Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifauslegung. Anrechenbarkeit von Leistungen auf Mindestgehalt in Spielbank
Leitsatz (redaktionell)
Eine Spielbank kann die “individuelle Leistung”, die aufgrund Tarifvertrag für die am 31.10.1999 punktvergüteten Arbeitnehmer zu zahlen ist, auf das Mindestgehalt gemäß § 4 Entgelttarifvertrag 1996 anrechnen. Sie muss keinen Zuschuss zum Mindesteinkommen zahlen, wenn die Punktvergütung und die “individuelle Leistung” zusammengerechnet das Mindesteinkommen erreichen.
Normenkette
Entgeltrahmentarifvertrag für punktbesoldete Arbeitnehmer/innen der Westdeutsche Spielbanken GmbH & Co. KG vom 7. September 1992 §§ 2, 5; Entgelttarifvertrag für punktbesoldete Arbeitnehmer/innen vom 1. Februar 1996 §§ 2, 4 Abs. 1; Teilvereinbarung zu einem Tronctarifvertrag vom 1. Februar 1996 §§ 2, 3, 5; TV Regelung “Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung für punktbesoldete Arbeitnehmer/innen der Westdeutschen Spielbanken GmbH & Co. KG in der Spieltechnik und in der Kasse” vom 1. November 1999 Ziff. 1, 3, 4
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe tariflicher Vergütungsansprüche.
Die Beklagte betreibt mehrere Spielbanken, ua. in D…, wo der Kläger seit dem 1. Januar 1980 als Croupier beschäftigt ist. Auf das Arbeitsverhältnis sind die von der Beklagten abgeschlossenen Haustarifverträge anwendbar.
Der Kläger ist als Croupier ein sog. punktbesoldeter Mitarbeiter und gem. § 5 des Entgeltrahmentarifvertrages für punktbesoldete Arbeitnehmer/innen der Westdeutsche Spielbanken GmbH & Co. KG vom 7. September 1992 (ERTV 1992) in die Entgeltgruppe 6 eingeordnet. Nach § 2 ERTV 1992 werden die monatliche Punktzahl und das garantierte monatliche Tarifentgelt (Mindestgehalt) im jeweils gültigen Entgelttarifvertrag festgelegt. In § 2 des Entgelttarifvertrages für punktbesoldete Arbeitnehmer/innen vom 1. Februar 1996 (ETV 1996) sind die tariflichen Punktanteile bestimmt, die sich nach der Entgeltgruppe und der Anzahl der Beschäftigungsjahre des jeweiligen Mitarbeiters richten. Die punktbesoldeten Mitarbeiter erhalten keine monatlich gleichbleibende Vergütung, sondern die sog. Punktvergütung, dh. einen dem jeweiligen Punktanteil entsprechenden Anteil aus dem Tronc, der sich aus den Zuwendungen von den Besuchern der Spielbanken zusammensetzt. Dabei wird für alle Spielbanken der Beklagten ein Gesamttronc gebildet, von dem 75 % für die Arbeitnehmer in der Spieltechnik und in der Kasse und 25 % für die Arbeitnehmer im Service und in der Verwaltung zur Verfügung stehen (§ 2 Ziff. 2 und 3 und § 3 Ziff. 1 der Teilvereinbarung zu einem Tronctarifvertrag vom 1. Februar 1996 – TV Tronc 1996 –). § 4 ETV 1996 regelt die Mindestgehälter, die unabhängig vom Troncaufkommen von dem Arbeitgeber garantiert werden und nach der Anzahl der tariflichen Punkte gestaffelt sind. Das Mindestgehalt des Klägers mit 28 Punkten beträgt nach § 4 ETV 1996 7.644,00 DM (3.909,00 Euro). In § 4 Ziff. 2 ETV 1996 ist ebenso wie in den früheren Entgelttarifverträgen vom 29./30. Juni 1992 und vom 2./12. September 1994 (ETV 1992 und ETV 1994) folgende Regelung getroffen:
“Zuschüsse, die das Unternehmen zur Deckung der Mindestgehälter leistet, werden dem Unternehmen aus dem 75 %igen Troncanteil zurückerstattet. Eine Erstattung wird in den Monaten vorgenommen, in denen die Troncmittel des 75 %igen Troncanteils höher sind, als zur Deckung der Mindestgehälter erforderlich. Der Rückfluss aus dem Gesamttronc an die Gesellschaft erfolgt dann in Höhe des überschießenden Betrages bis zur vollständigen Abdeckung des von der Gesellschaft geleisteten Zuschusses bis längstens zum 31.12. des laufenden Jahres. Zuschüsse für den Monat Dezember eines Jahres können bis zum 31.01. des jeweiligen Folgejahres verrechnet werden.”
