Entscheidungsstichwort (Thema)
Asbestbelastung am Arbeitsplatz
Leitsatz (amtlich)
Bei asbestbelastetem Arbeitsplatz kann der Arbeitnehmer das Recht haben, die Arbeit zu verweigern.
Normenkette
BGB §§ 273, 618; GefStoffV vom 26. Oktober 1993 (BGBl. I S. 1782) § 2; GefStoffV vom 26. Oktober 1993 (BGBl. I S. 1782) § 3; GefStoffV vom 26. Oktober 1993 (BGBl. I S. 1782) § 15a; GefStoffV vom 26. Oktober 1993 (BGBl. I S. 1782) § 18; GefStoffV vom 26. Oktober 1993 (BGBl. I S. 1782) § 19; GefStoffV vom 26. Oktober 1993 (BGBl. I S. 1782) § 21 Abs. 6
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 22.01.1993; Aktenzeichen 12 Sa 872/92) |
ArbG Köln (Urteil vom 01.07.1992; Aktenzeichen 3 Ca 1441/92) |
Tenor
- Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 22. Januar 1993 – 12 Sa 872/92 – aufgehoben.
- Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger berechtigt ist, seine Arbeitsleistung in den Betriebsgebäuden der Beklagten wegen möglicher Asbestbelastung zu verweigern.
Der 45 Jahre alte Kläger ist seit dem 1. April 1981 als gehobener Ingenieur in der Leitwarte und der zentralen Störstelle der Beklagten beschäftigt. Die Leitwarte, der zwölf Mitarbeiter angehören, dient der ständigen Überwachung der betrieblichen Einrichtungen und Anlagen sowie der organisatorischen Abläufe im gesamten Haus. Sofern eine Störung an den technischen Anlagen eintritt, werden die hauseigenen Werkstätten oder, falls diese die Störung nicht beheben können, Unternehmer außer Haus hinzugezogen. An den Wochenenden müssen die Störtrupps der Leitwarte selbständig tätig werden, ohne die Werkstätten beauftragen zu können.
Das von der Beklagten seit 1980 genutzte, im Eigentum des Bundes stehende Funkhaus wurde in den Jahren 1970 bis 1980 errichtet. Der Bau gliedert sich in zwei Komplexe: eine Hochhausgruppe, bestehend aus drei Türmen, und ein am Fuß der Türme sich ausbreitendes Basisbauwerk. Der Studioturm hat 20, der Büroturm 36 Stockwerke. Beide Türme sind durch einen Aufzugsturm miteinander verbunden. Aus brandschutztechnischen Gründen wurde die tragende Stahlkonstruktion (Deckenträger und Stützen) im Studioturm bis zum 12. Obergeschoß einschließlich und im Büroturm in allen Geschossen mit Spritzasbest ummantelt. Die Räume im Studioturm sind mit luftdichten Deckenkonstruktionen ausgerüstet. Die weiteren als Büros genutzten Räume und Flure sind nicht mit solchen Zwischendecken versehen. Das Büro des Klägers befindet sich im 15. Stockwerk des Studioturms; dort ist er nach Unterbrechungen wieder seit Mai 1988 tätig. Der Kläger hält sich nicht ständig in seinem Büro auf. Er arbeitet daneben aufgrund von Dienstplänen je nach auftretenden Störfällen im gesamten Hause.
