Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristung zur Vertretung. Vertretungsbedarf aufgrund einer Zeitrentengewährung für einen auf Dauer beschäftigten Arbeitnehmer
Normenkette
BGB § 620; SGB VI §§ 44, 102
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 3. September 1997 – 8 Sa 82/97 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses.
Die Klägerin war seit dem 1. Juli 1991 aufgrund mehrfach befristeter Arbeitsverträge als Reinigerin in einer Kindertagesstätte im Zuständigkeitsbereich des Bezirksamts T…, Abteilung Jugend und Sport, beschäftigt. Zuletzt war sie nach dem Vertrag vom 18. März 1996 zur Deckung eines vorübergehenden Personalbedarfs ab dem 1. April 1996 für die Dauer der Rente der Frau S… längstens bis zum 30. November 1996 in Teilzeit tätig. Die zu Vertretende war bei diesem Bezirksamt, jedoch in der Abteilung Gesundheit und Soziales, als Reinigerin/Küchenarbeiterin auf Dauer beschäftigt und in einem Seniorenheim eingesetzt. Nachdem sie am 9. November 1994 arbeitsunfähig erkrankt war, wurden die Reinigungsarbeiten in dieser Einrichtung einer Drittfirma übertragen. Die für Frau S… bestimmten Haushaltsmittel wurden innerhalb des Bezirksamts T… der Abteilung Jugend und Sport zugewiesen, die diese Mittel für die befristete Beschäftigung der Klägerin verwendete.
In der Kindertagesstätte, in der die Klägerin eingesetzt wurde, war die zu Vertretende nie tätig gewesen. Ihr wurde durch Bescheid vom 14. Dezember 1995 für die Zeit vom 1. Juni 1995 bis zum 30. November 1996 eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit bewilligt. Die Zeitrente ist durch Bescheid vom 24. Oktober 1996 in eine Dauerrente wegen Erwerbsunfähigkeit umgewandelt worden.
Die Klägerin hat die Befristung wegen ihres Arbeitsverhältnisses für unwirksam gehalten. Sie habe Frau S… nicht vertreten. Für das beklagte Land habe ein dauerhafter Bedarf an ihrer Arbeitsleistung bestanden. Die Prognose zur Rückkehr der Frau S… habe nicht ausschließlich auf den Zeitrentenbescheid gestützt werden dürfen. Es entspreche einer gängigen Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger, Erwerbsunfähigkeitsrenten zunächst auf Zeit zu bewilligen.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß sich die Parteien über den 30. November 1996 hinaus in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis befinden.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren bisherigen Klageantrag. Das beklagte Land beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat aufgrund einer wirksamen Befristung des Arbeitsvertrags vom 18. März 1996 am 30. November 1996 geendet.
1. Nach den der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle zugrunde liegenden Wertungsmaßstäben ist die Befristung eines Arbeitsvertrags nicht funktionswidrig und umgeht auch nicht den gesetzlichen Kündigungsschutz, wenn die Vertragsparteien bereits bei Abschluß des Zeitvertrags aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte die Prognose stellen können, die Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer werde zu einem bestimmten Zeitpunkt mit dem Eintreten eines bestimmten Ereignisses entfallen. Die Einstellung eines Arbeitnehmers zur Vertretung eines zeitweilig ausfallenden Mitarbeiters ist deshalb als Sachgrund für eine Befristung anerkannt, weil der Arbeitgeber bereits zu dem vorübergehend nicht zur Verfügung stehenden Mitarbeiter in einem Arbeitsverhältnis steht und mit der Rückkehr dieses Mitarbeiters rechnen muß. Aus diesem Grund besteht für die Wahrnehmung der an sich dem ausfallenden Arbeitnehmer obliegenden Arbeitsaufgaben durch die Vertretungskraft von vornherein nur ein zeitlich begrenztes Bedürfnis (BAG Urteile vom 24. September 1997 – 7 AZR 669/96 – AP Nr. 192 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; vom 3. Dezember 1997 – 7 AZR 651/96 – AP Nr. 196 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag).
2. Die Voraussetzungen dieses Sachgrundes liegen vor. Nach den mit zulässigen Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hatte die Klägerin die ihr arbeitsvertraglich zugeordnete Frau S… unmittelbar vertreten. Zwar war diese Arbeitnehmerin nach dem Wegfall ihres bisherigen Arbeitsplatzes und aufgrund ihrer fortdauernden Erkrankung nicht an die Kindertagesstätte versetzt worden, in der die Klägerin gearbeitet hat. Das Fehlen einer förmlichen Versetzung eines Arbeitnehmers ist vorliegend ohne Einfluß auf den Sachgrund der Vertretung. Die Abteilung Jugend und Sport des Bezirksamts T… war als mittelbewirtschaftende Stelle nach dem Arbeitsvertrag mit Frau S… befugt, die zu Vertretende der Kindertagesstätte zuzuweisen und dort mit denjenigen Arbeitsaufgaben zu beschäftigen, die auch von der Klägerin geschuldet waren. Die in diesem Zusammenhang von der Revision aufgestellten Erwägungen zum Einsatz von Frau S… nach Ablauf der Zeitrentengewährung und anschließender Wiederaufnahme der Tätigkeit sind spekulativ und beziehen sich auf Verhältnisse nach Abschluß des Zeitvertrags, auf die es bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer Befristung nicht ankommt.
