Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslösung im Baugewerbe

 

Orientierungssatz

Nach § 7 Nr 4.1 BauRTV kann ein Arbeitnehmer auch für die Tage, an denen nach Arbeitsende die Heimreise angetreten wird, Auslösung beanspruchen.

 

Normenkette

BauRTV

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 21.08.1986; Aktenzeichen 14 Sa 889/86)

ArbG Hannover (Entscheidung vom 26.03.1986; Aktenzeichen 10 Ca 405/85)

 

Tatbestand

Der der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden angehörende Kläger steht seit dem Jahre 1961 als Maurer in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten, die einem baugewerblichen Arbeitgeberverband nicht angeschlossen ist. Ihr Betrieb verrichtet jedoch baugewerbliche Tätigkeiten.

Während der Monate Juni bis November 1985 war der Kläger zusammen mit anderen Arbeitnehmern auf auswärtigen Baustellen eingesetzt, die mehr als 25 km vom Betrieb der Beklagten entfernt lagen. Der Weg des verheirateten Klägers zu den Baustellen betrug bei Benutzung des zeitlich günstigsten öffentlichen Verkehrsmittels bzw. eines von der Beklagten zur Verfügung gestellten ordnungsgemäßen Fahrzeugs jeweils mehr als 1 1/4 Stunde.

Wie die übrigen Arbeitnehmer der Beklagten fuhr der Kläger jeweils am Montagmorgen von seinem Erstwohnort zur Baustelle. Nachdem er am Orte seines auswärtigen Einsatzes in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag noch übernachtet hatte, arbeitete er anschließend an der jeweiligen Baustelle freitags bis gegen 11.00 bzw. 12.00 Uhr. Dann trat er wie die übrigen Arbeitnehmer der Beklagten die Rückreise zu seinem Erstwohnort an. Wie die übrigen Arbeitnehmer der Beklagten traf der Kläger zur Zeit des normalen Arbeitsschlusses an seinem Erstwohnort ein.

Für die Wochentage vom Montag bis Donnerstag zahlte die Beklagte an den Kläger jeweils Auslösung. Für den Freitag wurde dagegen von ihr keine Auslösung gezahlt. Die Quartierkosten der Arbeiter am Orte der jeweiligen auswärtigen Baustellen für die Tage des Wochenendes (Freitag bis Sonntag) wurden von der Beklagten getragen.

Nachdem der Kläger die der Höhe nach unstreitige Klageforderung schriftlich am 15. Oktober 1985 und 16. Januar 1986 geltend gemacht hatte, hat er mit seiner am 12. Dezember 1985 erhobenen und am 21. Januar 1986 erweiterten Klage die Beklagte auf Zahlung der tariflichen Auslösung für die Freitage für den Beschäftigungszeitraum vom 1. Juni 1985 bis 30. November 1985 in Anspruch genommen. Er hat sich darauf berufen, nach den allgemeinverbindlichen Bestimmungen des BRTV-Bau stehe ihm auch für die Freitage Auslösung zu. Diese Rechtsauffassung werde von beiden Tarifvertragsparteien geteilt und müsse schon deswegen berücksichtigt werden. Auch freitags habe bei ihm getrennte Haushaltsführung im tariflichen Sinne vorgelegen. Das ergebe sich schon daraus, daß er jeweils in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag auswärts habe übernachten und sich am Freitag auch bis über die Mittagszeit hinaus außerhalb seiner Häuslichkeit habe verköstigen müssen. Damit sprächen für sein Klagebegehren der Tarifwortlaut und der tarifliche Gesamtzusammenhang. Dabei sei zu beachten, daß ihm nach der Regelung des § 4 Nr. 4.2 BRTV-Bau Auslösung auch für den Tag der Anreise zur auswärtigen Baustelle und gleichermaßen für den Tag der Rückreise nach Beendigung der Tätigkeit zustehe. Demgemäß hat der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger

398,40 DM netto nebst 4 v.H. Zinsen seit

dem 1. September 1985 sowie weitere 395,70

DM nebst 4 v.H. Zinsen seit dem 21. Januar

1986 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und erwidert, für das Klagebegehren gebe es keine Rechtsgrundlage. Es sei bereits zweifelhaft, ob im Sinne des Vorbringens des Klägers für die Tarifauslegung allgemein die sogenannte "subjektive Methode" angewendet werden könne, wonach die Gerichte an eine übereinstimmende Tarifauslegung der Tarifvertragsparteien gebunden seien. Jedenfalls sei diese Methode der Tarifauslegung bei ihr nicht anwendbar, da sie keinem Arbeitgeberverband angehöre und deswegen der BRTV-Bau für ihren Betrieb nur aufgrund seiner Allgemeinverbindlichkeit gelte. Abgesehen davon sprächen weder der Tarifwortlaut noch der tarifliche Gesamtzusammenhang für die Rechtsauffassung des Klägers. Der Auslösungsanspruch sei nach dem BRTV-Bau an die Übernachtung außerhalb der Erstwohnung gebunden. Demgemäß könne ein Anspruch auf Auslösung nur dann entstehen, wenn der Arbeitnehmer nach dem betreffenden Arbeitstag auch wieder auswärts übernachte. Das aber sei beim Kläger und seinen Kollegen freitags gerade nicht der Fall gewesen. § 4 Nr. 4.2 BRTV-Bau könne nicht analog angewendet werden. Auch das Steuerrecht stehe dem Klagebegehren entgegen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage für den Anspruchszeitraum ab 1. Juli 1985 in Höhe von 691,70 DM nebst 4 % Zinsen aus 296,-- DM seit 1. September 1985 sowie aus weiteren 395,70 DM seit 1. Januar 1986 stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die vom Arbeitsgericht zugelassene Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage in vollem Umfang. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision mit der Maßgabe, daß er Zinsen nur aus dem an ihn auszuzahlenden Betrag beansprucht.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der in der Revisionsinstanz noch anhängigen Klage in der Hauptsache mit Recht stattgegeben. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger für die Zeit von Juli bis November 1985 restliche Auslösung in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 691,70 DM brutto zu zahlen. Denn dem Kläger steht auch für die jeweiligen Freitage, an denen er nach Beendigung seiner Arbeit mittags die auswärtige Baustelle zur Heimfahrt verlassen hat, Auslösung zu. Das Arbeitsgericht hat den ausgeurteilten Betrag von 691,70 DM in der Urteilsformel und in den Entscheidungsgründen zwar nicht als Bruttobetrag gekennzeichnet. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte sind aber geschuldete Lohnbeträge als Bruttobeträge zu zahlen. Das gilt auch für entsprechende gerichtliche Urteile. Zudem hat das Landesarbeitsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils klargestellt, daß sich die Verurteilung der Beklagten auf einen Bruttobetrag richtet.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet für den Klagezeitraum der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 3. Februar 1981 in der Fassung vom 26. September 1984 (BRTV- Bau) kraft Allgemeinverbindlichkeit mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 5 Abs. 4, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Danach sind für den Anspruch des Klägers auf Auslösung für die Freitage, an denen er nach Beendigung seiner Arbeit von der Baustelle die Heimreise angetreten hat, folgende Bestimmungen des § 7 BRTV-Bau heranzuziehen:

§ 7

Fahrtkostenabgeltung, Verpflegungszuschuß und

Auslösung

---------------------------------------------

.....

4. Bau- oder Arbeitsstellen ohne tägliche

Heimfahrt

--------------------------------------

4.1 Auslösung

---------

Der Arbeitnehmer, der auf einer Bau- oder

Arbeitsstelle tätig ist, die mehr als 25

km vom Betrieb entfernt ist und dem die

tägliche Rückkehr zur Wohnung (Erstwohnung)

nicht zuzumuten ist, hat für jeden

Kalendertag, an dem die getrennte Haushaltsführung

hierdurch verursacht ist, Anspruch

auf eine Auslösung.

.....

Das Merkmal der getrennten Haushaltsführung

gilt als erfüllt, wenn der Arbeitnehmer

die Unterhaltungskosten mindestens

einer Wohnung (Erst- oder Zweitwohnung)

überwiegend trägt und außerhalb seiner

Erstwohnung übernachtet.

