Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit von Mitarbeiterversammlungen des Arbeitgebers
Leitsatz (amtlich)
Der Arbeitgeber ist berechtigt, auf von ihm einberufenen Mitarbeiterversammlungen über betriebliche Belange zu informieren, auch wenn Fragen berührt werden, für die der Betriebsrat zuständig ist.
Solche Mitarbeiterversammlungen dürfen jedoch nicht zu “Gegenveranstaltungen” gegenüber Betriebsversammlungen mißbraucht werden.
Normenkette
BetrVG § 2 Abs. 1, §§ 42-43, 45 S. 2, §§ 46, 1, 4-5, 111 S. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
LAG Bremen (Beschluss vom 09.02.1988; Aktenzeichen 1 TaBV 6/87) |
ArbG Bremen (Beschluss vom 15.01.1987; Aktenzeichen 1 BV 102/85) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 9. Februar 1988 – 1 TaBV 5/87 und 6/87 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Der Geschäftsführer der an diesem Beschlußverfahren beteiligten Gesellschaft lädt seit einiger Zeit einmal im Monat alle in deren Bremer Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu einer ca. einstündigen Mitarbeiterversammlung ein. Auf diesen Zusammenkünften informiert er über die aktuellen Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens und über den Stand betrieblicher Vorhaben. Unter dem Punkt “Verschiedenes” nimmt er besondere Anlässe wie Dienstjubiläen, schwere Erkrankungen von Mitarbeitern zum Anlaß, seine persönliche Anteilnahme zum Ausdruck zu bringen. In diesem Rahmen stellt er auch neu eingestellte Arbeitnehmer oder Auszubildende vor.
Die in der Zeit von April bis September 1985 veranstalteten Mitarbeiterversammlungen behandelten folgende Tagesordnungspunkte:
- 12. Juni 1985:
- Auftragseingang Mai
ASMS-Tagung in San Diego/USA und ACHEMA-Ausstellung in Frankfurt:
Was gibt es Neues bei der Konkurrenz?
- Gegenwärtiger Stand der Überlegungen zur Verbesserung unseres Gebäudes
- Verschiedenes
Schichtarbeit in der Fertigung
unter Top 5 wurde als Ziel der beabsichtigten Schichtarbeit die Überwindung chronischer Engpässe und die intensivere Nutzung kostspieliger Maschinen herausgestellt.
- 18. September 1985:
- Auftragseingang August und Ausblick bis Jahresende
- Massenspektrometrie – Tagung und – Ausstellung in Swansea (England)
- Gebäudeinvestitionen
- Verschiedenes.
Der Betriebsrat sieht die Mitarbeiterversammlungen, soweit sie betriebliche Themen berühren, als Konkurrenzveranstaltungen zu den Betriebsversammlungen. Er hat daher am 17. September 1985 beim Arbeitsgericht Bremen ein Beschlußverfahren mit dem Ziel ihrer Untersagung anhängig gemacht.
Der Arbeitgeber hat auch nach Zustellung der Antragsschrift die Praxis der monatlichen Mitarbeiterversammlungen nicht eingestellt. Auf der Mitarbeiterversammlung vom 16. Oktober 1985 hat der Geschäftsführer zusätzlich ausgeführt:
“Warum lade ich zur Mitarbeiterversammlung ein?
- will ich Gelegenheit haben, jedem unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig über wichtige Dinge in unserem Betrieb zu berichten.
sehe ich nicht ein, warum ich als Figur in einem gewerkschaftspolitischen Schauspiel mitwirken soll, das nur wenig mit F…, aber sehr viel mit Politik zu tun hat.
Ich habe den Betriebsrat formell darüber informiert, daß ich eine Einladung zur Betriebsversammlung immer dann nicht annehmen werde, wenn auch ein Vertreter der Gewerkschaft teilnimmt.
Ich habe meinerseits die Betriebsversammlung noch nie zur lautstarken Verkündigung von arbeitspolitischen Themen benutzt, ich habe auch nie von meinem Recht Gebrauch gemacht, einen Vertreter des Arbeitgeberverbandes einzuladen. Ich tue das nicht, weil ich bei unseren Versammlungen nicht nochmals das hören will, was durch Zeitungen, Radio und Fernsehen ohnehin verbreitet wird.
Die IG-Metall hat bisher erhebliche Anstrengungen gemacht, unsere Mitarbeiterversammlungen gerichtlich verbieten zu lassen. Eine im Mai beantragte “Einstweilige Verfügung” ist vom Gericht abgelehnt worden, weil “der Antrag unbegründet und abweisungsreif war” (Zitat aus dem Gerichtsbeschluß).”
