Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung. unzulässige Nichtzulassungsbeschwerde
Orientierungssatz
1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Organisationsverschulden - Fristversäumnis infolge Personalverschuldens Vergütung eines Abschnittsbearbeiters für Architekten-, Ingenieur- und Künstlerverträge bei bayerischem Finanzbauamt nach BAT Anlage 1a Vergütungsgruppe III Fallgruppe 8.
Normenkette
ZPO § 85; BAT Anlage 1a; ZPO § 233; ArbGG § 72a; BAT § 22 Fassung: 1975-03-17
Verfahrensgang
LAG München (Entscheidung vom 25.02.1987; Aktenzeichen 5 (6) Sa 475/85) |
ArbG Passau (Entscheidung vom 31.01.1984; Aktenzeichen 1 Ca 1340/82) |
Gründe
Der der Gewerkschaft ÖTV angehörende Kläger steht beim Finanzbauamt P als Abschnittsbearbeiter für Architekten-, Ingenieur- und Künstlerverträge in den Diensten des beklagten Landes. Er untersteht dem Sachgebiet Vertragswesen, das von einem technischen Amtsrat geleitet wird. Dem Kläger ist ein Sachbearbeiter unterstellt, der Vergütung nach VergGr. IV a BAT erhält. Der Kläger selbst wird nach VergGr. III BAT vergütet.
Mit der Klage hat der Kläger die Feststellung der Verpflichtung des beklagten Landes begehrt, an ihn Vergütung nach VergGr. II a BAT ab 1. März 1980 zu zahlen. Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
In der Berufungsinstanz wurde der Kläger von den Gewerkschaftssekretären H H und R B von der ÖTV-Bezirksverwaltung B in M vertreten. Diesen wurde das berufungsgerichtliche Urteil am 28. Oktober 1987 zugestellt. In den ÖTV-Bezirksverwaltungen besteht die generelle Anweisung, zugestellte landesarbeitsgerichtliche Urteile umgehend an den ÖTV-Hauptvorstand in S zu übersenden. Mit der Erledigung dieser Anweisung ist bei der ÖTV-Bezirksverwaltung B in M die Verwaltungsangestellte E R betraut. Im vorliegenden Fall ist Frau R der gegebenen Anweisung nicht nachgekommen. Sie unterließ die Übersendung des angefochtenen Urteils an den ÖTV-Hauptvorstand und verlegte es unter anderen Schriftstücken. Erst am 9. Dezember 1987 entdeckte sie es unter Kostenrechnungen wieder.
Mit am 21. Dezember 1987 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz legten die Prozeßbevollmächtigten des Klägers Nichtzulassungsbeschwerde ein. Zugleich beantragten sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Frist zur Einlegung des Rechtsbehelfs. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages tragen sie vor, die Angestellte R sei zuverlässig und vertrauenswürdig. Ein Fehler wie im vorliegenden Fall sei ihr trotz siebenjähriger Tätigkeit im Rechtsreferat der ÖTV- Bezirksverwaltung noch niemals passiert. Sie sei auch durch den Assessor R A regelmäßig kontrolliert worden. Beanstandungen hätten sich niemals ergeben.
Das beklagte Land hat zu dem Wiedereinsetzungsgesuch des Klägers keinen Antrag gestellt und beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers ist zulässig und begründet.
Seine Zulässigkeit ergibt sich aus § 233, § 234 und § 236 ZPO. Der Kläger hat auch die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen im Sinne von § 236 Abs. 2, § 294 ZPO glaubhaft gemacht. Danach ist davon auszugehen, daß für die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a Abs. 2 Satz 1 ArbGG) weder den Kläger noch seine Prozeßbevollmächtigten zweiter Instanz ein Verschulden im Sinne von § 233, § 85 Abs. 2 ZPO trifft.
Insbesondere trifft weder die Gewerkschaft ÖTV noch die in deren Diensten stehenden zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers ein sogenanntes Organisationsverschulden. Eine generelle Gefährdung für die Einhaltung der Rechtsmittel- und Rechtsbehelfsfristen in Revisionssachen (§ 74 Abs. 1 Satz 1 und § 72 a Abs. 2 Satz 1 ArbGG) kann nämlich in der allgemeinen Anordnung des ÖTV-Hauptvorstandes, nach der von den Bezirksverwaltungen alle dort eingehenden landesarbeitsgerichtlichen Urteile unverzüglich beim Hauptvorstand in S vorzulegen sind, nicht erblickt werden. Die in Betracht kommenden Fristen betragen nämlich einen Monat, so daß selbst beim Eintritt unvorhersehbarer oder unvermeidlicher Verzögerungen die Einhaltung der Anordnung nach aller Erfahrung nicht zu Fristversäumnissen zu führen braucht.
Wenn im übrigen vorliegend die Fristversäumung allein darauf zurückzuführen ist, daß die sonst zuverlässige, erfahrene, sieben Jahre auf diesem Gebiet tätige Angestellte R ausnahmsweise irrtümlich unter Mißachtung der gegebenen Anweisung das angefochtene Urteil nicht nach S übersandt, sondern zwischen Kostenrechnungen abgelegt und unbeachtet gelassen hat, Frau R auch regelmäßig und ohne Beanstandungen durch einen Volljuristen überwacht worden ist, wie es sich im einzelnen aus den eidesstattlichen Versicherungen der Angestellten R und des Assessors A ergibt, dann scheidet auch insoweit ein Verschulden des Klägers und seiner zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten aus (vgl. die Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Juli 1975 - 5 AZR 150/75 - AP Nr. 70 zu § 233 ZPO, 6. Juli 1972 - 2 AZR 213/72 - AP Nr. 61 zu § 233 ZPO und 19. Oktober 1971 - 4 AZR 41/71 - AP Nr. 57 zu § 233 ZPO, das Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. April 1978 - 9 RV 71/77 - AP Nr. 2 zu § 233 ZPO 1977 und Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 46. Aufl., § 233 Anm. 4 mit weiteren Nachweisen). Demgegenüber erhebt auch das beklagte Land keine Einwendungen.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist jedoch unzulässig und daher nach dem Antrag des beklagten Landes zu verwerfen.
