Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsversammlungen während der Kurzarbeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Regelmäßige Betriebsversammlungen im Sinne von § 43 Abs 1 BetrVG können auch dann stattfinden, wenn im Betrieb wegen arbeitskampfbedingter Störungen nur verkürzt gearbeitet wird.
2. Die teilnehmenden Arbeitnehmer haben für die Zeit der Teilnahme an diesen Betriebsversammlungen Anspruch auf eine Vergütung nach § 44 Abs 1 Satz 2 oder 3 BetrVG, auch wenn sie für den Tag der Betriebsversammlung Kurzarbeitergeld erhalten haben (im Anschluß an das Urteil des Senats vom 5. Mai 1987 - 1 AZR 292/85 -).
Normenkette
BGB §§ 242, 611 Abs. 1; GG Art. 9 Abs. 3 S. 1; BetrVG § 43 Abs. 1 S. 2, § 44 Abs. 2 S. 2, § 43 Abs. 1 S. 1, § 44 Abs. 1 Sätze 1-3; BetrVG 1952 § 43 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger (Arbeitnehmer) fordert von dem beklagten Unternehmen die Vergütung für die Zeit der Teilnahme an einer Betriebsversammlung.
Der Kläger war im Betrieb B der Beklagten als Bandarbeiter beschäftigt. Im Betrieb war ein Betriebsrat gebildet worden. Am 12. Juni 1984 fand eine Betriebsversammlung statt. Sie begann um 14.30 Uhr und dauerte sieben Stunden und 55 Minuten. Zu dieser Betriebsversammlung hatte der Betriebsrat mit Schreiben vom 7. Juni 1984 eingeladen. Er hatte darauf hingewiesen, daß in den Kantinen eine warme Mahlzeit eingenommen werden könnte, wenn die Betriebsversammlung über 19.00 Uhr hinaus andauere.
Diese Betriebsversammlung fiel in einen Zeitraum, in dem im Betrieb der Beklagten wegen des Arbeitskampfes in der metallverarbeitenden Industrie Hessens, Nord-Württembergs und Nord-Badens teilweise nicht gearbeitet werden konnte. Das Landesarbeitsgericht spricht von einer Teilstillegung des Betriebs. Sie dauerte vom 28. Mai bis zum 4. Juli 1984. Auch der Kläger war am 12. Juni 1984, dem Tag der Betriebsversammlung, von der Teilstillegung betroffen. Er arbeitete nicht und erhielt Kurzarbeitergeld in Höhe von 50,40 DM. Hätte er am 12. Juni 1984 gearbeitet, wäre er in der Frühschicht von 5.45 Uhr bis 14.15 Uhr beschäftigt worden.
Der Kläger hat Vergütung für die Zeit der Teilnahme an der Betriebsversammlung gefordert. Er hat die Auffassung vertreten, die in § 44 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vorgesehene Vergütung müsse das beklagte Unternehmen auch dann zahlen, wenn die Betriebsversammlung in die Zeit einer arbeitskampfbedingten Kurzarbeitsperiode falle. Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 114,14
DM brutto nebst 4 % Zinsen aus 63,74 DM
seit dem 20. September 1984 und aus weiteren
50,40 DM seit dem 18. Januar 1985 zu
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, für den Vergütungsanspruch nach § 44 Abs. 1 BetrVG gelte das Lohnausfallprinzip. Die Vorschrift eröffne dem Arbeitnehmer keine zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten. In zweiter Instanz hat die Beklagte zusätzlich vorgetragen, die Betriebsversammlung habe wegen der zeitlichen Lage und ihrer Dauer arbeitskampftaktische Momente aufgewiesen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt das beklagte Unternehmen seinen Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der Kläger hat nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BetrVG für die Dauer der Teilnahme an der Betriebsversammlung Anspruch auf eine Vergütung. Die in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen sind erfüllt. Weitere Voraussetzungen brauchen nicht erfüllt zu werden. Es kommt insbesondere - entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts - nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer durch die Teilnahme an der Betriebsversammlung einen Lohnverlust erlitten hat, sei es, daß er für den Tag der Betriebsversammlung bereits einen Lohn- oder Lohnersatzanspruch hatte, sei es, daß er für diesen Tag - unabhängig von der Durchführung einer Betriebsversammlung - keinen Lohnanspruch erwerben konnte.