Die tägliche Rückkehr ist nicht zumutbar,

wenn der normale Zeitaufwand für den einzelnen

Weg von der Wohnung zur Bau- oder

Arbeitsstelle bei Benutzung des zeitlich

günstigsten öffentlichen Verkehrsmittels

oder eines vom Arbeitgeber zur Verfügung

gestellten ordnungsgemäßen Fahrzeugs mehr

als 1 1/4 Stunden beträgt.

4.2 Auslösung für An- und Rückreise zu und von

Bau- oder Arbeitsstellen nach Nr. 4.1

------------------------------------------

Für den Tag der Anreise und für den Tag der

Rückreise nach Beendigung der Tätigkeit hat

der Arbeitnehmer Anspruch auf die volle

Auslösung.

.....

4.4 Fortfall von Auslösungsanspruch und Ausfallvergütung

----------------------------------------

Der Anspruch auf Auslösung entfällt

4.4.1 für Tage der tariflichen Wochenendheimfahrten,

4.4.2 für Tage der außertariflichen Wochenendheimfahrten,

4.4.3 während eines Krankenhausaufenthalts

mit Ausnahme des Tages der

Aufnahme,

4.4.4 für die Tage, an denen der Arbeitnehmer

ganz oder teilweise die Arbeit

schuldhaft versäumt.

Unstreitig war der Kläger im Klagezeitraum auf einer Baustelle beschäftigt, die mehr als 25 km vom Betrieb der Beklagten entfernt war. Die tägliche Rückkehr zu seiner Wohnung war ihm auch nicht zuzumuten, da der normale Zeitaufwand für den einzelnen Weg von der Wohnung zur Baustelle bei Benutzung des zeitlich günstigsten öffentlichen Verkehrsmittels unstreitig mehr als 1 1/4 Stunden betrug. Da der Kläger im Klagezeitraum am Orte seines jeweiligen Einsatzes wohnte und übernachtete, andererseits aber seine Wohnung an seinem Erstwohnort beibehielt, führte er während seiner Tätigkeit auf der Baustelle einen getrennten Haushalt, der durch seinen auswärtigen Einsatz verursacht war. "Getrennte Haushaltsführung" im tariflichen Sinne setzt nämlich lediglich voraus, daß der Bauarbeiter neben seinem Haushalt am Wohnort auch noch am auswärtigen Arbeitsort einen zweiten Haushalt führt, wobei es ausreicht, wenn er dort eine Unterkunft unterhält und sich in der Regel selbst beköstigen muß (BAG Urteil vom 14. November 1973 - 4 AZR 78/73 -, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Daher kann er für jeden Kalendertag und damit auch für die Freitage, an denen er nach Arbeitsschluß die Heimreise zu seinem Erstwohnort antrat, nach § 7 Nr. 4.1 BRTV- Bau die Auslösung beanspruchen.

Dies folgt aus dem für die Tarifauslegung maßgebenden Wortlaut und Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelungen (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Die Tätigkeit des Klägers auf einer Baustelle wird durch Wochenendheimreisen oder auswärtige Aufenthalte in seiner Freizeit nicht unterbrochen. Der Arbeitnehmer ist so lange auf einer Baustelle tätig, bis sein Arbeitseinsatz dort beendet ist, wobei auch für arbeitsfreie Tage der (ersten) Anreise und (letzten) Rückreise Auslösung zu zahlen ist (§ 7 Nr. 4.2 BRTV-Bau). Diese bereits aus dem Wortlaut herzuleitende Auslegung wird durch den Gesamtzusammenhang des § 7 Nr. 4 BRTV-Bau bestätigt. Wenn nämlich § 7 Nr. 4.4 BRTV-Bau Ausnahmetatbestände normiert, bei deren Erfüllung der Auslösungsanspruch fortfällt, z. B. für tarifliche Wochenendheimfahrten, setzt dies voraus, daß ohne die Regelung des § 7 Nr. 4.4 BRTV-Bau ein Anspruch auf Auslösung nach § 7 Nr. 4.1 BRTV- Bau gegeben wäre. Dann aber setzt § 7 Nr. 4.1 BRTV-Bau nicht voraus, daß sich der Arbeitnehmer am Ort der Baustelle aufhält oder dort übernachtet.