Anläßlich von Umbauten an den Klimakanälen im abgehängten Deckenbereich der Flure des Büroturms wurden asbestummantelte Träger sichtbar. Messungen durch den TÜV Rheinland ergaben erhebliche Asbestfaserkonzentrationen (Abschlußbericht vom 2. November 1988). Der TÜV Rheinland unterrichtete hierüber am 10. Oktober 1988 das Finanzbauamt Köln/West sowie Vertreter der Beklagten. Die Arbeiten wurden eingestellt. Es folgten weitere Untersuchungen. Bei der meßtechnischen Überprüfung in der Zeit vom 29. November bis zum 1. Dezember 1988 an insgesamt elf Meßstellen wurden in der Raumluft Asbestfaserkonzentrationen unter 400 Fasern/m(3) gemessen. Bei den Staub-Proben wurde kein Asbest festgestellt. Die meßtechnische Überprüfung in der Zeit vom 8. November bis zum 1. Dezember 1988 in den Flurbereichen des Büroturms, vorgenommen nach einer Spezialreinigungsmaßnahme, ergab Faserkonzentrationen von deutlich unter 1.000 Fasern/m(3) Luft. Der TÜV Rheinland kam zu dem Ergebnis, das Gebäude sei dringend sanierungsbedürftig.
Im weiteren Verlauf wurden verschiedene Raumluftmessungen vom TÜV Rheinland, vom Rheinisch-Westfälischen TÜV und vom Batelle-Institut durchgeführt. Der Rheinisch-Westfälische TÜV stellte in seinem Bericht vom 17. April 1989 fest, in weiten Bereichen der Gebäude befänden sich asbesthaltige Baustoffe, die eine Sanierung dringend erforderlich machten. Das Batelle-Institut schlug in seinem Bericht vom 5. März 1990 bis zur endgültigen Sanierung insbesondere eine luftdichte Abschließung des Zwischendeckenraums durch Abkleben oder Übertapezieren der Spalten und der Lochbleche im Wandanschluß vor, um eine Austragung von Asbestfasern in die Raumluft gesichert auszuschließen. Nach Vorlage dieses Gutachtens beschloß die mittlerweile wegen der Asbestbelastung tagende Einigungsstelle am 30. März 1990, die Beklagte zu verpflichten, die vom Batelle-Institut vorgeschlagenen vorläufigen technischen Maßnahmen unverzüglich durchzuführen.
Zu einer endgültigen Sanierung des Gebäudes ist es bislang nicht gekommen. Der technische Direktor der Beklagten erließ am 17. Dezember 1991 eine Dienstanweisung, wonach das Fachpersonal alle Schächte nur mit persönlicher Schutzausrüstung einschließlich Atemschutzmaske betreten dürfe. Er folgte damit einer Empfehlung des Batelle-Instituts, das in einigen Stromschächten erhebliche Asbestfaserkonzentrationen festgestellt hatte. Der gesamte Fernsehbereich wurde in auswärts angemietete Räume ausgegliedert.
Der Kläger hat geltend gemacht, er sei berechtigt, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zurückzuhalten. Dieses Recht folge aus §§ 273, 618 BGB sowie als Unterlassungsanspruch aus §§ 12, 862, 1004 BGB (analog). Die Beklagte verstoße gegen deutsches und europäisches Recht, da sie ihn ständig in dem im höchsten Maße asbestkontaminierten Funkhaus weiterbeschäftige. Eine Gesundheitsgefährdung durch die Asbestbelastung beziehe sich nicht nur auf den Studioturm bis einschließlich des 12. Stockwerks und alle Stockwerke des Büroturms. Die in diesen Stockwerken arbeitenden Mitarbeiter müßten auch andere Räume während ihrer Arbeit betreten, in denen kein Spritzasbest zur Ummantelung der Stahlträger verwendet worden sei. Daher liege die Wahrscheinlichkeit nahe, daß sie mit ihrer Kleidung und ihren Schuhen, Haaren, Haut usw. auch nicht sichtbare Asbeststaubfasern in diese Räume trügen. Obwohl in den Starkstromschächten eine angeblich selbstbindende Farbschicht aufgebracht worden sei, habe man bei der Freigabemessung am 27. Juli 1992 dennoch Faserkonzentrationen zwischen 1.990 und 8.940 Fasern/m(3) in der 17. bis 25. Etage des Bürotums gemessen. Der Schacht sei mit Faserkonzentrationen zwischen 0 und 790 Fasern/m(3) freigegeben worden. Eine wesentlich höhere Konzentration sei aber nicht auszuschließen.
