Entscheidungsstichwort (Thema)
Schriftsatz. besonderes elektronisches Behördenpostfach
Leitsatz (amtlich)
Ein Schriftsatz ist grundsätzlich auf einem sicheren Übermittlungsweg nach § 46c Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ArbGG bei Gericht eingereicht worden, wenn feststeht, dass die Übermittlung durch einen zugangsberechtigten Beschäftigten des Postfachinhabers erfolgt ist.
Verfahrensgang
Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) (Beschluss vom 31.10.2023; Aktenzeichen 7 TaBV 59/23) |
ArbG Münster (Beschluss vom 23.05.2023; Aktenzeichen 1 BV 50/22) |
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 31. Oktober 2023 - 7 TaBV 59/23 - aufgehoben.
2. Das Verfahren wird zur neuen Anhörung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
A. Die Arbeitgeberin begehrt die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beteiligten zu 3., hilfsweise deren Ausschluss aus dem Betriebsrat.
Rz. 2
Die Arbeitgeberin, eine GmbH, erbringt Gebäudemanagement-Dienstleistungen. Ihre Alleingesellschafterin ist das Universitätsklinikum M (UKM), eine Anstalt des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit gemäß § 31a Abs. 2 Hochschulgesetz NRW. Die Beteiligte zu 3. gehört dem bei der Arbeitgeberin gebildeten Betriebsrat an. Die Arbeitgeberin wirft ihr vor, am 17. November 2022 eine falsche uneidliche Aussage zu ihren - der Arbeitgeberin - Lasten getätigt zu haben.
Rz. 3
Die Arbeitgeberin beantragte mit einem am 1. Dezember 2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beteiligten zu 3. Ausweislich des Prüfvermerks wurde die Antragsschrift vom UKM über dessen besonderes elektronisches Behördenpostfach (beBPo) versandt. Eine qualifizierte elektronische Signatur wurde nicht verwendet. Die Antragsschrift ist auf dem Geschäftspapier der Arbeitgeberin gefertigt und weist als Verfasserin „H - Rechtsanwältin“ aus. Diese hat den Schriftsatz - wiederum mit dem Zusatz „Rechtsanwältin“ - auch maschinenschriftlich unterzeichnet. In der linken oberen Ecke über dem Anschriftfeld heißt es „Universitätsklinikum M“ und darunter „Per BeBPo“. Frau H ist eine Mitarbeiterin in der Stabsstelle Arbeitsrecht des UKM, die daneben als Rechtsanwältin - nicht Syndikusrechtsanwältin - zugelassen ist.
Rz. 4
Beim Arbeitsgericht ist für Frau H eine von der Arbeitgeberin erteilte Vollmacht vom 28. September 2022 hinterlegt. Danach ist Frau H ermächtigt, die Arbeitgeberin in allen Rechtsstreitigkeiten vor dem Arbeitsgericht zu vertreten.
Rz. 5
Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, das vorliegende Verfahren sei am 1. Dezember 2022 wirksam und die Frist des § 626 Abs. 2 BGB wahrend eingeleitet worden.
Rz. 6
Die Arbeitgeberin hat zuletzt sinngemäß beantragt,
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die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beteiligten zu 3. zu ersetzen; |
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hilfsweise, |
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die Beteiligte zu 3. aus dem Betriebsrat auszuschließen. |
Rz. 7
Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihre Anträge weiter.
Rz. 8
B. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht den Zustimmungsersetzungsantrag nicht abweisen. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, ob die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beteiligten zu 3. zu ersetzen ist. Das führt zur Aufhebung des Beschwerdebeschlusses (§ 96 Abs. 1 Satz 2 ArbGG iVm. § 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 96 Abs. 1 Satz 2 ArbGG iVm. § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Rz. 9
I. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Arbeitgeberin habe wegen Versäumung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB ihr Recht zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beteiligten zu 3. verloren, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts hat die Arbeitgeberin das Verfahren am 1. Dezember 2022 - und damit fristgerecht - wirksam beim Arbeitsgericht eingeleitet.