I. Der Anspruch des Klägers folgt aus § 44 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Nach dieser Bestimmung ist den Arbeitnehmern die Zeit der Teilnahme an den in § 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG genannten Versammlungen einschließlich der zusätzlichen Wegezeiten wie Arbeitszeit zu vergüten. § 44 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nimmt ausdrücklich Bezug auf die Versammlungen, die in § 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erwähnt werden. Es sind dies die in den §§ 17 und 43 Abs. 1 BetrVG bezeichneten Versammlungen sowie die auf Wunsch des Arbeitgebers einberufenen Versammlungen. Diese Versammlungen finden während der Arbeitszeit statt, soweit nicht die Eigenart des Betriebs eine andere Regelung zwingend erfordert. Dabei ist unter Arbeitszeit im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG die betriebliche Arbeitszeit gemeint. Das ist die Zeit, während der ein erheblicher Teil der Belegschaft arbeitet (vgl. BAG Beschluß vom 9. März 1976 - 1 ABR 74/74 - AP Nr. 3 zu § 44 BetrVG 1972, zu II 5 der Gründe mit insoweit zust. Anm. von Meisel; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 44 Rz 4; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 44 Rz 8; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 44 Rz 4; a.A. Fabricius, GK-BetrVG, § 44 Rz 3: Es soll die Arbeitszeit des einzelnen Arbeitnehmers gemeint sein).
§ 44 Abs. 1 Satz 2 BetrVG wird ergänzt durch § 44 Abs. 1 Satz 3 BetrVG. Nach dieser Bestimmung ist die Zeit der Teilnahme einschließlich der zusätzlichen Wegezeiten den Arbeitnehmern wie Arbeitszeit auch für Betriebsversammlungen zu vergüten, die wegen der Eigenart des Betriebs außerhalb der Arbeitszeit stattfinden. Unterschieden wird daher in § 44 Abs. 1 Satz 2 und 3 BetrVG nach der zeitlichen Lage der Betriebsversammlung. Findet sie während der betrieblichen Arbeitszeit statt, greift § 44 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ein. Findet sie außerhalb der betrieblichen Arbeitszeit statt, ergeben sich die Ansprüche der teilnehmenden Arbeitnehmer aus § 44 Abs. 1 Satz 3 BetrVG.
Unterscheiden sich § 44 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BetrVG nur danach, ob die Betriebsversammlungen während oder außerhalb der betrieblichen Arbeitszeit stattfinden, kommt es für die Bestimmung der Anspruchsgrundlage nicht auf die persönliche Arbeitszeit der teilnehmenden Arbeitnehmer an. Finden die Versammlungen während der betrieblichen Arbeitszeit statt, wird allerdings die persönliche Arbeitszeit eines erheblichen Teils der Belegschaft mit dieser betrieblichen Arbeitszeit zusammenfallen. Ausnahmen sind jedoch denkbar. Das gilt etwa für den Reinigungsdienst, wenn die Büroräume vor Beginn der betrieblichen Arbeitszeit gereinigt werden. Arbeitnehmer, die außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit an Betriebsversammlungen während der betriebsüblichen Arbeitszeit teilnehmen, haben Anspruch auf eine Vergütung nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BetrVG.
Wird in einem Betrieb in mehreren Schichten gearbeitet, gehören im Grundsatz alle Schichten zur betrieblichen Arbeitszeit. Der Betriebsrat kann dann entscheiden, in welche Schicht die Betriebsversammlung gelegt werden soll. Auch sind Überschneidungen möglich (vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 44 Rz 11).
Die betriebliche Arbeitszeit wird - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht dadurch berührt, daß wegen arbeitskampfbedingter Betriebsstörungen zeitweise im Betrieb nicht gearbeitet wird. Die Beklagte meint, in ihrem Betrieb habe es keine Arbeitszeit im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 BetrVG mehr gegeben. Das ist nicht richtig. Die betriebliche Arbeitszeit wird durch Betriebsstörungen nicht beeinflußt. Die betriebliche Arbeitszeit ist zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zu regeln. Das gilt im Grundsatz auch für die vom Arbeitskampf betroffenen Betriebe (Beschluß des Senats vom 22. Dezember 1980 - 1 ABR 2/79 - BAGE 34, 331 = AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Im vorliegenden Fall ist der Einwand des Arbeitgebers auch aus tatsächlichen Gründen nicht berechtigt. Arbeitskampfbedingte Störungen gab es nur in Teilen des Betriebs; es handelte sich nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts um eine Teilbetriebsstillegung.
