Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustimmungsersetzung zur Eingruppierung
Orientierungssatz
1. Die Eingruppierung eines Arbeitnehmers in eine tarifliche Vergütungsgruppe durch den Arbeitgeber ist Rechtsanwendung und kein Akt rechtlicher Gestaltung.
2. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs 1 BetrVG zu solchen Eingruppierungen ist deshalb kein Mitgestaltungsrecht, sondern ein Mitbeurteilungsrecht.
Normenkette
BetrVG § 99; TVG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 31.07.1984; Aktenzeichen 5 TaBV 4/84) |
ArbG Ulm (Entscheidung vom 13.03.1984; Aktenzeichen 3 BV 5/82 R) |
Gründe
A. Der Arbeitgeber ist ein Unternehmen der Druckindustrie. Für die Angestellten der Druckindustrie in Baden-Württemberg trat am 1. April 1982 ein neuer Gehaltstarifvertrag vom 22. April 1982 in Kraft (im folgenden GTV), der eine Neueingruppierung der beim Arbeitgeber beschäftigten Angestellten erforderlich machte.
In den Durchführungsbestimmungen zum GTV heißt es u.a.:
"Der Arbeitgeber ist verpflichtet, jedem An-
gestellten ... innerhalb von 6 Wochen
... die seiner Tätigkeit entsprechende Ein-
gruppierung mitzuteilen. In Betrieben mit
Betriebsrat ist dieser innerhalb des glei-
chen Zeitraums entsprechend zu unterrich-
ten.
Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung,
so hat er dies unter Angabe der Gründe dem
Arbeitgeber schriftlich mitzuteilen.
Diese Mitteilung hat spätestens bis zum Ab-
lauf von 4 Wochen seit der Unterrichtung
durch den Arbeitgeber zu erfolgen, anderen-
falls gilt die Zustimmung als erteilt.
Kommt es zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat
zu keiner Einigung, werden die Tarifvertrags-
parteien eingeschaltet.
..."
Der Arbeitgeber teilte dem Betriebsrat am 10. Mai 1982 mit, daß er den Angestellten K. in die Gehaltsgruppe G 3/Tätigkeitsstufe 4 eingruppieren wolle. Der Angestellte K. ist an einem rechnergesteuerten Textsystem mit dem Satz von Anzeigentexten beschäftigt. Mit Schreiben vom 3. Juni 1982 verweigerte der Betriebsrat seine Zustimmung zur beabsichtigten Eingruppierung. Er machte geltend, der Angestellte K. sei in die Gehaltsgruppe G 4 einzugruppieren, da der Angestellte K. mit Arbeiten der Textgestaltung beschäftigt werde. Die Betriebspartner haben im Anschluß daran die Tarifvertragsparteien eingeschaltet. Zu einer Einigung ist es nicht gekommen.
Der Arbeitgeber hat daraufhin am 28. Juli 1982 das vorliegende Verfahren anhängig gemacht und beantragt,
die Zustimmung des Betriebsrats zur Um-
gruppierung des Angestellten K. ... in
die Tarifgruppe G 3 GTV zu ersetzen.
Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Die Beteiligten streiten darum, ob Angestellte, die - gleich in welchem Umfang - mit der Textgestaltung im Sinne von § 2 Abs. 1 des Tarifvertrages über die Einführung und Anwendung rechnergesteuerter Textsysteme (TV-RTS) beschäftigt werden, in die Gehaltsgruppe G 4 einzugruppieren sind und ob der Angestellte K. überhaupt und in welchem Umfang Arbeiten der Textgestaltung vornimmt.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben dem Antrag des Arbeitgebers stattgegeben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Abweisungsantrag weiter, während der Arbeitgeber um Zurückweisung der Rechtsbeschwerde bittet.
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist begründet.
I. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann die Zustimmung zur Eingruppierung nicht ersetzt werden.
1. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, daß jedenfalls dann, wenn die Arbeitsvertragsparteien tarifgebunden seien, sich die Eingruppierung des Arbeitnehmers in die zutreffende Gehaltsgruppe automatisch ohne einen Gestaltungsakt des Arbeitgebers vollziehe. Die zutreffende Eingruppierung sei in einem Eingruppierungsprozeß zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu prüfen. In diesen Fällen sei das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Eingruppierung nach § 99 BetrVG schon dann erschöpft, wenn der Betriebsrat seine Ansicht zur Eingruppierung mitgeteilt habe. Beurteile der Betriebsrat die Rechtslage anders als der Arbeitgeber, so würde eine Entscheidung dieser Frage im Zustimmungsersetzungsverfahren auf die Erstattung eines Rechtsgutachtens ohne irgendwelche Rechtsfolgen hinauslaufen. Für die Erstattung eines solchen Rechtsgutachtens fehle es am erforderlichen Feststellungsinteresse. In einem solchen Falle könne nur festgestellt werden, daß das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats erschöpft sei, sobald die Betriebspartner festgestellt hätten, daß sich unterschiedliche Rechtsansichten unvereinbar gegenüberstünden. Daher könne der Betriebsrat seine Zustimmung zu einer Eingruppierung nicht verweigern, so daß das Arbeitsgericht jedenfalls im Ergebnis die Zustimmung des Betriebsrats zu Recht ersetzt habe.
2. Mit dieser Entscheidung setzt sich das Landesarbeitsgericht in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Senats. Danach ist die Eingruppierung eines Arbeitnehmers in eine tarifliche Vergütungsgruppe durch den Arbeitgeber Rechtsanwendung und kein Akt rechtlicher Gestaltung. Das gilt unabhängig davon, ob die Eingruppierung in eine tarifliche Vergütungsordnung erfolgt, an die die Arbeitsvertragsparteien kraft Tarifbindung gebunden sind, oder in eine sonstige Vergütungsordnung, die kraft vertraglicher Vereinbarung oder auch betrieblicher Übung Anwendung findet (zur Veröffentlichung bestimmter Beschluß des Senats vom 28. Januar 1986 - 1 ABR 8/84 -). Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu solchen Eingruppierungen ist deshalb kein Mitgestaltungsrecht, sondern ein Mitbeurteilungsrecht. Arbeitgeber und Betriebsrat sollen mit Rücksicht auf die häufig tatsächlich schwierige Eingruppierung gemeinsam entscheiden, welcher Vergütungsgruppe die auszuübende Tätigkeit des Arbeitnehmers entspricht, um so eine größere Gewähr für die Richtigkeit der vorgenommenen Eingruppierung zu bieten und eine einheitliche Handhabung der Vergütungsordnung im Betrieb zu gewährleisten (Beschluß des Senats vom 22. März 1983, BAG 42, 121 = AP Nr. 6 zu § 101 BetrVG 1972; Beschluß des Senats vom 31. Mai 1983, BAG 43, 35 = AP Nr. 27 zu § 118 BetrVG 1972).
Verweigert der Betriebsrat form- und fristgerecht seine Zustimmung zu der vom Arbeitgeber beabsichtigten Eingruppierung, so muß der Arbeitgeber nach § 99 Abs. 4 BetrVG die verweigerte Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzen lassen. Die in diesem Zustimmungsersetzungsverfahren ergehende Entscheidung des Arbeitsgerichts, die die Zustimmung ersetzt, berechtigt den Arbeitgeber betriebsverfassungsrechtlich, die Eingruppierung wie beabsichtigt vorzunehmen. Zutreffend an der Argumentation des Landesarbeitsgerichts ist allein, daß diese Entscheidung keine unmittelbaren rechtlichen Auswirkungen auf das Verhältnis des Arbeitgebers zum Arbeitnehmer hat. Sie betrifft lediglich das Verhältnis Arbeitgeber/Betriebsrat und die von beiden gemeinsam vorzunehmende Rechtsanwendung. Es geht dabei um die zutreffende - tarifgerechte - Bewertung des Arbeitsplatzes des Arbeitnehmers, nicht aber um seine Vergütung. Dieser Sinn der gesetzlichen Regelung in § 99 Abs. 4 BetrVG kann nicht mit der Begründung ignoriert werden, es sei nicht Aufgabe der Arbeitsgerichte, Rechtsgutachten zu erstatten. § 99 Abs. 4 BetrVG nimmt Fälle, in denen der Betriebsrat seine Zustimmung zu einer Ein- oder Umgruppierung verweigert hat, nicht vom Zustimmungsersetzungsverfahren aus. Damit wird zugleich deutlich, daß in diesem Verfahren darüber zu entscheiden ist, ob der Betriebsrat seine Zustimmung zu Recht verweigert hat oder nicht. Wenn das Landesarbeitsgericht ausführt, der Betriebsrat könne die Zustimmung nicht verweigern, weil es sich bei der Eingruppierung nicht um einen Akt der Gestaltung handelt, die Zustimmung müsse daher schon aus diesem Grunde ersetzt werden, so kann dem nicht gefolgt werden. Das Zustimmungsersetzungsverfahren verlöre jeden Sinn, wenn die Zustimmung auf jeden Fall ersetzt werden müßte, weil der Betriebsrat sie nicht verweigern könne.
