Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen Kurzerkrankungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Sieht ein Tarifvertrag (hier: § 12 des Manteltarifvertrages für die Arbeiter und Angestellten der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden vom 26. Juli 1984) die Verpflichtung des Arbeitgebers vor, Arbeitnehmern mit längerer Unternehmenszugehörigkeit im Krankheitsfall über den gesetzlichen Sechs-Wochen-Zeitraum hinaus für bestimmte Zeiträume einen Zuschuß zum Krankengeld zu zahlen, so kann allein daraus noch nicht gefolgert werden, auch sechs Wochen im Jahr übersteigende krankheitsbedingte Ausfallzeiten des Arbeitnehmers seien grundsätzlich nicht geeignet, eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen (im Anschluß an das auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmte Senatsurteil vom 16. Februar 1989 - 2 AZR 299/88 -).
2. Bei einer auf häufige Kurzerkrankungen gestützten Kündigung ist im Rahmen der Interessenabwägung ua zu berücksichtigen, ob bzw wie lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen ist (Senatsurteil vom 26. Februar 1989, aaO). Ein ungestörter Verlauf des Arbeitsverhältnisses liegt nicht schon dann vor, wenn der Arbeitnehmer im Jahr nicht länger als sechs Wochen arbeitsunfähig krank gewesen ist.
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 07.09.1988; Aktenzeichen 2 Sa 43/88) |
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 01.03.1988; Aktenzeichen 11 Ca 526/87) |
Tatbestand
Der am 9. Januar 1953 geborene, verheiratete und zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger war seit dem 22. März 1971 in der Abteilung 2 des Automobilwerkes der Beklagten in S als Decklack-Spritzlackierer beschäftigt. Er verdiente zuletzt ca. 3.700,-- DM brutto im Monat. Auf das Arbeitsverhältnis fand zuletzt der Manteltarifvertrag für die Arbeiter und Angestellten der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden vom 26. Juni 1984, gültig ab 1. April 1985 (künftig: MTV 1985) kraft Verbandzugehörigkeit Anwendung, der in § 12.4 folgende Regelung enthält:
"Arbeitnehmer nach 5jähriger Tätigkeit im selben
Unternehmen erhalten über die Frist nach § 12.3
hinaus einen weiteren Monat, Arbeitnehmer mit
mindestens 10jähriger Betriebszugehörigkeit im
selben Unternehmen für noch einen weiteren Monat
als Zuschuß zum Krankengeld die Differenz zwischen
dem Krankengeld und 100 % der monatliche Netto-
bezüge."
Der Kläger hatte seit dem Jahre 1971 folgende krankheitsbedingte, nicht auf Betriebsunfällen beruhende Fehlzeiten:
Arbeitstage
1971 9 - ein Krankheitsfall
1972 19 - drei Krankheitsfälle
1973 10 - ein Krankheitsfall
1974 21 - drei Krankheitsfälle
1975 10 - ein Krankheitsfall
1976 9 - ein Krankheitsfall
1977 24 - zwei Krankheitsfälle
1978 27 - zwei Krankheitsfälle
1979 27 - drei Krankheitsfälle
Arbeitstage Ursache
1980
03.03. - 22.03. 15
24.06. - 26.07. 24
02.09. - 05.09. 4
--
43
1981
11.05. - 08.06. 19
23.06. - 12.07. 14
16.10. - 15.11. 21 Operation an den Stimmbändern
-- (35 Arbeitstage)
54
1982
15.02. - 06.03. 15
09.03. - 08.04. 23
05.07. - 11.07. 5
27.09. 1
--
44
1983
14.02. - 04.03. 15
31.03. 1
09.05. - 28.05. 13
28.06. - 16.07. 14
13.09. 1
14.09. - 10.10. 19 ca. 3 Wochen wegen Verstauchung
31.10. - 19.11. 13 des Sprunggelenks
--
76
1984
16.04. 1 sämtliche Fehlzeiten beruhen
30.07. - 17.08. 15 auf Kreislaufbeschwerden wegen
08.10. - 26.10. 15 Bluthochdrucks
12.11. - 07.12. 19
17.12. - 31.12. 7
--
57
1985
18.02. - 08.03. 15 Angina
(22.05. - 04.06. 9 Betriebsunfall)
19.08. - 15.09. 20 Gastritis
18.10. 1
12.11. - 03.12. 15 Grippe
--
51 (ohne Betriebsunfall)
1986
10.04. - 11.04. 2 Kreislaufstörungen
06.05. - 30.05. 19 Grippe mit hohem Fieber
25.08. - 26.08. 2
04.11. 1
05.11. - 07.11. 3
--
27
1987
24.02. 1
02.04. - 03.04. 2
25.05. - 28.06. 25 Arbeits- Torticollis (muskulär be-
tage dingter Schiefhals)
06.08. 1
14.09. - 29.09. 12 Otitis Externa und Hypertonie
22.10. - 08.11. 12 Leukozytose
--
53
Wegen der krankheitsbedingten Fehlzeiten in den Jahren 1980 bis 1985 hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers ein erstes Mal mit Schreiben vom 11. Dezember 1985 zum 31. März 1986 gekündigt. Den wegen dieser Kündigung vor dem Arbeitsgericht Stuttgart anhängig gewesenen Rechtsstreit - 4 Ca 647/85 - hatten die Parteien durch einen am 29. Januar 1986 geschlossenen gerichtlichen Vergleich beendet. Danach sollte das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31. März 1987 enden, die Beklagte jedoch zu seiner Fortführung zu den zuletzt gültigen Arbeitsbedingungen über diesen Termin hinaus auf unbestimmte Zeit verpflichtet sein, sofern sich die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers im Zeitraum vom 1. April 1986 bis zum 31. März 1987 auf nicht mehr als 10 % der anfallenden Arbeitstage beliefen.
