Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindende Festsetzung für Heimarbeiter. Anhörungsrecht
Leitsatz (amtlich)
- Mißachtet der Heimarbeitsausschuß im Verfahren zur bindenden Festsetzung nach § 19 Abs. 1 HAG das Anhörungsrecht eines Auftraggebers, so liegt ein schwerer Verfahrensverstoß vor, der bewirken kann, daß die bindenden Festsetzungen für die Beschäftigungsverhältnisse der Heimarbeiter des nicht angehörten Auftraggebers nicht anzuwenden sind.
- Der Verfahrensverstoß bleibt ohne Auswirkungen, wenn der nicht ordnungsgemäß angehörte Auftraggeber nicht darlegen kann, daß der Heimarbeitsausschuß bei ordnungsgemäßer Anhörung einen Beschluß mit anderem Inhalt hätte fassen können.
- Bindende Festsetzungen sind von den Gerichten für Arbeitssachen nicht auf Zweckmäßigkeit und Billigkeit, sondern nur auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Verfassungs- und Gesetzesrecht, die guten Sitten und die tragenden Grundsätze des Arbeitsrechts zu überprüfen.
Normenkette
HAG §§ 19, 25; Erste Rechtsverordnung zur Durchführung des Heimarbeitsgesetzes i.d.F. vom 27. Januar 1976 (DVO) § 7; TVG §§ 4-5
Verfahrensgang
LAG Nürnberg (Urteil vom 28.06.1990; Aktenzeichen 2 Sa 3/89) |
ArbG Nürnberg (Urteil vom 11.10.1988; Aktenzeichen 8 Ca 1752/88 A) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 28. Juni 1990 – 2 Sa 3/89 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen !
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Vergütung der bei der Beklagten beschäftigten Heimarbeiterin Hildegard B… .
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Pinselfertigungsindustrie. Ein Teil ihrer Produktion wird in Heimarbeit hergestellt. Dabei läßt die Beklagte eine neue Fertigungsmethode anwenden. Die Heimarbeiter erhalten vorgefertigte Haarbündel, die sie nur noch in eine Zwinge zu setzen und zu kitten haben. Nach der herkömmlichen Methode war das Pinselmaterial abzuteilen und einzuzwingen, zu kitten und auszuputzen, abzuzupfen und abzunehmen. Die neue Fertigungsmethode war in den vom Heimarbeitsausschuß für die Bürsten-, Besen- und Pinselherstellung erlassenen bindenden Festsetzungen bis 1986 nicht erfaßt. Dementsprechend berechnete die Beklagte die Vergütungen nach einem selbst entwickelten Entgeltverzeichnis.
Der Heimarbeitsausschuß beauftragte im Sommer 1985 das für die Entgeltüberwachung zuständige Gewerbeaufsichtsamt Nürnberg, Arbeitsvorgänge und Arbeitszeiten im Bereich der neuartigen Pinselherstellung zu ermitteln. Die Entgeltprüfer nahmen daraufhin bei verschiedenen Heimarbeitern verschiedener Pinselhersteller, auch der Beklagten, Arbeitszeiten auf. Die Beklagte nahm zu den Ergebnissen im Februar 1986 ablehnend schriftlich Stellung. Dieses Schreiben war Gegenstand der Heimarbeitsausschußsitzung vom Februar 1986, nach der das Gewerbeaufsichtsamt ergänzende Arbeitszeiterhebungen durchführte. Danach nahm der Heimarbeitsausschuß in die bindende Festsetzung vom 2. Juni 1986 erstmals für die vereinfachte Herstellung von Schulmalpinseln einen Arbeitsvorgang auf und legte die Stückentgelte dafür fest. Die Beklagte erhob gegen die Festsetzung zunächst keine Einwendungen, zahlte allerdings auch keine entsprechenden Stückentgelte. Erst seit Dezember 1986 verlangte die Beklagte vom Heimarbeitsausschuß mehrfach eine Änderung der bindenden Festsetzung, die der Vorsitzende des Heimarbeitsausschusses unter Hinweis darauf ablehnte, daß die von der Beklagten vorgebrachten Tatsachen bei der Festsetzung berücksichtigt seien. Im April 1987 verabschiedete der Heimarbeitsausschuß den Entwurf neuer, prozentual erhöhter bindender Festsetzungen, gegen die die Beklagte im Mai 1987 schriftlich Einspruch erhob. Der Heimarbeitsausschuß verhandelte mit Anhörung der Beklagten öffentlich und mündlich über den Einspruch und wies ihn einstimmig als sachlich unbegründet zurück. Der Entwurf der bindenden Festsetzungen vom 29. April 1987 wurde verabschiedet und im Bundesanzeiger veröffentlicht. Die Beklagte weigerte sich weiterhin, die in den Festsetzungen bestimmte Stückentgelte zu zahlen. Daraufhin erhob der Kläger in Prozeßstandschaft Klage für die Heimarbeiterin Hildegard B…. Er hat gemeint, die Beklagte sei verpflichtet, die Entgelte nebst Zuschlägen nach den bindenden Festsetzungen vom 2. Juni 1986 und 29. April 1987 zu zahlen.
Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Heimarbeiterin Hildegard B…, 2.499,79 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Heimarbeiterin Hildegard B… hat gegen die Beklagte Anspruch auf Nachzahlung von Entgelt nach den bindenden Festsetzungen des Heimarbeitsausschusses vom 2. Juni 1986 und vom 29. April 1987 in Verb. mit den bindenden Festsetzungen vom 19. Februar 1979 und vom 27. November 1968 sowie in Verb. mit § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LohnfortzG und § 2 des Gesetzes zur Regelung der Lohnzahlung an Feiertagen (FeiertagslohnzahlungsG). Die bei der Beklagten angewandten, für die Beschäftigten ungünstigeren Regelungen zur Bestimmung der Entgelte sind wegen Gesetzesverstoß nichtig, § 19 Abs. 3 Satz 2 HAG, § 134 BGB.
I.1. Nach § 19 Abs. 3 Satz 1 HAG hat die nach § 19 Abs. 1 und Abs. 2 HAG zustande gekommene bindende Festsetzung des Heimarbeitsausschusses die Wirkung eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages. Die in der bindenden Festsetzung enthaltenen Rechtsregeln gelten wie die Rechtsnormen des Tarifvertrags unmittelbar und zwingend zwischen den vom fachlichen, persönlichen und räumlichen Geltungsbereich erfaßten Auftraggebern und den in Heimarbeit Beschäftigten, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 4 TVG (BVerfG Beschluß vom 27. Februar 1973 – 2 BvL 27/69 – AP Nr. 7 zu § 19 HAG; BAG Urteil vom 12. August 1976 – 3 AZR 425/75 – AP Nr. 9 zu § 19 HAG; BAG Urteil vom 13. September 1983 – 3 AZR 343/81 – AP Nr. 11 zu § 19 HAG; BAG Urteil vom 19. Januar 1988 – 3 AZR 424/87 – AP Nr. 12 zu § 19 HAG).
2. Der Geltungsbereich der bindenden Festsetzungen umfaßt die Heimarbeiterin Hildegard B… und ihre Tätigkeit. Die Tätigkeit ist im zweiten Arbeitsvorgang der Position 4 beschrieben. Der Heimarbeitsausschuß war nach § 19 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz HAG berechtigt, für die bisher nicht von den bindenden Festsetzungen erfaßten Tätigkeiten erstmals Entgelte festzusetzen. Die Auftraggeber haben nach dem ausdrücklich nicht widersprochenen Vortrag des Klägers unzulängliche Entgelte gezahlt. Soweit die Beklagte behauptet hat, ihre Heimarbeiter erreichten die Mindestlöhne, war dieses Vorbringen nicht hinreichend substantiiert.
II. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, der Heimarbeitsausschuß habe sie in den Verfahren der bindenden Festsetzungen vom 2. Juni 1986 und 29. April 1987 nicht ordnungsgemäß angehört.
1. Der Heimarbeitsausschuß hat bei Erlaß der bindenden Festsetzungen vom 2. Juni 1986 das in § 19 Abs. 1 Satz 1 HAG und in § 7 der Ersten Rechtsverordnung zur Durchführung des Heimarbeitsgesetzes i.d.F. vom 27. Januar 1976 (DVO) geregelte Anhörungsrecht der Beklagten mißachtet. Dieser Verfahrensverstoß hindert die Anwendung der bindenden Festsetzungen in den Heimarbeitsverhältnissen bei der Beklagten nicht.
a) Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 HAG hat der Heimarbeitsausschuß vor der Festsetzung die Auftraggeber und die Beschäftigten anzuhören. Das geschieht nach § 7 Abs. 1 DVO in der Weise, daß den Beschäftigten und den Auftraggebern Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb einer festzusetzenden angemessenen Frist zu geben ist. Werden schriftliche Einwendungen fristgerecht erhoben, ist eine öffentliche und mündliche Verhandlung über diese Einwendungen anzusetzen. Spätestens die Äußerung der Beklagten vom 24. Februar 1986 ist eine Einwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 DVO. Der Heimarbeitsausschuß hätte eine öffentliche mündliche Verhandlung über diese Einwendung ansetzen müssen. Das ist nicht geschehen. Vielmehr ist die Beklagte lediglich schriftlich vor dem 2. Juni 1986 durch den Vorsitzenden beschieden worden.