Rz. 10
1. Das Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG wird gemäß § 81 Abs. 1 ArbGG durch einen schriftlichen Antrag der Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht eingeleitet, wenn er nicht bei der Geschäftsstelle mündlich zu Protokoll angebracht werden soll. Für das Beschlussverfahren des ersten Rechtszugs gelten nach § 80 Abs. 2 ArbGG - mit hier nicht interessierenden Ausnahmen - die für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs maßgebenden Vorschriften entsprechend. Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG iVm. §§ 495, 253 Abs. 4, §§ 129, 130 Nr. 6 ZPO ist die Antragsschrift von der sie verantwortenden Person eigenhändig zu unterschreiben; die Übermittlung des Schriftsatzes durch einen Telefaxdienst (Telekopie) ist zulässig.
Rz. 11
2. Nach § 46c Abs. 1 ArbGG iVm. § 253 Abs. 4 ZPO kann die Antragsschrift auch als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht werden. Dazu muss dieses mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 46c Abs. 3 Satz 1 ArbGG). Ein sicherer Übermittlungsweg ist nach § 46c Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ArbGG der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts (beBPo) und der elektronischen Poststelle des Gerichts.
Rz. 12
3. Bei der Einreichung der Antragsschrift kann sich die antragstellende Arbeitgeberin ua. von einer Bevollmächtigten (§§ 80 ff. ZPO) vertreten lassen, die bei einem mit ihr verbundenen Unternehmen (§ 15 AktG) beschäftigt ist (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 ArbGG).
Rz. 13
4. Danach ist die das vorliegende Verfahren einleitende Antragsschrift am 1. Dezember 2022 wirksam beim Arbeitsgericht eingereicht worden.
Rz. 14
a) Die Antragsschrift wurde ausweislich des Briefkopfs und der Abschlusszeile von Frau H verantwortet.
Rz. 15
b) Diese war gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 ArbGG vor dem Arbeitsgericht vertretungsberechtigt. Sie ist bei einem mit der Arbeitgeberin verbundenen Unternehmen, nämlich dem UKM als deren Alleingesellschafterin, beschäftigt. Auch eine juristische Person des öffentlichen Rechts - wie das UKM - ist ein Unternehmen iSv. § 15 AktG, wenn sie an einem privatrechtlich organisierten Unternehmen - wie der Arbeitgeberin - beteiligt ist (vgl. MüKoAktG/Bayer 6. Aufl. § 15 Rn. 38).
Rz. 16
c) Frau H war aufgrund der von der Arbeitgeberin erteilten, beim Arbeitsgericht hinterlegten (Außen-)Vollmacht iSv. §§ 80 ff. ZPO ermächtigt, die Arbeitgeberin dort in allen Rechtsstreitigkeiten zu vertreten. Das umfasste die Einleitung und erstinstanzliche Durchführung des vorliegenden Beschlussverfahrens nach § 103 Abs. 2 BetrVG. Für die nachgewiesene „unmittelbare“ Vollmacht von Frau H spielt es keine Rolle, ob die Arbeitgeberin zur Einleitung und Durchführung des Verfahrens zunächst (auch) das UKM bevollmächtigt und dieses Frau H eine Untervollmacht erteilt hat.
Rz. 17
d) Das Verfahren ist formwirksam für die Arbeitgeberin eingeleitet worden.
Rz. 18
aa) Frau H hat die Antragsschrift durch maschinenschriftliche Wiedergabe ihres Namens einfach signiert (§ 46c Abs. 3 Satz 1 ArbGG).
Rz. 19
bb) Die Einreichung der Antragsschrift als elektronisches Dokument ist auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ArbGG erfolgt. Aufgrund des vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises (VHN) steht fest, dass bei der Übersendung ein nach § 8 Abs. 1 bis Abs. 4 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) mit Zertifikat und Zertifikats-Passwort ausgestatteter zugangsberechtigter Beschäftigter des UKM zur Übermittlung der Antragsschrift als elektronisches Dokument mit den vom Postfachinhaber (dem UKM) zur Verfügung gestellten Zugangsdaten bei dem Verzeichnisdienst angemeldet war (vgl. BGH 6. April 2023 - I ZB 84/22 - Rn. 19).
