Leitsatz (redaktionell)
Einzelvertragliche Abreden über die Rückzahlung von Ausbildungskosten sind insoweit unwirksam, wie sie eine Erstattung auch für den Fall einer betriebsbedingten Kündigung durch den Arbeitgeber vorsehen.
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz nur noch darüber, ob der Beklagte der Klägerin die Kosten einer Ausbildung zu erstatten hat.
Die Klägerin betreibt ein Omnibusunternehmen. Sie fährt im Auftrag der Stadt B im Linien- und Schulbusverkehr. Mit Arbeitsvertrag vom 21. Oktober 1994 stellte sie den Beklagten zum 7. November 1994 als Busfahrer ein. In der Zeit zwischen Vertragsschluß und Arbeitsbeginn erwarb der Beklagte den dafür erforderlichen Führerschein der Klasse 2 und den Personenbeförderungsschein. Die Ausbildungskosten in Höhe von 6.410,00 DM trug die Klägerin. Eine Vergütung erhielt der Beklagte in dieser Zeit nicht. Der Arbeitsvertrag enthält die Regelung, daß der Beklagte "im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses" die von der Klägerin übernommenen Kosten im ersten Jahr vollständig, im zweiten Jahr zu zwei Dritteln und im dritten Jahr zu einem Drittel zu erstatten habe.
Mit Schreiben vom 29. Mai 1996 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis. In dem Schreiben heißt es:
"... Leider müssen wir Ihnen mitteilen, daß wir das bestehende Arbeitsverhältnis in der Zeit vom 04.07. bis 18.08.96 wegen Arbeitsmangel kündigen.
Nach diesem Zeitpunkt sind beide Parteien von sämtlichen Rechten und Pflichten enthoben."
In der Zeit vom 4. Juli bis 18. August 1996 lagen die Sommerschulferien. Die Klägerin pflegte allen ihren Mitarbeitern zu Beginn der Ferien zu kündigen, um sie am Ferienende wieder einzustellen. Der Beklagte nahm das Wiedereinstellungsangebot der Klägerin nicht an, weil er eine neue Stelle gefunden hatte.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte schulde ihr die Erstattung von zwei Dritteln der Ausbildungskosten. Sie hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 4.230,60 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, die Rückzahlungsvereinbarung im Arbeitsvertrag sei zumindest insoweit rechtsunwirksam, wie sie eine Rückforderung auch für den Fall vorsehe, daß die Klägerin das Arbeitsverhältnis selbst kündige.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erstattung der Ausbildungskosten aus der Rückzahlungsvereinbarung im Arbeitsvertrag nicht zu.
I. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht allerdings angenommen, daß die vertraglichen Voraussetzungen für die Erstattung eines Teils der Ausbildungskosten erfüllt sind. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist im zweiten Jahr seines Bestehens wirksam beendet worden.
Daß die Beendigung auf einer Kündigung der Arbeitgeberin beruht, hindert nach dem Wortlaut der Regelung einen Erstattungsanspruch nicht. Anspruchsvoraussetzung ist danach allein die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, gleichgültig durch wen. Eine einschränkende Auslegung der Vereinbarung dahin, daß nur die Arbeitnehmerkündigung die Rückzahlungspflicht auslösen solle, ist nicht geboten. Die Parteien haben Anhaltspunkte für einen solchen Inhalt der Abrede nicht vorgetragen. Sowohl sie als auch das Landesarbeitsgericht haben sie zudem in einem dem Wortlaut entsprechenden weiteren Sinne verstanden. Von einem mit dem Wortlaut übereinstimmenden Anwendungsbereich geht daher auch der Senat aus.
II. Die vertragliche Rückzahlungsklausel ist aber rechtsunwirksam. Sie verstößt gegen § 138 Abs. 1, § 242 BGB.
1. Das Landesarbeitsgericht hat die Vereinbarung für gültig gehalten. Es hat die Auffassung vertreten, sie sei nicht deshalb unwirksam, weil sie auch den Fall der Kündigung durch den Arbeitgeber erfasse. Dem folgt der Senat nicht.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind einzelvertragliche Vereinbarungen, wonach vom Arbeitgeber aufgewendete Ausbildungskosten vom Arbeitnehmer zurückzuzahlen sind, wenn dieser das Arbeitsverhältnis vor Ablauf einer bestimmten Frist beendet, grundsätzlich zulässig (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 6. September 1995 - 5 AZR 241/94 - AP Nr. 23 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, zu 2 der Gründe, m.w.N.).
