Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonderzuwendung bei Krankheitszeiten
Orientierungssatz
Hinweise des Senats: "Die Zahlung von Krankengeldzuschuß fällt unter die "Bezüge" im Sinne von § 47 Abs 3 des Bundesmanteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt und führt daher nicht zu einer Kürzung der Zuwendung".
Normenkette
BGB § 611
Verfahrensgang
LAG München (Entscheidung vom 08.05.1990; Aktenzeichen 2 Sa 934/89) |
ArbG München (Entscheidung vom 14.06.1989; Aktenzeichen 4 Ca 12722/88) |
Tatbestand
Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Zahlung eines Zuwendungsanteils für das Jahr 1986.
Die Klägerin ist bei dem Beklagten seit dem 1. Juni 1980 als Altenpflegehelferin im Alten- und Pflegeheim J in F beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundesmanteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt (BMT-AW II) Anwendung. Im Jahr 1988 bezog die Klägerin ein Gehalt von 2.685,-- DM brutto monatlich bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden.
Die Klägerin war im Jahr 1986 ab 5. Juni nach einem Arbeitsunfall arbeitsunfähig erkrankt. Bis einschließlich zum 16. Juli 1986 zahlte der Beklagte das Gehalt weiter. Anschließend erhielt die Klägerin bis einschließlich 8. Dezember 1986 einen kalendertäglichen Krankengeldzuschuß gemäß § 31 Abs. 2 BMT-AW II von 9,72 DM.
Gemäß § 46 BMT-AW II zahlte der Beklagte an die Klägerin eine anteilige Zuwendung in Höhe von 1.458,62 DM brutto; dabei legte er bei der Berechnung die Monate Januar bis Juli 1986 zugrunde und kürzte die volle Zuwendung um 5/12 mit der Begründung, die Klägerin habe ab 17. Juli 1986 keine "Bezüge" im Sinne der tariflichen Vorschriften, sondern lediglich Krankengeldzuschußleistungen erhalten. Die volle Zuwendung hätte 2.500,44 DM brutto betragen.
Mit Schreiben vom 15. Dezember 1986 machte die Klägerin einen Betrag von 10/12 des vollen Zuwendungsbetrages geltend. Der Beklagte lehnte mit Schreiben vom 22. Dezember 1986 eine weitere Zahlung unter Hinweis auf § 47 Abs. 3 BMT-AW II ab.
Die maßgeblichen Tarifvorschriften lauten auszugsweise wie folgt:
"§ 46 Zuwendung
(1) Der Arbeitnehmer erhält in jedem Kalenderjahr
eine Zuwendung, wenn er
1. am 1. Dezember im Arbeitsverhältnis steht
und nicht für den gesamten Monat Dezember
ohne Lohnfortzahlung zur Ausübung einer
entgeltlichen Beschäftigung oder Erwerbs-
tätigkeit beurlaubt ist; und
2. seit dem 1. Oktober ununterbrochen als An-
gestellter, Arbeiter, Auszubildender,
Praktikant im Dienst der Arbeiterwohlfahrt
gestanden hat
oder
im laufenden Kalenderjahr insgesamt sechs
Monate bei der Arbeiterwohlfahrt im Ar-
beitsverhältnis gestanden hat oder steht;
und
3. nicht in der Zeit bis einschließlich
31. März des folgenden Kalenderjahres aus
seinem Verschulden oder auf eigenen Wunsch
ausscheidet.
(2) Der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis
spätestens mit Ablauf des 30. November wegen
Erreichens der Altersgrenze (§ 39 Abs. 4)
oder infolge Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit
(§ 39 Abs. 3) oder wegen Bezugs des vorgezo-
genen Altersruhegeldes (§ 25 Abs. 3 AVG bzw.
§ 1248 Abs. 3 RVO) endet, erhält eine Zuwen-
dung, wenn er mindestens vom Beginn des Ka-
lenderjahres an ununterbrochen als Angestell-
ter, Arbeiter, Auszubildender, Praktikant im
Dienst der Arbeiterwohlfahrt gestanden hat.
Absatz 1 gilt nicht.
(3) ...
(4) Hat der Arbeitnehmer in den Fällen des Ab-
satzes 1 Nr. 3 die Zuwendung erhalten, so hat
er sie in voller Höhe zurückzuzahlen, wenn
nicht eine der Voraussetzungen des Absatzes 3
vorliegt.