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann aus § 7 Nr. 4.1 Abs. 3 BRTV-Bau nicht hergeleitet werden, eine getrennte Haushaltsführung sei nur für die Kalendertage zu bejahen, an denen der Arbeitnehmer außerhalb seiner Erstwohnung übernachtet. § 7 Nr. 4.1 Abs. 2 BRTV-Bau enthält keine Begriffsbestimmung der getrennten Haushaltsführung. Andernfalls hätten die Tarifvertragsparteien - ähnlich wie in § 7 Nr. 4.1 Abs. 4 BRTV-Bau für die Zumutbarkeit der täglichen Rückkehr - z. B. formuliert: "Eine getrennte Haushaltsführung liegt vor ". Davon haben sie aber gerade abgesehen und nur geregelt, unter welcher Voraussetzung das Merkmal der getrennten Haushaltsführung als erfüllt "gilt". Damit haben sie eine Fiktion gewählt, die einen zweifelhaften Fall regelt, der neben die ohnehin bestehenden Fälle der getrennten Haushaltsführung hinzutritt. Der Sinn dieser Fiktion liegt darin, eine Regelung für die Fälle zu treffen, bei denen der Arbeitnehmer die Unterhaltungskosten einer Erst- oder Zweitwohnung nicht allein trägt, wenn er z. B. bei seinen Eltern wohnt. In diesen Fällen gilt das Merkmal der getrennten Haushaltsführung dann als erfüllt, wenn der Arbeitnehmer die Unterhaltungskosten der Erst- oder Zweitwohnung überwiegend trägt und außerhalb dieser Wohnung übernachtet. Ist aber in diesem Sinne das Merkmal der getrennten Haushaltsführung erfüllt, steht dem Arbeitnehmer nach § 7 Nr. 4.1 Abs. 1 BRTV-Bau Auslösung für jeden Kalendertag zu, an dem er auf der Baustelle tätig ist, wozu auch die arbeitsfreien Tage zählen.

Der Anspruch des Klägers auf Auslösung für die Freitage, an denen er die Heimreise nach Beendigung seiner Arbeit antrat, entfällt auch nicht nach § 7 Nr. 4.4.1 oder § 7 Nr. 4.4.2 BRTV- Bau. Denn diese Freitage können nicht als "Tage der tariflichen Wochenendheimfahrten" oder "Tage der außertariflichen Wochenendheimfahrten" angesehen werden, für die keine Auslösung zu zahlen ist. Der Sinn einer Auslösung liegt darin, dem Arbeitnehmer die Mehrkosten zu erstatten, die ihm durch den Aufenthalt am Ort einer auswärtigen Baustelle entstehen, das sind der Verpflegungsmehraufwand und die Übernachtungskosten. Verpflegungsmehraufwand entsteht immer dann, wenn der Arbeitnehmer auswärts arbeiten und sich dort verpflegen muß. Dies trifft vorliegend auch für die Freitage zu, an denen der Kläger zwar nach Arbeitsende nach Hause fuhr, aber zuvor bis zur Mittagszeit arbeitete. Nach dem Sinn und Zweck der Auslösung können daher als "Tage" der tariflichen und außertariflichen Wochenendheimfahrten nur solche Tage angesehen werden, die der Arbeitnehmer zu Hause verbringt und an denen keine arbeitsbedingten Mehrkosten anfallen. Die Tarifvertragsparteien haben die Auslösung nicht für Tage ausgeschlossen, an denen dem Arbeitnehmer nur teilweise Mehrkosten entstehen, weil er während des Tages zu Hause eintrifft. Diese Auslegung entspricht auch den Auskünften der Tarifvertragsparteien, die das Arbeitsgericht eingeholt hat, und der Kommentierung von Brocksiepe/Sperner (Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe, 1981, S. 166 f.). Sie wird auch dem Grundsatz gerecht, daß im Zweifel derjenigen Tarifauslegung der Vorzug zu geben ist, die zu einer vernünftigen, gerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAGE 46, 308, 316 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung mit weiteren Nachweisen). Ob die Auslösung steuerfrei ist, ist unerheblich (vgl. BAG Urteil vom 28. April 1982 - 4 AZR 642/79 -, AP Nr. 39 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

Der Zinsanspruch des Klägers beruht auf §§ 284, 288 BGB.

Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

Dr. Etzel Matthes Dr. Freitag

Preuße Polcyn

 

Fundstellen

Dokument-Index HI439508

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