Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderungskündigung bei fehlender Zustimmung zur Versetzung
Orientierungssatz
1. Eine Änderungskündigung kann wirksam ausgesprochen werden, auch wenn die verweigerte Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung noch nicht ersetzt worden ist.
2. Es entspricht der Auffassung des Senats, daß § 99 BetrVG gegenüber § 102 BetrVG nicht die speziellere Regelung ist, die § 102 BetrVG verdrängt, wie Hanau (BB 1972, 455) annimmt. Gegen die Annahme eines solchen Spezialitätsverhältnisses spricht schon, daß § 99 BetrVG und § 102 BetrVG in Voraussetzung und Wirkung unterschiedlich sind. Während § 102 BetrVG nur bei Kündigungen des Arbeitgebers eingreift, ist es für die Anwendung des § 99 BetrVG gar nicht von Belang, ob der beabsichtigten Maßnahme eine Kündigung oder das Einverständnis der Parteien zugrunde liegt oder ob sie auf dem Direktionsrecht des Arbeitgebers beruht.
Normenkette
BetrVG §§ 99, 102; KSchG § 2 Fassung 1969-08-25, § 4 Fassung 1969-08-25, § 1 Abs. 2 Fassung 1969-08-25
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 03.04.1985; Aktenzeichen 4 Sa 176/84) |
ArbG Nienburg (Entscheidung vom 02.10.1984; Aktenzeichen 2 Ca 483/84) |
Tatbestand
Der verheiratete frühere Kläger (künftig: Kläger) war seit 1967 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 9. April 1984 das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1984. Gleichzeitig bot sie dem Kläger an, ihn ab 1. Juli 1984 im Zwei-Schicht-Betrieb in der Lohngruppe 3 weiterzubeschäftigen. Darüber hinaus erklärte sich die Beklagte bereit, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 1984 die Differenz zu seinem bisherigen Stundenlohn und für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1984 50 % der Differenz als Ausgleich zu zahlen.
Die Beklagte hatte den Betriebsrat mit Schreiben vom 23. März 1984 über die beabsichtigten personellen Maßnahmen unterrichtet. Der Betriebsrat hatte mit Schreiben vom 30. März 1984 den beantragten Versetzungen mit Umgruppierung auf der Rechtsgrundlage des § 99 Abs. 2 Ziffer 3 bis 5 BetrVG widersprochen und den Widerspruch im einzelnen begründet. Vor dieser schriftlichen Anhörung hatte die Beklagte den Betriebsrat mündlich zu der Außerbetriebnahme der Wanne 3 und dem sich daraus ergebenden Wegfall von zwanzig Arbeitsplätzen informiert.
Der Kläger nahm das im Kündigungsschreiben enthaltene Änderungsangebot nicht an.
Mit seiner am 30. Juni 1984 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat er sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung berufen. Zur Begründung hat er vorgetragen, der Betriebsrat sei zu der beabsichtigten Kündigung nicht wirksam angehört worden, weil diesem nicht die sozialen Auswahlgesichtspunkte mitgeteilt worden seien und der Entschluß zu kündigen bereits festgestanden habe. Außerdem habe die Beklagte die Änderungskündigung nicht aussprechen dürfen, bevor die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Versetzung von den Gerichten für Arbeitssachen nicht ersetzt gewesen sei. Im übrigen sei die Kündigung auch nicht sozial gerechtfertigt.