Die laufenden Messungen im Hause stellten nur Momentaufnahmen dar. Spitzenkonzentrationen, die durch beliebige Ereignisse verursacht würden, wie z. B. fallende Gegenstände, würden nicht erfaßt. Zudem sei eine flächendeckende Luftüberwachung gar nicht möglich, da pro Woche weniger als 10 Raummessungen durchgeführt würden.
Schließlich habe die Beklagte keine Ausnahmegenehmigung der Landesregierung, wonach sie ihren Betrieb auch über den 31. August 1991 hinaus aufrechterhalten dürfe. Nach den Asbestrichtlinien hätte zu diesem Zeitpunkt mit der Sanierung begonnen werden müssen. Es liege auch keine feuerpolizeiliche Genehmigung vor, den Bürobetrieb in den zwischensanierten Bereichen aufrechtzuerhalten. Diese sei notwendig, da durch die Zwischensanierung die Feuerschutzklappen nicht mehr für Wartungsarbeiten zugänglich seien.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur endgültigen Asbestsanierung auf einem Arbeitsplatz außerhalb des Funkhauses R… zu beschäftigen;
- festzustellen, daß er berechtigt ist, seine vertraglich geschuldete Arbeitskraft bei Fortzahlung der ihm geschuldeten tarifgemäßen Vergütung solange zurückzubehalten, bis die Beklagte ihm einen neuen Arbeitsplatz gemäß dem Klageantrag zu 1) zugewiesen hat.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung nicht zu. Bei einer Asbestfaserkonzentration von erheblich unter 1.000 Fasern/m(3) sei keine ernsthafte Gesundheitsgefährdung gegeben. Selbst wenn in Sonderräumen eine Konzentration von mehr als 1.000 Fasern/m(3) vorliege, sei keine Fürsorgepflichtverletzung gegeben. Der Kläger habe für solche Sonderfälle eine Schutzausrüstung gegen das Inhalieren von Asbestfasern in jedem Fall zu tragen. Der Kläger könne ein Zurückbehaltungsrecht auch nicht auf die Gefahrstoffverordnung stützen. Deren einschlägige Regelungen beträfen nur das In-den-Verkehr-Bringen, Zubereiten oder den Umgang mit Gefahrstoffen, einschließlich deren Aufbewahren, Lagerung und Vernichtung. Das habe mit bereits verarbeitetem Asbest nichts zu tun.
Die Mitarbeiter der Leitwarte hätten keinen Kontakt mit Asbest. In allgemein zugänglichen Räumen sei keine Asbestfaserkonzentration mehr zu finden. Die Gefahr, daß Spritzasbestbestandteile aus dem Zwischendeckenbereich in die Raumluft gelangen könnten, werde durch die luftdichte Abschließung der Decken ausgeschlossen. Im Büroturm sei diese Maßnahme bereits erfolgreich durchgeführt. Auch ohne diese vorläufigen Maßnahmen seien bei bisher 1.117 Messungen 1.112 unter 1.000 Fasern/m(3) Luft festgestellt worden. Die letzte Messung über 1.000 Fasern/m(3) Luft liege fast drei Jahre zurück. Im übrigen seien bei 91,8 % der Messungen keine Fasern festgestellt worden. Seit April 1989 seien lediglich drei zusätzliche Asbestfunde bekannt geworden. Diese seien nicht unter die Dringlichkeitsstufe I gefallen, da die Freisetzung von Asbestfasern hier im normalen Betrieb nicht auftrete. In den Etagenversorgungsräumen sei eine Gefährdung der Techniker bei Behebung von Störungen ausgeschlossen. Die Steigschächte seien gründlich gereinigt und vom Batelle-Institut freigegeben worden. Asbestummantelte Träger gebe es dort nicht. Es sei praktisch kein Bereich mehr vorhanden, in dem besondere Schutzvorkehrungen wegen Asbests notwendig seien. Die einzige Ausnahme seien die Klimasteigschächte, die, wenn überhaupt, nur mit Schutzanzügen betreten werden könnten. Ein nachweisbares und objektiv konkretisierbares Gesundheitsrisiko durch Asbest sei für die Beschäftigten nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht gegeben.
