Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Unfallrente auf Witwenrente
Leitsatz (redaktionell)
Die Anrechnung von gesetzlichen Unfallwitwenrenten auf Leistungen der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung verstößt im allgemeinen nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz; das gilt zumindest dann, wenn Unfallwitwen wenigstens ein Versorgungsvorsprung im Vergleich zu solchen Hinterbliebenen, die keine Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung haben, zugebilligt wird. Die Grundsätze der beschränkten Anrechenbarkeit von Verletztenrenten (BAG 19.7.1983 3 AZR 241/82 = BAGE 43, 173 = AP Nr 8 zu § 5 BetrAVG) sind im Bereich der Hinterbliebenenversorgung nicht anwendbar.
Normenkette
AVG §§ 55-56; RVO § 575; BGB §§ 844-845; RVO §§ 571, 539, 576, 579, 590, 636, 723, 1278-1279; BetrAVG § 5; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 07.06.1982; Aktenzeichen 3 Sa 403/82) |
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 29.01.1982; Aktenzeichen 12 Ca 5340/81) |
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich dagegen, daß auf eine Betriebsrente, die ihr als Witwe zusteht, eine Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung angerechnet wird.
Der am 14. Mai 1979 im Alter von 58 Jahren verstorbene Ehemann der Klägerin war Prokurist der G. GmbH. Diese hatte mit ihm am 2. Mai 1974 schriftlich vereinbart:
"Zur Sicherstellung einer angemessenen Alters-
und Hinterbliebenenversorgung sind Sie beim
Essener Verband bei der Hütten- und Walzwerks-
berufsgenossenschaft seit 1954 und ab 1968 in
der Gruppe H gemeldet.
Art und Umfang sowie die Voraussetzungen für
die in Betracht kommenden Leistungen ergeben
sich aus der jeweiligen Leistungsordnung."
Die Beklagte pachtete mit Wirkung vom 31. März 1978 das Unternehmen der G. GmbH und trat in deren Verpflichtungen aus betrieblichen Pensionszusagen ein.
Die Klägerin bezieht eine Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung in Höhe von 2.001,40 DM monatlich und eine Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die im Hinblick auf die Unfallrente auf 400,20 DM monatlich gekürzt wurde.
Die Beklagte lehnt es ab, der Klägerin ein betriebliches Witwengeld nach der Vereinbarung vom 2. Mai 1974, das ungekürzt 1.440,-- DM betragen würde, zu zahlen. Sie beruft sich darauf, die Witwenrenten der Klägerin aus der gesetzlichen Unfallversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung überschritten den in § 9 Abs. 1 der Leistungsordnung des Essener Verbandes (LO) vorgesehenen Versorgungshöchstbetrag. Das betriebliche Witwengeld sei somit nach § 9 Abs. 1 Satz 3 LO in Verb. mit § 8 Abs. 7 LO in voller Höhe zu kürzen. Die maßgebenden Vorschriften lauten wie folgt:
"§ 8
...
(7) Leistungen der gesetzlichen Unfallversiche-
rung oder des Unfallschadenverbandes wer-
den auf die Leistungen nach §§ 1 bis 7 in-
soweit angerechnet, als der Gesamtbetrag
a) der auf der Grundlage der zu berücksich-
tigenden Dienstjahre errechneten unge-
kürzten Leistung des Mitglieds und
b) der Leistungen der gesetzlichen Unfall-
versicherung und des Unfallschadenver-
bandes
110 v.H. des Betrages der nach § 3 in Be-
tracht kommenden Gruppe bzw. Gruppen -
bei Hinterbliebenen den ihrem Anteil am
Ruhegeld entsprechenden Teil dieses Vom-
hundertsatzes - übersteigt.
§ 9
(1) Das Ruhegeld darf zusammen mit den vollen
in § 8 Abs. 1 bis 5 genannten Leistungen
70 v.H.,
in § 8 Abs. 1 bis 5, 7 genannten Leistun-
gen 77 v.H.
der Dienstbezüge des Angestellten nicht
übersteigen. Bei Hinterbliebenenbezügen
und Unterstützungen ist der ihrem Anteil
am Ruhegeld entsprechende Teil dieser Vom-
hundertsätze maßgebend. Sind die Höchst-
grenzen überschritten, werden die Leistun-
gen entsprechend gekürzt.