Nachdem der Kläger die für seine Weiterbeschäftigung gesetzte Bedingung erfüllt hatte, beschäftigte die Beklagte ihn nach einer Untersuchung durch den werksärztlichen Dienst ab 1. April 1987 auf unbestimmte Zeit als Spritzlackierer weiter.
Mit Schreiben vom 20. November 1987 unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat von ihrer Absicht, dem Kläger im Hinblick auf die vom 1. April bis 8. November 1987 erneut angefallenen Fehltage erneut fristgerecht zu kündigen. Ihr an den Betriebsrat gerichtetes Schreiben vom 10. Dezember 1985, das der ersten Kündigung vorausgegangen war, machte sie auch zum Gegenstand der erneuten Anhörung. Der Betriebsrat antwortete am 26. November 1987, die beabsichtigte Kündigung sei erörtert worden, Widerspruch werde nicht eingelegt. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 27. November 1987 fristgerecht zum 31. März 1988.
Nach Zugang der Kündigung war der Kläger vom 5. April bis 1. Mai 1988 (19 Arbeitstage) arbeitsunfähig krank und erkrankte erneut am 14. Juni 1988.
Mit der vorliegenden Klage hat sich der Kläger gegen diese erneute Kündigung gewandt. Er hat geltend gemacht, sie sei sozial ungerechtfertigt und beantragt
1. festzustellen, daß die Kündigung der
Beklagten vom 27. November 1987 rechts-
unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis
der Parteien auch über den 31. März 1988
hinaus fortbesteht,
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger
arbeitsvertragsgemäß bis zur rechtskräf-
tigen Entscheidung im vorliegenden Ver-
fahren wie bisher weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, es seien weitere erhebliche Fehlzeiten des Klägers zu erwarten, die zu Störungen des Betriebsablaufs und zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung führten.
Zu den Ursachen für die in den Jahren 1980 bis 1983 aufgetretenen Fehlzeiten habe der Kläger nicht ausreichend vorgetragen. Soweit er für die Folgezeit Krankheitsursachen angegeben habe, spreche sein eigener Vortrag für das Auftreten entsprechender Ausfälle in der Zukunft. Allein im Jahr 1984 habe er wegen Kreislaufbeschwerden infolge Bluthochdrucks an 57 Arbeitstagen gefehlt. Dieses Leiden habe auch weitere Erkrankungen ausgelöst. Ein ursächlicher Zusammenhang mit seiner Arbeit bestehe nicht. In der Spritzbox sorgten Frischlufthauben für einwandfreie und gleichmäßig temperierte Atemluft. Der Kläger habe gegenüber dem werksärztlichen Dienst nicht vorgebracht, ein Wechsel des Arbeitsplatzes könne seine Beschwerden verhindern. Bei der letzten werksärztlichen Untersuchung am 20. März 1986 hätten sich keine Bedenken gegen eine weitere Beschäftigung als Spritzlackierer ergeben. Die Ausfallzeiten im Jahre 1986 seien nach eigenem Eingeständnis des Klägers unter dem Druck des Vergleichs zurückgegangen.
Wegen der Ausfälle des Klägers seien mehrfache Umsetzungen erforderlich gewesen. So seien im Jahre 1985 sechs Vorlackspritzlackierer aus anderen Abteilungen für die Karosseriereinigung eingesetzt worden, weil der Kläger als Decklackspritzlackierer eine besondere Qualifikation besessen habe. Die übrigen Decklackspritzlackierer hätten deshalb länger als sonst üblich in der Decklackspritzanlage verbleiben müssen.
Die wirtschaftliche Belastung mit Lohnfortzahlungskosten sei für sie unzumutbar geworden. Seit dem Jahre 1974 habe sie an Lohnfortzahlungen und Lohnnebenkosten 92.809,24 DM aufgewendet. Auf das Jahr 1986 seien 7.065,83 DM, auf das Jahr 1987 dagegen 16.431,34 DM entfallen.
