Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung von Berufsjahren im Einzelhandel
Leitsatz (amtlich)
Die Bestimmung in § 2 Ziff. 6b G-TV 1991, wonach für Angestellte mit abgeschlossener dreijähriger Berufsausbildung der Gehaltsanspruch des dritten Berufsjahres entsteht, ist auch auf solche Angestellte anzuwenden, die vor dem Inkrafttreten des G-TV 1991 erstmals eine Berufstätigkeit aufgenommen haben.
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel; Gehaltstarifvertrag für den hessischen Einzelhandel vom 18./19. Juni 1991 (G-TV 1991) § 2 Ziff. 6b
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 30.05.1996; Aktenzeichen 14 Sa 1325/95) |
ArbG Kassel (Urteil vom 29.06.1995; Aktenzeichen 4 Ca 244/94) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 30. Mai 1996 – 14 Sa 1325/95 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 29. Juni 1995 – 4 Ca 244/94 – abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 4.521,67 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 1. Dezember 1993 zu zahlen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Frage, nach welchem Berufsjahr die Klägerin tariflich zu vergüten ist.
Die Klägerin beendete im Januar 1990 ihre dreijährige Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau. Von März 1990 bis Februar 1991 war sie in einem Modehaus als Verkäuferin tätig. Vom 1. August 1991 bis zum 31. August 1993 war sie ebenfalls als Verkäuferin bei dem Beklagten beschäftigt.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft Allgemeinverbindlicherklärung die Tarifverträge für den hessischen Einzelhandel Anwendung. Die einschlägigen Bestimmungen des Gehaltstarifvertrages vom 18./19. Juni 1991 – gültig ab 1. März 1991 – (im folgenden G-TV 1991) lauten wie folgt:
Ҥ 2
Gehaltsregelung
…
6.a) …
b) Nach abgeschlossener 3jähriger Berufsausbildung (z.B. Kaufmann/-frau im Einzelhandel) entsteht der Gehaltsanspruch des 3. Berufsjahres.
…
§ 3
Beschäftigungsgruppen
B. Angestellter mit abgeschlossener kaufmännischer oder technischer Ausbildung
Gehaltsgruppe I a)
Angestellter mit einfacher kaufmännischer oder technischer Tätigkeit
Beispiele:
Verkäufer/in …
Staffel A
Angestellte, die vor dem 1. März 1988 erstmals in die Gehaltsgruppe I eingruppiert wurden, erhalten im
4. Berufsjahr …
Staffel B
Angestellte, die nach dem 29. Februar 1988 erstmals in die Gehaltsgruppe I/Ia) eingruppiert wurden/werden, erhalten im
1. Berufsjahr …”
Im G-TV 1989 lautete die Bestimmung in § 2 Ziff. 6 b) wie folgt:
“Nach abgeschlossener 3jähriger Berufsausbildung (z.B. Kaufmann/-frau im Einzelhandel) entsteht der Gehaltsanspruch des 2. Berufsjahres.”
Der Beklagte ging bei der Festlegung des für die Vergütung der Klägerin maßgebenden Berufsjahres davon aus, daß die Klägerin bei Aufnahme ihrer ersten Tätigkeit im Modehaus nach der damals geltenden tariflichen Regelung Anspruch auf das Gehalt des zweiten Berufsjahres hatte. Von daher habe sich die Klägerin in der Zeit (rechnerisch richtig berechnet) vom 1. Oktober 1992 bis zum 31. August 1993 im vierten Berufsjahr befunden. Entsprechend hat der Beklagte der Klägerin das Gehalt dieses Berufsjahres gezahlt.
Die Klägerin ist der Ansicht, mit dem Inkrafttreten des G-TV 1991 habe sie so gestellt werden müssen, als habe sie bei Aufnahme ihrer Tätigkeit im Modehaus Anspruch auf Gehalt nach dem dritten Berufsjahr gehabt. In der Zeit vom 1. Oktober 1992 bis 31. August 1993 habe sie sich daher im fünften Berufsjahr befunden. Die Klägerin verlangt für die Zeit von Februar bis August 1993 die Differenz zwischen dem Gehalt des vierten und fünften Berufsjahres und der entsprechend höher zu berechnenden Jahressonderzahlung in Höhe von unstreitig 4.521,67 DM. Sie hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 4.521,67 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 1. Dezember 1993 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er ist der Ansicht, die Klägerin tarifgerecht vergütet zu haben.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter, während der Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie hat für den Klagezeitraum Anspruch auf das Gehalt des fünften Berufsjahres.
Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, daß mit der ersten Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit nach Abschluß der dreijährigen Ausbildung ein Gehaltsanspruch des dritten Berufsjahres nur für diejenigen Angestellten entstehe, die nach dem 1. März 1991 – dem Inkrafttreten des G-TV 1991 – erstmals eine berufliche Tätigkeit aufnahmen und daher erstmals in die Gehaltsgruppe I/I a) eingruppiert werden. Da die Klägerin erstmals schon vor dem 1. März 1991, nämlich im März 1990 bei Aufnahme ihrer Tätigkeit im Modehaus eingruppiert worden sei, komme die neue Regelung auf sie nicht zur Anwendung.
Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
- Die Klägerin hat eine dreijährige Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau erfolgreich abgeschlossen. Nach § 2 Ziff. 6 b) G-TV 1991 entsteht für Angestellte mit abgeschlossener dreijähriger Berufsausbildung, also auch für die Klägerin, mit Aufnahme der beruflichen Tätigkeit der Gehaltsanspruch des dritten Berufsjahres. Daß dies nur für Angestellte gilt, die nach dem 1. März 1991 nach Abschluß der dreijährigen Ausbildung erstmals eine berufliche Tätigkeit aufnehmen und damit erstmals eingruppiert werden, ist dem Tarifvertrag nicht zu entnehmen.
- Sowohl der G-TV 1989 als auch der G-TV 1991 stellen allerdings in den Überschriften zu den Staffeln A und B auf eine “erstmalige Eingruppierung” ab. Entscheidend ist in beiden Tarifverträgen ob diese – erstmalige Eingruppierung – vor dem 1. März 1988 oder nach dem 29. Februar 1988 erfolgt ist. Dieses Datum ist aber nicht das Datum des Inkrafttretens der beiden Gehaltstarifverträge, des 1. März 1989 bzw. des 1. März 1991. Damit dient das Abstellen auf die “erstmalige Eingruppierung” vor oder nach diesem Datum allein der Zuordnung der Angestellten zur Staffel A oder B. Das Landesarbeitsgericht hat unter Rückgriff auf die von ihm festgestellte Entstehungsgeschichte die Zuordnung der Angestellten zu zwei unterschiedlichen Staffeln – mit unterschiedlichen Gehaltssätzen – damit erklärt, daß es anläßlich vereinbarter Strukturverbesserungen für die vor dem 1. März 1988 erstmals eingruppierten Angestellten bei der bisherigen Regelung verbleiben sollte. Das mag zutreffen, besagt aber nichts für die hier entscheidende Frage, welches Berufsjahr für die Vergütung der Klägerin maßgebend ist. Diese ist nach beiden Gehaltstarifverträgen der Staffel B zuzuordnen, da sie erst nach dem 29. Februar 1988 erstmals eine Berufstätigkeit als Verkäuferin aufgenommen hat und damit in die Gehaltsgruppe I – nach dem G-TV 1989 – eingruppiert wurde. Damit erwarb die Klägerin anläßlich der erstmaligen Aufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit als Verkäuferin in dem Modehaus im März 1990 den Gehaltsanspruch des zweiten Berufsjahres.
Mit der Neuregelung in § 2 Ziff. 6 b) des G-TV 1991 haben die Tarifvertragsparteien die dreijährige Berufsausbildung höher bewertet. Angestellte mit einer solchen dreijährigen Ausbildung sollen bei erstmaliger Aufnahme ihrer Tätigkeit schon Anspruch auf das Gehalt des dritten Berufsjahres haben, während nach dem G-TV 1989 lediglich der Gehaltsanspruch des zweiten Berufsjahres gegeben war.
Eine gleiche Aufwertung erfolgte in § 2 Ziff. 6 a) auch für die zweijährige Berufsausbildung. Während solche Angestellte nach dem G-TV 1989 nur Gehalt nach dem ersten Berufsjahr beanspruchen konnten, haben sie nach dem G-TV 1991 Anspruch auf das Gehalt des zweiten Berufsjahres.