..."
Die Klägerin hat vorgetragen, die Anrechnung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung auf die Betriebsrente sei unzulässig. Die Regelungen über das Ruhen von Renten der gesetzlichen Rentenversicherung bei Zusammentreffen mit Renten der gesetzlichen Unfallversicherung (§§ 1278, 1279 RVO, §§ 55, 56 AVG) habe der Gesetzgeber zur Entlastung der gesetzlichen Rentenversicherung getroffen. Dieser rein wirtschaftliche Gesichtspunkt könne für die vom Arbeitgeber zu erbringenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nicht gelten. Durch diese werde frühere Arbeitsleistung und Betriebstreue abgegolten. Bei Anrechnung der gesetzlichen Unfallrente erhalte sie weniger Betriebsrente als eine Witwe, die keine Unfallrente beziehe. Dies verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Lege man das Arbeitseinkommen von 4.275,-- DM zugrunde, das ihr verstorbener Ehemann zuletzt monatlich bezogen habe, betrage der nach § 9 Abs. 1 LO festgelegte Höchstbetrag der Gesamtversorgung 1.975,05 DM. Diesen erreiche sie durch ihre Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht. Ihr stehe deshalb das nach § 8 Abs. 1 LO zu ermäßigende Witwengeld zu. Dieses betrage bei Anrechnung von 50 % der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung 1.239,90 DM (1.440,-- DM - 200,10 DM). Für die Zeit von September 1979 bis Oktober 1981 habe sie daher 32.237,40 DM und ab November 1981 monatlich 1.239,90 DM zu beanspruchen. Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie
1. rückständige Hinterbliebenenbezüge in
Höhe von 32.237,40 DM zuzüglich 4 %
Zinsen ab Rechtshängigkeit,
2. Hinterbliebenenbezüge von monatlich
1.239,90 DM brutto, beginnend ab 1.
November 1981,
zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat geltend gemacht, die in § 9 Abs. 1 LO enthaltene Höchstbegrenzungsklausel bezwecke eine möglichst gleichmäßige Gesamtversorgung aller Berechtigten. Deshalb müsse auch die gesetzliche Unfallrente angerechnet werden. § 5 BetrAVG erlaube dies. Die vergleichbaren Regelungen in §§ 1278, 1279 RVO und §§ 55, 56 AVG für die gesetzliche Rentenversicherung bestätigten die Richtigkeit dieses Standpunkts. Eine Besserstellung von Versorgungsempfängern mit gesetzlicher Unfallrente gegenüber anderen Versorgungsempfängern sei nicht gerechtfertigt. Unfallrenten dienten wie Arbeitseinkommen der Sicherung des Unterhalts. Jedenfalls bestehe kein Anlaß, die Witwe eines Unfallopfers besser zu behandeln als die Witwe eines aus sonstigen Gründen verstorbenen Versorgungsberechtigten. Im übrigen unterscheide § 9 LO zwischen den Witwen tödlich Verunglückter und anderen Witwen; für jene gelte eine Obergrenze von 46,2 % der letzten Dienstbezüge, für diese eine Obergrenze von nur 42 %. Selbst wenn man der Klägerin folge, habe diese bei Berechnung ihres angeblichen Witwengeldanspruchs den nach § 8 LO anzurechnenden Teil der gesetzlichen Rentenversicherung zu gering bemessen. Es müsse von der ungekürzten gesetzlichen Rente ausgegangen und dabei der Monatsbetrag zugrunde gelegt werden, den die Klägerin erhielte, wenn ihr verstorbener Ehemann die Zuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung als Versicherungsbeiträge verwandt hätte. Dann ergäbe sich ein monatlicher Kürzungsbetrag nach § 8 Abs. 2 LO von 359,80 DM.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ruhegeld.
I. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 LO darf das Ruhegeld zusammen mit den vollen Leistungen nach § 8 Abs. 1 bis 5 und 7 LO 77 % der Dienstbezüge des Angestellten nicht übersteigen. Bei Hinterbliebenenbezügen ist der ihrem Anteil am Ruhegeld entsprechende Teil dieses Vomhundertsatzes maßgebend (§ 9 Abs. 1 Satz 2 LO). Das sind nach § 4 Abs. 1 Buchst. a LO im Falle der Witwe 60 %, also 46,2 % der Dienstbezüge. Wird diese Höchstgrenze überschritten, werden die Leistungen entsprechend gekürzt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 LO).
Das letzte Arbeitseinkommen des verstorbenen Ehemanns der Klägerin betrug unstreitig 4.275,-- DM. Der Gesamtversorgungshöchstbetrag der Leistungsordnung belief sich somit für die Klägerin auf 1.975,05 DM. Eine Hinterbliebenenversorgung, die diese Grenze übersteigt, erhält die Klägerin bereits aus der gesetzlichen Unfallversicherung (2.001,40 DM) und aus der gesetzlichen Rentenversicherung (400,20 DM). Beide Bezüge sind bei der Anwendung der Gesamtversorgungshöchstgrenze zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 in Verb. mit § 8 Abs. 1 und 7 LO). Die Beklagte hat somit das betriebliche Witwengeld zu Recht verweigert.
II. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Beklagte dadurch nicht gegen das Betriebsrentengesetz verstoßen.
Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG dürfen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung durch Anrechnung anderer Versorgungsbezüge, soweit sie auf eigenen Beiträgen des Versorgungsempfängers beruhen, nicht gekürzt werden. Damit soll verhindert werden, daß der Arbeitgeber Maßnahmen der Eigenvorsorge des Arbeitnehmers ausnutzt und bei der Bemessung seiner Leistungen berücksichtigt. Die Witwenrente, die die Klägerin aus der gesetzlichen Unfallversicherung bezieht, beruht nicht auf den eigenen Beiträgen ihres verstorbenen Ehemanns. Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung werden vom Arbeitgeber aufgebracht (§ 723 Abs. 1 RVO), soweit der Unfallversicherungsschutz nicht überhaupt beitragsfrei gewährt wird. Die Witwenrente der Klägerin aus der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegt demnach nicht dem absoluten Anrechnungsverbot des § 5 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG.
III. Die Kürzung verstößt auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.
1. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer. Er enthält das Verbot der sachfremden Differenzierung zwischen vergleichbaren Arbeitnehmern in einer bestimmten Ordnung (BAG vom 8. Dezember 1977 - 3 AZR 530/76 - AP Nr. 176 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu 1 a der Gründe; vom 17. Mai 1978 - 5 AZR 132/77 - AP Nr. 42 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu 1 der Gründe; BAG 33, 57 = AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu II 1 der Gründe). Darüber hinaus gebietet der Gleichbehandlungsgrundsatz, wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Eigenart zu unterscheiden. Das entspricht allgemeiner Meinung (Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. I, 7. Aufl., § 48 a, S. 417 ff.; Mayer-Maly, AR-Blattei "Gleichbehandlung im Arbeitsverhältnis I"; Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. I, 3. Aufl., § 37 S. 498; Söllner, Arbeitsrecht, 7. Aufl., § 31 III S. 217; Zöllner, Arbeitsrecht, 2. Aufl., § 17 S. 146).