Weil im Rahmen der Steuerreform 1995 die steuerliche Behandlung von Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit verändert worden war und sich dementsprechend das Nettoeinkommen der Beschäftigten in der Spielbank verringert hatte, verpflichtete sich die Beklagte im TV Tronc 1996 zur Zahlung eines Zuschusses zum Tronc. § 5 TV Tronc lautet:
“Die Gesellschaft leistet monatlich einen Zuschuss zum 75 %igen Tronc in Höhe von
ab 01.01.1996 |
33 % |
ab 01.01.1997 |
66 % |
ab 01.01.1998 |
100 % |
der jeweiligen monatlichen Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung (zur Zeit Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung) für die punktbesoldeten Mitarbeiter.”
Nachdem sich auf Grund steigender Sozialversicherungsbeiträge diese Zuschüsse der Beklagten zum Tronc jedes Jahr erhöht hatten, wurde mit Wirkung ab 1. November 1999 der folgende Tarifvertrag (TV 1999) geschlossen:
“Regelung ‘Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung für punktbesoldete Arbeitnehmer/innen der Westdeutschen Spielbanken GmbH & Co. KG in der Spieltechnik und in der Kasse’
1. Punktbesoldete Arbeitnehmer/innen, die vor dem 01.11.1999 in das Unternehmen eingetreten und am 31.10.1999 punktvergütet sind, erhalten entsprechend ihrer individuellen monatlichen Punktanteile – Stand 31.10.1999 – eine monatliche Leistung entsprechend der nachfolgenden Tabelle:
Gruppe 1: |
8 – 19 Punkte |
DM 1.233,00 |
Gruppe 2: |
ab 20 Punkte |
DM 1.404,00 |
Die individuelle Leistung ist solange unkündbar, wie der/die Mitarbeiter/in im Unternehmen beschäftigt ist.
2. Veränderungen in den individuellen monatlichen Punktanteilen nach dem 31.10.1999 haben keine Auswirkung auf die Höhe der Leistung.
3. Für die Leistungen gemäß Ziffer 1 stellt das Unternehmen einen monatlichen Betrag von TDM 500.0 zuzüglich Arbeitgeberanteile für die Mitarbeiter, die in H… einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung haben und deren Einstellung erfolgt, zur Verfügung. Die Leistung erfolgt im Verhältnis zum Beschäftigungsanspruch.
Die monatliche Gesamtleistung der Gesellschaft verringert sich mit dem Ausscheiden anspruchsberechtigter Arbeitnehmer/innen aus dem Unternehmen entsprechend.
4. Dieser Tarifvertrag ersetzt § 5 (Tronczuschuss) der nachwirkenden Teilvereinbarungen zu einem Tronctarifvertrag vom 01.01.1996.
5. Diese Regelung tritt am 01.11.1999 in Kraft und kann mit einer Frist von 3 Monaten zum Jahresende, erstmals zum 31.12.2005, gekündigt werden.”
Nach der übereinstimmenden Darstellung der Parteien bestand der Zweck dieser tariflichen Neuregelung darin, die Zuzahlung der Beklagten der Höhe nach zu begrenzen und auf Dauer abzubauen sowie den Besitzstand der sog. Altarbeitnehmer, die vor dem 1. November 1999 in das Unternehmen eingetreten und am 31. Oktober 1999 punktvergütet waren, zu erhalten.