Entgegen seiner Ankündigung hat der Geschäftsführer aber in der Folgezeit dennoch an den von dem Betriebsrat geleiteten Betriebsversammlungen teilgenommen oder sich im Fall seiner Ortsabwesenheit vertreten lassen. Im Laufe des Verfahrens hat der Arbeitgeber weiterhin seine Bereitschaft erklärt, dem Betriebsrat auf Mitarbeiterversammlungen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, soweit betriebsverfassungsrechtliche Themen angesprochen werden. Er hat jedoch darauf beharrt, keine Gewerkschaftsbeauftragten zu den Mitarbeiterversammlungen einzuladen. Anläßlich der Betriebsversammlungen habe sich nämlich herausgestellt, daß Gewerkschaftsvertreter jeweils längere Zeit über allgemeinpolitische oder tarifpolitische Fragen sprechen. Die Mitarbeiterversammlungen sollten jedoch nicht über das bisher eingehaltene Zeitmaß von einer Stunde ausgeweitet werden.
Der Betriebsrat hat zur Begründung für sein Untersagungsverlangen geltend gemacht, der Arbeitgeber störe die Betriebsratsarbeit, wenn er auf Mitarbeiterversammlungen Themen erörtere, die zum Aufgabenkreis des Betriebsrats gehörten. Dies habe der Arbeitgeber in der Vergangenheit mehrfach getan, so zum Beispiel, als er vor der Belegschaft seinen Vorschlag begründet habe, in der Fertigung Schichtarbeit einzuführen. Auf diese Weise könne der Arbeitgeber die Belegschaft einseitig indoktrinieren.
Der Betriebsrat hat beantragt,
dem Arbeitgeber aufzugeben, die Durchführung von Mitarbeiterversammlungen, in denen Themen zur Sprache kommen, die zum Aufgabenbereich des Betriebsrats gehören, zu unterlassen.
Der Arbeitgeber hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben den Antrag als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat weiterhin sein erstinstanzliches Verfahrensziel.
Entscheidungsgründe
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
I. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, stehen einer Sachentscheidung keine verfahrensrechtlichen Hindernisse entgegen.
Mit dem Antrag will der Betriebsrat erreichen, daß dem Arbeitgeber aufgegeben wird, Mitarbeiterversammlungen zu unterlassen, “in denen Themen zur Sprache kommen, die zum Aufgabenbereich des Betriebsrats gehören”. Dieser Antrag ist ausreichend bestimmt.
Immer dann, wenn Themen auf der Tagesordnung von Mitarbeiterversammlungen stehen, für die eine Zuständigkeit des Betriebsrats gegeben sein kann, soll dem Arbeitgeber die Einberufung der Versammlung (und/oder die Behandlung dieser Angelegenheiten) untersagt werden.
Ob ein derartiger “Globalantrag” zu weit gefaßt ist, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der materiellen Begründetheit des Antrages (vgl. BAGE 46, 322, 329 = AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu A I 1b der Gründe; BAGE 52, 160, 166 = AP Nr. 18 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, zu B II 2 der Gründe).
Auch die allgemeine Formulierung, daß “Themen, die in den Aufgabenbereich des Betriebsrats gehören” untersagt werden sollen, macht den Antrag nicht unbestimmt, denn zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat war nur die Grundsatzfrage umstritten, nicht jedoch, in welchen Fällen Kollisionen zwischen der Tagesordnung der Mitarbeiterversammlungen und Betriebsratsaufgaben bestanden. Insoweit stellt sich das Bestimmtheitsproblem anders als in dem vom Senat im Beschluß vom 8. November 1983 (BAGE 44, 226, 232 = AP Nr. 11 zu § 87 BetrVG Arbeitszeit) entschiedenen Fall. Während dort die Beteiligten darüber stritten, in welchen Fällen die global zu untersagende Mehrarbeit überhaupt mitbestimmungspflichtig war, fehlt es vorliegend an einer betrieblichen Meinungsverschiedenheit darüber, welche Themen in den Aufgabenbereich des Betriebsrats gehören.
II. Das Landesarbeitsgericht hat aber auch ohne Rechtsfehler entschieden, der Antrag des Betriebsrats sei nicht begründet.
