Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrtkosten im Baugewerbe
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge Bau; BRTV-Bau i.d.F. v. 29. April 1988 § 7
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Urteil vom 07.02.1990; Aktenzeichen 5 Sa 74/89) |
ArbG Hamburg (Urteil vom 26.07.1989; Aktenzeichen 24 Ca 381/88) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 7. Februar 1990 – 5 Sa 74/89 – in der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als es der Klage stattgegeben hat.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 26. Juli 1989 – 24 Ca 381/88 – wird in vollem Umfange zurückgewiesen.
Der Kläger hat auch die Kosten der Rechtsmittelinstanzen zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten nur noch darüber, ob dem Kläger tarifliche Ansprüche auf Fahrtkostenabgeltung und Verpflegungszuschuß zustehen.
Die Beklagte betreibt ein Bauunternehmen. Ihre Hauptverwaltung hat ihren Sitz in F.. In H. hat die Beklagte eine Hauptniederlassung, deren Leitung und Verwaltung von einem Bürogebäude, das sich am M. weg befindet, wahrgenommen wird. In H. B., ca. 11 km vom M. weg entfernt, unterhält die Beklagte einen Lagerplatz, auf dem Baumaschinen gewartet und repariert werden. Auf dem Grundstück befinden sich u.a. ein Verwaltungsgebäude mit Büro-, Sozial- und Unterrichtsräumen, eine Werkstatt und Lagerhallen. Betriebsleiter des Lagerplatzes ist ein Maschineningenieur, der seinen Arbeitsplatz im Verwaltungsgebäude des Lagerplatzes hat und der dem Leiter der maschinentechnischen Abteilung der Hauptniederlassung unterstellt ist.
Der Kläger wurde im Jahre 1966 in der Hauptniederlassung H. als Bauhandwerker eingestellt und wird auf ständig wechselnden Baustellen eingesetzt. Gelegentlich wurde er auch auf dem Lagerplatz in H. B. beschäftigt. In den Monaten Juni und Juli 1988 arbeitete er an elf Tagen auf dem Lagerplatz. An diesen Tagen war er mehr als zehn Stunden aus beruflichen Gründen von seiner Wohnung abwesend, die 6 km vom Lagerplatz entfernt liegt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß ihm für die Tage, an denen er auf dem Lagerplatz eingesetzt wurde, tarifliche Ansprüche auf Fahrtkostenabgeltung und Verpflegungszuschuß zustehen. Bei dem Lagerplatz in H. B. handele es sich um eine Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes. Da die tariflichen Voraussetzungen im übrigen unstreitig erfüllt seien, stehe ihm deshalb an den Tagen seines Einsatzes in H. B. Fahrtkostenabgeltung nach § 7 Nr. 3.1 BRTV-Bau und Verpflegungszuschuß nach § 7 Nr. 3.2 BRTV-Bau zu.
Der Kläger hat insoweit beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 78,76 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 27. September 1988 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, daß die tariflichen Voraussetzungen für die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche nicht vorliegen. Der Lagerplatz in H. B. sei keine Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes im Sinne der tariflichen Bestimmungen. Betrieb im Sinne von § 7 Nr. 2.2 BRTV-Bau sei die Hauptniederlassung H.. Der Lagerplatz sei ein Betriebsteil der Hauptniederlassung. An den Tagen, an denen der Kläger dort eingesetzt worden sei, habe er deshalb nicht „außerhalb des Betriebes” im Sinne von § 7 Nr. 3.1 und Nr. 3.2 BRTV-Bau gearbeitet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr in bezug auf die allein noch in der Revisionsinstanz streitigen Ansprüche stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des berufungsgerichtlichen Urteils, soweit es der Klage stattgegeben hat, und zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen klageabweisenden Urteils. Dem Kläger stehen tarifliche Ansprüche auf Fahrtkostenabgeltung und Verpflegungszuschuß für die Tage, an denen er auf dem Lagerplatz in H. B. beschäftigt wurde, nicht zu. Bei dem Lagerplatz handelt es sich nicht um eine Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes im Sinne der tariflichen Bestimmungen.