Der Kläger hat erwidert, seine Fehlzeiten seien im wesentlichen auf Bluthochdruck zurückzuführen. Dieser sei aber durch Medikamente in der Regel rasch behebbar. Wenn zusätzliche Maßnahmen, z.B. Einnahme stärkerer Medikamente, erforderlich seien, seien nur Ausfallzeiten bis zu zwei Tagen zu erwarten. Die Bedingungen an seinem Arbeitsplatz seien für diese Erkrankung wie auch für Erkältungskrankheiten mitursächlich. Er habe den werksärztlichen Dienst hierauf hingewiesen, der jedoch den Standpunkt vertreten habe, bei entsprechender medikamentöser Behandlung sei der Blutdruck "unter Kontrolle" zu bringen. Gesuche um Versetzung seien erfolglos geblieben. Im Jahr 1986 habe er unter dem Druck des Vergleichs auch im schlechten körperlichen Zustand seine Tätigkeit fortgeführt.
Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt.
1. In seiner Hauptbegründung hat es hierzu ausgeführt, häufige krankheitsbedingte Fehlzeiten des Arbeitnehmers könnten, abgesehen von der Besorgnis künftiger Ausfälle in gleichem Umfang, eine Kündigung nur dann rechtfertigen, wenn sie zu einer hohen Zahl an Fehltagen geführt hätten. Im allgemeinen seien hohe Fehlzeiten dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses in den letzten drei bis fünf Jahren vor Ausspruch der Kündigung im Jahresdurchschnitt mehr als 30 Arbeitstage krankheitsbedingt gefehlt habe. Denn der Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG sei zu entnehmen, daß der Gesetzgeber jedenfalls krankheitsbedingte Fehlzeiten bis zu sechs Wochen pro Jahr nicht als überdurchschnittlich hoch angesehen habe.
Diese Mindestgrenze könne sich erhöhen, wenn der Arbeitgeber vertraglich oder tarifvertraglich verpflichtet sei, Krankenlohn über die gesetzliche Mindestgrenze hinaus fortzuzahlen. Im vorliegenden Fall sei die Beklagte nach § 12.4 MTV 1985 verpflichtet, kranken Arbeitnehmern nach fünf Jahren Unternehmenszugehörigkeit über die Mindestfristen des § 12.3 MTV 1985 hinaus (für Arbeiter sechs Wochen, für Angestellte eineinhalb Monate) für einen weiteren Monat, Arbeitnehmern nach zehnjähriger Unternehmenszugehörigkeit für einen zusätzlichen Monat einen Zuschuß in Höhe der Differenz zwischen dem Krankengeld und 100 % der monatlichen Nettobezüge als Bruttobetrag zu zahlen. Auch wenn den Arbeitgeber insoweit nur eine eingeschränkte Zahlungspflicht treffe, lasse sich der Regelung dennoch entnehmen, daß er abhängig von der Unternehmenszugehörigkeit des Arbeitnehmers die Lasten, die ihm durch eine länger dauernde Krankheit des Arbeitnehmers entstünden, im Grundsatz tragen solle. Auch wenn es sich hierbei nicht um eine Bestandsschutzregelung handele, habe sie doch Auswirkungen auf den Schutz des Arbeitnehmers gegen eine krankheitsbedingte Kündigung, weil sie anderenfalls an Bedeutung verlieren oder sogar unterlaufen werden könne. Deshalb könne von kündigungsrelevanten krankheitsbedingten Fehlzeiten bei Arbeitnehmern mit einer Unternehmenszugehörigkeit von mehr als zehn Jahren erst dann gesprochen werden, wenn diese in den letzten drei bis fünf Jahren vor Ausspruch der Kündigung 60 Arbeitstage im Jahr überschritten. Zwar greife die tarifliche Sonderregelung nur ein, wenn der Arbeitnehmer infolge einer Krankheit länger als die tarifliche Mindestfrist fehle, nicht aber bei mehreren, jeweils diese Fristen überschreitenden Krankheiten. Der tariflichen Gesamtregelung sei jedoch zu entnehmen, daß der Arbeitgeber nach zehnjähriger Unternehmenszugehörigkeit des Arbeitnehmers höhere organisatorische und wirtschaftliche Belastungen tragen solle.