1. Der angegriffene Beschluß geht zu Recht davon aus, daß nach den getroffenen Feststellungen für das geltend gemachte Unterlassungsbegehren keine Rechtsgrundlage gegeben ist. Der Arbeitgeber hat bisher durch die Veranstaltung seiner “Mitarbeiterversammlungen” nicht gegen die ihm obliegende Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat (§ 2 Abs. 1 BetrVG) verstoßen. Weiterhin hat er weder die Durchführung von Betriebsversammlungen nach den §§ 42 bis 46 BetrVG gestört noch ist zu besorgen, daß er dies künftig tut.
Wie das Beschwerdegericht nämlich zu Recht erkannt hat, ist der Arbeitgeber berechtigt, Mitarbeiterversammlungen abzuhalten und dort die Belegschaft über alle anstehenden betrieblichen Angelegenheiten zu informieren. Da der Arbeitgeber nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts von dieser Befugnis auch nicht mißbräuchlich Gebrauch gemacht hat, kann die umstrittene Rechtsfrage nach einer möglichen Anspruchsgrundlage für das geltend gemachte Unterlassungsbegehren unbeantwortet bleiben; denn alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen setzen entweder ein störendes oder pflichtwidriges Verhalten des Arbeitgebers voraus.
2. Mit dem Beschwerdegericht ist davon auszugehen, daß dem Betriebsrat in der Betriebsverfassung kein Monopol für die Einberufung und Leitung von Arbeitnehmerversammlungen über betriebliche Fragen eingeräumt worden ist.
a) Schon unter Geltung des Betriebsrätegesetzes vom 4. Februar 1920 (RGBl. S. 147 f.) war anerkannt, daß der Arbeitgeber nicht gehindert war, seine Arbeitnehmer zu einer Versammlung zusammenzurufen. Auf einer derartigen Zusammenkunft sollten jedoch keine Angelegenheiten behandelt werden, die dem Geschäftskreis der Betriebsversammlung vorbehalten waren (RAG Urteil vom 24. Oktober 1931 – RAG 150/31 – Bensh. Samml. Bd. 13, S. 424, 426; Flatow/Kahn-Freund, BRG, 13. Aufl., § 45 Vorbemerkung IV; Mansfeld, BRG, 2. Aufl., § 45 Vorbemerkung). Für das BetrVG 1952 hat das Landesarbeitsgericht Hamm (Beschluß vom 4. Mai 1955 – 4 TaBV 25/85 – BB 1955, 541) entschieden, daß die Betriebsverfassung nicht die Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG einschränke. Von daher könne der Arbeitgeber auf von ihm einberufenen Belegschaftsversammlungen Erklärungen aller Art abgeben. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat in seinem Beschluß vom 15. Februar 1985 ( – 2 TaBV 14/85 – DB 1985, 872) für das geltende Betriebsverfassungsrecht an diese Rechtsprechung angeknüpft. Die überwiegende Meinung in der Literatur stimmt dieser Auffassung zu (Fabricius, GK-BetrVG, 4. Aufl., vor § 42 Rz 13, 14; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 42 Rz 11; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 42 Rz 3; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 42 Rz 7). Die vom Beschwerdegericht zitierte Gegenmeinung (Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 42 Rz 65) verwehrt dem Arbeitgeber zwar nicht generell das Recht, Belegschaftsversammlungen zu veranstalten, sieht aber schon dann einen Verstoß gegen die Betriebsverfassung, wenn der Arbeitgeber nicht nur Fragen behandelt, die sich auf die Ausübung seines Direktionsrechts beziehen, sondern auch Angelegenheiten, die zum Aufgabenbereich des Betriebsrats gehören. Sei der Betriebsrat in der betreffenden Angelegenheit zu beteiligen, so müsse auch die informatorische Behandlung der Angelegenheit der Betriebsversammlung vorbehalten sein. Wünsche der Arbeitgeber in einer derartigen Angelegenheit eine betriebsöffentliche Erörterung, so müsse er den Weg nach § 43 Abs. 3 BetrVG beschreiten und vom Betriebsrat die Einberufung einer Betriebsversammlung verlangen.
b) Der Betriebsrat hat sich zu Unrecht auf diese Mindermeinung berufen und insbesondere die einseitige Beeinflussung der Arbeitnehmer auf den Mitarbeiterversammlungen vom 12. Juni und 17. Juli 1985 gerügt, auf denen der Geschäftsführer der Belegschaft einseitig die Überlegungen der Geschäftsleitung zur Einführung von Schichtarbeit in der Fertigung und für eine mögliche Betriebsverlagerung nahegebracht habe.
aa) Der Betriebsrat macht sich nicht hinreichend die institutionelle Bedeutung der Betriebsversammlung klar.