Protokollnotizen zu § 46:
1. ...
2. ...
3. ...
4. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Zuwen-
dung erfüllt auch der Arbeitnehmer, der die
Zuwendung nur deshalb nicht erhalten würde,
weil sein Arbeitsverhältnis wegen Einberufung
zum Grundwehrdienst oder zu einer Wehrübung
oder zum zivilen Ersatzdienst nach den Ge-
setzen der Bundesrepublik Deutschland ruht
oder geruht hat.
§ 47 Höhe der Zuwendung
(1) Die Höhe der Zuwendung wird in einem Zusatz-
tarifvertrag geregelt.
(2)...
(3) Hat der Arbeitnehmer nicht während des gesam-
ten Kalenderjahres Bezüge von der Arbeiter-
wohlfahrt aus einem der in § 46 genannten
Rechtsverhältnisse oder während eines dieser
Rechtsverhältnisse Mutterschaftsgeld nach
§ 13 Mutterschutzgesetz erhalten, vermindert
sich die Zuwendung um ein Zwölftel für jeden
Monat, für den der Arbeitnehmer weder Bezüge
(Vergütung, Lohn, Krankenbezüge, Urlaubsbe-
züge etc.) aus einem der in § 46 genannten
Rechtsverhältnisse zur Arbeiterwohlfahrt noch
während eines dieser Rechtsverhältnisse Mut-
terschaftsgeld nach § 13 Mutterschutzgesetz
erhalten hat. Die Verminderung unterbleibt
für die Kalendermonate, für die der Arbeit-
nehmer wegen der Ableistung von Grundwehr-
dienst, einer Wehrübung oder des zivilen Er-
satzdienstes nach den Gesetzen der Bundesre-
publik Deutschland von der Arbeiterwohlfahrt
keine Bezüge erhalten hat, wenn er vor dem
1. Dezember entlassen worden ist und nach der
Entlassung unverzüglich die Arbeit wieder
aufgenommen hat.
...
(7) Die Zuwendung soll spätestens zwischen dem
15. November und 15. Dezember gezahlt werden.
(8)...
§ 54 Ausschlußfrist
(1) Ansprüche aus diesem Tarifvertrag müssen in-
nerhalb einer Ausschlußfrist von 6 Monaten
nach Fälligkeit geltend gemacht werden.
(2) Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ...
§ 31 Krankenbezüge und Krankengeldzuschuß
(1) Dem Arbeitnehmer werden im Falle einer durch
Krankheit oder Unfall verursachten Arbeitsun-
fähigkeit oder während eines von einem Träger
der Sozialversicherung oder von der Versor-
gungsbehörde verordneten Kur- oder Heilver-
fahrens Krankenbezüge in Höhe der Vergütung
bis zum Ende der 6. Woche gezahlt.
(2) Nach einer Beschäftigungszeit von mehr als
3 Jahren wird bei Arbeitsunfähigkeit ab der
7. Woche bis einschließlich der 13. Woche,
bei einer Beschäftigungszeit von mehr als
5 Jahren ab der 7. Woche bis einschließlich
der 18. Woche und bei einer Beschäftigungs-
zeit von mehr als 10 Jahren ab der 7. Woche
bis einschließlich der 26. Woche ein Zuschuß
zu den Barleistungen der gesetzlichen Kran-
kenversicherung bis zur Höhe der Nettover-
gütung gezahlt.
...
§ 37 Urlaubsvergütung
(1) Als Urlaubsvergütung erhält der Arbeitnehmer
a) die Vergütung nach § 23 bzw. den Lohn nach
§ 28,
b) Zulagen, die in Monatsbeträgen festgelegt
sind (z.B. Zulagen gemäß Tarifvertrag über
die Gewährung von Zulagen, Gefahrenzulagen
gemäß § 30, Zulagen gemäß Protokollnotiz
Nr. 21 oder 46 sowie andere Zulagen, die
als fester Bestandteil der monatlichen
Bruttovergütung gezahlt werden), und Über-
stundenpauschalvergütungen,
c) für jeden Urlaubstag eine Zulage (Auf-
schlag) gemäß Absatz 2.
(2) ..."