Danach fand im vorliegenden Fall die Betriebsversammlung während der betrieblichen Arbeitszeit statt. Als Anspruchsgrundlage kommt deshalb nur § 44 Abs. 1 Satz 2 BetrVG in Betracht.
II. Die in § 44 Abs. 1 Satz 2 BetrVG genannten Voraussetzungen für die Entstehung eines Anspruchs auf Vergütung sind erfüllt. Der Kläger hat an einer Betriebsversammlung im Sinne von § 43 Abs. 1 BetrVG teilgenommen. Weitere Voraussetzungen, von denen die Entstehung des Anspruchs abhängen könnte, bestehen nicht.
1. Bei der Betriebsversammlung vom 12. Juni 1984 handelte es sich um eine regelmäßige Betriebsversammlung im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Nach dieser Bestimmung hat der Betriebsrat einmal in jedem Kalendervierteljahr eine Betriebsversammlung einzuberufen. Der Betriebsrat entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen über den Zeitpunkt der Betriebsversammlung innerhalb des jeweiligen Kalendervierteljahres. Er ist nicht verpflichtet, jeweils Betriebsversammlungen in Abständen von drei Monaten durchzuführen (Dietz/Richardi, aaO, § 43 Rz 3; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 43 Rz 8). Tag und Stunde der Betriebsversammlung bestimmt der Betriebsrat unter Berücksichtigung betrieblicher Notwendigkeiten. Dieser zeitlichen Festlegung braucht der Arbeitgeber nicht zuzustimmen (vgl. Dietz/Richardi, aaO, § 44 Rz 13; Galperin/Löwisch, aaO, § 44 Rz 7). So ist der Betriebsrat hier verfahren. Betriebsverfassungsrechtliche Einwendungen gegen die Durchführung der Betriebsversammlung hat der Arbeitgeber auch nicht erhoben. Die Beklagte hat nichts dazu vorgetragen, daß die Versammlung ihren betriebsverfassungsrechtlichen Charakter verloren habe. Es kann deshalb offenbleiben, welche Rechtsfolgen dies für die Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer hätte (vgl. dazu Dietz/Richardi, aaO, § 44 Rz 38; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 44 Rz 34; Galperin/Löwisch, aaO, § 44 Rz 41).
Der Kläger hat an dieser Betriebsversammlung teilgenommen. Die Zeit der Teilnahme ist wie Arbeitszeit zu vergüten. Gegen die Berechnung der Vergütung hat die Beklagte keine Einwendungen erhoben.
2. Die Beklagte will die Entstehung von Vergütungsansprüchen von weiteren Voraussetzungen abhängig machen. So könne der Arbeitnehmer, der bereits Lohn oder Lohnersatz für den Tag der Betriebsversammlung erhalten habe, wegen des der Vorschrift zugrunde liegenden Lohnausfallprinzips keine Ansprüche nach § 44 Abs. 1 Satz 2 oder 3 BetrVG erwerben. Dem ist das Landesarbeitsgericht mit Recht nicht gefolgt.