3. Nicht entschieden hat das Bundesarbeitsgericht bisher die Frage, ob dies auch insoweit gilt, wie die Rückzahlungsklauseln eine Erstattung von Ausbildungskosten auch für den Fall vorsehen, daß der Arbeitgeber innerhalb der Frist kündigt. In einem Urteil vom 29. Juni 1962 (BAGE 13, 168, 173 = AP Nr. 25 zu Art. 12 GG) hat der Erste Senat angedeutet, eine Zahlungspflicht des Arbeitnehmers sei nur dann anzunehmen, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von diesem ausgehe. In einem Urteil vom 19. März 1980 (- 5 AZR 362/78 - AP Nr. 5 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe) hat der erkennende Senat entschieden, das Verlangen eines Arbeitgebers nach Rückzahlung der Kosten für eine Umschulung sei dann nicht begründet, wenn der Arbeitgeber nach Abschluß der Ausbildung kein Interesse am Abschluß eines Arbeitsvertrages habe. An dieser Auffassung hält der Senat fest. 4. Die Rechtswirksamkeit einer einzelvertraglichen Rückzahlungsklausel ist darüber hinaus in allen Fällen zu verneinen, in denen der Kündigungsgrund ausschließlich aus der Sphäre des Arbeitgebers stammt.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats muß die Rückzahlungspflicht aus der Sicht eines verständigen Betrachters einem begründeten und billigenswerten Interesse des Arbeitgebers entsprechen. Die Erstattungspflicht muß dem Arbeitnehmer gemäß § 242 BGB nach Treu und Glauben zumutbar sein. Dies ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu ermitteln. Die richterliche Inhaltskontrolle entsprechender Rückzahlungsklauseln im Rahmen des § 138 Abs. 1, § 242 BGB ist von Verfassungs wegen geboten (BAG Urteil vom 6. September 1995 - 5 AZR 241/94 - AP Nr. 23 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, zu 2 der Gründe, m.w.N.).
b) Die Rückzahlung von Ausbildungskosten ist dem Arbeitnehmer im Falle einer betriebsbedingten Kündigung bei Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zumutbar. Das Interesse des Arbeitgebers, der seinem Arbeitnehmer eine Aus- oder Weiterbildung finanziert, geht dahin, die vom Arbeitnehmer erworbene Qualifikation möglichst langfristig für den Betrieb nutzen zu können. Dieses grundsätzlich berechtigte Interesse gestattet es dem Arbeitgeber, als Ausgleich für seine finanziellen Aufwendungen vom sich abkehrenden Arbeitnehmer für eine gewisse Frist die Kosten der Ausbildung ganz oder zeitanteilig zurückzuverlangen. Kündigt dagegen innerhalb der Bindungsfrist der Arbeitgeber selbst, so gibt er damit jedenfalls für den Fall der betriebsbedingten Kündigung zu erkennen, daß er trotz der aufgewendeten Kosten nicht bereit, zumindest nicht in der Lage ist, dem Betrieb die Qualifikation des Arbeitnehmers zu erhalten. Die sachliche Grundlage für eine Kostenbeteiligung des Arbeitnehmers, die diese als angemessenen Interessenausgleich erscheinen läßt, ist damit entfallen. Die Rückzahlungsklausel stellt nur dann eine ausgewogene Gesamt-regelung dar, wenn der Arbeitnehmer es in der Hand hat, der Rückzahlungspflicht durch eigene Betriebstreue zu entgehen. Der Arbeitnehmer ist vielfach nicht in der Lage, die zum Teil erheblichen Kosten für die Aus- und Fortbildung selbst zu tragen. Bei Bestehen einer Rückzahlungsabrede nimmt er deshalb an einer solchen Maßnahme regelmäßig nur unter der Voraussetzung und im Vertrauen darauf teil, daß er für die Dauer der Bindungsfrist im Betrieb verbleiben und so auch eine nachträgliche eigene Belastung vermeiden kann. Dieses schützenswerte Vertrauen des Arbeitnehmers würde verletzt, wenn auch die Entscheidung des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis zu beenden, die Rückzahlungspflicht auslösen könnte. Im Falle einer betriebsbedingten Kündigung ist dem Arbeitnehmer ein Festhalten an der Pflicht zur Kostenbeteiligung darum nicht zumutbar. Entgegenstehende Rückzahlungsabreden sind zumindest insoweit rechtsunwirksam.
5. Im Streitfall gilt nicht deshalb etwas anderes, weil die Klägerin dem Beklagten das Angebot unterbreitet hat, ihn nach Ablauf der Sommerferien erneut als Busfahrer einzusetzen. Zwar hat der Beklagte auf diese Weise die Möglichkeit erhalten, das Arbeitsverhältnis später fortzusetzen und seine Betriebstreue weiter zu erweisen. Er war jedoch nicht gehalten, dieses Angebot anzunehmen. Es ist ihm nicht vorzuwerfen, daß er sich in der Zeit zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Wiedereinstellungsangebot um eine andere Arbeitsstelle bemüht hat und sodann an ihr festhielt. Es ist die Klägerin, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeigeführt und seine Nichtfortsetzung zu vertreten hat. Der Arbeitgeber, der betriebsbedingt kündigt, kann die Unwirksamkeit der Rückzahlungsvereinbarung nicht dadurch vermeiden, daß er dem Arbeitnehmer später ein Wiedereinstellungsangebot unterbreitet. 6. Ob der Klageanspruch auch deshalb unbegründet ist, weil die Rückzahlungsvereinbarung eine unzulässig lange Bindungsdauer vorsieht, kann dahinstehen. Ebensowenig muß entschieden werden, ob dem Anspruch die Ausschlußfristen eines einzelvertraglich einbezogenen Tarifvertrags und der Zusatz im Kündigungs-schreiben entgegenstehen, die Parteien seien "nach diesem Zeitpunkt von sämtlichen Rechten und Pflichten enthoben".
Fundstellen
Haufe-Index 440267 |
BAGE, 340 |
BB 1998, 2476 |
DB 1999, 156 |
NJW 1999, 443 |
ARST 1998, 270 |
FA 1998, 389 |
NZA 1999, 79 |
RdA 1999, 224 |
SAE 1999, 114 |
ZTR 1999, 85 |
AP, 0 |
AuA 1999, 134 |
AuA 1999, 33 |
MDR 1999, 236 |