Der Kläger hat beantragt
1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der
Parteien durch die Änderungskündigung der Be-
klagten vom 9. April 1984 zum 30. Juni 1984
nicht geändert oder beendet worden ist, sondern
über diesen Zeitpunkt hinaus zu unveränderten
Bedingungen fortbesteht;
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über
den 30. Juni 1984 hinaus zu unveränderten Be-
dingungen weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Kündigung gelte als sozial gerechtfertigt, weil der Kläger die Frist des § 4 KSchG nicht gewahrt habe. Die Beklagte habe das Änderungsangebot auch aussprechen dürfen, ohne das Ersetzungsverfahren vor dem Arbeitsgericht einzuleiten und abzuwarten. Für eine Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats habe kein Rechtsschutzinteresse mehr bestanden, nachdem der Kläger innerhalb von drei Wochen nach Zugang des Änderungsangebots dieses nicht angenommen, sondern in einem Gespräch am 21. Mai 1984 nochmals erklärt hatte, er werde eine Arbeit im Zwei-Schichten-Betrieb nicht annehmen. Schließlich sei auch die Anhörung des Betriebsrats ordnungsgemäß gewesen, da einmal die Beklagte schon deshalb die sozialen Gesichtspunkte von sich aus nicht habe mitteilen müssen, weil zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 29. März 1984 (BAG 45, 277) noch nicht bekannt gewesen sei, zum anderen sie selbst keine soziale Auswahl habe treffen wollen und nicht getroffen habe, da sie davon ausgegangen sei, daß alle Arbeitnehmer die Änderungskündigung annehmen würden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, soweit sein Feststellungsantrag abgewiesen wurde. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision hat der Kläger den Feststellungsantrag weiterverfolgt. Nach seinem Tode hat seine Ehefrau das Verfahren als Rechtsnachfolgerin aufgenommen. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
A. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin klagebefugt ist, da die Revision auf jeden Fall aus anderen Gründen zurückzuweisen war.
B. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, § 102 BetrVG sei nicht verletzt worden. Es sei zwar richtig, daß die Beklagte dem Betriebsrat keine Gesichtspunkte zur sozialen Auswahl mitgeteilt habe. Dies sei aber auch nicht erforderlich gewesen, weil zum Zeitpunkt der Einleitung des Anhörungsverfahrens und der Kündigung das Senatsurteil vom 29. März 1984 (aaO) noch nicht bekannt gewesen sei und im übrigen die Beklagte keine soziale Auswahl getroffen habe und auch nicht habe treffen wollen, denn sie sei davon ausgegangen, daß alle betroffenen Arbeitnehmer das Änderungsangebot annehmen würden. Die Kündigung sei auch nicht deshalb unwirksam, weil die Beklagte die Änderungskündigung ausgesprochen habe, bevor sie die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Versetzung habe ersetzen lassen. Die Verfahren nach § 99 ff. BetrVG und § 102 BetrVG seien gleichrangig. Sie könnten auch in zeitlichem Zusammenhang miteinander durchgeführt werden. Fraglich könne nur sein, ob die Versetzung vor der Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats auch durchgeführt werden könne.
C. Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts war im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung zu folgen.
I. Die Kündigung gilt nach § 7 KSchG als sozial gerechtfertigt, weil der Kläger sie nicht innerhalb der Frist von § 4 KSchG angegriffen hat und auch keinen Antrag auf nachträgliche Zulassung der verspäteten Klage gestellt hat.
II. Die Kündigung ist auch nicht deshalb rechtsunwirksam, weil das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre.
1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, die Beklagte habe von sich aus nicht die Gesichtspunkte dem Betriebsrat darlegen müssen, die zur Auswahl der gekündigten Arbeitnehmer geführt habe. Die Beklagte hat nämlich durch Schreiben vom 23. März 1984 den Betriebsrat über die beabsichtigten personellen Maßnahmen unterrichtet und am 9. April 1984 die Kündigung ausgesprochen. Weder am 23. März 1984 noch am 9. April 1984 hat die Beklagte das Grundsatzurteil des Senats vom 29. März 1984 (aaO) kennen müssen, weil die Senatsentscheidung erstmals Mitte August 1984 veröffentlicht worden ist und deshalb das Vertrauen der Beklagten in die bisherige Rechtsprechung nach dieser Senatsentscheidung zu schützen war. Die weitergehende Begründung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe auch keine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten treffen wollen oder getroffen, trägt dessen Entscheidung allerdings nur, wenn in dem Betrieb keine weiteren vergleichbaren Arbeitnehmer vorhanden waren, denen gegenüber keine Änderungskündigung ausgesprochen wurde.
