Entscheidungsstichwort (Thema)
Zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB im Verfahren nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Unterschriftserfordernis eines prozesseinleitenden Schriftsatzes gem. § 130 Nr. 6 ZPO. Elektronische Einreichung von Dokumenten bei Gericht. Kein Nachschieben von Kündigungsgründen bei formunwirksam eingereichtem Antrag nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG
Leitsatz (amtlich)
Im Zustimmungsersetzungsverfahren zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG können Kündigungsgründe, die während des laufenden Verfahrens entstanden sind, nur nachgeschoben werden, wenn der verfahrenseinleitende Antrag formwirksam bei Gericht eingereicht worden ist (Anschluss an BAG, Urteil vom 24.10.1996, 2 AZR 3/96).
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Fall einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds bei fehlender Zustimmung des Betriebsrats ist die im Recht der fristlosen Kündigung verankerte zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB zwischen Kenntnis vom Kündigungsgrund und Eingang des Antrages gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG beim Arbeitsgericht einzuhalten.
2. § 130 Nr. 6 ZPO beinhaltet ein zwingendes Formerfordernis. Denn die Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen.
3. Schriftlich einzureichende Anträge können auch als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden. Sie müssen qualifiziert signiert sein (§ 46c Abs. 3 Satz 1 ArbGG) oder der Antragsteller muss einen sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 46c Abs. 4 ArbGG wählen.
Normenkette
BetrVG § 103 Abs. 2 S. 1; BGB § 626 Abs. 2; ArbGG §§ 46c ff.; ZPO § 130 Nr. 6, §§ 253, 295; ArbGG § 46g
Verfahrensgang
ArbG Münster (Entscheidung vom 17.11.2022; Aktenzeichen 3 BV 35-22) |
Tenor
- Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 3. und des Betriebsrates werden der Beschluss des Arbeitsgerichts Münster vom 17.11.2022 - 3 BV 35/22 - abgeändert und der Antrag der Antragstellerin abgewiesen.
- Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der zu 3. beteiligten Betriebsrätin.
Antragstellerin des vorliegenden Beschlussverfahrens ist die Arbeitgeberin, die in der Rechtsform der GmbH im A B, ihrer Muttergesellschaft, Gebäudemanagement-Dienstleistungen mit 579 Mitarbeitern erbringt. Die Beteiligte zu 3. gehört dem Beteiligten zu 2., dem bei der Arbeitgeberin gewählten Betriebsrat, seit acht Jahren durchgängig an.
Die Arbeitgeberin gewährte allen Mitarbeitenden aufgrund der Belastungen während der Corona-Pandemie einen zusätzlichen freien Tag, der unabhängig von dem ansonsten bei ihr etablierten Urlaubs-Bewilligungsverfahren nach Rücksprache durch den jeweiligen Vorgesetzten gewährt werden kann.
Wegen dieses freien Tages kam es am 25.07.2022 am Morgen zu einem Gespräch zwischen der Beteiligten zu 3. und ihrem Teamleiter, dem Zeugen C. . Die Beteiligte zu 3. bat für den 26. oder 27.07. um ihren freien Tag. Weitere Inhalte dieses Gesprächs sind zwischen den Beteiligten im Streit. Die Beteiligte zu 3. erschien am 26.07.2022 nicht zur Arbeit.
Die Arbeitgeberin geht von einer eigenmächtigen Urlaubsnahme der Beteiligten zu 3. aus, von der die Geschäftsführung am 02.08.2022 erfahren hat. Mit Datum vom 03.08.2022 beantragte sie beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens an den Betriebsrat wird auf die zur Akte gereichte Anlage AS 2, Bl. 10 ff. d.A., Bezug genommen. Der Betriebsrat stimmte der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung nicht zu und formulierte mit Schreiben vom 04.08.2022 einen Widerspruch und meldete zugleich Bedenken an. Im Wesentlichen teilte der Betriebsrat mit, dass die Beteiligte zu 3. den Eindruck gehabt habe, dass der freie Tag im Gespräch mit ihrem Teamleiter genehmigt worden sei.
Mit dem vorliegenden Antrag im Beschlussverfahren vom 09.08.2022 begehrt die Arbeitgeberin die Zustimmungsersetzung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3.. Der Antrag, gerichtet an das Arbeitsgericht Münster, ist ausweislich des Prüfvermerks vom 09.08.2022 zum EGVP-Versand (Bl. 1 d.A.) abgesandt worden vom A B - Stabsstelle Arbeitsrecht - über ein besonderes Behördenpostfach (beBPo). Als persönlich bezeichnete Absenderin ist dort aufgeführt "E.". Eine qualifizierte Signatur wurde nicht verwendet. Der auf dem Geschäftspapier der Arbeitgeberin formulierte Antrag trägt als Namen der Sachbearbeitung "D. - Rechtsanwältin"; einfach signiert ist die Antragsschrift von "E. - Syndikus-Rechtsanwältin".
Beim Arbeitsgericht Münster ist für Frau D. , die Mitarbeiterin der Stabstelle Arbeitsrecht des A B ist, eine Vollmacht für die Arbeitgeberin hinterlegt; nach Vorbringen der Arbeitgeberin kommuniziert das...