Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 26.04.1996; Aktenzeichen 13 Sa 28/96) |
Tenor
Auf die Revisionsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 26. April 1996 – 13 Sa 28/96 – aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revisionsbeschwerde – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I. Die Klägerin nimmt den Beklagten als ihren ehemaligen Arbeitnehmer auf Schadensersatz in Anspruch. Der Beklagte hat widerklagend Gehalts- und Aufwendungsersatzansprüche geltend gemacht. Das Arbeitsgericht hat Klage und Widerklage abgewiesen.
Gegen das ihr am 5. Februar 1996 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 1. März 1996, der am selben Tage beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg eingegangen ist, Berufung eingelegt. Der Schriftsatz bezeichnet das angefochtene Urteil mit dem Verkündungsdatum und gibt den Tag der Zustellung an. Angaben zum erlassenden Gericht und zum Aktenzeichen fehlen.
Am 5. März 1996 hat eine Mitarbeiterin der Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin angerufen und sich nach dem Arbeitsgericht, das das angefochtene Urteil erlassen habe, und dem Aktenzeichen des angefochtenen Urteils erkundigt. Die Kanzleiangestellte Zeiler der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin teilte ihr beides mit. Die Geschäftsstelle hat diese Angaben mit Bleistift auf der Berufungsschrift vermerkt.
Durch Beschluß vom 26. April 1996 hat das Landesarbeitsgericht die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen und die Revisionsbeschwerde zugelassen. Die Ausfertigung dieses Beschlusses enthält die Rechtsmittelbelehrung, daß die Revisionsbeschwerdeschrift innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Bundesarbeitsgericht eingehen und innerhalb eines Monats nach Einlegung der Revisionsbeschwerde begründet werden müsse.
Gegen diesen ihr am 2. Mai 1996 zugestellten Beschluß hat die Klägerin mit am 31. Mai 1996 eingegangenem Schriftsatz Revisionsbeschwerde eingelegt und dies mit Schriftsatz vom 27. Juni 1996, der am Montag, dem 1. Juli 1996, beim Bundesarbeitsgericht eingegangen ist, begründet.
Die Klägerin macht geltend, die Berufungsschrift habe nach der noch innerhalb der Berufungsfrist vorgenommenen Vervollständigung durch die Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts § 518 Abs. 2 Nr. 1 ZPO entsprochen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revisionsbeschwerde ist begründet.
1. Die Revisionsbeschwerde ist fristgerecht eingelegt und begründet worden. Dies ist zwar nicht innerhalb der gesetzlichen Zwei-Wochen-Frist geschehen, doch war die Klägerin durch das Landesarbeitsgericht unrichtig belehrt worden, so daß gemäß § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG eine auf ein Jahr verlängerte Frist anzuwenden ist.
2. Die Berufungsschrift der Klägerin vom 1. März 1996 entspricht § 518 Abs. 2 ZPO und ist daher zu Unrecht vom Landesarbeitsgericht als unzulässig verworfen worden. Die Berufungsschrift in ihrer ursprünglichen Form entsprach zwar nicht den gesetzlichen Mindesterfordernissen, doch wurde sie noch innerhalb der Berufungsfrist durch die Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts in hinreichendem Umfange ergänzt.
a) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, daß nach § 518 Abs. 2 Nr. 1 ZPO das angefochtene Urteil so bestimmt bezeichnet werden muß, daß sich das angerufene Gericht noch innerhalb der Berufungsfrist über dessen Identität Gewißheit verschaffen kann. Hierzu bedarf es neben der Bezeichnung der Parteien und des Gerichts auch der Angabe des Verkündungstermins und des Aktenzeichens (vgl. nur BGH Beschluß vom 28. September 1993 – VI ZB 25/93 – VersR 1993, 1549, mit weiteren Nachweisen). Indessen führt nicht jede Ungenauigkeit, die eine Berufungsschrift bei einzelnen Angaben enthält, zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels. Es genügt, wenn sich bei einer falschen Bezeichnung bis zum Ablauf der Berufungsfrist aus dem sonstigen Inhalt oder aus weiteren Umständen ergibt, welches Urteil gemeint ist. Allein diese Auslegung der Bestimmung des § 518 Abs. 2 ZPO entspricht dem vom Bundesverfassungsgericht als allgemeinem Prozeßgrundrecht abgeleiteten Anspruch auf ein faires Verfahren (vgl. BVerfGE 57, 250, 275). Der Richter muß das Verfahren so gestalten, wie die Parteien des Zivilprozesses es von ihm erwarten dürfen. Danach ist es dem Zivilrichter verboten, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. nur BVerfG Beschluß vom 9. August 1991 – 1 BvR 630/91 – NJW 1991, 3140). Deshalb kann die prozeßrechtlich erforderliche Klarheit auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden (vgl. BGH Beschluß vom 7. November 1995 – VI ZB 12/95 – NJW 1996, 320, mit weiteren Nachweisen). Dabei sind alle Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu berücksichtigen. Hierzu gehören nach der Rechtsprechung auch die aufgrund eigener Initiative der Geschäftsstelle ermittelten Angaben – wie das fehlende Aktenzeichen des angefochtenen Urteils (vgl. BGH Beschluß vom 28. September 1993 – VI ZB 25/93 – VersR 1993, 1549) – oder dem Geschäftsstellenbeamten des Rechtsmittelgerichts ohnehin bekannte Umstände – wie die Anschrift des Rechtsmittelgegners – (BAG Urteil vom 7. Dezember 1978 – 3 AZR 995/77 – NJW 1979, 2000).
b) Im Streitfall bedeutet dies, daß keine vernünftigen Zweifel an der Bezeichnung des angefochtenen Urteils aufkommen konnten. Die Berufungsschrift in der durch die von der Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts ergänzten Fassung enthält alle zur näheren Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung notwendigen Angaben. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts waren an der Eindeutigkeit nicht deshalb Zweifel angebracht, weil die handschriftliche Ergänzung durch die Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts lediglich auf einer fernmündlichen Auskunft einer Kanzleiangestellten und nicht des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin beruhte. Vielmehr ist der handschriftlich vorgenommene Vermerk der Geschäftsstelle inhaltlich eindeutig und einer Auslegung nicht zugänglich. Daß ein anderes Urteil gemeint sein könnte, ist vom Berufungsgericht auch nicht erwogen worden.
c) Die Unzulässigkeit der Berufung folgt zudem nicht aus der mangelnden Schriftform. Vielmehr ist in ständiger Rechtsprechung anerkannt, daß die zur Auslegung einer lückenhaften Berufungsschrift heranzuziehenden Umstände dem Schriftformerfordernis nicht zu entsprechen brauchen. Zum Beispiel ist anerkannt, daß hierzu auch Fotokopien des angefochtenen Urteils oder die noch innerhalb der Berufungsfrist beim Berufungsgericht eingegangenen Prozeßakten genügen.
Unterschriften
Ascheid, Müller-Glöge, Mikosch
Fundstellen