 – BAGE 32, 203 = AP Nr. 1 zu § 72a ArbGG 1979 Grundsatz). Stützt der Beschwerdeführer die Nichtzulassungsbeschwerde auf grundsätzliche Bedeutung, muß er darlegen, daß es sich um eine privilegierte Streitigkeit handelt und warum die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat (BAG, aaO; BAG Beschluß vom 24. März 1987 – 4 AZN 725/86 – AP Nr. 31 zu § 72a ArbGG 1979 Grundsatz).
Der Antragsteller trägt nur vor, das Landesarbeitsgericht habe gegen den Grundsatz verstoßen, daß alle Mitgliedsverbände eines Spitzenverbandes tariffähig sein müßten, sowie gegen den Grundsatz, daß das Beschwerdegericht den zu beurteilenden Sachverhalt selbst überprüfen müsse. Es habe nicht selbst die Tariffähigkeit überprüft, sondern festgestellt, dies habe das Arbeitsgericht bereits getan; dieses habe aber nur die Satzungen von vier Mitgliedsverbänden herangezogen.
Diesen Darlegungen läßt sich keine klärungsbedürftige Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung entnehmen. Der Grundsatz, daß eine Spitzenorganisation nur dann tariffähig ist, wenn auch alle Mitgliedsverbände tariffähig sind, entspricht der Senatsrechtsprechung (s. schon Senatsbeschluß vom 2. November 1960 – 1 ABR 18/59 – AP Nr. 1 zu § 97 ArbGG 1953). Das Landesarbeitsgericht ist von diesem Grundsatz ausgegangen. Auch der weitere Grundsatz, daß das Beschwerdegericht einen von ihm zu beurteilenden Sachverhalt selbst zu überprüfen hat, entspricht einem allgemein anerkannten Verfahrensgrundsatz. Tatsächlich rügt die Nichtzulassungsbeschwerde fehlerhafte Rechtsanwendung deshalb, weil das Landesarbeitsgericht anerkannte und auch aus der Sicht des Antragstellers nicht mehr klärungsbedürftige Rechtsgrundsätze verletzt habe.
Weitere Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, die – unbeschadet der fehlenden Darlegung – für eine Zulassung herangezogen werden könnten, sind nicht ersichtlich. Ob der Frage der Kostenentscheidung grundsätzliche Bedeutung zukäme, kann dahingestellt bleiben. Diese Frage betrifft jedenfalls nur eine Nebenentscheidung, die nicht isoliert anfechtbar ist. Insoweit gilt nichts anderes als für die auf Divergenz gestützte Nichtzulassungsbeschwerde.
Unterschriften
Dieterich, Wißmann, Rost, Spiegelhalter, K. H. Janzen
Fundstellen
Haufe-Index 884804 |
NZA 1996, 1231 |