Im Hinblick auf den feuerpolizeilichen Zustand habe sie eine zeitlich befristete Ausnahmegenehmigung des zuständigen Landesministeriums, allerdings mit der Auflage der entsprechenden Stichproben. Zudem hätten zwischenzeitlich Brandschutzsachverständige Lösungen erarbeitet, die es gestatteten, durch Veränderungen der technischen Anlagen auf die Funktionen der Feuerschutzklappen in den Bereichen, in denen Asbest verarbeitet sei, zu verzichten. Die Maßnahmen würden voraussichtlich im Laufe des ersten Halbjahres 1993 abgeschlossen.
Das Arbeitsgericht hat dem Kläger ein Zurückbehaltungsrecht bis zum Abschluß der jeweiligen konkreten Sanierungsmaßnahme zugesprochen, soweit eine Asbestfaserkonzentration von mehr als 1.000 Fasern/m(3) an dem ihm zugewiesenen Arbeitsplatz oder auf den von ihm notwendigerweise zu benutzenden Gängen festgestellt werde, im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers festgestellt, der Kläger sei berechtigt, seine vertraglich geschuldete Arbeitskraft bis zur endgültigen Sanierung des Funkhauses zurückzuhalten. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Zur abschließenden Entscheidung ist noch weitere Aufklärung erforderlich.
A. Gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO bestehen keine Bedenken. Der Kläger begehrt die Feststellung des Bestehens eines Zurückbehaltungsrechts an seiner Arbeitsleistung. Streitgegenstand ist damit das Bestehen oder Nichtbestehen einer Leistungspflicht. Die Feststellungsklage muß sich nicht notwendig auf das Rechtsverhältnis im Ganzen erstrekken. Sie kann auch einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis betreffen, wie bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder den Umfang der Leistungspflicht (BAG Urteil vom 19. Juni 1985 – 5 AZR 57/84 – AP Nr. 11 zu § 4 BAT, zu A I der Gründe, mit weiteren Nachweisen). Der Kläger hat auch ein Interesse an alsbaldiger Feststellung. Die Feststellungsklage ist die einzige Möglichkeit, die zwischen den Parteien bestehende rechtliche Ungewißheit über das Bestehen eines Zurückbehaltungsrechts zu beseitigen.
B. Das Landesarbeitsgericht geht aufgrund seiner Feststellungen vom Bestehen eines Zurückbehaltungsrechts zugunsten des Klägers bis zur endgültigen Sanierung des Funkhauses der Beklagten aus. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen tragen ein solches Ergebnis jedoch nicht.
I.1. Das Berufungsgericht hat ein Zurückbehaltungsrecht des Klägers aus §§ 273, 618 BGB in Verbindung mit der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) und den Asbestrichtlinien hergeleitet. Die Beklagte habe gegen § 618 BGB verstoßen, da sie vom Kläger eine weitere Tätigkeit in ihrem Funkhaus trotz dessen Asbestbelastung verlangt habe. Die sich aus § 618 BGB ergebenden Pflichten würden durch die Normen des Arbeitschutzrechts, wie der Gefahrstoffverordnung in der Fassung vom 25. September 1991, konkretisiert. Danach gehöre Asbest zu den sogenannten A-1-Stoffen, die bei Menschen durch Einatmen Krebs verursachen könnten. Einen Schwellenwert gebe es dabei nicht. Daraus folge ein Anspruch des Arbeitnehmers, vor einer Gesundheitsgefährdung infolge Asbest geschützt zu werden. Dies sei hier nicht gewährleistet, da ein wirksamer Schutz für den Kläger nicht möglich sei. Seine Befürchtung sei nachvollziehbar, daß er immer wieder und ohne dies zu bemerken, erheblichen Belastungen durch Asbest ausgesetzt werde. Die regelmäßigen Messungen könnten mögliche stoßartige Faserfreisetzungen nicht erfassen. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, im einzelnen darzulegen und zu beweisen, daß ein objektiv konkretisierbares Gesundheitsrisiko für den Kläger nicht gegeben sei. Dieser Nachweis sei der Beklagten bei den von ihr angewandten Überprüfungsmethoden nicht möglich.