Auf das Arbeitsverhältnis findet der allgemeinverbindliche Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau) unmittelbar und zwingend Anwendung (§ 5 Abs. 4, § 4 Abs. 1 TVG). Für die Beurteilung der vom Kläger geltend gemachten Ansprüche sind folgende tariflichen Bestimmungen des BRTV-Bau in der Fassung vom 29. April 1988 heranzuziehen:
„§ 7
Fahrtkostenabgeltung, Verpflegungszuschuß und Auslösung
1. Allgemeines
Der Arbeitnehmer kann auf allen Bau- oder sonstigen Arbeitsstellen des Betriebes eingesetzt werden, auch auf solchen, die er von seiner Wohnung aus nicht an jedem Arbeitstag erreichen kann.
2. Begriffsbestimmungen
…
2.2 Betrieb
Als Betrieb gilt die Hauptverwaltung, die Niederlassung, die Filiale, die Zweigstelle oder die sonstige ständige Vertretung des Arbeitgebers, in der der Arbeitnehmer eingestellt wird. Wird der Arbeitnehmer auf einer Bau- oder Arbeitsstelle eingestellt, so gilt die nächstgelegene Vertretung des Arbeitgebers als Betrieb.
3. Bau- oder Arbeitsstellen mit täglicher Heimfahrt
3.1 Fahrtkostenabgeltung
Der Arbeitnehmer, der auf einer mindestens 6 km von seiner Wohnung entfernten Bau- oder Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes arbeitet und dem kein Auslösungsanspruch gemäß Nr. 4.1 zusteht, hat Anspruch auf Fahrtkostenabgeltung.
3.2 Verpflegungszuschuß
Der Arbeitnehmer, der auf einer Bau- oder Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes arbeitet und dem kein Auslösungsanspruch gemäß Nr. 4.1 zusteht, hat Anspruch auf einen Verpflegungszuschuß in Höhe von 5,00 DM je Arbeitstag, wenn er dem Arbeitgeber schriftlich bestätigt, daß er ausschließlich aus beruflichen Gründen mehr als zehn Stunden von seiner Wohnung abwesend war.”
Das Landesarbeitsgericht nimmt an, der Lagerplatz in H. B. sei als Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes im Sinne des § 7 Nr. 2.2 des BRTV-Bau und nicht als Teil der Hauptniederlassung H. anzusehen. Dies ergebe sich daraus, daß der Lagerplatz vom Betrieb der Hauptniederlassung räumlich, organisatorisch und vom arbeitstechnischen Zweck her abgrenzbar sei. Infolgedessen habe der Kläger für Zeiten des Einsatzes in H. B. tarifliche Ansprüche auf Fahrtkostenabgeltung und Verpflegungszuschuß.
Diesen Ausführungen vermag der Senat nicht zu folgen. Die Tarifvertragsparteien haben für den Geltungsbereich des BRTV-Bau den Begriff des Betriebes in § 7 Nr. 2.2 BRTV eigenständig erläutert. Danach gilt als Betrieb die Hauptverwaltung, die Niederlassung, die Filiale, die Zweigstelle oder die sonstige ständige Vertretung des Arbeitgebers, in der der Arbeitnehmer eingestellt wird. Demgegenüber ergeben sich aus dem Wortlaut der tariflichen Bestimmungen, anders als in der bis zum 30. Juni 1978 geltenden Fassung des BRTV-Bau, keine Anforderungen, die an eine Bau- oder Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes zu stellen sind. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang, der neben dem Tarifwortlaut bei der Tarifauslegung maßgebend zu berücksichtigen ist (vgl. BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung), ergibt sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht, daß der Betriebsbegriff in § 7 Nr. 2.2 BRTV-Bau dahingehend einschränkend auszulegen ist, daß betriebliche Einrichtungen außerhalb der Verwaltung des Betriebes, die räumlich von dieser entfernt sind, eine gewisse organisatorische Selbständigkeit haben und einem speziellen arbeitstechnischen Zweck dienen, nicht als Betriebsteil, sondern als Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes im Sinne von § 7 Nr. 3.1 und 3.2 BRTV-Bau anzusehen sind.