Auf Grund rückläufigen Troncaufkommens lag die monatliche Punktvergütung des Klägers ab Ende 2000 in einigen Monaten unter der Mindestvergütung. Die Beklagte hat in diesen Monaten die “individuelle Leistung” des Klägers nach dem TV 1999 auf das Mindesteinkommen angerechnet, dh. sie hat die Punktvergütung und die individuelle Leistung zusammengerechnet und mit dem Mindesteinkommen verglichen mit der Folge, dass sie für ihn keinen Zuschuss zum Mindesteinkommen gezahlt hat. Der Kläger ist demgegenüber der Auffassung, die Beklagte schulde ihm zusätzlich zum Mindestgehalt in Höhe von 3.909,00 Euro die “individuelle Leistung” von 717,85 Euro, dh. insgesamt 4.626,85 Euro monatlich. Die Differenz zwischen diesem Anspruch und der von der Beklagten in den Gehaltsabrechnungen berechneten Bruttovergütung machte der Kläger für die Monate in dem Zeitraum von November 2000 bis April 2003 gegenüber der Beklagten geltend, in denen eine solche Differenz vorlag.
Mit seiner Klage verfolgt der Kläger diese Ansprüche weiter. Er hat die Auffassung vertreten, ihm stehe zusätzlich zum Mindestgehalt monatlich auch die individuelle Leistung zu, dh. insgesamt monatlich ein garantierter Mindestbetrag iHv. 4.626,85 Euro. Die nach dem TV 1999 von der Beklagten zu zahlende “individuelle Leistung” sei nicht Bestandteil des Mindestgehalts.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.547,84 Euro zzgl. Zinsen hieraus iHv. 5 % über dem Basiszinssatz zu zahlen und zwar aus
1. 119,64 Euro seit dem 11. Dezember 2000
2. 389,60 Euro seit dem 11. Februar 2001
3. 218,32 Euro seit dem 11. März 2001
4. 402,90 Euro seit dem 11. April 2001
5. 280,19 Euro seit dem 11. Mai 2001
6. 27,33 Euro seit dem 11. Februar 2002
7. 488,40 Euro seit dem 11. März 2002
8. 375,28 Euro seit dem 11. Mai 2002
9. 601,53 Euro seit dem 11. Juli 2002
10. 477,18 Euro seit dem 11. August 2002
11. 169,31 Euro seit dem 11. September 2002
12. 243,84 Euro seit dem 11. Oktober 2002
13. 657,23 Euro seit dem 11. November 2002
14. 344,49 Euro seit dem 11. Dezember 2002
15. 492,37 Euro seit dem 11. Januar 2003
16. 313,89 Euro seit dem 11. Februar 2003
17. 716,00 Euro seit dem 11. März 2003
18. 530,14 Euro seit dem 11. April 2003
19. 700,20 Euro seit dem 11. Mai 2003.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei berechtigt, die Zuschussleistungen auf das tarifliche Mindestgehalt anzurechnen. Was zu dem Mindestgehalt gehöre, sei abschließend in § 4 ETV geregelt. Die “individuelle Leistung” nach dem TV 1999 sei eine betriebliche Leistung iSv. § 4 ETV.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.
I. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Differenzbeträge nicht zu. Die “individuellen Leistungen” gem. Ziff. 1 TV 1999 sind auf das Mindestgehalt gem. § 4 Abs. 1 ETV 1996 anzurechnen. Das ergibt die Auslegung der tarifvertraglichen Regelungen.