2. Das Landesarbeitsgericht hat außer acht gelassen, daß in § 21 Abs. 6 Satz 2 GefStoffV vom 25. September 1991 (GefStoffV a.F.) für den Bereich des Gefahrenstoffrechts ein besonderes Leistungsverweigerungsrecht ausdrücklich normiert ist (vgl. Erman/Hanau, Handkommentar zum BGB, 8. Aufl., § 618 Rz 15; Schick in RGR-Kommentar, 12. Aufl., § 618 Rz 176; jeweils mit weiteren Nachweisen). Dieses Recht ist auch in gleichlautender Formulierung in der Verordnung zur Novellierung der Gefahrstoffverordnung vom 26. Oktober 1993 (BGBl. I S. 1782), in Kraft getreten am 1. November 1993 (Art. 4 Abs. 1, BGBl. I S. 1809), enthalten. § 273 BGB geht darüber nicht hinaus. Zudem regelt die genannte Novelle den gesamten Bereich des Gefahrenstoffrechts neu, insbesondere durch Umsetzung einer großen Anzahl von Richtlinien des Rates der EWG aus der Zeit von 1988 bis 1993 (vgl. die Aufzählung BGBl. I S. 1783). Dieses während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Verordnungsrecht ist als materielles Recht auf den Streitfall anzuwenden (vgl. zur Berücksichtigung von Gesetzesänderungen in der Revisionsinstanz BAGE 7, 197, 206 f. = AP Nr. 2 zu § 7 AltbankenG Berlin, zu 3 der Gründe). Danach gilt folgendes:
3. Nach § 18 GefStoffV n. F. trifft den Arbeitgeber dann, wenn das Auftreten eines oder verschiedener gefährlicher Stoffe in der Luft am Arbeitsplatz nicht sicher auszuschließen ist, eine bestimmte Überwachungspflicht einschließlich der Durchführung von Messungen, wobei bestimmte Verfahren und Maßregeln einzuhalten sind. § 19 GefStoffV n. F. verpflichtet den Arbeitgeber zu bestimmten Schutzmaßnahmen. § 15a Nr. 1, aaO, regelt allgemeine Beschäftigungsverbote und -beschränkungen. Danach dürfen Arbeitnehmer besonders gefährlichen krebserzeugenden Gefahrstoffen, wie Asbest, nicht ausgesetzt sein. § 21 Abs. 6 Satz 2 GefStoffV n. F. gibt dem einzelnen Arbeitnehmer das Recht, die Arbeit zu verweigern, wenn durch die Überschreitung bestimmter Konzentrations- oder Toleranzwerte eine unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit besteht. Von Bedeutung ist hier die Maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK), die von § 3 Abs. 5 GefStoffV n. F. definiert wird als die Konzentration eines Stoffes in der Luft am Arbeitsplatz, bei der im allgemeinen die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht beeinträchtigt wird.
II. Nach § 21 Abs. 6 Satz 2 GefStoffV n. F. hat der Arbeitnehmer das Recht, die Arbeit zu verweigern, wenn durch Überschreitungen der maximalen Arbeitsplatzkonzentration (oder, was hier keine Bedeutung gewinnt, der Technischen Richtkonzentration oder der Biologischen Arbeitsplatztoleranzwerte) eine unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit besteht. Ein Leistungsverweigerungsrecht kann auch dann gegeben sein, wenn der Arbeitgeber vorgeschriebene Messungen unterläßt (§ 21 Abs. 6 Satz 2 GefStoffV n. F. analog: vgl. Erman/Hanau, aao).