Das Betriebsverfassungsgesetz faßt die Arbeitnehmer eines einzelnen Betriebes unter persönlichen (§ 5 BetrVG) und räumlichen Gesichtspunkten (§§ 1, 4 BetrVG) rechtlich zu einer Einheit, dem Verband “Belegschaft” (so genannt in § 111 Satz 1 BetrVG) zusammen. Im Falle der Wahl eines Betriebsrats werden der Belegschaft im Verhältnis zu dem Vertragspartner der Arbeitnehmer, dem Arbeitgeber, bestimmte Kompetenzen eingeräumt, die von deren Organ, dem Betriebsrat, im eigenen Namen wahrgenommen werden. Nach § 30 des Regierungsentwurfs des BRG sollte die versammelte Belegschaft in der Betriebsversammlung zunächst das Recht haben, durch ein Mißtrauensvotum den Betriebsrat abzusetzen (Engels, Die Betriebsversammlung – Geschichtliche Entwicklung, Zuständigkeit und Rechtsnatur dieser betriebsverfassungsrechtlichen Institution, 1969, S. 25; Flatow/Kahn-Freund, aaO, Vorbem. zu § 39). Der Gesetzgeber des BRG und im folgenden die des BetrVG 1952 und 1972 haben jedoch der Betriebsversammlung jede Befugnis zu einer nach außen wirkenden oder auch nur nach innen verbindlichen Entscheidung verwehrt. Im wesentlichen ist die aktive Teilnahme der Arbeitnehmer an der Ausgestaltung der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung durch die Wahl erschöpft. Die Bezeichnung der Betriebsversammlung als Organ der Betriebsverfassung (so BAGE 39, 108, 111 = AP Nr. 3 zu § 42 BetrVG 1972, zu II B 3 der Gründe, mit ablehnender Anm. Beitzke) hat von daher wenig Aussagekraft. Dennoch ist eine gewisse Parallele zur Aufgabenstellung des vereinsrechtlichen “Organs” Mitgliederversammlung erlaubt. Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Betriebsrat, der die Belegschaft wie ein Vereinsvorstand gegenüber dem Dritten, dem Arbeitgeber, vertritt, einmal in jedem Kalendervierteljahr über seine Tätigkeit der Belegschaft Rechenschaft zu legen. Die Betriebsversammlung kann nach § 45 Satz 2 BetrVG an den Betriebsrat ihre Wünsche und Kritik herantragen, indem sie auf der Betriebsversammlung Anträge (im Sinne von Anregungen) unterbreitet und Stellungnahmen beschließt. Wenn auch ihren Entscheidungen im Unterschied zur Mitgliederversammlung eines Vereins keine Verbindlichkeit zukommt, so vollzieht sich dennoch auf der Betriebsversammlung – insofern einer Mitgliederversammlung vergleichbar – die Meinungsbildung der Belegschaft. Sie wird daher auch als Forum der Aussprache zwischen Belegschaft und Betriebsrat bezeichnet (Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 42 Rz 7; Fabricius, GK-BetrVG, aaO, vor § 42 Rz 4; Hess/Schlochauer/Glaubitz, aaO, § 42 Rz 8).
bb) Obwohl der Arbeitgeber nicht der Belegschaft angehört, hat der Gesetzgeber ihm hinsichtlich der Einberufung und Durchführung von Betriebsversammlungen Rechte und Pflichten auferlegt. So ist ihm ein Teilnahme- und Rederecht durch § 43 Abs. 2 BetrVG für die ordentlichen Betriebsversammlungen eingeräumt und ihm ein Initiativrecht für die Einberufung einer außerordentlichen Betriebsversammlung in § 43 Abs. 3 Satz 1 BetrVG zugebilligt worden. Einmal im Jahr ist er zudem verpflichtet, auf einer ordentlichen Betriebsversammlung über die wirtschaftliche Entwicklung seines Betriebes zu berichten (§ 43 Abs. 2 Satz 3 BetrVG). Durch diese Einbeziehung des Arbeitgebers wird die Institution Betriebsversammlung jedoch nicht zu einer gemeinsamen Einrichtung von Belegschaft und Arbeitgeber. Dies bringt eindeutig § 42 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zum Ausdruck, wonach die Betriebsversammlung aus den Arbeitnehmern des Betriebes besteht und von dem Vorsitzenden des Betriebsrats geleitet wird.
