Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristeter Arbeitsvertrag bei Betriebsübergang
Normenkette
BGB §§ 613a, 620
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 31. Juli 1997 – 7 Sa 338/97 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristungsvereinbarung ihres Arbeitsvertrags.
Der Kläger war Soldat bei den französischen Streitkräften und wurde von diesen anschließend seit 1980 in der H…-Kaserne in K… als Hausmeister und Kesselwärter beschäftigt. Nach Räumung durch die französischen Streitkräfte im November 1992 fiel die Kaserne unter die Verwaltung des Bundesvermögensamtes. Der Kläger wurde von der Beklagten in seiner bisherigen Funktion übernommen und weiterbeschäftigt. Der Arbeitsvertrag vom 16. Dezember 1992 war bis zum 15. November 1995 befristet. Die Beklagte beabsichtigte schon damals, das gesamte Kasernengelände, das etwa 68 Hektar Fläche umfaßt und mit einer Vielzahl von Gebäuden bebaut ist, an einen Investor zu verkaufen. Da sich jedoch die Verwertung der Liegenschaft hinzog, schlössen die Parteien am 27. November 1995 einen weiteren befristeten Arbeitsvertrag, in dem es heißt, der Kläger werde vorübergehend für den zeitlich begrenzten Zweck als Hausmeister und Kesselwärter bis zur Verwertung der Konversionsliegenschaft H…-Kaserne, längstens bis zum 31. Dezember 1996, weiterbeschäftigt.
Der Kläger hat die Befristung seines Arbeitsverhältnisses wegen Fehlens eines sachlichen Grunds und wegen Umgehung des § 613a BGB für unwirksam gehalten und mit seiner am 19. Juli 1996 eingereichten Klage beantragt
festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis des Klägers nicht durch Fristablauf am 31. Dezember 1996 beendet worden ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Befristung des Arbeitsvertrages zum 31. Dezember 1996 sei rechtswirksam. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sei davon auszugehen gewesen, daß sich der Kasernenkomplex nach dem 31. Dezember 1996 mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr im Eigentum der Beklagten befinden werde und damit ihrer Verwaltung entzogen sein würde, so daß auch eine Beschäftigung des Klägers als Hausmeister und Kesselwärter nicht mehr in Betracht komme. Bei der Veräußerung des Kasernengeländes handele es sich auch nicht um einen Betriebsübergang. Zwar seien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses einige Gebäudeteile auf dem Kasernengelände vermietet gewesen. Damit habe die Beklagte jedoch keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt, sondern lediglich bis zur endgültigen Veräußerung der gesamten Liegenschaft die Kosten für den Steuerzahler soweit wie möglich begrenzen wollen. Bis zur geplanten Verwertung der Liegenschaft sei lediglich eine Zwischenbewirtschaftung erfolgt, die im wesentlichen aus unaufschiebbaren Reparaturarbeiten, einer Notbeheizung, dem Herumführen von Interessenten und Kontrollgängen bestanden habe. Diese Arbeiten hätten von anderen Arbeitnehmern der Beklagten nicht miterledigt werden können; sie fielen aber nur noch bis zur Veräußerung der Liegenschaft an. Danach bestehe keine Weiterverwendungsmöglichkeit für den Kläger. Es sei völlig ungewiß, wie ein potentieller Erwerber die Liegenschaft weiter nutzen bzw. ob er die Bebauung abreißen lasse.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers über den 31. Dezember 1996 hinaus fortbesteht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, bei Abschluß des letzten Arbeitsvertrags im November 1995 habe der Kasernenkomplex einen Betrieb dargestellt. Die Kaserne sei zu diesem Zeitpunkt kein leerstehender Gebäudekomplex, sondern eine organisatorische Einheit sachlicher und personeller Mittel zur Erreichung eines arbeitstechnischen Zwecks gewesen. Da zu diesem Zeitpunkt einzelne Teilbereiche der Gebäude unbefristet zu gewerblichen Zwecken vermietet gewesen seien, sei die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als Hausmeister und Kesselwärter unerläßlich gewesen; sie habe der Verwertung der Kaserne als vermietbarer Gewerbefläche und ihrer Erhaltung als zum Verkauf anstehender Liegenschaft gedient. Die Befristung könne mithin zur Umgehung des § 613a BGB führen, indem sie den gesetzlich vorgesehenen Übergang des Arbeitsverhältnisses bei der Veräußerung des Betriebes vereiteln würde. Deshalb habe sie eines Sachgrunds bedurft, den die Beklagte nicht vorgetragen habe.
II. Diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist jedenfalls im Ergebnis zutreffend. Das Landesarbeitsgericht hat zwar nicht festgestellt, daß der Kläger in einer Dienststelle der Bundesvermögensverwaltung mit mehr als fünf Arbeitnehmern beschäftigt war. Dann hätte die Befristung des Arbeitsvertrags selbst dann, wenn das Kasernengelände keinen eigenen Betrieb, sondern ein der Bundesvermögensverwaltung zuzuordnendes einzelnes Wirtschaftsgut darstellte, schon nach den Grundsätzen der allgemeinen arbeitsrechtlichen Befristungskontrolle eines sachlichen Grundes bedurft. Indessen führt das nicht zur Aufhebung des Berufungsurteils. Das Landesarbeitsgericht hat nämlich rechtsfehlerfrei angenommen, die von der Beklagten bei Abschluß des letzten befristeten Arbeitsvertrags geplante Veräußerung des Kasernenkomplexes werde einen Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB darstellen und deshalb bedürfe die Befristung des Arbeitsvertrags eines Sachgrunds.
1. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß es sich bei dem Kasernengelände um einen Betrieb im Sinne des § 613a Abs. 1 BGB handelte und nicht nur um ein einzelnes Wirtschaftsgut, bei dessen Veräußerung die Anwendung des § 613a BGB nicht in Betracht käme.
a) Bei der Bestimmung des Betriebsbegriffs im Sinne des § 613a BGB ist das Landesarbeitsgericht zwar noch nicht von den Grundsätzen ausgegangen, die das Bundesarbeitsgericht auf der Grundlage der maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. insbesondere EuGH Urteil vom 11. März 1997– Rs C-13/95 –EuGHE I 1997, 1259 = AP Nr. 14 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187 [Ayse Süzen]) nunmehr in ständiger Rechtsprechung (vgl. insbesondere BAG Urteile vom 22. Mai 1997 – 8 AZR 101/96 – und vom 26. Juni 1997 – 8 AZR 426/95 – AP Nr. 154 und 165 zu § 613a BGB, beide zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, und zuletzt etwa BAG Urteil vom 22. Januar 1998 – 8 AZR 775/96 – AP Nr. 174 zu § 613a BGB) dem Begriff des Betriebsübergangs im Sinne des § 613a BGB zugrunde legt. Danach kommt es entscheidend darauf an, ob eine “wirtschaftliche Einheit” unter “Wahrung ihrer Identität” übertragen worden ist. Durch die damit eingetretene Rechtsprechungsänderung sind die Begriffe des “Betriebs” bzw. des “Betriebsübergangs” indessen nicht verengt, sondern deutlich erweitert worden, so daß schon deshalb in der Anknüpfung des Landesarbeitsgerichts an die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kein das Berufungsurteil tragender Rechtsfehler gesehen werden kann.
b) Den demnach maßgeblichen Betriebsbegriff hat das Landesarbeitsgericht nicht verkannt. Es hat den Betrieb definiert als “organisatorische Einheit sächlicher und personaler Mittel zur Erreichung eines arbeitstechnischen Zwecks” und entscheidend auf das Vorliegen eines arbeitstechnischen Zwecks abgestellt. Dies entspricht dem Begriff der “wirtschaftlichen Einheit” im Sinne der angeführten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts. Danach ist unter wirtschaftlicher Einheit eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung zu verstehen.
