Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinzuziehung eines Sachverständigen durch den Betriebsrat. Rechtsgutachten. keine Vorrangigkeit des Schulungsanspruchs nach § 37 Abs. 6 BetrVG. Abgrenzung § 40 Abs. 1 BetrVG zu § 80 Abs. 3 BetrVG. Erforderlichkeit iSv. § 80 Abs. 3 BetrVG
Orientierungssatz
1. Nach § 80 Abs. 3 BetrVG kann der Betriebsrat bei der Durchführung seiner Aufgaben nach näherer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber Sachverständige hinzuziehen, soweit dies zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Verweigert der Arbeitgeber eine solche Vereinbarung trotz der Erforderlichkeit der Hinzuziehung des Sachverständigen, so kann der Betriebsrat die fehlende Zustimmung des Arbeitgebers durch eine arbeitsgerichtliche Entscheidung ersetzen lassen.
2. Ein Rechtsanwalt kann Sachverständiger im Sinne des Gesetzes sein. Seine Heranziehung setzt voraus, dass er dem Betriebsrat spezielle Rechtskenntnisse vermitteln soll, die in der konkreten Situation, in der der Betriebsrat seine Aufgaben zu erfüllen hat, als erforderlich anzusehen sind.
3. Nicht erforderlich ist die Hinzuziehung eines externen Sachverständigen, wenn sich der Betriebsrat die fehlende Sachkunde kostengünstiger als durch die Beauftragung des Sachverständigen verschaffen kann.
4. Einem Anspruch des Betriebsrats auf Abschluss einer Vereinbarung nach § 80 Abs. 3 BetrVG kann nicht entgegengehalten werden, die Beauftragung eines Sachverständigen sei grundsätzlich nicht erforderlich, wenn der Betriebsrat seine Mitglieder stattdessen an einer Schulung nach § 37 Abs. 6 BetrVG teilnehmen lassen könne. Ein Grundsatz, dass sich ein Betriebsrat zunächst das „Rüstzeug” für die Wahrnehmung seiner Aufgaben durch Schulungen seiner Mitglieder verschaffen muss, bevor er einen Sachverständigen hinzuziehen kann, entspricht nicht den unterschiedlichen Funktionen der beiden Regelungen.
5. Der Betriebsrat kann gegen den Willen des Arbeitgebers die Zuziehung eines Rechtsanwalts als Sachverständiger nach § 80 Abs. 3 BetrVG nicht in Fällen beanspruchen, in denen zwischen den Betriebsparteien ein konkreter Streit über das Bestehen und den Umfang von Mitbestimmungsrechten hinsichtlich eines bestimmten Regelungsgegenstands besteht. Vielmehr ist in einer solchen Situation der betriebsverfassungsrechtlich für den Betriebsrat vorgesehene Weg die ihm durch § 40 Abs. 1 BetrVG eröffnete Beauftragung eines Rechtsanwalts, der im Rahmen eines solchen Mandats zunächst das Bestehen und den Umfang des in Betracht kommenden Mitbestimmungsrechts prüft. Dadurch wird regelmäßig dem berechtigten Interesse des Betriebsrats an der Klärung einer zwischen ihm und dem Arbeitgeber streitigen betriebsverfassungsrechtlichen Frage weniger zeitaufwändig, effizienter und in der Regel auch kostensparender Rechnung getragen.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 6, § 40 Abs. 1, § 80 Abs. 3, § 111 S. 2; RVG § 34 Abs. 1-2; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 322 Abs. 1, § 561
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. Mai 2012 – 7 TaBV 576/12 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Betriebsrat die Hinzuziehung einer Rechtsanwaltskanzlei als Sachverständige beanspruchen kann.
Die Arbeitgeberin betreibt ein Altenheim. Antragsteller ist der bei ihr gebildete fünfköpfige Betriebsrat.