2. Der Senat hat zunächst in seiner Entscheidung vom 17. Januar 1980 (- 3 AZR 504/78 - BAG 32, 297 = AP Nr. 3 zu § 5 BetrAVG) die Anrechnung von Renten der gesetzlichen Unfallversicherung auf betriebliche Versorgungsleistungen grundsätzlich als gleichheitswidrig angesehen. Diesen Standpunkt hat der Senat in seinen Urteilen vom 19. Juli 1983 (BAG 43, 173 = AP Nr. 8 zu § 5 BetrAVG und 43, 161 = AP Nr. 12 zu § 5 BetrAVG) sowie vom 8. November 1983 (- 3 AZR 64/82 -) dahin abgeschwächt, daß im Rahmen von Gesamtversorgungssystemen Verletztenrenten aus der gesetzlichen Unfallversicherung angerechnet werden dürfen, soweit sie dazu bestimmt sind, Verdienstminderungen zu ersetzen. Hingegen hat es der Senat weiterhin als Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz angesehen, wenn auch der Teil der Unfallrente zur Gesamtversorgung gezählt wird, der immaterielle Schäden oder sonstige Einbußen ausgleicht. Da die gesetzliche Unfallversicherung keine Aufteilung der Verletztenrente je nach dem Zweck der Leistung kennt, kommt es nach Ansicht des Senats auf die Aufteilung durch die betriebliche Versorgungsregelung an. Ist diese unbillig oder schweigt sie, muß der Maßstab des Bundesversorgungsgesetzes entsprechend angewandt werden: Anrechnungsfrei ist dann derjenige Teil der Verletztenrente, der der Grundrente eines Versorgungsberechtigten nach dem Bundesversorgungsgesetz bei vergleichbarer Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht. Diese Grundsätze sind jedoch auf die Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 590 RVO nicht übertragbar.
a) Die Witwenrente ist keine an die Verletztenrente anknüpfende Leistung. Sie ist deshalb auch nicht wie diese zu beurteilen.
Die Verletztenrente, die ein unfallgeschädigter Arbeitnehmer erhält, erlischt mit dessen Tod. Ist der Tod eine Folge des Arbeitsunfalls, so erwirkt die Witwe einen eigenen Rentenanspruch nach § 590 RVO. Der in der Verletztenrente enthaltene Leistungsteil, der immaterielle Schäden und sonstige Einbußen ausgleichen soll, setzt sich in der Witwenrente nicht fort. Nur wenn die Witwenrente selbst teilweise dazu bestimmt wäre, den immateriellen Schaden und sonstige Einbußen auszugleichen, verstieße die Anrechnung insoweit gegen das Gebot der Gleichbehandlung. Dies ist jedoch nicht der Fall.
b) Der Senat hat in den genannten Entscheidungen vom 19. Juli 1983 und vom 8. November 1983 zur Begründung seiner Auffassung, die Verletztenrente habe eine Doppelfunktion, entscheidend auf das in § 636 RVO geregelte Haftungsersetzungsprinzip abgestellt. Danach gleicht die Verletztenrente unter anderem materielle und immaterielle Schäden aus, für die der Arbeitgeber an sich einstehen müßte, wenn er nicht nach § 636 RVO von seiner bürgerlich-rechtlichen Haftung gegenüber dem Arbeitnehmer freigestellt wäre. Dieser Ausgangspunkt führt dazu, daß zwischen einem die Verdienstminderung ausgleichenden und daher anrechenbaren Teil, und einem den immateriellen Schaden betreffenden und daher anrechnungsfreien Teil der Verletztenrente zu unterscheiden ist. Für die Witwenrente ergibt das Haftungsersetzungsprinzip eine entsprechende Differenzierung nicht.
Die Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung kann Haftungsersatz für immateriellen Schaden nur insoweit sein, wie der Arbeitgeber, wäre er nicht nach § 636 RVO von der Haftung freigestellt, den immateriellen Schaden ersetzen müßte. Eine solche Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber der Witwe des Arbeitnehmers bestünde jedoch bei einem tödlichen Arbeitsunfall nicht. Die Ersatzansprüche Dritter bei Tötung eines Menschen sind in §§ 844, 845 BGB abschließend geregelt. Einen Schmerzensgeldanspruch enthalten diese Vorschriften nicht (vgl. Staudinger/Schäfer, BGB, 10./11. Aufl., § 844 Rz 7). Die Witwe könnte im Falle der Haftung des Arbeitgebers von diesem kein Schmerzensgeld verlangen. Ihre Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist daher - anders als die Verletztenrente des unfallgeschädigten Arbeitnehmers - nicht dazu bestimmt, neben dem Verdienstausfall auch immaterielle Schäden auszugleichen.