1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (zB Senat 30. Mai 2001 – 4 AZR 269/00 – BAGE 98, 35 = AP BAT § 23b Nr. 4 mwN; 7. Juli 2004 – 4 AZR 433/03 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Verkehrsgewerbe Nr. 10, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
a) Schon der Wortlaut der einschlägigen Regelungen spricht für die Anrechenbarkeit der “individuellen Leistung” auf das Mindestgehalt.
aa) Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 ETV 1996 beinhalten die Mindestgehälter “alle betrieblichen Leistungen, wie zB Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung gemäß § 3, Haushalts- und Kinderzulage gemäß § 5 u.ä.”. Die Formulierung “alle betrieblichen Leistungen” ist dahin zu verstehen, dass grundsätzlich alle Vergütungsbestandteile auf das Mindestgehalt anzurechnen sind. Dafür spricht, dass als Beispiel ausdrücklich nicht nur die den Arbeitnehmern zu vergütenden Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung aufgeführt sind, die in § 3 ETV 1996 festgelegt sind und sich wie die Mindestgehälter nach der Punktzahl des jeweiligen Mitarbeiters richten, sondern auch die Haushalts- und Kinderzulage aufgeführt ist, die keinen direkten Bezug zur Arbeitsleistung hat. Die Aufzählung der anzurechenden Leistungen ist dabei nicht abschließend, wie sich aus der einführenden Formulierung “zB” und der abschließenden Formulierung “u.ä.” zeigt. So ist selbstverständlich die nicht ausdrücklich genannte Punktvergütung anzurechnen, wovon auch die Parteien übereinstimmend ausgehen. Die “individuelle Leistung” iSd. TV 1999 ist in der Sache ein Zuschuss zu der Punktvergütung, unabhängig davon, ob sie direkt an die Altarbeitnehmer ausgezahlt wird, wie der Kläger behauptet, oder ob sie entsprechend der Darstellung der Beklagten zunächst dem Tronc zugeführt und im Voraus an die Altarbeitnehmer ausgekehrt wird. Sie gehört deshalb ebenfalls zu den “betrieblichen Leistungen”. Soweit sich der Kläger darauf beruft, die Beklagte zahle ohne Anrechnung auf die Mindestgehälter auch andere Leistungen wie Prämien, Tantiemen, Mankogeld und Beihilfen, so ist das ein neuer, in der Revisionsinstanz nicht zu berücksichtigender Sachvortrag, der im Übrigen nicht hinreichend substantiiert ist.
bb) Dass grundsätzlich alle Vergütungsbestandteile als “betriebliche Leistungen” auf das Mindestgehalt angerechnet werden sollen, ergibt sich auch aus der Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 3 ETV 1996: “Hinzu kommen lediglich die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung”. Damit wird – abschließend – bestimmt, was nicht zu den “betrieblichen Leistungen” gehört. Anhaltspunkte dafür, dass auch andere Leistungen nicht auf das Mindestgehalt angerechnet werden können, ergeben sich aus dieser Formulierung nicht. Bei den “individuellen Leistungen” nach dem TV 1999 handelt es sich nicht um Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, obwohl in der Überschrift zum TV 1999 die Formulierung “Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung für punktbesoldete Arbeitnehmer/innen” enthalten ist. Das ist nur aus der Entstehungsgeschichte zu erklären, weil der TV 1999 gem. Ziff. 4 TV 1999 den § 5 TV Tronc 1996 ersetzen soll, der den Zuschuss der Beklagten zum Tronc regelte und dabei die monatlichen Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung als Berechnungsgröße bestimmte. Die “individuelle Leistung” nach dem TV 1999 ist, wie dargelegt, in der Sache ein Zuschuss zur Punktvergütung.
cc) Gegen diese Auslegung spricht entgegen der Auffassung des Klägers nicht, dass die “individuellen Leistungen” des TV 1999 zur Zeit des Abschlusses des ETV 1996 noch nicht existierten und der ETV 1996 in § 1 “Geltungsbereich” bestimmt: “Dieser Tarifvertrag regelt die tarifliche Punktvergütung der voll- und teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer.” Tatsächlich enthält der ETV 1996 nicht nur Regelungen zur tariflichen Punktvergütung, sondern ausdrücklich auch Regelungen ua. zu den Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung, zu den Mindestgehältern und zu der Haushalts- und Kinderzulage. Dabei ist die Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 2 über die Anrechenbarkeit von anderen Vergütungsbestandteilen auf das Mindestgehalt eine abstrakte Regelung, die sich nicht nur auf die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages geregelten Leistungen bezieht. Auch später tariflich begründete Leistungen, wie hier die “individuelle Leistung” nach TV 1999, sind deshalb auf das Mindestgehalt anzurechnen, wenn es sich dabei um eine betriebliche Leistung iSv. § 4 Abs. 1 Satz 2 ETV 1996 handelt.