Ausweislich der Entgeltabrechnungen zahlte die Arbeitgeberin ihren Pflegehelfern von August 2010 bis April 2011 zusätzlich zu dem jeweils vereinbarten „Festlohn Pflege” eine „Leistungszulage Pflege” in Höhe der Differenz zu einem Bruttomonatseinkommen von 1.475,00 Euro. Ab Mai 2011 stellte sie ohne Beteiligung des Betriebsrats die Zahlung auf einen einheitlichen „Festlohn Pflege” iHv. 1.475,00 Euro brutto um. Gegenüber Zahlungsklagen von Arbeitnehmern berief sie sich darauf, sie habe mit der Zulage der am 1. August 2010 in Kraft getretenen Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (PflegeArbbV) genügen wollen.
Den Mitarbeitern im „Service” zahlte die Arbeitgeberin Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge, die sie auf der Basis des sich aus dem Grundgehalt ergebenden Stundenlohns berechnete. Zu einem zwischen den Beteiligten streitigen Zeitpunkt modifizierte die Arbeitgeberin ohne Beteiligung des Betriebsrats die Faktoren zur Berechnung der Zuschläge. Der Bitte des Betriebsrats, die Abrechnung der Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge zum näheren Verständnis nach Faktoren aufzuschlüsseln, kam sie nicht nach.
In seiner Sitzung vom 25. August 2011 fasste der Betriebsrat daraufhin den Beschluss, als sachverständige Beraterin die Kanzlei H gemäß § 80 Abs. 3 BetrVG zu einem Stundensatz von 250,00 Euro zzgl. Auslagen gemäß Nr. 7000 ff. VV RVG zzgl. Umsatzsteuer zur Frage hinzuziehen, welche betriebsverfassungsrechtlichen Rechte dem Betriebsrat in Bezug auf die vom Arbeitgeber eingeführte „Leistungszulage” zustehen und wie er diese Rechte durchsetzen kann. Ein weiterer Beschluss sieht eine entsprechende Beauftragung dazu vor, ob dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht in Bezug auf die einseitige Kürzung von Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen durch die Arbeitgeberin sowie die Einführung einer neuen Art der Abrechnung nach Faktoren zusteht und wie er diese Rechte durchsetzen kann.
Der Betriebsrat versuchte vergeblich, mit der Arbeitgeberin eine Verständigung über die Hinzuziehung der Sachverständigen herbeizuführen. Die Arbeitgeberin verweigerte ihre Zustimmung mit der Begründung, Mitbestimmungsrechte seien bei den vorliegenden Sachverhalten nicht berührt; hinsichtlich der Zuschläge habe sich nichts geändert und bei der „Leistungszulage Pflege” handele es sich um eine reine Gehaltserhöhung, nicht aber um eine betriebliche Lohngestaltung.
Der Betriebsrat hat in dem daraufhin von ihm eingeleiteten Verfahren die Ansicht vertreten, er könne die Hinzuziehung der hiesigen Verfahrensbevollmächtigten als Sachverständige nach § 80 Abs. 3 BetrVG beanspruchen. Wegen der zur Beurteilung seiner Rechte erforderlichen Kenntnisse sei er insbesondere nicht auf eine Schulung gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG zu verweisen. Er hat – soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Belang – beantragt,
der Arbeitgeberin aufzugeben, die Zustimmung zu der Hinzuziehung der H als sachverständige Beraterin des Betriebsrats zu einem Stundensatz von 250,00 Euro zzgl. Auslagen gemäß Nr. 7000 ff. VV RVG zzgl. Umsatzsteuer in der jeweils geltenden gesetzlichen Höhe für eine Beratung, die auch eine gutachterliche Stellungnahme umfasst, zu folgenden Fragen zu erteilen:
- Welche Rechte stehen dem Betriebsrat in Bezug auf die von der Arbeitgeberin im August 2010 eingeführte „Leistungszulage” für die Pflegehelfer zu und wie kann er diese durchsetzen?