b) Die Mißachtung der Anhörungsvorschriften bedeutet einen schweren Verfahrensverstoß. Er kann bewirken, daß die bindenden Festsetzungen für die Beschäftigungsverhältnisse des nicht angehörten Auftraggebers nicht anzuwenden sind. Das trifft aber nur zu, wenn der Heimarbeitsausschuß bei ordnungsgemäßer Anhörung einen anderen Beschluß über die bindende Festsetzung hätte fassen können, weil der übergangene Auftraggeber bisher nicht berücksichtigte Umstände vorzutragen hat. Ist das nicht der Fall, bleibt der Verfahrensverstoß ohne Auswirkungen. Kommt es wegen der Mißachtung des Anhörungsrechts zu einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit der bindenden Festsetzung, so hat die Partei, deren Anhörungsrecht mißachtet worden ist, die entsprechenden Tatsachen vorzutragen. Sie hat im einzelnen darzulegen, was sie bei ordnungsgemäßer Anhörung vorgetragen hätte und aus welchem Grund der Heimarbeitsausschuß bei Berücksichtigung des Vorbringens die Stückentgelte hätte abweichend festsetzen sollen.
c) Im Streitfall fehlt es an einem entsprechenden Vortrag der Beklagten. Sie hat nicht dargelegt, welche unbekannt gebliebenen Tatsachen sie dem Heimarbeitsausschuß vor der Festsetzung vom 2. Juni 1986 vorgetragen hätte, um ihn zu einer anderen Festsetzung zu bewegen. Sie hat lediglich die Umstände wiederholt, die dem Heimarbeitsausschuß bereits bekannt waren und die er im Rechtssetzungsverfahren berücksichtigt hat.
2. Die bindende Festsetzung vom 29. April 1987 ist nach ordnungsgemäßer Anhörung zustande gekommen. Nach der Verabschiedung des Entwurfs vom 29. April 1987 erhob die Beklagte mit Schriftsatz vom 25. Mai 1987 Einspruch. Darüber wurde öffentlich und mündlich verhandelt, wie es § 7 Abs. 1 DVO vorschreibt. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, die Anhörung sei eine Farce gewesen. Das Landesarbeitsgericht hat diese Wertung als pauschalen und nicht konkreten Vortrag bezeichnet. Eine ordnungsgemäße Revisionsrüge hat die Beklagte dazu nicht erhoben. Die Beklagte kann auch nicht einwenden, ihr hätten die Zeitaufnahmen nicht vorgelegen, die vom Gewerbeaufsichtsamt gefertigt und zur Grundlage der bindenden Festsetzung gemacht worden seien. Weder das Gesetz noch die Verordnung noch die rechtsstaatlichen Grundsätze über die Anhörung verlangen eine bestimmte Verfahrensweise. Der Anhörungspflicht ist entsprochen, wenn die Betroffenen Gelegenheit erhalten, sich gegen die beabsichtigte Normierung zu wenden und ihre Unterlagen dem Ausschuß vorzulegen, die dessen Mitglieder in die Lage versetzen, die bisherigen und die neuen Unterlagen zu vergleichen, zu bewerten und zur Grundlage für weitere Entscheidungen zu machen.
III. Die bindenden Festsetzungen eines Heimarbeitsausschusses unterliegen nur einer eingeschränkten inhaltlichen Kontrolle. Sie sind von den Gerichten für Arbeitssachen ebensowenig wie Tarifnormen auf ihre Zweckmäßigkeit und Billigkeit zu untersuchen, sondern nur auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Verfassungsund Gesetzesrecht, die guten Sitten und die tragenden Grundsätze des Arbeitsrechts. Das verkennt die Beklagte, die die bindenden Festsetzungen vom 2. Juni 1986 und 29. April 1987 in den Vorinstanzen mit inhaltlichen Einwendungen angegriffen hat, indem sie ausgeführt hat, die Zeitaufnahmen seien für die Anfertigung von Schulmalpinseln mit vorgefertigten Haarbüscheln fehlerhaft zustande gekommen, der Heimarbeitsausschuß habe die besondere Fertigungsmethode und das Fehlen einiger Arbeitsvorgänge nicht berücksichtigt. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht dazu ausgeführt, daß damit ein Verstoß gegen die Verfassung, ein Gesetz oder tragende Grundsätze des Arbeitsrechts nicht dargelegt ist. Hiergegen hat die Revision keine durchgreifenden Rügen erhoben. Ihr Vorbringen erschöpft sich in der Wiederholung ihrer Ansicht, welche Fehler der Heimarbeitsausschuß bei der Einführung und Bewertung der neuen Position 4 gemacht haben soll.
IV. Die Klagesumme ist der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig. Die einzelnen Beträge finden ihre Grundlage in den bindenden Festsetzungen vom 2. Juni 1986 und vom 29. April 1987 (Stückentgelte), in § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LohnfortzG (Krankengeldausgleich), in § 2 FeiertagslohnzahlungsG (Feiertagszuschlag), in § 7 Nr. 1 der bindenden Festsetzung vom 27. November 1968 (Heimarbeitszuschlag) und in den §§ 4, 5 der bindenden Festsetzung vom 19. Februar 1979 (Urlaubsentgelt). Der Zinsanspruch folgt aus § 284 Abs. 1 Satz 2, § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB.
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Leinemann, Dr. Lipke, Dörner, Dr. Bächle, Dr. Bobke
Fundstellen
Haufe-Index 846797 |
NZA 1993, 315 |
RdA 1992, 400 |