Mit ihrer am 24. November 1988 bei Gericht eingereichten Klage begehrt die Klägerin die Zahlung eines weiteren Zuwendungsanteils von 3/12 aus 2.500,44 DM in Höhe von 625,11 DM.
Sie hat die Auffassung vertreten, bei der Berechnung der Zuwendung sei auch die Zeit, in der sie den Krankengeldzuschuß erhalten habe, zu berücksichtigen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin
625,11 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Netto-
betrag seit 1. Januar 1987 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Zuwendung sei entsprechend zu kürzen, weil die Klägerin ab dem 17. Juni 1986 keine Bezüge im Sinne des § 47 Abs. 3 BMT-AW II erhalten habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die im Urteil des Arbeitsgerichts zugelassene Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der im Urteil des Landesarbeitsgerichts zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet, denn das Landesarbeitsgericht hat zu Recht entschieden, daß der Beklagte an die Klägerin einen Betrag von 625,11 DM brutto als weiteren Zuwendungsanteil zahlen muß.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Klage sei begründet, weil der Krankengeldzuschuß unter die Bezüge im Sinne des § 47 Abs. 3 BMT-AW II falle und damit die Zuwendung nicht zu kürzen sei. § 47 Abs. 3 BMT-AW II erläutere den Begriff der Bezüge durch einen Klammerzusatz, der zwar lediglich Krankenbezüge, nicht aber den Krankengeldzuschuß ausdrücklich erwähne. Die erläuternde Aufzählung sei jedoch - wie die Anfügung von "etc." verdeutliche - nicht abschließend. Die Auslegung des BMT-AW II ergebe, daß der Krankengeldzuschuß von den Bezügen in § 47 Abs. 3 BMT-AW II erfaßt werde. Der BMT-AW II sei erkennbar an die Tarifregelungen für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes angelehnt. Der MTB II verstehe aber unter "Krankenbezügen" sowohl "Krankenlohn" wie "Krankengeldzuschuß". Auch der Zuwendungstarifvertrag bewirke für den Fall der Gewährung von Krankengeldzuschuß keine Minderung der Höhe der Zuwendung. Im Sprachgebrauch werde unter "Bezügen" die Gesamtheit dessen verstanden, was aufgrund des Dienstverhältnisses "bezogen" wird. Es unterliege auch keinem vernünftigen Zweifel, daß der aufgrund des BMT-AW II gezahlte Zuschuß Entgeltcharakter trage. Die Erläuterung im Klammerzusatz in § 47 Abs. 3 BMT-AW II weise auch Entgeltbestandteile auf, die keine unmittelbare Gegenleistung für eine tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung darstellten; § 47 Abs. 3 BMT-AW II erfasse selbst gewisse Zeiten des ruhenden Arbeitsverhältnisses. Der Tarifvertrag knüpfe an den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses an, so daß der Anspruch unabhängig von der Arbeitsleistung bestehe; die Einschränkung sei nur erfolgt, um für Zeiten, in denen die Hauptpflichten ruhten, eine Kürzung vornehmen zu können.
II. Die Angriffe der Revision gegen diese Urteilsbegründung vermögen am Ergebnis der Entscheidung nichts zu ändern.
1. Die Klägerin hat nach § 46 Abs. 1 BMT-AW II Anspruch auf eine Zuwendung für das Jahr 1986, da sie die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt.
2. Eine Kürzung dieser Zuwendung wegen des Zeitraums 17. Juli bis Dezember 1986, in dem die Klägerin vom Beklagten einen Krankengeldzuschuß in Höhe von kalendertäglich 9,72 DM erhalten hat, kommt nicht in Betracht. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Krankengeldzuschuß unter die "Bezüge" in § 47 Abs. 3 BMT-AW II fällt und damit die Voraussetzungen für eine Kürzung nicht gegeben sind.
Nach § 47 Abs. 3 BMT-AW II vermindert sich die Zuwendung um 1/12 für jeden Monat, für den der Arbeitnehmer weder Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis (Vergütung, Lohn, Krankenbezüge, Urlaubsbezüge etc.) noch Mutterschaftsgeld erhalten hat.