Zwar sieht die Kriegsopferversorgung, deren Regelungen der Senat zur Bemessung des anrechnungsfreien Teils der Verletztenrente subsidiär herangezogen hat, auch zugunsten der Hinterbliebenen eine Grundrente vor (vgl. § 40 BVG). Diese ist aber nicht dazu bestimmt, immaterielle Schäden zu ersetzen. Sie dient allein dem Ausgleich der wirtschaftlichen Folgen des Todes des Beschädigten für die Hinterbliebenen und hat daher - anders als die Grundrente des Beschädigten selbst - ausschließlich Unterhaltsersatzfunktion (BVerfGE 17, 38, 45 ff.; BSGE 50, 250, 253 f.).
c) Die Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist auch nicht dazu bestimmt, weitere, über den Unterhaltsschaden hinausgehende Einbußen zu ersetzen.
(1) Der Senat hat im Urteil vom 19. Juli 1983 (BAG 43, 173, 181 = AP Nr. 8 zu § 5 BetrAVG, zu II 2 c der Gründe) ausgeführt, daß durch die Verletztenrente über den Verdienstausfall und den immateriellen Schaden hinaus auch die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit entschädigt werde, wozu besondere Anstrengungen gehörten, die ein Unfallverletzter unternehme, um die Unfallfolgen möglichst gering zu halten. Diese Erwägung ist auf die Witwenrente nicht übertragbar. Eine Entschädigung für die Anstrengungen zur Überwindung der Unfallfolgen kommt nur zugunsten des Verletzten selbst in Betracht, nicht aber zugunsten der Witwe.
(2) Die Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist auch nicht dazu bestimmt, über den entgangenen Unterhalt hinaus einen denkbaren Nachteil auszugleichen, der sich daraus ergeben haben könnte, daß der Versicherte eine höhere Hinterbliebenenversorgung erworben hätte, wenn er nicht durch den Arbeitsunfall ums Leben gekommen wäre. Die Bestimmungen über Höhe und Dauer der Rente lassen erkennen, daß solche Schäden nicht einbezogen werden sollten.
Nach § 590 in Verb. mit §§ 571, 579 RVO richtet sich die jährlich anzupassende Unfallrente nach dem Jahresarbeitsverdienst. Diese Regelung beschränkt sich erkennbar darauf, einen bestimmten Unterhaltsausfall abzudecken. Das gilt auch für die Vorschriften des § 575 RVO, in dem Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienste geregelt sind, und des § 576 Abs. 1 RVO, der den Jahresarbeitsverdienst für Beamte regelt und dabei von den ruhegehaltfähigen Dienstbezügen ausgeht, also eine Bemessungsgrundlage wählt, die vom Alimentationsbedarf geprägt ist. Ein Rentenanteil, der dazu bestimmt wäre, der Witwe über den Unterhaltsbedarf hinaus die Verbesserung ihrer Versorgung zu ermöglichen, läßt sich diesen Bestimmungen nicht entnehmen.
Bestätigt wird dies Ergebnis durch die Bestimmung über die Rentendauer. Nach § 590 Abs. 1 RVO erhält die Witwe die Unfallrente bis zu ihrem Tod oder ihrer Wiederverheiratung. Die Rentenzahlung ist also in Abkehr vom Prinzip des § 844 BGB weder auf den Zeitraum beschränkt, in dem der getötete Ehemann voraussichtlich Unterhalt geleistet hätte, noch ist sie nur für den Zeitraum zu erbringen, in dem der Ehemann voraussichtlich gelebt hätte.
Die Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist somit hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und ihrer Dauer nicht an Voraussetzungen und Dauer der bürgerlich-rechtlichen Haftung des Arbeitgebers gebunden, die durch § 636 RVO ersetzt wird. Dies zeigt, daß sie nur von einem bestimmten Unterhaltsbedarf der Witwe abhängen, und nicht zusätzlich die Chance einer entgangenen höheren Versorgung ausgleichen soll.
(3) Die Berücksichtigung der Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung im Rahmen der Höchstgrenze nach § 9 Abs. 1 LO verstößt auch nicht in den Fällen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, in denen sie zu einem völligen Wegfall der Betriebsrente führt.