Danach seien im Fall des Klägers kündigungsrelevante hohe krankheitsbedingte Fehlzeiten von über 60 Arbeitstagen pro Jahr in den letzten drei bis fünf Jahren, vom Jahre 1983 abgesehen, nicht aufgetreten. Diese Grenze werde auch im Durchschnitt der letzten fünf Jahre (53 Arbeitstage pro Jahr) nicht überschritten. Daran scheitere die Kündigung, selbst wenn im Zeitpunkt ihres Zugangs wegen der Häufigkeit und Dauer der Erkrankungen des Klägers in den Jahren 1980 bis 1987 die ernstliche Besorgnis weiterer häufiger Kurzerkrankungen bestanden habe, die der Kläger durch die Mitteilung der Krankheitsursachen nicht ausgeräumt habe.
2. In einer Hilfsbegründung hat das Berufungsgericht angenommen, zum selben Ergebnis gelange man auch deshalb, weil keine unzumutbare wirtschaftliche Belastung der Beklagten vorliege. Zwar seien ihr seit 1980 durch die krankheitsbedingten Fehlzeiten Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von rund 100.000,-- DM entstanden, und es bestehe die Besorgnis, daß auch künftig hohe wirtschaftliche Lasten durch Entgeltfortzahlung entstünden. Jedoch habe das Arbeitsverhältnis des Klägers im Kündigungszeitpunkt über 16 Jahre bestanden und sei jedenfalls während der ersten neun Jahre ungestört gewesen, weil der Beklagten in dieser Zeit erhebliche Kosten durch Krankenlohnzahlung nicht entstanden seien. Deshalb sei von ihr eine erhöhte Rücksichtnahme zu erwarten, wie sie sich letztlich auch aus der in § 12.4 MTV 1985 enthaltenen Regelung entnehmen lasse.
Dieser Würdigung kann nicht gefolgt werden.
II. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 16. Februar 1989 - 2 AZR 299/88 - DB 1989, 2075, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen, zu B I der Gründe, m.w.N.) ist die Sozialwidrigkeit einer wegen häufiger Kurzerkrankungen ausgesprochenen ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers in drei Stufen zu prüfen.
1. Zunächst ist eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können für ein entsprechendes Erscheinungsbild in der Zukunft sprechen.
2. Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Diese Beeinträchtigung ist Teil des Kündigungsgrundes. Hierbei kommen zwei Arten von Beeinträchtigungen in Betracht.
a) Wiederholte kurzfristige Ausfallzeiten des Arbeitnehmers können zu schwerwiegenden Störungen im Produktionsprozeß führen (Betriebsablaufstörungen). Sie sind nur dann als Kündigungsgrund geeignet, wenn sie nicht durch mögliche Überbrückungsmaßnahmen vermieden werden können. Hierzu gehören Maßnahmen, die anläßlich des konkreten Ausfalls eines Arbeitnehmers ergriffen werden, aber auch der Einsatz eines Arbeitnehmers aus einer vorgehaltenen Personalreserve. Werden auf diese Weise Ausfälle überbrückt, so liegt bereits objektiv keine Betriebsablaufstörung und damit insoweit kein zur sozialen Rechtfertigung geeigneter Grund vor. Ist eine Betriebsablaufstörung mit den geschilderten Mitteln nicht zu vermeiden, so gehört zum Kündigungsgrund, daß die Störung erheblich ist.
b) Kündigungsgrund kann auch eine erhebliche wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers sein. Davon ist auch auszugehen, wenn für die Zukunft mit immer neuen, außergewöhnlich hohen Lohnfortzahlungskosten zu rechnen ist, die für jährlich jeweils einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen aufzuwenden sind. Dabei ist nur auf die Kosten des Arbeitsverhältnisses abzustellen.
c) Liegt nach den vorstehenden Grundsätzen eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen vor, so ist in einer dritten Stufe im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls dem Arbeitgeber noch zuzumuten sind. Hierbei ist allgemein insbesondere zu berücksichtigen, ob die Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind, ob bzw. wie lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen ist, ferner das Alter und der Familienstand des Arbeitnehmers.
aa) In der dritten Stufe ist - soweit es um Betriebsablaufstörungen geht - auch zu prüfen, ob es dem Arbeitgeber zumutbar ist, die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen durch an sich mögliche weitere Überbrückungsmaßnahmen zu verhindern.
Reicht eine vorgehaltene Personalreserve nicht aus, den konkreten Ausfall des Arbeitnehmers ohne Umsetzung oder andere organisatorische Maßnahmen zu überbrücken, so ist zu prüfen, ob etwa die Einstellung einer Aushilfskraft zumutbar ist.
bb) Das Vorhalten einer Personalreserve ist bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Belastung des Arbeitgebers mit erheblichen Lohnfortzahlungskosten ebenfalls zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Diese Maßnahme kann die Belastung des Arbeitgebers mit Lohnfortzahlungskosten unzumutbar machen, ohne daß daneben auch noch Betriebsablaufstörungen oder weitere den Betrieb belastende Auswirkungen vorliegen müßten.
III. Bei Anwendung dieser Grundsätze kann das angefochtene Urteil mit der vom Berufungsgericht gegebenen Hauptbegründung nicht bestätigt werden.