Inhaltlich spiegelt sich dieser Umstand in der Ausgestaltung des Teilnahmerechts wieder. Das Gesetz hat der Belegschaft einen auch gegenüber dem Arbeitgeber abgegrenzten Raum der internen Willensbildung zugebilligt. Für die außerordentlichen Betriebsversammlungen, die auf Wunsch des Betriebsrats oder eines Viertels der Belegschaft einberufen werden, besteht kein gesetzliches Teilnahmerecht des Arbeitgebers (Dietz/Richardi, aaO, § 43 Rz 46; Fabricius, GK-BetrVG, aaO, § 43 Nr. 49; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 43 Rz 49; Galperin/Löwisch, aaO, § 43 Rz 33; Hess/Schlochauer/Glaubitz, aaO, § 43 Rz 39). Die Differenzierung beruht offenbar darauf, daß dem Arbeitgeber auf den ordentlichen oder von ihm initiierten außerordentlichen Betriebsversammlungen die Möglichkeit der unmittelbaren Information gegeben werden soll, damit die Belegschaft neben der Darstellung des Betriebsrats auch die Sicht der Unternehmensleitung erfährt, bevor sie nach § 45 Satz 2 BetrVG dem Betriebsrat Arbeitsaufträge in Form von Anträgen oder Stellungnahmen erteilt, die letztlich sich wiederum an den Arbeitgeber wenden, da er als Inhaber der betrieblichen Leitungsmacht (§ 77 Abs. 1 BetrVG) Adressat der Forderungen und Wünsche ist.
cc) Dient also die Betriebsversammlung der Willensbildung der Belegschaft im Hinblick auf die Tätigkeit des Betriebsrats, so geben die Vorschriften der §§ 42 bis 46 BetrVG nur einen Rahmen für Versammlungen mit einer derartigen Zielsetzung ab. Die §§ 42 bis 46 BetrVG enthalten daher keine abschließende Regelung für alle Arten von Versammlungen, die in einem Betrieb stattfinden können. Es bleibt somit Raum für zusätzliche betriebliche Informationsveranstaltungen, mit denen sich der Arbeitgeber an die Belegschaftsangehörigen im Sinne von § 5 Abs. 1 BetrVG und an die übrigen im Betrieb Beschäftigten im Sinne von § 5 Abs. 2 und § 5 Abs. 3 BetrVG wendet, wenn Zweck dieser Veranstaltungen die Unterrichtung der Mitarbeiter über Angelegenheiten ist, die ihr Arbeitsverhältnis und/oder den Betrieb betreffen.
dd) Die vom Arbeitgeber einberufene und geleitete Informationsveranstaltung wird nicht schon dann zu einer Betriebsversammlung, deren Einberufung und Leitung dem Betriebsrat vorbehalten ist, wenn der Arbeitgeber auch Angelegenheiten im Sinne des § 45 BetrVG behandelt, “die den Betrieb oder seine Arbeitnehmer unmittelbar betreffen”. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, würde bei einem Ausschluß derartiger Themen dem Arbeitgeber jede Möglichkeit einer betriebsbezogenen Berichterstattung genommen, da die Bandbreite der auf einer Betriebsversammlung behandlungsfähigen Angelegenheit so weit gezogen ist, daß sogar über den einzelnen Betrieb hinausgehende tarifpolitische, sozialpolitische und wirtschaftliche Fragen erörtert werden können. Die im vorliegenden Falle vom Arbeitgeber regelmäßig vorgenommene Berichterstattung über die wirtschaftliche Entwicklung und die von der Betriebsleitung beabsichtigten technischen und personellen Vorhaben wären bei einer derartigen Themenbegrenzung unzulässig.
Die von der Rechtsbeschwerde in den Vordergrund gestellte Abgrenzung der Themen im Hinblick darauf, ob die angesprochene Angelegenheit vor ihrer Durchführung dem Arbeitgeber eine Pflicht zur Beteiligung des Betriebsrats auferlege, führt ebenfalls nicht weiter. Zum einen können der Arbeitgeberbericht und die Beteiligungspflicht zeitlich auseinanderfallen, wenn der Arbeitgeber bereits seine unternehmerischen Vorüberlegungen frühzeitig der Belegschaft mitteilt, wie er dies vorliegend bei der Diskussion einer möglichen Standortverlagerung getan hat. Dem Arbeitgeber kann es insoweit nicht verwehrt sein, die Belegschaft bereits dann mit seinen Gedankengängen vertraut zu machen, wenn noch keine Unterrichtungspflicht gegenüber dem Betriebsrat besteht. Zum anderen ist auch ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers anzuerkennen, die Belegschaft über seine Vorschläge zu unterrichten, die er in einer bestimmten betrieblichen Angelegenheit dem Betriebsrat gemacht hat. Hier betraf es die Einführung der Schichtarbeit in der Fertigung. Ob der Arbeitgeber diese Informationen schriftlich, zum Beispiel per Rundbrief, oder mündlich im Rahmen einer monatlichen Mitarbeiterversammlung erteilt, kann keinen Unterschied machen.
