Entscheidungsstichwort (Thema)
Gehaltsfortzahlung an Berufsfußballspieler. Lohnausfallprinzip auch für Punktprämie
Leitsatz (amtlich)
- Gemäß § 616 BGB (in der bis zum 31. Mai 1994 geltenden Fassung) kann ein Berufsfußballspieler, der wegen Krankheit oder Verletzung nicht eingesetzt wird, für die Dauer von sechs Wochen Entgeltfortzahlung verlangen.
- Die Höhe des fortzuzahlenden Entgelts richtet sich nach dem Lohnausfallprinzip: Der Spieler erhält das Entgelt, das er voraussichtlich erhalten hätte, wenn er nicht krankheits- oder verletzungsbedingt ausgefallen wäre. Dazu zählen auch Prämien, die für jeden von der Mannschaft gewonnenen Meisterschaftspunkt gezahlt werden.
- Die tatsächliche Ungewißheit über den Einsatz des Spielers und den Spielverlauf rechtfertigt es nicht, für die Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall anstelle des Lohnausfallprinzips das auf die Vergangenheit bezogene Referenzprinzip zu vereinbaren.
Normenkette
BGB § 616 Abs. 1, 2 (i.d. bis zum 31. Mai 1994 gültigen Fassung)
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte dem Kläger Punktprämien als Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall schuldet.
Der beklagte Fußballverein spielte 1992 in der 2. Bundesliga. Der Kläger war bei ihm als Berufsfußballspieler (Lizenzspieler) beschäftigt. Das vereinbarte Grundgehalt betrug 7.500,00 DM. Zusätzlich zahlte der Verein Prämien, u.a. auch für erzielte Meisterschaftspunkte. Für die Saison 1991/1992 war zwischen dem sog. Spielerrat der Fußballmannschaft und dem Beklagten eine Prämienregelung vereinbart worden, wonach die volle Punktprämie 2.300,00 DM für jeden Punkt betrug. Im Arbeitsvertrag hatten die Parteien vereinbart:
“…
Im Krankheitsfalle werden 6 Wochen Lohnfortzahlung gezahlt. D. h. Grundgehalt, Punkt- und Einzelprämie (3 Monate vor Erkrankung) werden zusammenaddiert und durch die Anzahl der Monatstage dividiert = Tagessatz. …”
Der Kläger war seit dem 14. März 1992 für den gesamten Lohnfortzahlungszeitraum bis zum 26. April 1992 arbeitsunfähig krank. In dieser Zeit erzielte die Mannschaft des beklagten Vereins fünf Meisterschaftspunkte. Der Behauptung des Klägers, er wäre bei allen diesen Spielen eingesetzt worden, wäre er nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen, ist der beklagte Verein nicht entgegengetreten.
Der Kläger macht geltend, der Beklagte hätte die Entgeltfortzahlung – soweit es um die Punktprämien geht – nicht nach der vereinbarten Methode der Vergangenheitsberechnung (Referenzprinzip) durchführen dürfen, sondern das Lohnausfallprinzip anwenden müssen. Dementsprechend stünden ihm – rechnerisch unstreitig weitere 8.943,00 DM brutto zu.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 8.943,00 DM nebst 13 % Zinsen seit dem 18. Juni 1992 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat erwidert, die Entgeltfortzahlung sei – wie vereinbart – nach dem Durchschnitt der Einkünfte in den vergangenen drei Monaten (Referenzprinzip) zu berechnen. Die Ansicht des Klägers führe zu widersinnigen Ergebnissen; sie lege der Berechnung einen fiktiven Kausalverlauf zugrunde. Die Gründe, einen Spieler im Einzelfall nicht einzusetzen, seien vielgestaltig. Zudem sei eine Prognose über den Verlauf und das Ergebnis eines Fußballspiels nicht möglich. Deswegen sei im Berufsfußball allein das Referenzprinzip sachgerecht. Eine solche Vereinbarung verstoße auch nicht gegen zwingendes Gesetzesrecht; nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zählten Prämien für Meisterschaftspunkte ohnehin nicht zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision will der Beklagte die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht stattgegeben. Dem Kläger steht als Gehaltsfortzahlung für den Krankheitsfall der mit der Klage geltend gemachte weitere Betrag zu (§ 616 Abs. 1 und Abs. 2 BGB in der bis zum 31. Mai 1994 geltenden Fassung).