Durch die tariflichen Bestimmungen über die Fahrtkostenabgeltung und den Verpflegungszuschuß wird den Besonderheiten des Baugewerbes Rechnung getragen, die einen Einsatz des Arbeitnehmers auf wechselnden Bau- und sonstigen Arbeitsstellen bedingen, wie er durch § 7 Nr. 1 BRTV-Bau dem Arbeitgeber ausdrücklich eingeräumt wird. Zum Ausgleich der dadurch dem Arbeitnehmer entstehenden erhöhten Fahrtkosten und der erhöhten Aufwendungen für Verpflegung wird deshalb nach Maßgabe der tariflichen Bestimmungen des § 7 Nr. 3.1 und Nr. 3.2 BRTV-Bau Fahrtkostenabgeltung und Verpflegungszuschuß gewährt. Dies gilt aber nur dann, wenn der Arbeitnehmer auf einer Bau- oder Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes im Sinne von § 7 Nr. 2.2 BRTV-Bau eingesetzt wird. Nur in diesem Falle soll der Arbeitnehmer hinsichtlich erhöhter Fahrtkosten und erhöhter Aufwendungen für Verpflegung entlastet werden. Wird er hingegen im Betrieb beschäftigt, muß er die Fahrtkosten und Aufwendungen für die Verpflegung, wie grundsätzlich jeder Arbeitnehmer, selbst tragen. Diese Abgrenzung treffen die Tarifvertragsparteien nicht nach dem überwiegenden Einsatz des Arbeitnehmers, sondern bezogen auf jeden einzelnen Arbeitstag (vgl. BAG Urteil vom 28. April 1982 – 4 AZR 642/79 – AP Nr. 39 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).
Aus dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung über Fahrtkostenabgeltung und Verpflegungszuschuß läßt sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts eine einschränkende Auslegung des Betriebsbegriffes im Sinne von § 7 Nr. 2.2 BRTV-Bau nicht entnehmen. Auch Arbeitsstellen, die räumlich von der Verwaltung des Betriebes entfernt sind, eine gewisse organisatorische Selbständigkeit haben und einen speziellen von der eigentlichen Leitungs- und Verwaltungstätigkeit trennbaren arbeitstechnischen Zweck verfolgen, können zum Betrieb im Sinne von § 7 Nr. 2.2 BRTV-Bau gehören. In diesem Falle werden durch einen Einsatz auf einer solchen Arbeitsstelle die tariflichen Voraussetzungen für Fahrtkostenabgeltung und Verpflegungszuschuß nicht erfüllt. Ob eine Arbeitsstelle zum Betrieb im Sinne von § 7 Nr. 2.2 BRTV-Bau gehört oder es sich um eine Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes handelt, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalles. Dabei sind die räumliche Entfernung zum Sitz der Leitung und Verwaltung des Betriebes, die organisatorische Selbständigkeit und die arbeitstechnische Zielsetzung zu berücksichtigen. Außerdem ist im Hinblick auf den Sinn und Zweck der tariflichen Bestimmung über die Fahrtkostenabgeltung und den Verpflegungszuschuß von Bedeutung, ob es sich bei der Arbeitsstelle um eine ständige betriebliche Einrichtung handelt oder um eine solche, auf der wegen der Besonderheiten des Baugewerbes nur ein vorübergehender Einsatz in Betracht kommt (vgl. Brocksiepe/Sperner, BRTV-Bau, 5. Aufl., Anm. e zu § 7 Nr. 2.2, Anm. c zu § 7 Nr. 3.1; Karthaus/Müller, BRTV-Bau, 2. Aufl., S. 133).
Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lassen eine abschließende Beurteilung durch den Senat zu (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Danach ist der Lagerplatz H. B. ein Teil der Hauptniederlassung der Beklagten in H. und keine Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes im Sinne von § 7 Nr. 3.1 und Nr. 3.2 BRTV-Bau. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß der Kläger in der Hauptniederlassung der Beklagten in H. und nicht nur für eine Tätigkeit auf dem Lagerplatz in H. B. – eingestellt wurde. Die Hauptniederlassung H. gilt nach § 7 Nr. 2.2 BRTV-Bau als Betrieb im tariflichen Sinne. Der Lagerplatz H. B. ist ein dem Betrieb der Hauptniederlassung zuzurechnender Betriebsteil. Es handelt sich um eine ständige betriebliche Einrichtung. Diese befindet sich zwar auf einem Grundstück, das räumlich von dem Grundstück am M. weg entfernt ist, auf dem sich das Bürogebäude befindet, von dem aus die Beklagte ihren Betrieb leitet und verwaltet. Die Entfernung von 11 km innerhalb einer Großstadt ist aber nicht derart groß, daß sie die Zurechnung des Lagerplatzes zum Betrieb der Hauptniederlassung ausschließen könnte. Vielmehr ist für das Baugewerbe typisch, daß betriebliche Einrichtungen, die, wie ein Lagerplatz, einen großen Raumbedarf haben, in Stadtrand lagen untergebracht werden, während sich Verwaltungsgebäude wegen der notwendigen Kommunikation mit Behörden, Banken und anderen Geschäftspartnern im Innenstadtbereich befinden. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der Betriebsleiter des Lagerplatzes organisatorisch dem technischen Leiter der Maschinenbauabteilung, der seinen Arbeitsplatz im Verwaltungsgebäude der Hauptniederlassung hat, unterstellt. Im Hinblick auf die räumliche Entfernung von 11 km kann davon ausgegangen werden, daß dieser seine Aufsichts- und Weisungsbefugnisse jederzeit auch tatsächlich wahrnehmen kann. Der Lagerplatz ist ferner nach seinem arbeitstechnischen Zweck dem Betrieb der Hauptniederlassung zuzurechnen. Das Landesarbeitsgericht stellt dazu fest, daß der Betrieb der Beklagten den arbeitstechnischen Zweck verfolgt, Bauwerke zu erstellen und sonstige bauliche Leistungen zu erbringen. Diesem arbeitstechnischen Zweck dienen auch die auf dem Lagerplatz wahrgenommenen Aufgaben. Auf dem Lagerplatz werden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts Baugeräte zwischen den Einsätzen auf verschiedenen Baustellen gelagert, gewartet und repariert. Diese Tätigkeit ist nach der betrieblichen Organisation der Beklagten Voraussetzung für die Erstellung von Bauwerken und die Erbringung sonstiger baulicher Leistungen. Setzt ein Baubetrieb dazu eigenes Gerät ein, so ist dessen Lagerung, Wartung und Instandsetzung unmittelbarer Bestandteil der arbeitstechnischen Zielsetzung. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist diese nicht nach den Aufgaben einzelner Abteilungen eines Betriebes zu beurteilen. Maßgebend ist vielmehr, welchen arbeitstechnischen Zweck der Betrieb insgesamt verfolgt.
Damit führt die Gesamtheit der zu berücksichtigenden Umstände zu dem Ergebnis, daß der Lagerplatz H. B. ein Teil des Betriebes der Hauptniederlassung der Beklagten in H. ist. Daraus folgt, daß der Kläger an den Tagen, an denen er in den Monaten Juni 1988 und Juli 1988 auf dem Lagerplatz eingesetzt wurde, nicht außerhalb des Betriebes gearbeitet hat und deshalb die tariflichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Fahrtkostenabgeltung und Verpflegungszuschuß nach § 7 Nr. 3.1 und Nr. 3.2 BRTV-Bau nicht erfüllte.
Der Kläger hat die Kosten der Rechtsmittelinstanzen nach §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Schaub, Dr. Etzel, Dr. Freitag, Peter Jansen, Dr. Konow
Fundstellen