Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindende Festsetzungen des Heimarbeitsausschusses
Normenkette
HAG § 19
Verfahrensgang
LAG Nürnberg (Urteil vom 11.10.1990; Aktenzeichen 2 Sa 420/89) |
ArbG Nürnberg (Urteil vom 22.05.1989; Aktenzeichen 13 Ca 7075/88) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 11. Oktober 1990 – 2 Sa 420/89 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Vergütung der bei der Beklagten beschäftigten Heimarbeiterin Franziska S.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Pinselfertigungsindustrie. Ein Teil ihrer Produktion wird in Heimarbeit hergestellt. Dabei läßt die Beklagte eine neue Fertigungsmethode anwenden. Die Heimarbeiter erhalten vorgefertigte Haar- und Borstenbündel, die sie nur noch in eine Zwinge zu setzen und zu kitten haben. Andere Vor- und Nacharbeiten wie in der sogenannten herkömmlichen Fertigungsmethode entfallen. Die neue Fertigungsmethode war in den vom Heimarbeitsausschuß für die Bürsten-, Besen- und Pinselherstellung erlassenen bindenden Festsetzungen bis 1986 nicht erfaßt. Dementsprechend berechnete die Beklagte die Vergütungen nach eigenen Entgeltvorschriften, die sie nach entsprechenden Zeitaufnahmen bei ihren Heimarbeitern erstellt hatte. So verfuhr die Beklagte auch noch in den Jahren 1986, 1987 und 1988, obwohl der Heimarbeitsausschuß mit den bindenden Festsetzungen vom 2. Juni 1986 und 29. April 1987 in den Positionen 4 und 9 Entgelte für die besonderen Arbeitsvorgänge „vorgefertigte Haarbündel einzwingen, kitten” bzw. „vorgefertigte Borstenbündel einzwingen, kitten” festgesetzt hatte. Daran hielt die Beklagte in der Folgezeit fest, obwohl der Heimarbeitsausschuß einen Einspruch der Beklagten gegen den Entwurf der bindenden Festsetzungen vom April 1988 als unbegründet zurückgewiesen hatte.
Der Kläger hat gemeint, die Beklagte müsse die Entgelte bereits nach den bindenden Festsetzungen von 1986 und 1987 zahlen. Bei den Arbeitszeitaufnahmen seien die von der Beklagten vorgetragenen besonderen Fertigungsmethoden berücksichtigt worden wie z.B. die Anlieferung geputzter und lagegerechter Haarbündel sowie die Verwendung eines Stößels. Auch die Anwendung eines Druckapparats sei Gegenstand der Aufnahme gewesen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Heimarbeiterin Franziska S., 1.495,54 DM brutto und 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
Arbeits- und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision will die Beklagte weiterhin Klageabweisung erreichen. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Heimarbeiterin Franziska S. hat gegen die Beklagte Anspruch auf Nachzahlung von Entgelt nach den bindenden Festsetzungen vom 2. Juni 1986 und 29. April 1987 in Verbindung mit den bindenden Festsetzungen vom 29. Februar 1979 und 27. November 1968 sowie in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LohnFG und § 2 des Gesetzes zur Regelung der Lohnzahlung an Feiertagen (FeiertagsLohnzG). Die bei der Beklagten angewandten, für die Beschäftigten ungünstigeren Regelungen zur Bestimmung der Entgelte sind wegen Gesetzesverstoß nichtig, § 19 Abs. 3 Satz 2 HAG, § 134 BGB.
I.1. Nach § 19 Abs. 3 Satz 1 HAG hat die nach § 19 Abs. 1 und 2 HAG zustande gekommene bindende Festsetzung des Heimarbeitsausschusses die Wirkung eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages. Die in der bindenden Festsetzung enthaltenen Rechtsregeln gelten wie die Rechtsnormen des Tarifvertrages unmittelbar und zwingend zwischen den vom fachlichen, persönlichen und räumlichen Geltungsbereich erfaßten Auftraggebern und den in Heimarbeit Beschäftigten, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 4 TVG (BVerfG Beschluß vom 27. Februar 1973 – 2 BvL 27/69 – AP Nr. 7 zu § 19 HAG; BAG Urteil vom 12. August 1976 – 3 AZR 425/75 – AP Nr. 9 zu § 19 HAG; BAG Urteil vom 13. September 1983 – 3 AZR 343/81 – AP Nr. 11 zu § 19 HAG; BAG Urteil vom 19. Januar 1988 – 3 AZR 424/87 – AP Nr. 12 zu § 19 HAG).
2. Der Geltungsbereich der bindenden Festsetzungen umfaßt die Heimarbeiterin Franziska S. und ihre Tätigkeiten. Diese sind im zweiten Arbeitsvorgang der Positionen 4 und 9 beschrieben. Der Heimarbeitsausschuß war nach § 19 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz HAG berechtigt, für die bisher nicht von den bindenden Festsetzungen erfaßten Tätigkeiten erstmals Entgelte festzusetzen. Die Auftraggeber haben nach dem ausdrücklich nicht widersprochenen Vortrag des Klägers unzulängliche Entgelte gezahlt. Soweit die Beklagte behauptet hat, ihre Heimarbeiter erreichten die Mindestlöhne, war dieses Vorbringen nicht hinreichend substantiiert.
II. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, der Heimarbeitsausschuß habe sie in den Verfahren der bindenden Festsetzungen nicht ordnungsgemäß angehört. Die Beklagte hat nicht behauptet, die für den Streitfall maßgeblichen Festsetzungen vom 2. Juni 1986 und 29. April 1987 seien unter Mißachtung ihres Anhörungsrechts zustande gekommen. Soweit die Beklagte Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, meint sie damit das 1988 durchgeführte Anhörungsverfahren vor dem Heimarbeitsausschuß.
III. Die bindenden Festsetzungen eines Heimarbeitsausschusses unterliegen nur einer eingeschränkten inhaltlichen Kontrolle. Sie sind von den Gerichten für Arbeitssachen ebensowenig wie Tarifnormen auf ihre Zweckmäßigkeit und Billigkeit zu untersuchen, sondern nur auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Verfassungs- und Gesetzesrecht, die guten Sitten und die tragenden Grundsätze des Arbeitsrechts. Das verkennt die Beklagte, die die bindenden Festsetzungen vom 2. Juni 1986 und 29. April 1987 in den Vorinstanzen mit inhaltlichen Einwendungen und der Behauptung angegriffen hat, die den Festsetzungen zugrunde liegenden Zeitaufnahmen seien mangelhaft und sachwidrig durchgeführt. Die Ermittler des Gewerbeaufsichtsamts hätten die besonderen Fertigungsmethoden nicht berücksichtigt. So seien Teile von Arbeitsvorgängen berechnet, die bei der Beklagten nicht anfielen. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht dazu ausgeführt, daß damit ein Verstoß des Heimarbeitsausschusses gegen die Verfassung, ein Gesetz oder tragende Grundsätze des Arbeitsrechts nicht dargelegt ist.
1. Die Beklagte übersieht, daß nicht die einzelnen Zeitaufnahmen des Gewerbeaufsichtsamts zur Überprüfung anstehen, sondern die vom Heimarbeitsausschuß erlassenen bindenden Festsetzungen. Diese würden gegen tragende Grundsätze des Arbeitsrechts verstoßen, wenn sich der Heimarbeitsausschuß überhaupt keine Grundlagen für die Normsetzung besorgt oder aber nach arbeitswissenschaftlichen Methoden zusammengestellte Erkenntnisse mißachtet oder nicht nachvollziehbare Ermittlungen und Bewertungen vorgenommen hätte. Einen derart schwerwiegenden Verstoß hat die Beklagte nicht vorgetragen. Aus ihrem Vorbringen ist erkennbar, daß der Heimarbeitsausschuß umfangreiche Unterlagen zur Verfügung hatte, so daß von einer willkürlichen Festsetzung ohne ausreichende Grundlage nicht ausgegangen werden kann.
2. Unerheblich bleibt der Hinweis auf die Fehlerhaftigkeit der einzelnen Aufnahmen. Im gerichtlichen Verfahren kann – von Fällen der offensichtlichen Unrichtigkeit abgesehen – nicht mehr geltend gemacht werden, einzelne Teile der Bewertungsgrundlage seien nicht ordnungsgemäß zustande gekommen. Das ist im Verfahren vor dem Heimarbeitsausschuß geltend zu machen.
3. Dasselbe gilt für die Behauptung der Beklagten, die Ermittler des Gewerbeaufsichtsamts hätten die besonderen Fertigungsmethoden nicht berücksichtigt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat sich der Heimarbeitsausschuß vor der Erstfestsetzung 1986 mit der konventionellen Herstellungsmethode und mit den teilweise abweichenden Fertigungsmethoden auch der Beklagten vertraut gemacht. Ihm sind die verschiedenen Detailtätigkeiten und Handgriffe bekannt gewesen. In Kenntnis dessen kam es zu den neuen Formulierungen in der bindenden Festsetzung. Da die Beklagte diese Feststellungen nicht gerügt hat, steht für den Senat bindend fest, daß auch die Herstellungsmethoden der Beklagten bei der Neuregelung der bindenden Festsetzung im Jahre 1986 berücksichtigt worden sind.
IV. Die bindenden Festsetzungen des Heimarbeitsausschusses sind auch nicht deswegen nicht anzuwenden, weil sie zu unbestimmt und damit unjustitiabel wären. Das Landesarbeitsgericht hat auf die zutreffende Rechtsprechung des Vierten Senats des Bundesarbeitsgerichts hingewiesen (BAGE 51, 59 = AP Nr. 115 zu §§ 22, 23 BAT 1975), wonach die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen in Rechtsnormen grundsätzlich unbedenklich ist und nur dann nicht statthaft ist, wenn eine willkürliche Subsumtion möglich bleibt. So verhält es sich im Streitfall nicht. Nach dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der neuen Positionen 4 und 9 zweiter Arbeitsvorgang ist die Arbeit der Heimarbeiterin Franziska S. unter den Begriff „vorgefertigte Haar- und Borstenbündel einzwingen, kitten” zu subsumieren.
V. Die Klagesumme ist der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig. Die einzelnen Beträge finden ihre Grundlage in den bindenden Festsetzungen vom 2. Juni 1986 und 29. April 1987 (Stückentgelte), in § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LohnFG (Krankengeldausgleich), in § 2 FeiertagsLohnzG (Feiertagszuschlag), in § 7 Nr. 1 der bindenden Festsetzung vom 27. November 1968 (Heimarbeitszuschlag) und in den §§ 4, 5 der bindenden Festsetzung vom 19. April 1979 (Urlaubsentgelt). Der Zinsanspruch folgt aus § 284 Abs. 1 Satz 2, § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB.
VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Leinemann, Dr. Lipke, Dörner, Dr. Bächle, Dr. Bobke
Fundstellen