- Welche Rechte stehen dem Betriebsrat in Bezug auf die Einführung einer neuen Art der Abrechnung von Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen nach Faktoren und einer damit zusammenhängenden einseitigen Kürzung dieser Zuschläge durch die Arbeitgeberin zu und wie kann er diese durchsetzen?
Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat den Standpunkt vertreten, das Ziel des Betriebsrats könne mit einer anwaltlichen Beratung und Beauftragung zur Wahrnehmung der Interessen des Betriebsrats erreicht werden, deren Kosten nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu erstatten seien. Es bedürfe keiner Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Das Arbeitsgericht hat dem Begehren des Betriebsrats entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat seinen Antrag abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Arbeitgeberin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hat keinen Erfolg. Sein zulässiger Antrag ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, ein Sachverständigengutachten sei nicht erforderlich, weil der Betriebsrat die erforderlichen Kenntnisse durch eine Schulung habe erwerben können. Diese Begründung hält einer rechtsbeschwerderechtlichen Überprüfung nicht stand. Die angefochtene Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). § 80 Abs. 3 BetrVG begründet keinen Anspruch des Betriebsrats auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Sachverständiger, wenn dieser – wie hier – gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG mit der Beratung und Wahrnehmung der Interessen des Betriebsrats im Rahmen eines konkreten Konfliktes mandatiert werden kann.
I. Der Antrag des Betriebsrats ist nach gebotener Auslegung hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
1. Nach der im Beschlussverfahren entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Antragsschrift die bestimmte Angabe des Gegenstands und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Das ist erforderlich, um zu klären, worüber das Gericht entscheidet und wie der objektive Umfang der Rechtskraft einer Sachentscheidung iSv. § 322 Abs. 1 ZPO ist (vgl. BAG 12. Januar 2011 – 7 ABR 94/09 – Rn. 14 mwN; 4. Dezember 2013 – 7 ABR 7/12 – Rn. 21). Auch im Beschlussverfahren sind Anträge möglichst so auszulegen, dass sie eine Sachentscheidung zulassen. Ausgehend vom Wortlaut des Antrags ist dabei das tatsächliche Vorbringen des Antragstellers und derjenige Vortrag heranzuziehen, der Anlass des konkreten Streits ist (vgl. BAG 21. Juli 2009 – 1 ABR 42/08 – Rn. 13 mwN, BAGE 131, 225).
2. Diesen Anforderungen genügt der vorliegende Antrag.
a) Der Betriebsrat möchte erreichen, dass die Arbeitgeberin dem Abschluss einer Vereinbarung über die Erstellung eines Sachverständigengutachtens durch die im Antrag bezeichnete Rechtsanwaltskanzlei zustimmt. Nur dieses Antragsverständnis entspricht den Beschlussvorlagen vom 25. August 2011, die sich ausdrücklich auf die Hinzuziehung der verfahrensbevollmächtigten Kanzlei als „sachverständige Beraterin” „gemäß § 80 Abs. 3 BetrVG” beziehen. Der Antrag ist daher auch nicht dahin zu verstehen, dass damit – sei es auch nur hilfsweise – die Freistellung von anwaltlichen Kosten nach § 40 Abs. 1 BetrVG begehrt wird, die für eine Beratung des Betriebsrats und Interessenwahrnehmung im Verfahren entstehen würden.