a) Der Wortlaut des § 44 Abs. 1 Satz 2 und 3 BetrVG enthält keine Anhaltspunkte für weitere, den Anspruch einschränkende Voraussetzungen. Die Regelung in § 44 Abs. 1 Satz 3 BetrVG geht ersichtlich über Regelungen hinaus, die sich aus dem Lohnausfallprinzip ergeben würden. Nehmen Arbeitnehmer des Betriebs an Versammlungen teil, die außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit stattfinden, erhalten sie Lohn für die am gleichen Tage im Betrieb geleistete Arbeit nach § 611 Abs. 1 BGB. Zusätzlich haben sie Anspruch auf Vergütung für die Zeit der Teilnahme an der Betriebsversammlung. Nach dem Wortlaut des Gesetzes deutet nichts darauf hin, daß den Arbeitnehmern der zuletzt genannte Anspruch versagt werden sollte. Auch mit der Regelung, daß der Arbeitnehmer eine Vergütung für zusätzliche Wegezeiten beanspruchen kann, geht die gesetzliche Regelung über das Lohnausfallprinzip hinaus (vgl. Galperin/Löwisch, aaO, § 44 Rz 20; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 44 Rz 27). Eher könnte man die Regelung in § 44 Abs. 2 Satz 2 BetrVG als Ausdruck des Lohnausfallprinzips verstehen. Das spricht dafür, daß das Gesetz für § 44 Abs. 1 Satz 2 und 3 BetrVG nicht von diesem Grundsatz ausging; denn sonst wäre der Wortlaut in beiden Bestimmungen nicht so unterschiedlich. § 44 Abs. 1 Satz 2 und 3 BetrVG enthält deshalb nach dem Wortlaut nicht nur eine Lohnausfallgarantie (Dietz/Richardi, aaO, § 44 Rz 22; Galperin/Löwisch, aaO, § 44 Rz 20).
Etwas anderes folgt auch nicht daraus, daß die Zeit der Teilnahme "wie Arbeitszeit" zu vergüten ist. Damit wird nur die Berechnung der Vergütung geregelt. Die Zeit der Teilnahme ist keine Arbeitszeit. Deshalb gelten auch nicht die Arbeitszeitvorschriften. Soweit die Zeit der Teilnahme über die normale Arbeitszeit hinausgeht, ist dies keine Mehrarbeit und ist auch nicht als Mehrarbeitszeit zu vergüten; es besteht kein Anspruch auf Mehrarbeitszuschlag (vgl. BAGE 25, 310 = AP Nr. 1 zu § 44 BetrVG 1972; allgemeine Meinung, vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 44 Rz 33 mit weiteren Nachweisen).
b) Aus der Entstehungsgeschichte folgt nichts anderes. Die im Vergleich zum Betriebsverfassungsgesetz 1952 geänderte Regelung spricht eher gegen die Anwendung eines Lohnausfallprinzips. § 43 Abs. 1 Satz 2 BetrVG 1952 sah nur vor, daß dem Arbeitnehmer durch die Teilnahme an einer Betriebsversammlung kein Lohnausfall entstehen durfte. Fanden Betriebsversammlungen außerhalb der Arbeitszeit statt, so war eine Bezahlung der von den Arbeitnehmern für die Teilnahme aufgewendeten Zeit nicht vorgesehen. Die Neuregelung im Betriebsverfassungsgesetz 1972 soll nach der Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. VI/1786, S. 42) zwar sicherstellen, daß die Arbeitnehmer keine finanziellen Einbußen erleiden. Das rechtfertigt aber noch nicht, die Neuregelung auf ein Lohnausfallprinzip zurückzuführen. Dieser Zweck des Gesetzes wird auch erreicht, wenn die Norm als eigenständige Regelung verstanden und angewendet wird. Der Senat hat deshalb schon in der Entscheidung vom 18. September 1973 (BAGE 25, 310 = AP Nr. 1 zu § 44 BetrVG 1972, zu 2 der Gründe) darauf hingewiesen, daß das Lohnausfallprinzip "angesprochen" wird. Er hat zugleich darauf hingewiesen, daß die Regelungen über diesen Grundgedanken hinausgehen.
c) Der Zweck der gesetzlichen Regelung rechtfertigt ebenfalls keine Einschränkung in dem vom beklagten Arbeitgeber für richtig gehaltenen Sinn. Mit der Neuregelung in § 44 Abs. 1 Satz 3 BetrVG soll offenbar ein Anreiz geschaffen werden, daß die von dieser Regelung betroffenen Arbeitnehmer auch an Betriebsversammlungen außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit teilnehmen (vgl. BAGE 25, 310 = AP Nr. 1 zu § 44 BetrVG 1972, zu 2 der Gründe und Urteil vom 1. Oktober 1974 - 1 AZR 394/73 - AP Nr. 2 zu § 44 BetrVG 1972, zu 2 a der Gründe).