1. Das Berufungsgericht hat im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, allein die zu erwartende wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers mit außergewöhnlich hohen Lohnfortzahlungskosten, die für jährlich jeweils einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen aufzuwenden sind, könne einen zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung geeigneten Grund darstellen, wobei nur auf die Kosten des Arbeitsverhältnisses des gekündigten Arbeitnehmers abzustellen sei. Die hiergegen vom Kläger in der Revisionsbeantwortung erhobenen Einwendungen, die Berücksichtigung der Lohnfortzahlungskosten für die Kündigung stelle einen Wertungswiderspruch zu den gesetzlichen Bestimmungen über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB dar, hat der Senat in dem Urteil vom 16. Februar 1989 (zu III der Gründe) behandelt und nicht für durchschlagend erachtet; auf diese Ausführungen wird verwiesen.
2. Soweit das Berufungsgericht jedoch im Hinblick auf die Regelungen des MTV 1985 über Zuschußzahlungen des Arbeitgebers zum Krankengeld an Arbeitnehmer mit längerer Unternehmenszugehörigkeit über den gesetzlichen Sechs-Wochen-Zeitraum hinausgehende Mindestgrenzen für kündigungsrelevante Fehlzeiten festgelegt hat, kann ihm nicht gefolgt werden.
a) Wie der Senat insbesondere im Urteil BAGE 40, 361, 367 (= AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu B I 2 der Gründe) näher begründet und in dem Urteil vom 16. Februar 1989 (zu B III 1 c cc und 2 a der Gründe) bestätigt hat, gibt es grundsätzlich keine festen Grenzwerte für die krankheitsbedingte Kündigung. Entscheidend für die Sozialwidrigkeit einer Kündigung sind stets die Besonderheiten des Einzelfalls. Alle generalisierenden und quantifizierenden, in dem Urteil BAGE 40, 361 (= AP, aaO) näher dargestellten Vorschläge des Schrifttums sind willkürlich und nicht geeignet, dem Einzelfall gerecht zu werden, wie dies nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG erforderlich ist. Gleiches gilt für die Lohnfortzahlungskosten bei der Prüfung der Unzumutbarkeit der hierdurch dem Arbeitgeber entstehenden wirtschaftlichen Belastung.
b) Soweit der Senat in dem Urteil BAGE 40, 361 (= AP, aaO) Lohnfortzahlungskosten für einen Zeitraum bis zu sechs Wochen für kündigungsrechtlich noch unerheblich angesehen und sich hierfür auf das LohnFG berufen hat, geschah dies insbesondere deshalb, um den Vorschlägen des Schrifttums entgegenzutreten, zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung formal an bestimmte Ausfallzeiten wie den Sechs-Wochen-Zeitraum des LohnFG anzuknüpfen. Dem Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, er habe einerseits für einen bestimmten Zeitraum wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei Arbeitsunfähigkeit das Entgelt sichern, ihm andererseits aber generell ohne Rücksicht auf den Einzelfall bereits bei Inanspruchnahme der Entgeltfortzahlung in diesem Umfang den Arbeitsplatz und damit die gesamte Existenzgrundlage entziehen wollen.
In dem Urteil vom 16. Februar 1989 (zu B III 1 c, cc der Gründe) hat der Senat diese Ansicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit untermauert. Es würde diesem Grundsatz widersprechen, die Inanspruchnahme eines die gesetzliche Mindestgrenze nicht überschreitenden, zur sozialen Sicherung des Arbeitnehmers eingeräumten Rechts bereits als eine erhebliche, als Kündigungsgrund geeignete betriebliche Beeinträchtigung anzusehen. Wenn das LohnFG für den Normalfall eine Ausfallzeit von sechs Wochen mit entsprechender Lohnfortzahlung normiert, so kann daraus entnommen werden, der Gesetzgeber habe die einmalige volle Inanspruchnahme des Gesetzes durch den Arbeitnehmer in diesem Umfang als zumutbare Belastung des Arbeitgebers angesehen. Diese zeitliche Mindestgrenze gilt nur für wirtschaftliche Belastungen durch Lohnfortzahlungskosten. Bei Störungen des Betriebsablaufs können schon jährlich Ausfallzeiten von weniger als sechs Wochen erhebliche betriebliche Auswirkungen zur Folge haben.
c) Mit dieser Rechtsprechung ist die vom Berufungsgericht vorgenommene weitergehende generelle Einschränkung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers nicht zu vereinbaren.