Zu Unrecht wendet die Rechtsbeschwerde gegen diese Art der Informationspolitik ein, der Arbeitgeber sichere sich so einen Vorsprung in der Meinungsbildung der Belegschaft. Damit übersieht der Betriebsrat, daß er insoweit nicht schutzlos ist. Zum einen hat der Betriebsrat die Möglichkeit, die vom Arbeitgeber behandelten Sachthemen ebenfalls zum Gegenstand der regelmäßig vierteljährlich stattfindenden Betriebsversammlung zu machen. Darüber hinaus ist der Betriebsrat auch nach § 43 Abs. 3 Satz 1 BetrVG berechtigt, eine außerordentliche Betriebsversammlung einzuberufen, wenn er wegen der möglicherweise einseitigen Informationspolitik des Arbeitgebers dazu Anlaß sieht. Zum anderen ist im vorliegenden Fall die von der Rechtsbeschwerde umschriebene Gefahr der “Indoktrinierung” nicht zu befürchten, da nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts der Arbeitgeber bereit ist, dem Betriebsrat auf seinen Mitarbeiterversammlungen das Wort zur Stellungnahme zu erteilen.
ee) Dem Landesarbeitsgericht ist darin zuzustimmen, daß der Arbeitgeber seine Befugnis zur Veranstaltung von Mitarbeiterversammlungen überschreitet, wenn er diese Versammlungen dazu mißbraucht, um die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung durch die Abhaltung einer Gegenveranstaltung zur Betriebsversammlung zu stören.
Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht jedoch angenommen, eine derartige gegen den gesetzlichen Auftrag zur vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßende Handlungsweise des Arbeitgebers sei im vorliegenden Fall nicht feststellbar.
Eine konkrete Störung ist vorliegend auch nicht dadurch eingetreten, daß der Geschäftsführer nach Einleitung des vorliegenden Beschlußverfahrens – offensichtlich im ersten Ärger – geäußert hat, künftig Betriebsversammlungen fernbleiben zu wollen, wenn Gewerkschaftsvertreter anwesend seien. Nach der Feststellung des Landesarbeitsgerichts hat er diese Drohung nicht wahrgemacht, sondern hat auch danach stets an den Betriebsversammlungen teilgenommen bzw. hat bei Ortsabwesenheit einen Vertreter geschickt. Von daher liegt keine Boykottaktion zu Lasten der Institution Betriebsversammlung vor. Der Fall wäre anders zu beurteilen, wenn sich der Arbeitgeber weigerte, seiner nach § 43 Abs. 2 Satz 3 BetrVG bestehenden Berichtspflicht gegenüber der Betriebsversammlung nachzukommen oder er seine Drohung wahrgemacht hätte, seine Teilnahme von der Abwesenheit von Gewerkschaftsvertretern abhängig zu machen. Dann müßte davon ausgegangen werden, daß der Arbeitgeber seine Mitarbeiterversammlungen, auf denen er kontinuierlich über die wirtschaftliche Lage und Entwicklung des Betriebes berichtet, als Gegenveranstaltung zur Betriebsversammlung aufzieht und so die Beziehung zwischen Belegschaft und ihrem gewählten Betriebsrat zu stören versucht.
Weitere Anhaltspunkte, die für einen Mißbrauch der Mitarbeiterversammlungen zu Gegenveranstaltungen gegenüber Betriebsversammlungen sprechen könnten, wie zum Beispiel zeitliche Nähe oder Überschneidung von Mitarbeiterversammlung und Betriebsversammlung, sind nicht vorgetragen.
Dementsprechend war die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats zurückzuweisen.
Unterschriften
Dr. Kissel, Matthes, Dr. Weller, Koerner, Dr. Federlin
Fundstellen
Haufe-Index 872054 |
BAGE, 192 |
RdA 1990, 59 |