I. Nach § 616 Abs. 1 und Abs. 2 BGB a.F. behält der unverschuldet erkrankte Angestellte einen Anspruch auf die vertragsgemäße Vergütung für die Dauer von sechs Wochen.
1. Der Kläger war – worüber die Parteien nicht streiten – als Berufsfußballspieler in einer in der 2. Bundesliga spielenden Fußballmannschaft Angestellter im Sinne des § 616 BGB (BAG in ständiger Rechtsprechung; statt vieler: Urteil vom 22. August 1984 – 5 AZR 539/81 – AP Nr. 65 zu § 616 BGB, m.w.N., mit insoweit zustimmender Anmerkung von Trieschmann).
2. Die im Krankheitsfall fortzuzahlende Vergütung ist das regelmäßige Arbeitsentgelt (BAG Urteil vom 31. Mai 1978 – 5 AZR 116/77 – AP Nr. 9 zu § 2 LohnFG; Schmitt, Lohnfortzahlungsgesetz und Bestimmungen zur Gehaltsfortzahlung (1992), § 2 LFZG Rz 23). Hierzu zählt vorliegend auch die Prämie für erzielte Meisterschaftspunkte.
a) Die mit dem Spielerrat vereinbarte Prämienregelung ist Bestandteil des Arbeitsvertrages der Parteien geworden. Dies wird auch vom Beklagten nicht in Abrede gestellt.
b) Unzutreffend ist indessen die Auffassung des Beklagten, bei der Punktprämie handele es sich um eine Zahlung, auf die kein Rechtsanspruch bestehe; der einzelne Mannschaftsspieler habe keinen gesicherten Anspruch, sondern nur eine Chance, in Punktspielen eingesetzt zu werden. Zu Unrecht meint die Revision, sich insoweit auf das Urteil des Senats vom 22. August 1984 (– 5 AZR 539/81 – AP Nr. 65 zu § 616 BGB) stützen zu können. In jener Streitsache hatte der Kläger, ein Lizenzfußballspieler, Anspruch auf eine gestaffelte Jahresprämie, die sich nach der Zahl der Pflichtspiele richtete. Einen Anspruch auf Teilnahme an den Pflichtspielen hatte der damalige Kläger jedoch nicht. Daher hat der Senat angenommen, daß die Jahresprämie anteilig gemäß der Anzahl der Spiele gemindert werden dürfe, die der Kläger wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit versäumt habe.
Um diese Fragestellung geht es jedoch im vorliegenden Fall nicht. Nach den Vereinbarungen der Parteien gehört zum Arbeitsentgelt nicht nur das laufende monatliche Grundgehalt, sondern auch die für das jeweilige Spiel gezahlte Punktprämie. Zwar hat der Kläger als Mannschaftsspieler keinen Anspruch darauf, in jedem Punktspiel eingesetzt zu werden. Darüber muß der Trainer von Fall zu Fall entscheiden. Hieraus läßt sich jedoch nicht Schließen, daß die Punktprämien nicht zum Arbeitsentgelt gehörten und damit nicht zur Vergütung im Sinne des § 616 Abs. 1 BGB a.F. Wird der Kläger in einem Punktspiel eingesetzt, so erhält er – soweit seine Mannschaft Punkte erreicht – die Punktprämie. Die Punktprämie ist daher Entgelt für die Arbeitsleistung des Klägers; sie gehört als Leistungsbestandteil zum Austauschverhältnis der Parteien. Daß die Zahlungspflicht nicht von vornherein feststeht, weil sie vom Einsatz des Spielers und vom Erfolg der Mannschaft abhängig ist, ändert nichts daran, daß sie nach Grund und Höhe bestimmbar und einer bestimmten Arbeitsleistung zuzuordnen ist. Dies unterscheidet die vorliegende Punktprämie von der Jahresspielprämie, die der Senat in der Entscheidung vom 22. August 1984 (– 5 AZR 539/81 – AP Nr. 65 zu § 616 BGB) zu beurteilen hatte. Die hier umstrittene Punktprämienregelung ist keine zusätzlich zur normalen Arbeitsleistung gewährte Sondervergütung, sondern erfolgsabhängiges Entgelt für die normale Arbeitsleistung des Spielers (Einsatz in Spielen mit Punktgewinn).
