Entscheidungsstichwort (Thema)
Nutzung des besonderen elektronischen Behördenpostfachs ("beBPo") zur Einreichung formwirksamer Anträge bei Gericht durch eine privatrechtlich organisierte GmbH (hier: Universitätsklinikum gem. § 31a HG NW). "Nachschieben" von Kündigungsgründen im Verfahren nach § 103 Abs. 2 S. 1 BetrVG. Ersetzung der Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung einer Betriebsrätin
Leitsatz (amtlich)
1. Einer privatrechtlich organisierten GmbH steht die Nutzung des besonderen elektronischen Behördenpostfachs ("beBPo") zur Einreichung formwirksamer Anträge bei Gericht auch dann nicht zur Verfügung, wenn die GmbH eine 100%ige Tochter einer Anstalt des Öffentlichen Rechts (hier: Universitätsklinikum gem. § 31a HG NW) ist.
2. Die entsprechend gem. § 626 Abs. 2 BGB einzuhaltende zwei-Wochen-Frist zur Einreichung eines Antrages nach § 103 Abs. 2 S. 1 BetrVG ist eine materiell-rechtliche Frist mit der Folge, dass der Antrag bei Versäumung der Frist unbegründet ist (Anschluss an BAG, Urteil vom 24.10.1996, 2 AZR 3/96).
3. Das "Nachschieben" von Kündigungsgründen im Verfahren nach § 103 Abs. 2 S. 1 BetrVG setzt einen von Anfang an zulässigen Antrag voraus.
Normenkette
ArbGG § 46 c; ZPO § 130 Nr. 6; BetrVG § 103 Abs. 2 S. 1; BGB § 626 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Münster (Entscheidung vom 23.05.2023; Aktenzeichen 1 BV 50-22) |
Tenor
1. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Münster vom 23.05.2023, 1 BV 50/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der zu 3. beteiligten Betriebsrätin; hilfsweise um deren Ausschluss aus dem Betriebsrat.
Antragstellerin des vorliegenden Beschlussverfahrens ist die Arbeitgeberin, die in der Rechtsform der GmbH im A B (Muttergesellschaft, Anstalt des Öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit gemäß § 31 a Abs. 2 Hochschulgesetz NRW) - UKM - Gebäudemanagement-Dienstleistungen mit aktuell 604 Mitarbeitenden erbringt. Die Beteiligte zu 3. gehört dem Beteiligten zu 2., dem bei der Arbeitgeberin gewählten Betriebsrat, an.
Ausweislich der Verdienstabrechnung für den Monat 05/2023 ist sie seit dem Jahre 2007 beschäftigt und erzielt ein Bruttomonatsverdienst von 3.155,60 €. Nach ihrem Vorbringen ist die Beteiligte zu 3. einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Ihre Tätigkeit übt sie als Vollzeitkraft im Bereich der Klinikreinigung aus.
Die Arbeitgeberin leitete mit Schriftsatz vom 09.08.2022 zum Aktenzeichen Arbeitsgericht Münster - 3 BV 35/22 (LAG Hamm, 7 TaBV 177/22, BAG, 2 ABR 19/23, dort Einstellung des Verfahrens) - ein Beschlussverfahren mit dem Ziel der Ersetzung der Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der weiteren Betriebsrätin, die mit der Beteiligten zu 3. befreundet ist, der Frau C (im Folgenden: Frau C) ein. Hintergrund des dort erhobenen Vorwurfs war zunächst die eigenmächtige Urlaubsnahme der Frau C.
In jenem Verfahren sagte die Beteiligte zu 3. im Anhörungstermin vor der Kammer des Arbeitsgerichts Münster am 17.11.2022 als Zeugin aus. Neben der Beteiligten zu 3. wurde dort auch als Zeuge der gemeinsame Vorarbeiter vernommen. Aus einer Gegenüberstellung der Aussagen der Beteiligten zu 3. und des Zeugen ergibt sich nach Auffassung der Arbeitgeberin, dass die Beteiligte zu 3. in jenem Verfahren am 17.11.2022 eine uneidliche Falschaussage getätigt hat, jedenfalls aber ein entsprechender dringender Verdacht bestehe. Wegen der Aussage der Beteiligten zu 3. wird auf das zur Gerichtsakte gereichte Sitzungsprotokoll vom 17.11.2022 (Bl. 211 d.A.) Bezug genommen. Die Arbeitgeberin hat im Streitfall dazu umfassend vorgetragen und aus ihrer Sicht dargelegt, warum die Aussage der Beteiligten zu 3. im Verfahren 3 BV 35/22 Arbeitsgerichts Münster nicht zutreffen kann.
Unter dem 22.11.2022 führte die Arbeitgeberin mit der Beteiligten zu 3. ein Gespräch über den erhobenen Vorwurf der uneidlichen Falschaussage. Die Beteiligte zu 3. blieb bei den bereits am 17.11.2022 protokollierten Aussagen. Wegen der Einzelheiten des Gesprächs wird auf den Schriftsatz der Arbeitgeberin vom 28.02.2023 (Bl. 129 f. d.A.) Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 24.11.2022 bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat um Zustimmung zur beabsichtigten fristlosen Kündigung wegen uneidlicher Falschaussage, jedenfalls wegen eines dringenden Verdachtes. Nachdem der Betriebsrat am 25.11.2022 die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung der Beteiligten zu 3. verweigert hatte, begehrt die Arbeitgeberin zunächst mit dem vorliegenden, am 01.12.2022 beim Arbeitsgericht Münster eingegangenen Schriftsatz die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates; mit späterer Antragserweiterung hilfsweise den Ausschluss aus dem Betriebsrat.
Der Antrag, gerichtet an das Arbeitsgericht Münster, ist ausweislich des Prüfvermerks vom 01.12.2022 zum EGVP-Versand (Bl. 1 d.A.) abgesandt worden vom A B - Stabsstelle Arbeitsrecht - über ein be...