Was die Tarifvertragsparteien in dieser Bestimmung unter "Bezügen" verstanden haben, ist durch Auslegung zu ermitteln. Bei der Tarifauslegung ist - entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung - zunächst von dem Tarifwortlaut auszugehen. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Dabei ist jedoch über den reinen Tarifwortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen mitberücksichtigt werden muß, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und so nur bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann. Verbleiben bei entsprechender Auswertung des Tarifwortlautes und des tariflichen Gesamtzusammenhanges als den stets und in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien im Einzelfall noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auch auf weitere Kriterien wie die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags zurückgegriffen werden, wobei es für die Gerichte eine Bindung an eine bestimmte Reihenfolge bei der Heranziehung dieser weiteren Auslegungsmittel nicht gibt (BAGE 46, 308, 313 ff. = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; dabei gebührt im Zweifel derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAGE 60, 219, 224 = AP Nr. 127 zu § 611 BGB Gratifikation, zu II 1 a der Gründe, m.w.N.).
Hiernach ergibt sich, daß der Krankengeldzuschuß vom Merkmal der "Bezüge" erfaßt wird, obwohl er in dem Klammerzusatz in § 47 Abs. 3 BMT-AW II nicht aufgeführt ist. Zu diesem Ergebnis führt die Auslegung des BMT-AW II insbesondere unter Berücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhanges. Dabei ist zunächst davon auszugehen, daß die Aufzählung im Klammerzusatz in § 47 Abs. 3 BMT-AW II nicht abschließend ist, wie die Anfügung "etc." zeigt, sondern die Möglichkeit der Einbeziehung anderer vergleichbarer Leistungen läßt. Eine derartige Leistung ist der Krankengeldzuschuß. Dieser wird an den Arbeitnehmer zur Sicherung seines Lebensstandards bei längerandauernder Arbeitsunfähigkeit bezahlt und ist daher den "Bezügen" in § 47 Abs. 3 BMT-AW II vergleichbar.
Dabei ist es nicht von ausschlaggebender Bedeutung, daß der Krankengeldzuschuß für Zeiten ohne Arbeitsleistung bezahlt wird, da im Klammerzusatz des § 47 Abs. 3 BMT-AW II mit Krankenbezügen und Urlaubsbezügen auch andere Leistungen des Arbeitgebers aufgeführt sind, die ohne Arbeitsleistung gezahlt werden.
Auch der Umstand, daß in § 31 des BMT-AW II "Krankenbezüge" und "Krankengeldzuschuß" unterschieden werden und im Klammerzusatz des § 47 Abs. 3 BMT-AW II lediglich die Krankenbezüge erwähnt sind, führt zu keinem anderen Ergebnis. Bei der Tarifauslegung ist zwar zunächst vom Wortlaut auszugehen. Vorliegend ist aber festzustellen, daß die Tarifvertragsparteien des BMT-AW II eine einheitliche Wortwahl nicht eingehalten haben. So erwähnt der Klammerzusatz in § 47 Abs. 3 BMT-AW II u.a. "Urlaubsbezüge", während § 37 BMT-AW II die "Urlaubsvergütung" regelt und an keiner anderen Stelle des Tarifvertrags der Begriff "Urlaubsbezüge" verwendet wird. Der Klammerzusatz in § 47 Abs. 3 BMT-AW II zählt u.a. auch "Vergütung" und "Lohn" auf, während in § 31 Abs. 1 BMT-AW II nur die "Vergütung" angesprochen, damit offensichtlich aber auch der "Lohn" gemeint ist. Daraus folgt, daß der Wortwahl im BMT-AW II keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen kann und daher aus der unterschiedlichen Erwähnung von "Krankenbezügen" im Klammerzusatz des § 47 Abs. 3 BMT-AW II und der Bezeichnung "Krankenbezüge und Krankengeldzuschuß" in der Überschrift des § 31 BMT-AW II nicht der Schluß gezogen werden kann, die Tarifvertragsparteien hätten in § 47 Abs. 3 BMT-AW II den Krankengeldzuschuß ausnehmen wollen.
Der Klammerzusatz in § 47 Abs. 3 BMT-AW II kann vielmehr nur so verstanden werden, daß die Tarifvertragsparteien als Bezüge Leistungen des Arbeitgebers für erbrachte Arbeit (Vergütung, Lohn), bei Krankheit (Krankenbezüge) und bei Urlaub (Urlaubsbezüge) erfassen wollten.
