Entscheidungsstichwort (Thema)
Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte
Orientierungssatz
Die Beeinträchtigung durch eine Abmahnung liegt nicht nur darin, daß der Bestand des Arbeitsverhältnisses wegen der angedrohten kündigungsrechtlichen Folgen gefährdet sein kann. Vielmehr kann eine unberechtigte Abmahnung die Grundlage für eine falsche Beurteilung des Arbeitnehmers sein, wodurch sein berufliches Fortkommen behindert wird oder sich andere arbeitsrechtliche Nachteile für ihn ergeben können.
Verfahrensgang
Tatbestand
Der 1962 geborene Kläger ist seit 1986 als Arbeiter bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte hat dem Kläger am 29. Juli 1991 insgesamt drei schriftliche Abmahnungen erteilt. Für das vorliegende Revisionsverfahren geht es um eine Abmahnung wegen Verletzung der Anzeigepflicht bei einer Erkrankung. Das Schreiben der Beklagten hat folgenden Wortlaut:
"Nachdem Sie bereits am Dienstag, dem 23.07.1991
bei ihrem Meister Urlaub beantragt hatten, beauf-
tragten Sie am 24.07.1991 unter Vermittlung durch
den Betriebsrat erneut Urlaub. Aus betrieblichen
Gründen, auf die wir an dieser Stelle nicht ein-
gehen wollen, konnte Ihnen der gewünschte Urlaub
nicht erteilt werden.
Am 25.07.1991 erschienen Sie nicht zur Arbeit.
Sie haben uns nicht rechtzeitig vor Arbeitsbeginn
mitgeteilt, daß Sie nicht erscheinen würden. Erst
am 26.07.1991 haben wir eine Arbeitsunfähigkeits-
bescheinigung erhalten, nach der Sie in der Zeit
vom 25.07.1991 bis zum 31.07.1991 krankgeschrie-
ben sein sollen.
Gemäß § 3 Lohnfortzahlungsgesetz ist ein Arbeit-
nehmer verpflichtet, den Arbeitgeber unverzüg-
lich, daß heißt ohne schuldhaftes Zögern, davon
in Kenntnis zu setzen, wenn er aufgrund einer Er-
krankung nicht arbeiten kann.
Gegen diese gesetzliche Pflicht haben Sie erneut
verstoßen und damit zugleich Ihre arbeitsvertrag-
lichen Verpflichtungen verletzt. Wie Sie wissen,
sind wir darauf angewiesen, den Einsatz unserer
Mitarbeiter rechtzeitig zu planen. Wir müssen
deswegen wissen, wenn ein Arbeitnehmer nicht zur
Arbeit erscheint.
Sollten Sie noch einmal in derartiger oder in
vergleichbarer Weise gegen Ihre arbeitsvertragli-
chen Pflichten verstoßen, müssen Sie mit Ihrer
fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung
rechnen."
Der Kläger hat sich gegen die vorgenannte Abmahnung - wie auch die weiteren Abmahnungen - mit einer Klage gewandt. Er hat geltend gemacht, er habe sich am 25. Juli 1991 ordnungsmäßig krank gemeldet.
Der Kläger hat beantragt,
die ihm gegenüber ausgesprochene Abmahnung vom
29. Juli 1991 wegen der Anzeigepflichtverletzung
vom 25. Juli 1991 aus der Personalakte zu entfer-
nen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat bestritten, daß der Kläger am 25. Juli 1991 seine Erkrankung ordnungsmäßig mitgeteilt habe.
Das Arbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat die Ansicht vertreten, dem Arbeitnehmer stehe kein Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus den Personalakten zu, wenn die Abmahnung ausschließlich und allein dazu diene, für den Wiederholungsfall eine fristgerechte oder fristlose Kündigung vorzubereiten. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, es bestehe von vornherein kein Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte, jedenfalls dann, wenn diese eine fristgemäße oder fristlose Kündigung vorbereiten solle.
1. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 27. November 1985 (BAGE 50, 202 = AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht) unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sich mit der in jenem Verfahren angegriffenen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln vom 2. November 1983 (- 7 Sa 901/83 - DB 1984, 1630) auseinandergesetzt und im einzelnen begründet, daß und weshalb dem Arbeitnehmer ein Anspruch zusteht, die Entfernung einer schriftlichen, zu seinen Personalakten genommenen Abmahnung zu verlangen, wenn diese nach Form oder Inhalt geeignet ist, den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung zu beeinträchtigen. Zu dieser Entscheidung des Senats hat Echterhölter ausgeführt, das Bemerkenswerte an ihr sei nicht so sehr, was das Bundesarbeitsgericht geäußert habe, sondern daß es überhaupt genötigt war, dies alles erneut auszuführen (Anm. zu AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht). Misera (SAE 1986, 197, 199) hat zu dem genannten Urteil u.a. bemerkt, es dürfte kaum zweifelhaft sein, daß die Pflicht der Rücksichtnahme und des Schutzes dem Arbeitgeber gebiete, eine rechtswidrige Abmahnung, die den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung und in seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigen könne, aus den Personalakten zu entfernen.