b) Die Bedingungen der abzuschließenden Vereinbarung sind ausreichend bezeichnet. Der auf Ersetzung der Zustimmung des Arbeitgebers zur Beauftragung eines Sachverständigen gerichtete Antrag des Betriebsrats muss Angaben zu dem Thema enthalten, zu dessen Klärung der Sachverständige hinzugezogen werden soll und die Person des Sachverständigen bezeichnen (vgl. BAG 16. November 2005 – 7 ABR 12/05 – Rn. 19, BAGE 116, 192). Eine Bezeichnung der Rechtsanwaltskanzlei ist hinreichend bestimmt. Ob darüber hinaus die Person des mit dem Gutachten beauftragten Rechtsanwalts konkret bezeichnet werden müsste, ist eine Frage der Begründetheit des Anspruchs. Besteht Streit über die Höhe der Vergütung, muss diese gleichfalls im Antrag aufgenommen werden. Der Antrag muss aber zu seiner Bestimmtheit keine betragsmäßige Obergrenze enthalten. Die Angabe einer Stundenvergütung – hier ein Stundensatz von 250,00 Euro – ist ausreichend, um dem Bestimmtheitsgebot zu genügen (vgl. BAG 16. November 2005 – 7 ABR 12/05 – Rn. 19, aaO).
c) Der Gegenstand der begehrten Begutachtung ergibt sich hinreichend bestimmt aus der Antragsformulierung unter Hinzuziehung der Antragsbegründung. Die Begutachtung soll sich auf das Bestehen und die Durchsetzung von Mitbestimmungsrechten beziehen, soweit einerseits in den Abrechnungen der Pflegekräfte „Leistungszulagen” zwischen August 2010 bis April 2011 ausgewiesen wurden und soweit die Arbeitgeberin andererseits eine neue Art der Abrechnung von Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen eingeführt hat. Es geht dem Betriebsrat darum, die in diesem Zusammenhang von der Arbeitgeberin vorgenommenen Veränderungen in tatsächlicher Hinsicht zu erfassen und rechtlich zu beurteilen. Vor diesem Hintergrund sind die Fragestellungen im Antrag umfassend zu verstehen. Die darin zum Ausdruck kommenden möglichen Bewertungen wie Einführung, Faktoren oder Kürzung sind ersichtlich nicht juristisch gemeint und sollen den Gegenstand nicht näher eingrenzen. Der Gutachtenauftrag soll sich auch darauf erstrecken, wie der Betriebsrat bestehende Rechte durchsetzen kann. Ob die Durchsetzung im gerichtlichen Beschlussoder im Einigungsstellenverfahren erfolgen soll, legt der Antrag nicht fest. Er ist damit umfassend, jedoch nicht unbestimmt.
II. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet, weil sich die angefochtene Entscheidung mit einer anderen Begründung als der vom Landesarbeitsgericht gegebenen im Ergebnis als richtig darstellt (§ 561 ZPO).
1. Das Landesarbeitsgericht hat in seiner Begründung rechtsfehlerhaft angenommen, ein allgemeiner Schulungsanspruch nach § 37 Abs. 6 BetrVG gehe einem Sachverständigengutachten nach § 80 Abs. 3 BetrVG stets vor.
a) Nach § 80 Abs. 3 BetrVG kann der Betriebsrat bei der Durchführung seiner Aufgaben nach näherer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber Sachverständige hinzuziehen, soweit dies zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist.
aa) Durch das Erfordernis einer Vereinbarung wird dem Arbeitgeber insbesondere die Möglichkeit eröffnet, im Hinblick auf die von ihm zu tragenden Kosten Einwendungen gegen die Beauftragung eines Sachverständigen zu erheben, dem Betriebsrat seinen Sachverstand oder eigene sachkundige Personen anzubieten und den Gegenstand der Beauftragung des Sachverständigen zuverlässig zu begrenzen (BAG 11. November 2009 – 7 ABR 26/08 – Rn. 27, BAGE 132, 232). Verweigert der Arbeitgeber eine solche Vereinbarung trotz der Erforderlichkeit der Hinzuziehung des Sachverständigen, so kann der Betriebsrat die fehlende Zustimmung des Arbeitgebers durch eine arbeitsgerichtliche Entscheidung ersetzen lassen (BAG 11. November 2009 – 7 ABR 26/08 – Rn. 18 mwN, aaO).
bb) Ein Rechtsanwalt kann Sachverständiger im Sinne des Gesetzes sein.