aa) Ebensowenig wie die gesetzliche Entgeltfortzahlungsregelung für den Krankheitsfall (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Februar 1989, zu B III 1 c, aa der Gründe) verfolgt die tarifliche Regelung des MTV 1985 Bestandsschutzinteressen. Sie will wie jene die wirtschaftliche Lage der Arbeitnehmer verbessern und setzt den Bestand des Arbeitsverhältnisses voraus, ohne ihn zu schützen. Dies wird besonders daraus deutlich, daß dasselbe Tarifwerk in § 4.4.4 eine ausdrückliche bestandsschutzrechtliche Regelung enthält, nach der Arbeitnehmern zwischen dem 53. und 65. Lebensjahr mit einer Betriebszugehörigkeit von mindestens drei Jahren nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden kann.
bb) Lohnfortzahlungskosten für Ausfallzeiten bis zur gesetzlichen Mindestgrenze von insgesamt sechs Wochen im Jahr hat der Senat deshalb für eine dem Arbeitgeber zuzumutende wirtschaftliche Belastung angesehen, weil den gesetzlichen Entgeltfortzahlungsregelungen eine dahingehende Grundwertung des Gesetzgebers entnommen werden kann. Ob aus einer tariflichen und somit dem Range nach unter dem Gesetz stehenden Entgeltfortzahlungsregelung grundsätzlich entsprechende Folgerungen für die Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes gezogen werden können, kann vorliegend offen bleiben.
cc) Der einschlägige Tarifvertrag sieht zunächst in § 12.3 als Mindestbelastung des Arbeitgebers wie die gesetzliche Regelung eine Entgeltfortzahlungspflicht gegenüber Arbeitern und Angestellten für die Dauer von sechs Wochen bzw. eineinhalb Monaten vor. Darüber hinaus besteht gemäß § 12.4, § 12.5 MTV 1985 eine von einer bestimmten Mindestdauer der Unternehmenszugehörigkeit des Arbeitnehmers abhängige Verpflichtung des Arbeitgebers, einmal im Kalenderjahr für höchstens zwei weitere Monate einen Zuschuß zum Krankengeld zu zahlen. Dem Tarifvertrag könnte somit allenfalls entnommen werden, daß die Tarifvertragsparteien über die der gesetzlichen Mindestregelung entsprechende Lohnfortzahlung für sechs Wochen hinaus zusätzlich noch die einmalige Zuschußzahlung als noch unerheblich oder zumutbare Belastung des Arbeitgebers angesehen haben. Dementsprechend müßte der Arbeitgeber dann über die volle Lohnfortzahlung für sechs Wochen hinaus lediglich die wesentlich geringere Zuschußzahlung für höchstens zwei weitere Monate als kündigungsrechtlich irrelevant hinnehmen.
dd) Die vom Berufungsgericht dem Arbeitgeber auferlegte Belastung läßt sich dagegen auch mit der tariflichen Entgeltregelung nicht rechtfertigen. Das Berufungsgericht folgert, der Arbeitgeber müsse Fehlzeiten bis zu 60 Arbeitstagen pro Jahr hinnehmen, sofern der Arbeitnehmer die für die tarifliche Zuschußpflicht erforderliche Unternehmenszugehörigkeit aufweise. Da es keine weiteren Einschränkungen macht, bürdet es dem Arbeitgeber damit die volle Lohnfortzahlungspflicht für diese Ausfallzeiten auf, falls der Arbeitnehmer, wie vorliegend der Kläger, im Jahr mehrfach, aber jeweils weniger als sechs Wochen erkrankt und deshalb die tarifliche Zuschußpflicht nicht einsetzen kann. Das Berufungsgericht übersieht bei seinen Überlegungen, daß nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Arbeitgeber lediglich eine wirtschaftliche Mindestbelastung im Umfang der Lohnfortzahlungskosten für sechs Wochen im Jahr hinnehmen muß und nur in diesem Zusammenhang die entsprechende Fehlzeit relevant ist. Deshalb darf die Fehlzeit nicht von der Entgeltfortzahlungspflicht gelöst und als selbständige Größe ohne Rücksicht darauf behandelt werden, in welchem Umfang Entgeltfortzahlungskosten ausgelöst werden.
d) Demgemäß kann das angefochtene Urteil mit der Begründung, der Kläger habe in den letzten drei bis fünf Jahren keine kündigungsrelevanten Fehlzeiten aufgewiesen, so daß auch entsprechende Fehlzeiten in der Zukunft nicht zu erwarten seien und die Kündigung der Beklagten bereits an der fehlenden negativen Gesundheitsprognose scheitere, nicht bestätigt werden.