Das angefochtene Urteil gibt keinen Anlaß, die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch nur im Ansatz in Frage zu stellen. Das Landesarbeitsgericht hat lediglich unter wiederholtem Hinweis auf das aufgehobene Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 2. November 1983, aaO, im wesentlichen dessen Argumente wiederholt. Es genügt deshalb, nochmals folgendes herauszustellen, was das Landesarbeitsgericht übersehen hat:
a) Die Klagemöglichkeit des Arbeitnehmers gegen eine Abmahnung kann nicht deshalb verneint werden, weil der Arbeitnehmer die Berechtigung einer Abmahnung in einem späteren Kündigungsprozeß nachprüfen lassen kann. Eine mißbilligende Äußerung des Arbeitgebers, also auch eine Abmahnung, kann bereits für sich genommen den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung berühren. Die Beeinträchtigung durch eine Abmahnung liegt nicht nur darin, daß der Bestand des Arbeitsverhältnisses wegen der angedrohten kündigungsrechtlichen Folgen gefährdet sein kann. Vielmehr kann eine unberechtigte Abmahnung die Grundlage für eine falsche Beurteilung des Arbeitnehmers sein, wodurch sein berufliches Fortkommen behindert wird oder sich andere arbeitsrechtliche Nachteile für ihn ergeben können (vgl. dazu u. a. BAGE 24, 247, 256 = AP Nr. 9 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst, zu II 2 b der Gründe). Der Arbeitnehmer braucht auch hinsichtlich möglicher kündigungsrechtlicher Folgen aus einer Abmahnung nicht abzuwarten, ob sich insoweit Auswirkungen ergeben. Er kann vielmehr klären lassen, ob eine erteilte Abmahnung zu Recht als mögliche Voraussetzung für eine Kündigung seine Rechtsstellung beeinträchtigt oder ob sein Verhalten zu Unrecht beanstandet wurde.
b) Verfehlt ist die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, eine unzulässige schriftliche und zu den Personalakten genommene, aber nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu entfernende Abmahnung behalte als mündliche Abmahnung ihre Wirkung. Hierfür gibt das Landesarbeitsgericht keine Begründung. Es beruft sich nur auf eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 1. Februar 1983 (- 13 Sa 1313/82 - EzA § 611 BGB Fürsorgepflicht Nr. 33). In dieser Entscheidung findet sich aber ebenfalls nur der ohne jede Begründung vom angefochtenen Urteil übernommene Satz. Aus dem Zusammenhang der Gründe ergibt sich allerdings folgendes: Das Landesarbeitsgericht hatte in jenem Verfahren die Beklagte verurteilt, die schriftliche Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen. Die Abmahnung war wegen mehrerer Vorfälle ausgesprochen worden. In drei Punkten hielt das Gericht die Vorwürfe für berechtigt. Nur hierauf bezieht sich der Satz, die erteilte Abmahnung behalte als mündliche Beanstandung ihre Wirkung.
Im Hinblick auf die Entscheidung des Senats vom 13. März 1991 (- 5 AZR 133/90 - SAE 1992, 163 = NZA 1991, 768, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen) sind Bedenken gegen die Ansicht des Landesarbeitsgerichts in dem Urteil vom 1. Februar 1983 zu erheben. Jedenfalls aber konnte das Landesarbeitsgericht im angefochtenen Urteil sich für seine Ansicht, eine Klage auf Entfernung einer Abmahnung sei unzulässig, nicht auf den Ausspruch in der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 1. Februar 1983 berufen. Wenn in einem Verfahren über die Entfernung einer schriftlichen Abmahnung sich ergibt, daß die Abmahnung zu Unrecht erteilt worden ist, so kann sie auch nicht als mündliche ihre Wirkung behalten.
c) Soweit das Landesarbeitsgericht schließlich meint, die Rechte des Arbeitnehmers seien in ausreichendem Maße dadurch gewahrt, daß er nach § 83 Abs. 2 BetrVG eine Gegenerklärung zu den Personalakten geben könne, wiederholt das Berufungsgericht auch insoweit nur die Ansicht, die das Landesarbeitsgericht Köln in seiner Entscheidung vom 2. November 1983, aaO, vertreten hatte. Hierzu verbleibt der Senat bei seiner Rechtsauffassung, wie sie in der Entscheidung vom 27. November 1985, aaO, niedergelegt ist.
2. Der Senat konnte in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat zu dem abgemahnten Vorgang keine Feststellungen getroffen. Die Beklagte hatte im Berufungsverfahren die Feststellungen des Arbeitsgerichts unter Beweisantritt in Zweifel gezogen. Deshalb mußte die Sache an das Landesarbeitsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Dabei hat der Senat von der durch § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an eine andere Kammer zurückzuverweisen.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
Anthes Hansen
Fundstellen
Haufe-Index 439955 |
BuW 1993, 416 (K) |
EEK, I/1115 (ST1-2) |