Der Kläger hat den Rechtsbehelf ausschließlich auf Divergenz gestützt. Die Erfordernisse einer rechtserheblichen Divergenz hat er jedoch nicht dargelegt. Eine solche setzt nach § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG voraus, daß die angefochtene Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der seinerseits von einem abstrakten Rechtssatz des Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen in der Gesetzesnorm genannten Gericht abweicht, woraus zugleich folgt, daß eine lediglich fehlerhafte oder angeblich den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entsprechende Rechtsanwendung eine Divergenz nicht zu begründen vermag (vgl. den Beschluß des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 19. November 1979 - 5 AZN 15/79 - AP Nr. 2 zu § 72 a ArbGG 1979 mit weiteren Nachweisen). Dabei müssen sich die voneinander abweichenden Rechtssätze aus der anzufechtenden wie aus der angezogenen Entscheidung unmittelbar ergeben und so deutlich ablesbar sein, daß nicht zweifelhaft bleibt, welche abstrakten Rechtssätze die Entscheidungen jeweils aufgestellt haben (vgl. BAGE 41, 188, 190 = AP Nr. 11 zu § 72 a ArbGG 1979 Divergenz mit weiteren Nachweisen).
Diesen Erfordernissen entspricht das zur Begründung seiner Beschwerde angebrachte Vorbringen des Klägers nicht. Zutreffend weist der Kläger darauf hin, daß der Senat in dem vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen Urteil vom 29. Januar 1986 - 4 AZR 465/84 - AP Nr. 115 zu §§ 22, 23 BAT (auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt) unter teilweiser Aufgabe und Ergänzung seiner bisherigen Rechtsprechung den Rechtsbegriff der "Verantwortung" im Sinne der entsprechenden Anforderung der VergGr. II a BAT Fallgruppe 8 neu bestimmt hat. Diese Begriffsbestimmung wird vom Landesarbeitsgericht in allen ihren wesentlichen Teilen ausdrücklich übernommen und in seinen Entscheidungsgründen wiederholt.
Dagegen enthält das angefochtene Urteil keine abstrakten Rechtssätze, die denen des Senats in dem angezogenen Urteil widersprechen. Das ergibt sich augenfällig schon aus dem systematischen Aufbau der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils. Darin wiederholt das Landesarbeitsgericht zunächst in aller Ausführlichkeit und wörtlich die Definition des Rechtsbegriffes der Verantwortung im Sinne der Ausführungen des Senats in dem angezogenen Urteil. Zu Beginn seiner weiteren Ausführungen bringt das Landesarbeitsgericht alsdann zum Ausdruck, eine besonders weitreichende, hohe Verantwortung, wie sie der Senat in dem angezogenen und vom Landesarbeitsgericht in den entscheidenden Passagen wörtlich übernommenen Urteil fordert, habe der Kläger nicht vorgetragen, so daß die Klage unschlüssig sei, jedenfalls sei er den entsprechenden Beweis schuldig geblieben. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts stellen klar, daß seine weiteren Ausführungen lediglich der fallbezogenen Subsumtion dienen sollen, wobei das Landesarbeitsgericht auch den zutreffenden Rechtsbegriff der Verantwortung beibehalten hat. Zwar enthalten die weiteren Ausführungen des Landesarbeitsgerichts unter anderem den Satz (Seite 9 des Urteils):
"Entscheidend ist hier die Frage, ob der Kläger durch
seine Tätigkeit Entscheidungen trifft, an denen seine
Vorgesetzten nicht vorbeigehen können",
worin der Kläger einen abstrakten Rechtssatz erblickt, der von dem angezogenen Senatsurteil abweichen soll. Diese Folgerung des Klägers ist jedoch unzutreffend. Der dargestellte Satz des Landesarbeitsgerichts hat nämlich keine abstrakte, fallübergreifende Bedeutung, sondern ist Bestandteil seiner Subsumtion. Das wird schon daraus deutlich, daß dieser Satz seinen Platz inmitten der subsumierenden Ausführungen des Landesarbeitsgerichts hat. Vor diesem Satz befaßt sich das Landesarbeitsgericht eingehend mit dem Umfang der vom Kläger verwalteten Finanzmittel, den Fragen der Verantwortung für die Richtigkeit der Berechnungen sowie der Problematik der Auszahlung der Mittel und leitet daraus Rückschlüsse auf das Maß der Verantwortung des Klägers ab. In gleicher Weise befaßt sich nach dem von dem Kläger herangezogenen Satz das Landesarbeitsgericht wiederum ausschließlich mit Subsumtionsfragen wie denen der Verteilung der Verantwortung zwischen dem Kläger und seinen Vorgesetzten bzw. der Oberfinanzdirektion. Unter diesen Umständen kann auch dem herangezogenen Satz aus dem angefochtenen Urteil lediglich erläuternder, fallbezogener Charakter beigemessen werden, wofür im übrigen sogar auch sein Wortlaut, insbesonders die Verwendung des Wortes "hier", spricht. Damit stellt jedenfalls das Landesarbeitsgericht an den Rechtsbegriff der Verantwortung nicht strengere Anforderungen als der erkennende Senat. Im übrigen greift der Kläger lediglich die Subsumtion des Landesarbeitsgerichts an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 238 Abs. 4 ZPO.
Dr. Neumann Dr. Freitag Dr. Feller
Fundstellen