IV. Auch die Hilfsbegründung des Berufungsgerichts hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Im Rahmen der Interessenabwägung hängt die Beantwortung der Frage, ob die zu erwartende Belastung mit Lohnfortzahlungskosten dem Arbeitgeber noch zumutbar ist, von dem Alter des Arbeitnehmers, dessen Betriebszugehörigkeit und der Dauer des ungestörten Bestandes des Arbeitsverhältnisses ab. Je länger das Arbeitsverhältnis ungestört bestanden hat, desto mehr Rücksichtnahme ist vom Arbeitgeber zu erwarten. Einem Arbeitnehmer, der 20 Jahre zur Zufriedenheit gearbeitet hat und dann häufig erkrankt, schuldet der Arbeitgeber erheblich mehr Rücksichtnahme als einem Arbeitnehmer, der seit dem ersten Jahre der Betriebszugehörigkeit erhebliche und steigende krankheitsbedingte Ausfälle gehabt hat (vgl. insbes. BAGE 45, 146, 153 f. = AP Nr. 14 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu B II 3 b und 5 der Gründe). Der Senat hat es deshalb in dem jener Entscheidung zugrundeliegenden Fall als einen zu Lasten des Arbeitnehmers zu wertenden Umstand angesehen, daß sein Arbeitsverhältnis vom ersten der fünf Beschäftigungsjahre an von krankheitsbedingten Fehlzeiten gekennzeichnet gewesen war, die sich von Jahr zu Jahr aufgrund unterschiedlicher Krankheitsursachen gesteigert und Lohnfortzahlungskosten ausgelöst hatten. Wie ferner zu berücksichtigen war, hatte der Arbeitgeber wegen des jugendlichen Alters des Klägers - er war bei Ausspruch der Kündigung 23 Jahre alt - aufgrund der negativen Prognose auf nicht absehbare Zeit mit sehr erheblichen Lohnfortzahlungskosten zu rechnen.
2. Vorliegend ist das Berufungsgericht zu Unrecht von einem ungestörten Arbeitsverhältnis in den ersten neun Jahren ausgegangen.
Der Kläger ist auch in diesem Zeitraum jedes Jahr arbeitsunfähig krank gewesen. Allerdings lagen die Ausfallzeiten jeweils unter der Mindestgrenze von sechs Wochen (30 Arbeitstagen) im Jahr, die der Arbeitgeber, wie ausgeführt, hinzunehmen hat. Im Rahmen der Interessenabwägung sind jedoch auch solche Ausfallzeiten, die den späteren, diese Grenze überschreitenden und zur Rechtfertigung einer Kündigung an sich geeigneten vorausgegangen sind, zu Lasten des Arbeitnehmers zumindest dann zu berücksichtigen, wenn sie nicht geringfügig waren, sondern nahe an der Mindestgrenze lagen. Mögen sie auch für sich betrachtet nicht geeignet gewesen sein, einen Kündigungsgrund abzugeben, so stellen sie doch eine Belastung des Arbeitsverhältnisses dar, die ihr im Zusammenhang mit den späteren kündigungsrelevanten Ausfallzeiten ein größeres Gewicht verleihen. Das Berufungsgericht hätte somit zugunsten der Beklagten berücksichtigen müssen, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers jedenfalls seit dem siebten Beschäftigungsjahr (1977) mit solchen, sich von 24 auf 27 Tage steigernden Ausfallzeiten und entsprechenden Lohnfortzahlungskosten belastet war.
3. Das Berufungsgericht ist ferner auf das Alter des Klägers nicht eingegangen. Ihm kommt aber für die Beurteilung der Zumutbarkeit der zukünftigen wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers eine wesentliche Bedeutung zu. Ist mit Ausfallzeiten im bisherigen Umfang aufgrund der negativen Gesundheitsprognose auf nicht absehbare Zeit zu rechnen, so ist auch die zu erwartende Belastung mit entsprechenden Lohnfortzahlungskosten um so höher, je jünger der Arbeitnehmer ist (vgl. BAGE 45, 146 = AP, aaO). Im vorliegenden Fall war der Kläger bei Ausspruch der Kündigung 34 Jahre alt. Die Beklagte hatte deshalb bei der vom Berufungsgericht unterstellten künftigen Belastung im Umfang der in den letzten acht Jahren angefallenen Lohnfortzahlungskosten auf eine nicht absehbare Zeit mit sehr erheblichen Lohnfortzahlungskosten zu rechnen. Dem angefochtenen Urteil ist nicht zu entnehmen, daß es diesen sehr wesentlichen Umstand bei der Interessenabwägung berücksichtigt hat.
4. Das Berufungsgericht hat im Rahmen der Interessenabwägung der Beklagten eine erhöhte Rücksichtnahme auf die Belange des Klägers auch deshalb abverlangt, weil dieser durch die tarifvertragliche Entgeltfortzahlungsregelung höhere als sich aus der gesetzlichen Regelung ergebende wirtschaftliche Belastungen auferlegt sind. Dies kommt in der abschließenden Wertung zum Ausdruck, die erhöhte Rücksichtnahme lasse sich "letztlich" der tariflichen Regelung entnehmen.