Seine Heranziehung setzt voraus, dass er dem Betriebsrat spezielle Rechtskenntnisse vermitteln soll, die in der konkreten Situation, in der der Betriebsrat seine Aufgaben zu erfüllen hat, als erforderlich anzusehen sind. Zur Erteilung seiner Zustimmung nach § 80 Abs. 3 BetrVG darf der Arbeitgeber nur unter dieser Voraussetzung verpflichtet werden (BAG 26. Februar 1992 – 7 ABR 51/90 – zu B III 1 der Gründe, BAGE 70, 1; 16. November 2005 – 7 ABR 12/05 – Rn. 29, BAGE 116, 192; 11. November 2009 – 7 ABR 26/08 – Rn. 19, BAGE 132, 232).
cc) Nicht erforderlich ist die Hinzuziehung eines externen Sachverständigen, wenn sich der Betriebsrat die fehlende Sachkunde kostengünstiger als durch die Beauftragung des Sachverständigen verschaffen kann. Der Betriebsrat ist aus den Grundsätzen der vertrauensvollen Zusammenarbeit und der Verhältnismäßigkeit verpflichtet, zum Erwerb des notwendigen Fachwissens zunächst die innerbetrieblichen Erkenntnisquellen zu erschließen, ehe er die mit Kosten verbundene Beauftragung eines Sachverständigen als erforderlich ansehen kann (BAG 16. November 2005 – 7 ABR 12/05 – Rn. 31 mwN, BAGE 116, 192).
dd) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann einem Anspruch des Betriebsrats auf Abschluss einer Vereinbarung nach § 80 Abs. 3 BetrVG nicht entgegengehalten werden, die Beauftragung eines Sachverständigen sei grundsätzlich nicht erforderlich, wenn der Betriebsrat seine Mitglieder stattdessen an einer Schulung nach § 37 Abs. 6 BetrVG teilnehmen lassen könne. Ein Grundsatz, dass sich ein Betriebsrat zunächst das „Rüstzeug” für die Wahrnehmung seiner Aufgaben durch Schulungen seiner Mitglieder verschaffen muss, bevor er einen Sachverständigen hinzuziehen kann, entspricht nicht den unterschiedlichen Funktionen der beiden Regelungen. Der Anspruch des Betriebsrats auf Schulung seiner Mitglieder nach § 37 Abs. 6 BetrVG hat eine andere Funktion als der Erwerb erforderlicher Kenntnisse zur Wahrnehmung konkreter Aufgaben durch den Betriebsrat als Organ. Anders als Sachverständigengutachten, die zu einem bestimmten Problem erstellt werden, haben Schulungsveranstaltungen typischerweise keine konkrete betriebliche Aufgabenstellung des Betriebsrats zum Gegenstand. Zwar kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens im Einzelfall entbehrlich sein, wenn Betriebsratsmitglieder an geeigneten Schulungen teilgenommen haben und durch den erworbenen Sachverstand und unter Ausschöpfung der betriebsinternen Erkenntnismöglichkeiten in der Lage sind, ihre Aufgaben in gebotener Weise wahrzunehmen (vgl. BAG 16. November 2005 – 7 ABR 12/05 – Rn. 38, BAGE 116, 192). Daraus folgt aber nicht, dass der Betriebsrat stets seine Mitglieder auf Schulungen schicken müsste, bevor er bei der Durchführung seiner Aufgaben die Zuziehung eines Sachverständigen verlangen kann.
b) Danach erweist sich die Begründung des Landesarbeitsgerichts, der Betriebsrat habe sich die für die Beurteilung der hier streitigen Sachverhalte erforderlichen Kenntnisse durch die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen verschaffen müssen, als rechtsfehlerhaft. Dem Anspruch des Betriebsrats auf Zustimmung zu der beantragten Vereinbarung lässt sich nicht entgegenhalten, die gängigen Veranstalter für Betriebsräteschulungen führten ausweislich ihrer Darstellungen im Internet mehrmals im Jahr Schulungen zu den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten in betriebsnahen Veranstaltungsorten durch.