2. Nach diesen Maßstäben hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei das Vorliegen eines Betriebes bejaht. Bei dem Kasernengelände handelt es sich um ein räumlich fest umrissenes Grundstück mit zahlreichen Gebäuden, die teilweise von Mietern gewerblich genutzt werden und in denen die Beklagte zumindest den Kläger und seinen Arbeitskollegen mit Arbeiten beschäftigt, die zur Erhaltung des Zustands und der Funktionsfähigkeit der Gebäude erforderlich sind. Die von der Beklagten bestimmte Zielsetzung dieser Funktionseinheit besteht zum einen in der Erhaltung des gesamten Grundstücks- und Gebäudekomplexes als verwertbare Liegenschaft und der Minderung der dadurch entstehenden Kosten durch die Erzielung von Mieteinnahmen. Entgegen den Angriffen der Revision handelt es sich bei dem Kasernengelände mithin nicht lediglich um ein einzelnes Wirtschaftsgut, bei dem die bloße Notwendigkeit seiner Betreuung und Wartung den Betriebsbegriff nicht erfüllen dürfte (vgl. dazu das Senatsurteil vom 16. Oktober 1987 – 7 AZR 519/86 – AP Nr. 69 zu § 613a BGB, zum Mietswohnhaus als Betrieb im Sinne des § 613a BGB).
a) Die wirtschaftliche Einheit des Kasernengeländes würde bei der Realisierung der geplanten Grundstücksveräußerung an einen Investor “ihre Identität” wahren. Hierfür müssen nach der inzwischen ständigen Rechtsprechung (vgl. z.B. BAG Urteil vom 22. Januar 1998 – 7 AZR 243/95 – AP Nr. 173 zu § 613a BGB, m.w.N.) sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören als Teilaspekte der Gesamtwürdigung namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeiten. Als wirtschaftliche Einheit darf allerdings nicht die bloße Tätigkeit verstanden werden. Die Identität der Einheit ergibt sich auch aus anderen Merkmalen wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und ggfs. den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln.
b) Nach diesen Maßstäben ergibt sich, daß die wirtschaftliche Einheit H… -Kasernengelände allein durch ihre Veräußerung an einen Investor ihre Identität nicht verlieren würde. Durch den Eigentumsübergang und die Erlangung der Verfügungsgewalt durch den Investor bleiben die bisherigen Aufgaben der Erhaltung und Betreuung des Gesamtkomplexes zunächst unverändert; auch die bestehenden Mietverhältnisse gehen gemäß § 571 BGB auf den Erwerber über. Ob und inwieweit sich zu einem späteren Zeitpunkt Änderungen ergeben, hängt allein von den Entscheidungen des Investors ab. Insbesondere können die Arbeitsplätze des Klägers und seines Arbeitskollegen wegfallen, wenn der Investor, wie es die Beklagte für denkbar hält, die Gebäude abreißen läßt. Schon durch die Veräußerung allein aber treten außer dem Eigentümerwechsel keine Veränderungen ein.
3. Da mithin ein Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB vorgesehen war, bedurfte die Befristung eines sachlichen Grunds.
a) Der sachliche Grund kann nicht allein in dem geplanten Betriebsübergang liegen. Denn nach der Wertung des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB hat der Betriebsübergang außer der Auswechslung der Person des Arbeitgebers keine Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis.
b) Rechtlich nicht ausgeschlossen ist allerdings, wie auch die Fassung des § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB zeigt, daß andere mit der Veräußerung zusammentreffende Umstände als der Wechsel des Arbeitgebers einen sachlichen Befristungsgrund darstellen. Erforderlich hierfür wäre aber zumindest, daß infolge der Veräußerung des Grundstücks bei Vertragsschluß absehbare Umstände eintreten, durch die die Möglichkeit bzw. jedenfalls das Bedürfnis für die Beschäftigung des Arbeitnehmers entfällt.
Für das Eintreten derartiger Umstände fehlt indessen jeglicher Anhaltspunkt. Selbst wenn, wie es die Beklagte für möglich hält, der Investor die bisherige Nutzung des Kasernengeländes völlig verändert, bleiben die Arbeitsaufgaben des Klägers jedenfalls für eine Übergangszeit erhalten. Wann und in welchem Umfang sie sich verändern, ist völlig ungewiß; in Betracht kommt insbesondere auch, daß der Erwerber den Kläger (kraft Direktionsrechts bzw. einvernehmlich) mit veränderten Arbeitsaufgaben betraut. Angesichts dieser naheliegenden Möglichkeiten konnte jedenfalls im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eine Prognose, der Bedarf an einer Weiterbeschäftigung des Klägers werde durch die Veräußerung des Kasernengeländes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit enden, nicht erstellt werden.
Unterschriften
Dörner, Steckhan, Schmidt, Bea, Niehues
Fundstellen