Der Senat hat im Anschluß an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Oktober 1977 - 2 BvR 407/76 - (BVerfGE 46, 97 = AP Nr. 112 zu Art. 3 GG) in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die Regelung einer Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes, nach der die Witwenrente bei eigenem Arbeitseinkommen der Witwe vollständig ruht, gegen Art. 3 GG verstößt (vgl. Urteil des Senats vom 23. April 1985 - 3 AZR 28/83 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt). Dies gilt jedoch nur für den Fall, daß zwei zusammentreffende Versorgungsansprüche von verschiedenen Personen erdient worden sind, nämlich der eine vom Anspruchsberechtigten selbst, der andere von dessen Ehegatten. Um einen solchen Fall handelt es sich vorliegend nicht. Zwar hat, wie dargelegt, die Witwe einen eigenen Anspruch, dieser ist aber nicht von ihr, sondern, ebenso wie die Betriebsrente, von ihrem verstorbenen Ehemann "erdient"; ihr Ehemann war Versicherter der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO).
IV. Damit ist noch nicht die Frage entschieden, ob für die Witwen von Arbeitnehmern, die bei einem Arbeitsunfall getötet wurden, zur Vermeidung einer willkürlichen Benachteiligung wenigstens eine höhere Gesamtversorgung vorgesehen werden muß, als für die Witwen anderer Arbeitnehmer, weil sie nach dem Willen des Gesetzgebers einen "Versorgungsvorsprung" vor diesen erhalten sollen.
Die Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung führt bei Anwendung der Ruhensvorschriften des § 1279 RVO und des § 56 AVG dazu, daß Hinterbliebenen mehr verbleibt, als sie ohne Unfallrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhielten. Zu Recht weist Müller (SGB-RVO-Gesamtkommentar, § 1279 Anm. 2 a) darauf hin, daß die Regelung in § 1279 Abs. 1 Satz 2 RVO, durch die die gesetzliche Rente als Mindestrente garantiert wird, nur in außergewöhnlichen Fällen bedeutsam wird, nämlich dann, wenn die Vollrente der Unfallversicherung sich nach einem besonders niedrigen Jahresarbeitsverdienst berechnet. Ob darin eine gesetzgeberische Wertentscheidung zum Ausdruck kommt, die auch bei betrieblichen Versorgungsordnungen beachtet werden muß, sei es durch Verzicht auf die Vollanrechnung der gesetzlichen Unfallrente, sei es durch die Zusage einer erhöhten Gesamtversorgung, braucht nicht abschließend entschieden zu werden. Die hier anzuwendende Leistungsordnung des Essener Verbandes enthält jedenfalls eine entsprechende Differenzierung.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 in Verb. mit § 4 Abs. 1 Buchst. a LO darf das Ruhegeld zusammen mit den anrechenbaren Bezügen bei Hinterbliebenen bis zu 46,2 % der Dienstbezüge des Angestellten betragen, wenn Unfallrenten einbezogen werden. Hingegen beträgt diese Höchstgrenze in Fällen, in denen keine Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung anzurechnen ist, nur 42 %. Die Klägerin erhält durch diese um 10 % erhöhte Gesamtversorgungsgrenze einen Versorgungsvorsprung. Der Ehemann der Klägerin war bereits 58 Jahre alt, als er starb. Eine Erhöhung des Versorgungshöchstbetrags um 10 v.H. des für die Bemessung maßgebenden Teils der letzten Dienstbezüge würde einer gesetzgeberisch angestrebten Besserstellung der Unfallhinterbliebenen Rechnung tragen.
Dr. Dieterich Schaub Dr. Peifer
Hoechst Fieberg
Fundstellen
Haufe-Index 438555 |
BAGE 49, 235-244 (LT) |
BAGE, 235 |
BB 1986, 1226-1228 (LT1) |
DB 1986, 1181-1182 (LT1) |
BetrAV 1986, 184-186 (LT1) |
NZA 1986, 748-751 (LT1) |
RdA 1986, 268 |
AP § 5 BetrAVG (LT1), Nr 21 |
EzA § 5 BetrAVG, Nr 14 (LT1) |
VersR 1986, 709-711 (LT1) |