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts beruht auf diesem falschen Verständnis der Regelung in § 99 Abs. 1 und 4 BetrVG und muß daher aufgehoben werden.
II. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden.
1. Der Betriebsrat hat seine Zustimmung erst nach Ablauf der Wochenfrist des § 99 Abs. 3 BetrVG verweigert. Das ist nur dann unschädlich, wenn diese Frist wirksam verlängert worden ist. Die Durchführungsbestimmungen zum Gehaltstarifvertrag haben die Frist für die Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrats auf vier Wochen verlängert. Durch Tarifvertrag kann die Frist des § 99 Abs. 3 BetrVG verlängert werden (Beschluß des Senats vom 22. Oktober 1985 - 1 ABR 81/83 - AP Nr. 24 zu § 99 BetrVG 1972). Die Durchführungsbestimmungen zum Gehaltstarifvertrag stellen aber keine Tarifnormen dar, da sie das gesetzlich vorgeschriebene Schriftformerfordernis für Tarifverträge, § 1 Abs. 2 TVG, nicht erfüllen. Die Durchführungsbestimmungen sind von den Tarifvertragsparteien nicht unterzeichnet worden. Der Gehaltstarifvertrag nimmt auf sie auch nicht Bezug, so daß auch nicht auf diese Weise die Unterschriften unter dem Gehaltstarifvertrag auf die Durchführungsbestimmungen bezogen werden können (Beschluß des Vierten Senats vom 12. März 1986 - 4 ABR 22/84 - unveröffentlicht). Damit ist die Frist des § 99 Abs. 3 BetrVG nicht wirksam durch einen Tarifvertrag verlängert worden.
Das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Betriebspartner nicht unabhängig von der Fristverlängerung in den Durchführungsbestimmungen die Frist für den Betriebsrat selbst durch eine Vereinbarung verlängert haben. Auch das ist zulässig (Beschluß des Senats vom 17. Mai 1983, BAG 42, 386 = AP Nr. 18 zu § 99 BetrVG 1972). Die Beteiligten hatten bislang keinen Anlaß, in der Tatsacheninstanz dazu vorzutragen. Dazu muß ihnen Gelegenheit gegeben werden.
2. Ergibt die erneute Verhandlung, daß die Frist für den Betriebsrat durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat verlängert worden ist, hängt die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob die vom Angestellten K. auszuübende Tätigkeit den Tätigkeitsmerkmalen der Tarifgruppe G 3 des Gehaltstarifvertrages entspricht. Dabei wird das Landesarbeitsgericht zu berücksichtigen haben, daß der Senat die zwischen den Beteiligten streitige Rechtsfrage, in welchem Umfang ein Angestellter im rechnergesteuerten Textsystem mit Texterfassung beschäftigt sein muß, um in die Gehaltsgruppe G 4 eingruppiert werden zu können, bereits entschieden hat. Auch bei Angestellten im rechnergesteuerten Textsystem der Druckindustrie richtet sich die Eingruppierung nach ihrer überwiegend auszuübenden Tätigkeit (Beschluß vom 14. Februar 1984 - 1 ABR 3/82 - AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie).
Nach allem war unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
Dr. Kissel Dr. Heither Matthes
Dr. Menzel Blanke
Fundstellen