Der G-TV 1991 enthält an keiner Stelle, auch nicht in den Schlußbestimmungen, eine Regelung, der entnommen werden könnte, diese Höherbewertung der Ausbildung solle nur denjenigen Angestellten zugute kommen, die nach dem Inkrafttreten des G-TV 1991 am 1. März 1991 erstmals eine Berufstätigkeit aufnehmen und damit erstmals eingruppiert werden. Eine Unterscheidung nach der erstmaligen Aufnahme einer Berufstätigkeit vor oder nach dem Inkrafttreten des Tarifvertrages würde auch keinen Sinn ergeben. Ein Angestellter mit dreijähriger Ausbildung und erstmaliger Aufnahme der Tätigkeit im Februar 1991 erhielte Gehalt nach dem zweiten Berufsjahr, ein Angestellter der seine berufliche Tätigkeit im März 1991 aufnimmt, jedoch das Gehalt des dritten Berufsjahres. Zwar können Stichtagsregelungen auch zur Differenzierung zwischeneinander sehr ähnlicher Fallgestaltungen führen, an einer Stichtagsregelung für die Frage, welche Angestellten mit dreijähriger Berufsausbildung Gehalt des zweiten oder dritten Berufsjahres erhalten sollen, fehlt es aber nach dem Gesagten.
Inhalt und Dauer einer Ausbildung sind in der Praxis nahezu aller Lohn- und Gehaltstarifverträge Merkmale, die für die Eingruppierung des Arbeitnehmers in Lohn- oder Gehaltsgruppen maßgebend sind. Dabei macht es von der Sache her keinen Unterschied, ob eine längere oder qualifiziertere Ausbildung einer höheren Lohn- oder Gehaltsgruppe zugeordnet wird oder ob – wie vorliegend – der Ausbildung eine größere Zahl von Berufsjahren zugerechnet wird.
Werden Tätigkeitsmerkmale höher bewertet und führt damit das höherbewertete Tätigkeitsmerkmal zu einem höheren Entgelt, so hat aufgrund des entsprechenden Tarifvertrages der Arbeitnehmer, der dieses höherbewertete Tätigkeitsmerkmal erfüllt, grundsätzlich auch Anspruch auf die entsprechende höhere Vergütung. Mit dem Inkrafttreten eines solchen Tarifvertrages sind daher diejenigen Angestellten, die das höherbewertete Tätigkeitsmerkmal erfüllen, auch “höherzugruppieren”. Daß die Tarifvertragsparteien vorliegend von diesem allgemein üblichen System abweichen wollten, ist nicht ersichtlich.
Dem steht nicht entgegen, daß nach dem G-TV 1991 bei dieser “Höhergruppierung” auch auf Zeiten zurückgegriffen werden muß, die vor dem bei Inkrafttreten des Tarifvertrages bestehenden Arbeitsverhältnis liegen. Das ist bei jeder Vergütungsregelung der Fall, die auf “Berufsjahre” und nicht auf Zeiten der Zugehörigkeit zum Betrieb abstellt. Der Beklagte hat daher zutreffend auch die von der Klägerin im Modehaus verbrachte Tätigkeit als Verkäuferin bei der Ermittlung der Berufsjahre mitberücksichtigt.
Damit war der Beklagte mit Inkrafttreten des G-TV 1991 verpflichtet, die für den Gehaltsanspruch der Klägerin maßgebenden Berufsjahre neu zu ermitteln, was im Ergebnis bedeutete, daß er der Klägerin das weitere Berufsjahr gutbringen mußte, das sich aus der Höherbewertung der dreijährigen Berufsausbildung im G-TV 1991 ergab.
Somit hat die Klägerin Anspruch auf die von ihr unstreitig berechnete Differenz zwischen dem gezahlten Gehalt nach dem vierten Berufsjahr und dem ihr zustehenden Gehalt des fünften Berufsjahres. Unter Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen war daher der Klage stattzugeben.
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Hauck, N. Schuster, Peters
Richter Prof. Dr. Jobs ist durch Urlaub an der Unterschrift verhindert.
Matthes
Fundstellen
Haufe-Index 893884 |
RdA 1998, 61 |