3. Der Sachgrund der Vertretung wird durch die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses seit nahezu fünf Jahren bestehenden arbeitsvertraglichen Beziehungen der Parteien nicht in Frage gestellt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats können die Anzahl der einzelnen Zeitverträge und die bisherige Gesamtbefristungsdauer Indizien für das Fehlen eines Sachgrundes sein (BAG Urteil vom 11. November 1998 – 7 AZR 328/97 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Deshalb müssen bei der nochmaligen befristeten Verlängerung des Arbeitsverhältnisses eines bereits langjährig befristet beschäftigten Arbeitnehmers im Zeitpunkt des Abschlusses des letzten Zeitvertrags konkrete Anhaltspunkte die Prognose zum künftigen Wegfall des Beschäftigungsbedarfs rechtfertigen. Im Fall der Vertretung hat sich diese Prognose des Arbeitgebers allerdings auf den Wegfall des Vertretungsbedarfs durch die zu erwartende Rückkehr des zu vertretenden Mitarbeiters, nicht aber auf den Zeitpunkt dieser Rückkehr zu beziehen (BAG Urteil vom 22. November 1995 – 7 AZR 252/95 – AP Nr. 178 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu II 2 der Gründe).
Nach dem objektiven Geschehensablauf im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mußten sich dem beklagten Land keine Zweifel daran aufdrängen, ob Frau S… ihre Tätigkeit nach Ablauf des Rentenbewilligungszeitraums wieder aufnimmt. Frau S… war im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Klägerin für die Zeit vom 1. Juni 1995 bis zum 30. November 1996 eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit bewilligt worden. Während dieser Zeit hatte das Arbeitsverhältnis nach § 62 BMT-G II bzw. § 62 MTArb geruht. Das beklagte Land konnte anhand der gesetzlichen Voraussetzungen einer Zeitrentengewährung und der daran anknüpfenden tariflichen Rechtsfolgen davon ausgehen, daß das Arbeitsverhältnis mit Frau S… nach Ablauf der Zeitrente fortgesetzt wird und Frau S… entsprechend den getroffenen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen beschäftigt werden muß. Nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 44 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs., SGB VI haben Versicherte Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bei erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen ihrer Erwerbsfähigkeit. Erwerbsunfähig sind auch Versicherte nach § 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können. Dieser Rechtsanspruch ist nach § 102 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB VI zu befristen, wenn begründete Aussicht besteht, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein kann. Dazu muß die Behebung der Erwerbsminderung nach medizinischen Erkenntnissen innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren ab Rentenbeginn wahrscheinlich sein (BSGE 53, 100 = SozR 2200 § 1276 RVO Nr. 6). Außerdem ist eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur auf Zeit auch in den Fällen zu leisten, in denen die Rentengewährung nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand, sondern auch auf einer im Zeitpunkt der Rentenbewilligung vorhandenen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes beruht, § 102 Abs. 1, § 102 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI. Danach beruht eine Zeitrentengewährung entweder auf einer konkreten Prognose zur Wiederherstellung des Gesundheitszustandes oder sie steht in einem Zusammenhang mit den Verhältnissen des allgemeinen Arbeitsmarktes, dessen zukünftige Entwicklung nicht zu beurteilen ist (KassKomm-Niesel § 102 SGB VI Rz 9 m.w.N.). Die einem Zeitrentenbescheid zugrunde liegenden gesetzlichen Wertungen und das damit im Zusammenhang stehende Wahrscheinlichkeitsurteil zur Rückkehr eines auf Zeit erwerbsunfähigen Arbeitnehmers kann sich der Arbeitgeber zu eigen machen. Denn nach der gesetzlichen Konzeption der Renten wegen verminderter Erwerbsunfähigkeit ist bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 43, 44 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI eine Dauerrente zu gewähren, die nur bei Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 und 2 SGB VI befristet werden darf. Eine Ermessensentscheidung steht dem Rentenversicherungsträger nicht zu. Wegen der Zeitrentengewährung war das beklagte Land auch nicht gehalten, vor Abschluß des Zeitvertrags mit der Klägerin weitere Erkundigungen über die Rückkehrfähigkeit oder -bereitschaft der zu Vertretenden anzustellen. Konkrete Anhaltspunkte, aus denen sich ernsthafte Zweifel an einer Rückkehr der Frau S… hätten ergeben können, waren aus der Sicht des beklagten Landes nicht erkennbar. Sie sind auch nicht von der Klägerin vorgetragen worden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dörner, Schmidt, Bepler, Schiele, Seiler
Fundstellen