dd) Aus den Formulierungen im TV 1999 ergibt sich nichts anderes, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat. Dass in Ziff. 1 ein Anspruch auf eine individuelle monatliche Leistung begründet wird, die solange unkündbar ist, wie der Mitarbeiter im Unternehmen beschäftigt ist, sagt über die Anrechenbarkeit dieser “individuellen Leistung” auf das Mindestgehalt nichts aus.
b) Die Entstehungsgeschichte der tariflichen Regelung unterstützt diese Auslegung. Nach Ziff. 4 TV 1999 ersetzt dieser Tarifvertrag § 5 TV Tronc 1996, in dem der Zuschuss der Beklagten zum Tronc geregelt war. Dieser Zuschuss führte nicht zu einer Erhöhung der Mindestgehälter. Die Punktvergütung, die sich unter Einbeziehung der Zuschüsse der Beklagten ergab, war auf das Mindestgehalt gem. § 4 ETV 1996 anzurechnen. Die Ablösung des § 5 TV Tronc 1996 durch den TV 1999 lässt die ebenfalls von dem Landesarbeitsgericht getroffene Schlussfolgerung zu, dass auch die Neuregelung nicht zu einer Erhöhung der Mindestgehälter führen sollte. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme des Klägers, dass mit der Neuregelung des TV 1999 zusätzlich die Erhöhung der Mindestgehälter erreicht werden sollte, sind nicht ersichtlich.
c) Auch der erkennbare Sinn und Zweck des TV 1999 spricht für die Anrechnung der individuellen Leistung auf das Mindestgehalt. Unstreitig sollte durch den TV 1999 den punktbesoldeten Mitarbeitern ein Bestandsschutz gewährt und die Aufwendungen der Beklagten für die Zuschüsse begrenzt und auf Dauer abgebaut werden. Davon ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen. Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe ausschließlich darauf abgestellt, dass eine Deckung des Tronczuschusses erreicht werden sollte, ist unzutreffend. Somit ist auch die Verfahrensrüge des Klägers ohne Grundlage, das Landesarbeitsgericht habe den vom Kläger benannten Zeugen H… nicht zu der Zweckbestimmung des TV 1999 vernommen, dass nämlich die dort geregelten individuellen Leistungen nur den Altarbeitnehmern zukommen sollten und damit besitzstandswahrenden Charakter hatten. Einer Beweisaufnahme zu dieser unstreitigen und vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegten Zweckbestimmung des TV 1999 bedurfte es nicht.
aa) Die Zielsetzung des Bestandsschutzes spricht nicht gegen die Anrechenbarkeit der individuellen Leistung auf das Mindestgehalt. Dieser Zweck wird dadurch erreicht, dass die Beklagte Leistungen nur noch für die Mitarbeiter erbringen soll, die vor dem 1. November 1999 in das Unternehmen eingetreten und am 31. Oktober 1999 punktvergütet waren. Weil Leistungen schon an Mitarbeiter mit einer Punktzahl von acht erbracht werden und nach § 2 ETV 1996 acht Punkte die niedrigste Punktzahl ist, sind von der Neuregelung des TV 1999 alle vor dem 1. November 1999 eingestellten Mitarbeiter betroffen, also alle, die auch von der abgelösten Regelung in § 5 TV Tronc 1996 profitiert haben. Die Leistung der Beklagten sollte nicht mehr als pauschale Leistung in den Tronc erbracht werden, sondern als Leistung nur für diese Altarbeitnehmer. Das ist der Hintergrund für die Umstellung auf individuelle Leistungen. Daraus ergibt sich aber nicht, dass anders als vorher durch die individuellen Leistungen der Beklagten nicht nur das tatsächliche Einkommen der Altarbeitnehmer erhöht, sondern zusätzlich ihre Mindestgehälter in Höhe der individuellen Leistung aufgestockt werden sollten.
Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass mit dem Bestandsschutz eine Besserstellung gegenüber den Neueingestellten erreicht werden sollte und deshalb eine Anrechnung auf die Mindestgehälter zu unterbleiben habe. Richtig ist, dass sich die Besserstellung der Altarbeitnehmer gegenüber den Neueingestellten vermindert bzw. ganz wegfällt, wenn ohne die “individuellen Leistungen” die Mindestgehälter nicht erreicht werden. Wenn das Mindestgehalt erst durch die Einbeziehung der “individuellen Leistung” überschritten wird, gibt es keine Besserstellung der Altarbeitnehmer in Höhe der “individuellen Leistung”, sondern nur noch in der Höhe, wie die “individuelle Leistung” nicht für das Erreichen des Mindestgehalts verbraucht wird. Wenn die Differenz zwischen der Vergütung ohne “individuelle Leistung” und dem Mindestgehalt gleich oder höher ist als die “individuelle Leistung”, fällt die Besserstellung im Verhältnis zu den Neueingestellten ganz weg. Das steht aber der Anrechnung der “individuellen Leistung” nicht entgegen. Denn der Zweck der Regelung ist, wie dargestellt, ein Bestandsschutz in dem Sinne, dass von der Beklagten an die Altarbeitnehmer einkommenserhöhende Leistungen erbracht werden. Die Besserstellung gegenüber den Neueingestellten ist eine Folge dieser Regelung, aber kein selbständiger Zweck. Die Besserstellung der Altarbeitnehmer ist also grundsätzlich gegeben. Sie hängt allerdings von der Höhe des Troncaufkommens ab. Eine Besserstellung in bestimmter Höhe auch bei einem nicht auskömmlichen Tronc hätte durch eine Erhöhung der Mindesteinkommen nur für die Altarbeitnehmer erreicht werden können. Eine solche Regelung ist aber nicht getroffen worden.
bb) Der weitere Zweck des TV 1999, die Aufwendungen der Beklagten zu begrenzen und abzubauen, spricht für die Anrechnung der “individuellen Leistung” auf das Mindestgehalt, weil die abweichende Auslegung des Klägers mittelbar zu zusätzlichen Belastungen des Arbeitgebers führen kann. Wenn die “individuelle Leistung” nicht auf das Mindestgehalt angerechnet wird, führt das dazu, dass die Beklagte häufiger Zuschusszahlungen zur Deckung der Mindestgehälter zu leisten hat und höhere Differenzen auszugleichen sind. Diese höheren Zuschusszahlungen stellen eine Belastung dar, obwohl sie gem. § 4 Abs. 2 ETV 1996 der Beklagten in den Monaten zu erstatten sind, in denen die Troncmittel höher sind als zur Deckung der Mindestgehälter erforderlich. Die Erstattung ist aber bis zum 31. Dezember des jeweiligen Jahres und für Zuschüsse im Dezember auf den Januar des Folgejahres begrenzt, so dass bei einem nachhaltigen Absinken des Tronceinkommens die Erstattung der Zuschüsse der Beklagten nicht realisiert werden kann.
2. Danach konnte die Beklagte die “individuelle Leistung” nach dem TV 1999 auf das Mindestgehalt gem. § 4 ETV 1996 anrechnen. Sie ist nicht verpflichtet, wie vom Kläger begehrt, zusätzlich zum Mindestgehalt die “individuelle Leistung” gem. Ziff. 1 TV 1999 zu zahlen. Ob die Troncvergütung jeweils zutreffend berechnet worden ist, hat das Landesarbeitsgericht zutreffend nicht entschieden, weil es sich dabei um einen anderen Streitgegenstand handelt. Das hat der Kläger in der Revision auch nicht angegriffen.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Unterschriften
Bott, Wolter, Creutzfeldt, von Dassel, Rzadkowski
Fundstellen