d) Gegen weitere Einschränkungen der Vergütungsansprüche sprechen auch systematische Erwägungen. § 44 Abs. 1 Satz 2 und 3 BetrVG enthält eine Regelung darüber, wer die Kosten für das Zusammentreten der Betriebsversammlung als Organ der Betriebsverfassung zu tragen hat. Das ist der Arbeitgeber. Zu den Kosten gehören vor allem Vergütungsforderungen der teilnehmenden Arbeitnehmer. Ihre Ansprüche auf Vergütung haben damit einen kollektiv-rechtlichen Charakter. Diesen Ansprüchen können individual-rechtliche Einwendungen, wie etwa der Einwand, der teilnehmende Arbeitnehmer habe während der Dauer der Teilnahme an der Betriebsversammlung oder am gleichen Tage keinen Anspruch auf Lohn gehabt, nicht entgegengehalten werden. Es spricht mehr dafür, daß das Gesetz das Zusammentreten der Betriebsversammlung als betriebsverfassungsrechtliches Organ erleichtern und die Kosten hierfür dem Arbeitgeber auferlegen wollte, und zwar unabhängig davon, ob und in welchem Umfang daneben noch individual-rechtliche Ansprüche bestehen oder nicht.
e) Danach enthält § 44 Abs. 1 Satz 2 und 3 BetrVG eine eigenständige Vergütungsregelung. Es braucht nicht festgestellt zu werden, ob und in welchem Umfange ein teilnehmender Arbeitnehmer Ansprüche auf Lohn oder Lohnersatz gehabt hätte, wenn er nicht an der Versammlung teilgenommen hätte. Deshalb kann der Arbeitgeber im vorliegenden Fall nicht darauf verweisen, daß der Arbeitnehmer für den Tag der Betriebsversammlung bereits Kurzarbeitergeld erhalten habe. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß die Zahlung des Kurzarbeitergeldes Vergütungsansprüche des Klägers nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BetrVG schon deshalb nicht berühren kann, da dieser Lohnersatz für einen Zeitraum gewährt wird, in dem Arbeitszeit ausgefallen ist. Das war im vorliegenden Fall die Frühschicht. Hätte es keine Kurzarbeit gegeben, hätte der Kläger am Tag der Betriebsversammlung Lohn für die Arbeit in der Frühschicht und eine Vergütung nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BetrVG erwerben können.
III. Aus arbeitskampfrechtlichen Gründen ist die Vergütungspflicht des Arbeitgebers nach § 44 Abs. 1 Satz 2 und 3 BetrVG nicht eingeschränkt. Die Arbeitskampfparität (Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG) wird nicht gestört. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, eine Arbeitsleistung zu vergüten. Er zahlt die Vergütung für die Zeit der Teilnahme an Betriebsversammlungen. Diese Vergütungen sind Teil der ohnehin anfallenden Lohnnebenkosten (vgl. dazu die Entscheidung des Senats vom 20. Juli 1982 - 1 AZR 404/80 - BAGE 39, 191, 199 = AP Nr. 38 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG, zu III 2 der Gründe, die sich mit der Lohnzahlung für Feiertage während arbeitskampfbedingter Kurzarbeit befaßt). Die Kosten einer Betriebsversammlung fallen unabhängig davon an, ob und in welchem Umfang in einem Betrieb ein Arbeitskampf stattfindet oder wegen arbeitskampfbedingter Störungen nicht gearbeitet wird. Es handelt sich nicht um zusätzliche Kosten.
Dr. Kissel Dr. Heither Matthes
Mager Blanke
Fundstellen
Haufe-Index 437403 |
BAGE 54, 333-340 (LT1-2) |
BAGE, 333 |
BB 1987, 1810 |
DB 1987, 1947-1947 (LT1-2) |
AiB 1987, 212-215 (ST1-4) |
NZA 1987, 714-714 (LT1-2) |
RdA 1987, 317 |
SAE 1988, 8-10 (LT1-2) |
AP § 44 BetrVG 1972 (LT1-2), Nr 6 |
AR-Blattei, Betriebsverfassung XI Entsch 22 (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 530.11 Nr 22 (LT1-2) |
EzA § 44 BetrVG 1972, Nr 6 (LT1-2) |