2. Die angefochtene Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats im Ergebnis zutreffend als unbegründet erachtet. Streiten die Betriebsparteien – wie hier – außergerichtlich über die Mitbestimmung in einer konkreten Angelegenheit, ist die Beauftragung eines Sachverständigen nicht der vom Gesetz vorgesehene Weg. Deshalb kann es der Senat dahinstehen lassen, ob die Arbeitgeberin vorliegend ihre Informationspflichten nach § 80 Abs. 2 BetrVG vollständig erfüllt und der Betriebsrat die betriebsinternen Erkenntnismöglichkeiten hinreichend ausgeschöpft hat, um sich die erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen (vgl. zu den Anforderungen BAG 16. November 2005 – 7 ABR 12/05 – Rn. 31, 38 f., BAGE 116, 192). Ebenfalls bedarf es keiner Entscheidung dazu, ob sich der Betriebsrat in einem Beschluss, einen anwaltlichen Sachverständigen hinzuzuziehen und darüber nach § 80 Abs. 3 BetrVG eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber zu treffen, mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats auf einen bestimmten Rechtsanwalt festlegen muss (vgl. BAG 16. November 2005 – 7 ABR 12/05 – Rn. 19, aaO), oder ob – und ggf. unter welchen Voraussetzungen – es ausnahmsweise genügt, eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zu beauftragen. Der Senat musste schließlich auch nicht entscheiden, ob die sich vorliegend stellenden Rechtsfragen so schwierig waren, dass sie einer sachverständigen Begutachtung bedurften.
a) Der Betriebsrat kann gegen den Willen des Arbeitgebers die Zuziehung eines Rechtsanwalts als Sachverständiger nach § 80 Abs. 3 BetrVG nicht in Fällen beanspruchen, in denen zwischen den Betriebsparteien ein konkreter Streit über das Bestehen und den Umfang von Mitbestimmungsrechten hinsichtlich eines bestimmten Regelungsgegenstands besteht. Vielmehr ist in einer solchen Situation der betriebsverfassungsrechtlich für den Betriebsrat vorgesehene Weg die ihm durch § 40 Abs. 1 BetrVG eröffnete Beauftragung eines Rechtsanwalts, der im Rahmen eines solchen Mandats zunächst das Bestehen und den Umfang des in Betracht kommenden Mitbestimmungsrechts prüft. Dadurch wird regelmäßig dem berechtigten Interesse des Betriebsrats an der Klärung einer zwischen ihm und dem Arbeitgeber streitigen betriebsverfassungsrechtlichen Frage weniger zeitaufwändig, effizienter und in der Regel auch kostensparender Rechnung getragen.
aa) Nach der Rechtsprechung des Senats stellt § 80 Abs. 3 BetrVG – mit Ausnahme der Fälle des § 111 Satz 2 BetrVG – die alleinige Rechtsgrundlage für die Heranziehung sachkundiger Personen durch den Betriebsrat dar, wenn es nicht um die Vertretung des Betriebsrats in einem Verfahren vor der Einigungsstelle oder vor Gericht geht, sondern um die Beratung des Betriebsrats außerhalb solcher Verfahren (vgl. BAG 26. Februar 1992 – 7 ABR 51/90 – zu B II 2 der Gründe, BAGE 70, 1; 11. November 2009 – 7 ABR 26/08 – Rn. 18 ff., BAGE 132, 232). Die Vorschrift findet dagegen keine Anwendung, wenn es dem Betriebsrat um die Einleitung und die Durchführung von Einigungsstellen- oder arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren geht, mit denen der Betriebsrat ein von ihm in Anspruch genommenes Mitbestimmungsrecht ausüben oder durchsetzen will. In einem solchen Fall hat der Betriebsrat vielmehr gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG die Möglichkeit, zur Wahrnehmung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechte einen Rechtsanwalt zu beauftragen (vgl. BAG 29. Juli 2009 – 7 ABR 95/07 – Rn. 16 ff. mwN). Das gilt auch, wenn ein Rechtsanwalt vom Betriebsrat reklamierte Mitbestimmungsrechte gegenüber dem Arbeitgeber außergerichtlich geltend macht oder im Rahmen eines konkreten Konfliktes erwägt, dies zu tun. Der Senat hat das bereits für die Fallkonstellation entschieden, in der die anwaltliche Tätigkeit darauf gerichtet ist, die beschlossene Durchführung eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens entbehrlich zu machen (vgl. BAG 15. November 2000 – 7 ABR 24/00 – zu B II 1 b der Gründe). Nichts anderes gilt, wenn die Beauftragung des Rechtsanwalts dazu dient, in einem bereits bestehenden konkreten Konflikt zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber das Bestehen und den Umfang von Mitbestimmungsrechten zu prüfen sowie ggf. für deren Durchsetzung zu sorgen, auch wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass kein gerichtliches oder Einigungsstellenverfahren durchgeführt werden soll. Bei diesem Verständnis wird § 80 Abs. 3 BetrVG nicht etwa jeglicher Anwendungsbereich entzogen. Die Bestimmung kommt vielmehr dann zur Anwendung, wenn es dem Betriebsrat nicht um die Durchsetzung von Rechten, sondern um die Vermittlung zur Interessenwahrnehmung erforderlicher Kenntnisse geht, etwa bei der Ausarbeitung des Entwurfs einer komplexen Betriebsvereinbarung oder eines schwierigen Interessenausgleichs (vgl. BAG 11. November 2009 – 7 ABR 26/08 – Rn. 20, aaO). Zudem hat sie Bedeutung für die Beauftragung nicht juristischer Sachverständiger.
bb) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats muss der Betriebsrat bei der Rechtsdurchsetzung unter mehreren gleich geeigneten Möglichkeiten die für den Arbeitgeber kostengünstigere auswählen (vgl. BAG 29. Juli 2009 – 7 ABR 95/07 – Rn. 17 mwN). Soweit es um die rechtliche Beurteilung und mögliche Durchsetzung von Mitbestimmungsrechten in einer konkreten Konfliktsituation zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber geht, ist jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber seine Zustimmung zur Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Sachverständiger verweigert, die auf § 40 Abs. 1 BetrVG gestützte Mandatierung eines Rechtsanwalts regelmäßig der deutlich schnellere, effizientere und kostengünstigere Weg gegenüber einem gerichtlichen Verfahren, das darauf gerichtet ist, den Arbeitgeber zu verpflichten, die von ihm verweigerte Zustimmung zur Hinzuziehung eines Sachverständigen zu erteilen.
(1) Der Betriebsrat kann, ohne dass es hierzu einer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber bedürfte, in einem konkreten Konflikt mit dem Arbeitgeber einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung der in Betracht kommenden Mitbestimmungsrechte beauftragen. Er erhält dann alsbald eine rechtliche Beurteilung dieses Rechtsanwalts über das Bestehen und den Umfang von Mitbestimmungsrechten sowie über die Möglichkeiten und Chancen von deren Durchsetzung. Auf dieser Grundlage kann er entscheiden, ob sowie ggf. auf welchem Weg eine Durchsetzung der Rechte sinnvoll und aussichtsreich erscheint. Vergleichsweise zeitnah kann dann eine zwischen den Betriebsparteien verbindliche gerichtliche Klärung über Bestehen und Umfang der streitigen Mitbestimmungsrechte erfolgen. Diese Vorgehensweise ist damit regelmäßig rasch und effizient. Darüber hinaus ist sie auch vergleichsweise kostenschonend. Die nach § 34 Abs. 1 RVG anfallende Beratungsgebühr ist nach § 34 Abs. 2 RVG auf eine Gebühr für eine etwaige spätere Tätigkeit des Rechtsanwalts – insbesondere in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren – anzurechnen, wobei sie freilich insoweit bestehen bleibt, als die Beratung über dasjenige hinausgeht, was später Gegenstand der weiteren Tätigkeit des Rechtsanwalts ist (vgl. Hartmann Kostengesetze 44. Aufl. § 34 RVG Rn. 13). Ob die vom Senat zur früheren Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) entwickelte Rechtsprechung, wonach der Betriebsrat die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Interessenwahrnehmung im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren grundsätzlich auf der Grundlage der gesetzlichen Vergütung vorzunehmen hat und zur Zusage eines höheren Zeithonorars nicht berechtigt ist (vgl. BAG 20. Oktober 1999 – 7 ABR 25/98 –), uneingeschränkt auch für § 34 Abs. 1 RVG gilt, kann vorliegend dahinstehen.