1. Die Gefahrstoffverordnung ist auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden. Dem steht nicht entgegen, daß es sich bei der Beklagten um eine Anstalt des öffentlichen Rechts handelt. Der Anwendungsbereich der Verordnung ist nicht auf gewerbliche Unternehmen beschränkt. § 2 Abs. 3 Satz 1 GefStoffV n. F. stellt ausdrücklich klar, daß bestimmte Vorschriften der Verordnung nicht nur für den Umgang mit Gefahrstoffen gelten, sondern auch für Tätigkeiten in deren Gefahrenbereich. Die Bestimmung des § 3 Abs. 4 Satz 1 GefStoffV n. F. erfaßt allgemein “Arbeitgeber” und definiert diesen Begriff dahin, daß Arbeitgeber ist, wer Arbeitnehmer (einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten) beschäftigt. Die Beklagte ist Arbeitgeber in diesem Sinne.
Nach § 15a Nr. 1 GefStoffV n. F. dürfen Arbeitnehmer Asbest als einem besonders gefährlichen krebserzeugenden Gefahrstoff nicht “ausgesetzt” sein. Hierunter fällt nicht nur der Umgang mit Asbest, sondern auch die Tätigkeit in dessen Gefahrenbereich, wie sich aus Wortlaut sowie Sinn und Zweck dieser Bestimmung in Verbindung mit § 2 Abs. 3 Satz 1 GefStoffV n. F. ergibt.
3. Das Leistungsverweigerungsrecht nach § 21 Abs. 6 Satz 2 GefStoffV n. F. setzt voraus, daß die Maximale Arbeitsplatzkonzentration am Arbeitsplatz überschritten wird. Für Asbest sind keine MAK-Werte festgelegt worden (Technische Regeln für Gefahrstoffe, Bekanntmachung des BMA vom 8. November 1990 – IIIb 4 – 35125-5 – BArbBl. 12/1990, S. 35, 43). Das Fehlen einer Schwellendosis folgt daraus, daß sich nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft kein Asbestfaserkonzentrationswert festlegen läßt, dessen Einatmung über eine bestimmte Zeit ohne turmorerzeugende Wirkung bleibt (vgl. auch OVG Hamburg Beschluß vom 21. August 1991 – Bs II 67/91 – NJW 1992, 524, 525). Damit ist bei jeder Asbestfaserkonzentration in der Atemluft von einem Überschreiten der Maximalen Arbeitsplatzkonzentration im Sinne des § 21 Abs. 6 Satz 2 GefStoffV n. F. auszugehen.
III. In dem erneuten Berufungsverfahren muß das Landesarbeitsgericht daher zunächst feststellen, welche Räumlichkeiten der Beklagten der Kläger aufgrund der ihm zugewiesenen Aufgaben zu betreten hat. Weiter ist durch Messungen gemäß § 18 GefStoffV n. F. festzustellen, ob an den Arbeitsplätzen des Klägers das Auftreten von Asbest sicher auszuschließen ist. Falls das Auftreten von Asbest an den Arbeitsplätzen des Klägers nicht sicher auszuschließen ist, ist weiter aufzuklären, ob der Kläger in zumutbarer Weise durch Schutzausrüstung vor gesundheitlichen Gefährdungen bewahrt werden kann.
IV. Ein Leistungsverweigerungsrecht des Klägers kann sich aus § 273 Abs. 1, § 618 Abs. 1 BGB ergeben, wenn die Beklagte die Feuerschutzklappen im Gebäude unter Verstoß gegen öffentlichrechtliche Vorschriften ohne Genehmigung verändert hat. Hierdurch könnte eine Gefahr für Leben und Gesundheit des Klägers im Sinne des § 618 Abs. 1 BGB entstanden sein. Das Landesarbeitsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Auch dies wird nachzuholen sein.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke, Horst Kraft, Heel
Fundstellen
Haufe-Index 856661 |
BAGE, 332 |
BB 1994, 1011 |
BB 1994, 1865 |
NZA 1994, 610 |