Wie ausgeführt, ist die tarifliche Zuschußpflicht im vorliegenden Fall für die Bestimmung der der Beklagten zuzumutenden Mindestbelastung mit Lohnfortzahlungskosten ohne Bedeutung. Dann darf sie aber auch nicht im Rahmen der Interessenabwägung zu Lasten der Beklagten berücksichtigt werden. Sonst würde die tarifliche Regelung auf diesem Wege doch eine bestandsschutzerhaltende Wirkung entfalten, weil sie grundsätzlich, das heißt ohne Rücksicht auf ihre Anwendbarkeit im konkreten Fall, die Zumutbarkeitsgrenze für die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers mit Lohnfortzahlungskosten erhöhen würde.
V. Diese Rechtsfehler des Berufungsgerichts machen eine Zurückverweisung des Rechtsstreits erforderlich.
1. Sind dem Berufungsgericht bei der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, hier bei der Frage der Sozialwidrigkeit, Rechtsfehler unterlaufen, so kann das Revisionsgericht eine abschließende Entscheidung gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO nur treffen, wenn alle für die Entscheidung über die soziale Rechtfertigung der Kündigung maßgeblichen Umstände lückenlos feststehen (vgl. BAG Urteil vom 9. Juni 1967 - 3 AZR 352/66 - AP Nr. 5 zu § 611 BGB Lohnzuschläge). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
2. Auch wenn die negative Gesundheitsprognose und eine erhebliche wirtschaftliche Belastung der Beklagten mit Lohnfortzahlungskosten feststünden - was nach der Begründung des Landesarbeitsgerichts zweifelhaft ist - könnte der Senat in jedem Fall die Interessenabwägung als dritte Voraussetzung für eine Kündigung wegen wiederholter Erkrankungen des Arbeitnehmers nicht abschließend selbst vornehmen. Zunächst bedarf es der tatrichterlichen Würdigung, ob die zu erwartende wirtschaftliche Belastung mit Lohnfortzahlungskosten für die Beklagte unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze an sich zumutbar ist. Trifft das zu, so müsse noch dem bestrittenen und bisher ungeprüften Vortrag des Klägers nachgegangen werden, die Arbeitsbedingungen seien insbesondere für die Bluthochdruckkrankheit, aber auch für seine Erkältungskrankheiten mitursächlich gewesen, und er habe den werksärztlichen Dienst ohne Erfolg hierauf hingewiesen und um Versetzung gebeten. Denn bei der Interessenabwägung ist auch zu berücksichtigen, ob die Krankheiten auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind (vgl. Senatsurteil vom 16. Februar 1989, zu B I 3 a der Gründe sowie das zur Veröffentlichung bestimmte, ebenfalls am 6. September 1989 in dem Rechtsstreit - 2 AZR 118/89 - verkündete Senatsurteil). Die Beklagte hat den somit erheblichen Vortrag des Klägers bestritten und für ihren Vortrag, seine Bluthochdruckerkrankung stehe in keinem ursächlichen Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Spritzlackierer, sich auf das sachverständige Zeugnis ihres Werksarztes berufen. Hierüber kann jedoch nur das Berufungsgericht entscheiden.
3. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob das Berufungsgericht mit seinen abschließenden Ausführungen zur Gesundheitsprognose die Besorgnis künftiger Ausfallzeiten im Umfang der bisher tatsächlich angefallenen - und nur aus Rechtsgründen für nicht ausreichend erachteten - lediglich unterstellen oder feststellen wollte, da die negative Gesundheitsprognose nur die erste Voraussetzung für eine Kündigung wegen wiederholter Erkrankungen ist. Bei der erneuten Verhandlung wird das Berufungsgericht die für die Prognose geltenden Grundsätze hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast zu beachten haben, die der Senat in dem ebenfalls am 6. September 1989 verkündeten Urteil in der Sache - 2 AZR 19/89 - zusammengefaßt hat.
Hillebrecht Triebfürst Bitter
Timpe Dr. Kirchner
Fundstellen
Haufe-Index 437636 |
BB 1990, 558 |
BB 1990, 558-559 (LT1-2) |
NJW 1990, 2338 |
NJW 1990, 2338-2340 (LT1-2) |
BetrVG, (17) (LT1-2) |
DOK 1990, 493 (L1-2) |
EEK, II/189 (ST1-4) |
NZA 1990, 434-437 (LT1-2) |
RdA 1990, 61 |
USK, 8993 (ST1-2) |
ZAP, EN-Nr 461/90 (S) |
AP § 1 KSchG 1969 Krankheit (LT1-2), Nr 23 |
Arbeitgeber 1990, 967-968 (L1-2) |
ErsK 1990, 509 (T) |
EzA § 1 KSchG Krankheit, Nr 28 (LT1-2) |
EzBAT § 53 BAT Krankheit, Nr 21 (LT1-2) |