(2) Demgegenüber ist – wie schon vorliegendes Verfahren veranschaulicht – der Weg über ein gerichtliches Verfahren, das darauf gerichtet ist, den Arbeitgeber zu verpflichten, die von ihm verweigerte Zustimmung zur Hinzuziehung eines Sachverständigen zu erteilen, regelmäßig deutlich zeitaufwändiger, weniger effizient und kostenintensiver. Bereits das gerichtliche Verfahren über die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zustimmung zur Hinzuziehung eines Sachverständigen nimmt einen, zwei oder gar drei Rechtszüge in Anspruch. In dieser Zeit hätte ein auf der Grundlage von § 40 Abs. 1 BetrVG mandatierter Rechtsanwalt seine rechtliche Beurteilung und Beratung längst abgegeben. Erst wenn der Betriebsrat in dem – nicht unbeträchtliche Kosten verursachenden – Verfahren über die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zustimmung zur Hinzuziehung des Rechtsanwalts als Sachverständiger rechtskräftig obsiegt hat, kann er diesen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragen. Dies ist mit weiterem Aufwand an Zeit und Kosten verbunden. Durch das Gutachten des Rechtsanwalts wird aber der Streit über das Bestehen von Mitbestimmungsrechten zwischen den Betriebsparteien noch nicht verbindlich geklärt. Vielmehr bedarf es hierzu ggf. eines erneuten, weitere Kosten verursachenden gerichtlichen Verfahrens. Erst mit dessen Abschluss erfolgt die verbindliche Klärung über Bestehen und Umfang der Mitbestimmungsrechte in dem konkreten Streit. Für eine mögliche Effizienz dieses Weges spricht auch nicht das Argument des Betriebsrats, das Gutachten des Rechtsanwalts könne ja auch zum Ergebnis haben, dass Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht bestehen. Zu einer solchen Beurteilung kann der Rechtsanwalt vielmehr auch im Rahmen seiner Mandatierung auf der Grundlage von § 40 Abs. 1 BetrVG gelangen.
b) Danach kann der Betriebsrat die Zustimmung der Arbeitgeberin zu einer Vereinbarung mit dem im Antrag bezeichneten Inhalt nicht verlangen. Er hätte seine Antragsziele im vorliegenden Fall weniger zeitaufwändig, effizienter und kostenschonender verfolgen können. Es geht ihm in einer konkreten Meinungsverschiedenheit letztlich darum, mögliche Mitbestimmungsrechte durchzusetzen. Die im Zusammenhang mit der Umstellung der Zulagen ausgelösten und durch die Auskünfte der Arbeitgeberin nicht beseitigten Rechtsunsicherheiten des Betriebsrats können – möglicherweise – eine anwaltliche Beratung erfordern. Sie gebieten nicht die Einholung eines anwaltlichen Gutachtens.
Unterschriften
Linsenmaier, Zwanziger, Kiel, Krollmann, Schuh
Fundstellen
Haufe-Index 7384296 |
BB 2014, 2804 |
BB 2014, 3134 |
DB 2014, 2655 |