2. Das Anhörungsverfahren ist auch nicht deswegen fehlerhaft, weil die Beklagte bei Einleitung des Anhörungsverfahrens bereits den Kündigungswillen abschließend gebildet hatte (BAG Urteil vom 28. September 1978 - 2 AZR 2/77 - AP Nr. 19 zu § 102 BetrVG 1972; KR-Etzel, 2. Aufl., § 102 BetrVG Rz 55; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 102 Rz 44; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 102 Rz 40; GK-Kraft, BetrVG, § 102 Rz 22; a.A.: Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, § 102 Rz 24; Gester/Zachert, Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 12, S. 92); es ist nämlich nicht auszuschließen, daß es dem Betriebsrat gelingt, auf den Kündigungswillen des Arbeitgebers Einfluß zu nehmen, auch wenn dieser erklärt hat, er wolle auf alle Fälle kündigen.
3. Auch den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Frage, ob eine Änderungskündigung wirksam ausgesprochen werden kann, bevor die verweigerte Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung ersetzt worden ist, war zu folgen.
a) Es entspricht schon der bisherigen Auffassung des Senats, daß § 99 BetrVG gegenüber § 102 BetrVG nicht die speziellere Regelung ist, die § 102 BetrVG verdrängt, wie Hanau (BB 1972, 455) annimmt. Gegen die Annahme eines solchen Spezialitätsverhältnisses spricht schon, daß § 99 BetrVG und § 102 BetrVG in Voraussetzung und Wirkung unterschiedlich sind. Während § 102 BetrVG nur bei K ü n d i g u n g e n des Arbeitgebers eingreift, ist es für die Anwendung des § 99 BetrVG gar nicht von Belang, ob der beabsichtigten Maßnahme eine Kündigung oder das Einverständnis der Parteien zugrunde liegt oder ob sie auf dem Direktionsrecht des Arbeitgebers beruht. Würde man § 99 BetrVG gegenüber § 102 BetrVG die speziellere Bedeutung beimessen, würden auch die Beteiligungsrechte nach der Größe des Betriebes unterschiedlich ausfallen: In Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern würde § 99 BetrVG den § 102 BetrVG verdrängen, in Betrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern würde die Beteiligung des Betriebsrats allein nach § 102 BetrVG erfolgen. Diese Differenzierung ist wenig einsichtig (vgl. KR-Rost, 2. Aufl., § 2 KSchG Rz 125 bis 127; Schwerdtner, 25 Jahre BAG, S. 578).
b) Gehen weder das Verfahren nach § 99 BetrVG dem nach § 102 BetrVG noch das des § 102 BetrVG dem nach § 99 BetrVG vor, so muß sich daraus dennoch keine Verdoppelung der Mitwirkungsverfahren ergeben. Vielmehr können beide Verfahren gemeinsam abgewickelt werden (BAG Urteil vom 3. November 1977 - 2 AZR 277/76 - AP Nr. 1 zu § 75 BPersVG). In einem solchen Falle muß der Arbeitgeber dem Betriebsrat allerdings zu erkennen geben, daß er mit dem Antrag auf Versetzung gleichzeitig das Mitwirkungsverfahren für die beabsichtigte Änderungskündigung einleiten will. Vorliegend hat das Landesarbeitsgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dem Schreiben vom 23. März 1984 entnommen, daß damit die Beklagte nicht nur das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG, sondern auch das Verfahren zur Zustimmung zur Versetzung eingeleitet hat. Dem entspricht auch die Stellungnahme des Betriebsrats, der - obwohl in dem Einleitungsschreiben der Beklagten von einer Versetzung nicht ausdrücklich die Rede ist - den beantragten Versetzungen mit Umgruppierung der Arbeitnehmer gemäß § 99 Abs. 2 Ziffer 3 bis 5 BetrVG widersprochen hat.
c) Vorliegend hat die Beklagte die Änderungskündigung aussprechen dürfen, ohne die Zustimmung des Betriebsrates zur Versetzung ersetzen zu lassen.
Der Kläger hat nämlich die angebotene Änderung der Arbeitsbedingungen abgelehnt. Deshalb scheidet eine Versetzung aus. Da nur noch um den Bestand des Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen Bedingungen gestritten wird, hat die Beklagte kein Zustimmungsersetzungsverfahren mehr einleiten müssen (KR-Rost, 2. Aufl., § 2 KSchG Rz 136; Hueck, KSchG, 10. Aufl., § 2 Rz 15 c, alle m.w.N.).
D. Dementsprechend war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Triebfürst Dr. Weller Ascheid
Brenne Mauer
Fundstellen