Auch vom allgemeinen Sprachgebrauch her ist es gerechtfertigt, unter "Krankenbezüge" die Fortzahlung der Vergütung (Lohn, Gehalt) und die Zahlung des Krankengeldzuschusses zu verstehen. Unter "Bezüge" wird danach regelmäßig die Gesamtheit dessen verstanden, was aufgrund des Dienstverhältnisses "bezogen" wird (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 2. Aufl., Stichwort: Bezüge - Gehalt, Einkommen; Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Stichwort: Bezüge - Einnahmen, Gehalt). Der Krankengeldzuschuß nach § 31 BMT-AW II stellt nach diesem Sprachgebrauch einen "Bezug" aus dem Arbeitsverhältnis dar.
Für die Einbeziehung des Krankengeldzuschusses in die "Bezüge" nach § 47 Abs. 3 BMT-AW II spricht auch die Anlehnung der Tarifvertragsparteien des BMT-AW II an die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes. So werden im MTB II (§ 42) und im BMT-G II (§ 34) unter "Krankenbezügen" Krankenlohn und Krankengeldzuschuß verstanden.
Ergibt die Auslegung des BMT-AW II damit, daß die Zahlung des Krankengeldzuschusses unter das Tarifmerkmal "Bezüge" in § 47 Abs. 3 BMT-AW II fällt, weil damit umfassend die Leistungen des Arbeitgebers aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit erfaßt sein sollen, so hat der Beklagte die Zuwendung der Klägerin für das Jahr 1986 zu Unrecht gekürzt. Der Klägerin steht der in der Klage geltend gemachte weitere Teil der Zuwendung 1986 zu.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Anspruch der Klägerin - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - nicht verwirkt. Die Klägerin hat zwar den Anspruch mit Schreiben vom 15. Dezember 1986 bereits schriftlich geltend gemacht, die Klage jedoch erst am 24. November 1988 eingereicht. Dies allein begründet aber eine Verwirkung nicht. Verwirkung tritt dann ein, wenn dem Schuldner die Leistung nach Treu und Glauben nicht mehr zumutbar ist. Der Schuldner muß sich darauf eingestellt haben, daß er nicht mehr in Anspruch genommen wird. Diese Einstellung darf nicht nur eine innere geblieben, sondern muß auch äußerlich in Erscheinung getreten sein (BAG Urteil vom 1. August 1958 - 1 AZR 475/55 - AP Nr. 10 zu § 242 BGB Verwirkung). Ursächlich dafür, daß der Schuldner annehmen durfte, er werde nicht mehr leisten müssen, muß ein früheres Verhalten des Gläubigers sein, das ein Vertrauen des Schuldners hervorgerufen hat, der Gläubiger werde sich auch in Zukunft so verhalten (BAG Urteil vom 10. Januar 1956 - 3 AZR 245/54 - AP Nr. 3 zu § 242 BGB Verwirkung; Urteil vom 23. Dezember 1957 - 1 AZR 565/56 - AP Nr. 4 zu § 242 BGB Verwirkung). Über den bloßen Zeitablauf hinaus, der für den Eintritt der Verjährung ausreicht (Zeitmoment), müssen noch besondere Umstände im Verhalten des Gläubigers vorliegen (Umstandsmoment), die einen Vertrauensschutz des Schuldners begründen, der gegenüber den Interessen des Gläubigers an der Durchsetzung der Forderung mit der Folge überwiegt, daß das Interesse des Gläubigers zurücktreten muß (BAGE 11, 353 = AP Nr. 1 zu § 242 BGB Prozeßverwirkung; BAGE 6, 165 = AP Nr. 9 zu § 242 BGB Verwirkung). Umstände, die über den reinen Zeitablauf hinaus die gerichtliche Geltendmachung nach knapp zwei Jahren als rechtsmißbräuchlich erscheinen lassen, sind nicht vorgetragen.
Die tarifvertragliche Ausschlußfrist ist eingehalten. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 284 Abs. 2, § 288 Abs. 1 BGB. Zinsen können - wie die Klägerin zuletzt beantragt hat - nur vom Nettobetrag und nicht vom Bruttobetrag verlangt werden (BAG Urteil vom 13. Februar 1985 - 4 AZR 295/83 - AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Presse).
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Matthes Dr. Freitag Hauck
Dr. Hromadka H. Grimm
Fundstellen