Rz. 20
cc) § 6 Abs. 1 ERVV fordert nicht, dass die Person, die den Schriftsatz verantwortet, selbst Inhaber des beBPo sein muss. Ein solches kann nur für Behörden sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts als Postfachinhaber eröffnet werden. Es handelt sich um einen sog. nicht-personengebundenen sicheren Übermittlungsweg (vgl. Müller in Ory/Weth jurisPK-ERV Stand 11. Oktober 2024 ZPO § 130a Rn. 223). Der Zugang zum beBPo erfolgt ausschließlich mithilfe des Zertifikats und des Zertifikats-Passworts des Postfachinhabers, § 8 Abs. 2 Satz 1 ERVV. Die damit verbundene Unmöglichkeit der zweifelsfreien Zuordnung einer versandten Nachricht zu einer handelnden Person ist hinzunehmen. Der Postfachinhaber bestimmt nach § 8 Abs. 1 ERVV die natürlichen Personen, die Zugang zum beBPo erhalten sollen, und stellt ihnen das Zertifikat und das Zertifikats-Passwort zur Verfügung. Die Zugangsberechtigten dürfen das Zertifikat nach § 8 Abs. 2 Satz 2 ERVV nicht an Unbefugte weitergeben und haben das Zertifikats-Passwort geheim zu halten. Der Postfachinhaber hat gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 ERVV zu dokumentieren, wer zugangsberechtigt ist, wann das Zertifikat und das Zertifikats-Passwort zur Verfügung gestellt wurden und wann die Zugangsberechtigung aufgehoben wurde; er stellt gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 ERVV zugleich sicher, dass der Zugang zu seinem beBPo nur den von ihm bestimmten Zugangsberechtigten möglich ist. Durch diese Regelungen ist sowohl die Verantwortlichkeit der Behörde oder juristischen Person des öffentlichen Rechts im Außenverhältnis als auch die Zuordnung zu einer im Innenverhältnis legitimierten Person hinreichend gewährleistet (BGH 6. April 2023 - I ZB 84/22 - Rn. 30; BVerwG 18. Mai 2020 - 1 B 23.20, 1 PKH 14.20 - Rn. 5).
Rz. 21
dd) Es kann dahinstehen, ob die einfache Signatur unter dem per beBPo übermittelten Schriftsatz einem Beschäftigten des Postfachinhabers zuzuordnen sein muss (so OVG NRW 27. April 2022 - 19 B 2003/21 - zu I 1 der Gründe). Frau H ist Arbeitnehmerin des UKM.
Rz. 22
ee) Des Weiteren bedarf es keiner Entscheidung, ob die den Schriftsatz signierende Person diesen gerade in ihrer Eigenschaft als Beschäftigte des Postfachinhabers verantworten muss. Frau H hat die Antragsschrift trotz des zweifachen Namenszusatzes „Rechtsanwältin“ nach den Gesamtumständen ersichtlich als Arbeitnehmerin des UKM iSv. § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 ArbGG verfasst; andernfalls wäre insbesondere die Verwendung eines eigenen Anwaltsbriefpapiers zu erwarten gewesen.
Rz. 23
II. Der Senat kann aufgrund der bisher vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht selbst entscheiden, ob die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beteiligten zu 3. nach § 103 Abs. 2 BetrVG zu ersetzen ist. Die vorsätzliche Falschaussage eines Betriebsratsmitglieds in einem den eigenen Arbeitgeber betreffenden Beschlussverfahren stellt allerdings eine Vertragspflichtverletzung dar, die eine außerordentliche Kündigung des Betriebsratsmitglieds gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG iVm. § 626 Abs. 1 BGB rechtfertigen kann (sh. BAG 5. November 2009 - 2 AZR 487/08 - Rn. 31).
Rz. 24
III. Der Hilfsantrag auf Ausschluss der Beteiligten zu 3. aus dem Betriebsrat ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Die innerprozessuale Bedingung, die Abweisung des Hauptantrags nach § 103 Abs. 2 BetrVG, ist bislang nicht eingetreten.
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Koch |
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Schlünder |
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Niemann |
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Starke |
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Grimberg |
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Fundstellen
Dokument-Index HI16683677 |