3. § 616 Abs. 1 und 2 BGB a.F. bestimmt nicht ausdrücklich, wie der Anspruch auf Lohnfortzahlung zu berechnen ist, inbesondere, ob auf eine Durchschnittsberechnung in der Vergangenheit (Referenzprinzip) oder auf eine hypothetische Betrachtung des Zeitraums der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit (Lohnausfallprinzip) abzustellen ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist bei der Ermittlung der Anspruchshöhe davon auszugehen, daß der Angestellte diejenige Vergütung erhalten soll, die er erhalten hätte, wenn er nicht aus Krankheitsgründen an der Leistung seiner Dienste verhindert gewesen wäre; er soll nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden, als wenn er in dieser Zeit gearbeitet hätte (statt vieler: Urteil vom 5. Juni 1985 – 5 AZR 459/83 – AP Nr. 39 zu § 63 HGB, unter I 1a der Gründe, m.w.N.). Dieses sog. Lohnausfallprinzip ist grundsätzlich auch für die Bemessung der einem Angestellten fortzuzahlenden Vergütung anzuwenden (grundlegend: BAG Urteil vom 4. Oktober 1978 – 5 AZR 886/77 – AP Nr. 11 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie, zu 3a der Gründe, m.w.N.). Hiervon ist das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgegangen.
a) Im Gegensatz zur Ansicht der Revision besteht kein Anlaß, im vorliegenden Fall eine Abweichung zuzulassen. Die entgegenstehende arbeitsvertragliche Vereinbarung ist daher unwirksam (§ 134 BGB). Die Erwägung der Revision, die einzelvertragliche Vereinbarung sei hier deswegen wirksam, weil die Fortzahlung der Punktprämie im Falle krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht gesetzlich geschuldet sei, trifft nicht zu. Die Punktprämie zählt – wie vorstehend dargestellt – zur Vergütung im Sinne des § 616 Abs. 1 BGB a.F. Es ist unerheblich, ob die Vergütung auf gesetzlicher oder vertraglicher Grundlage geschuldet wird.
b) Es liegt auch kein Fall vor, in welchem es gerechtfertigt wäre, ausnahmsweise, das Referenzprinzip zuzulassen.
(1) Das Landesarbeitsgericht hat die Auffassung vertreten, im Berufsfußball sei das Referenzprinzip grundsätzlich sachgerecht. Dem kann in dieser Allgemeinheit nicht zugestimmt werden. Auch das Referenzprinzip führt im Berufsfußball nicht ohne weiteres zu “gerechteren” Ergebnissen. So ist ein Rückgriff auf das Referenzprinzip (Einkünfte der letzten drei Monate) dann nicht sachgerecht, wenn der Spieler zu Beginn der Meisterschaftsrunde arbeitsunfähig krank wird; in dem davor liegenden Zeitraum haben gerade keine Punktspiele stattgefunden. Ebensowenig erscheint das Ergebnis “gerechter”, wenn vor der Arbeitsunfähigkeit des Spielers zwar Punktspiele stattgefunden haben, jedoch keine Punkte erzielt worden sind, während die Mannschaft während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit dieses Spielers Punktspiele gewinnt. Die Ungewißheit, ob der Spieler in den Punktspielen während seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit eingesetzt worden wäre, ist für die Frage, ob das Referenzprinzip dem Lohnausfallprinzip vorzuziehen ist, letztlich nicht aussagekräftig.
(2) Es bedarf auch nicht der Heranziehung eines (längeren) Referenzzeitraumes, weil sonst keine gerechte Vergütung ermittelt werden könnte. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht angenommen, im Fall eines Provisionsvertreters, der jährlich nur wenige aber umfangreiche Geschäfte abschloß und dessen Provisionsaufkommen zwischen 300,00 DM in einem Monat und fast 65.000,00 DM im anderen Monat lag, sei zur Ermittlung einer gerechten Vergütung ein längerer Referenzzeitraum anzunehmen (BAG Urteil vom 5. Juni 1985 – 5 AZR 459/83 – AP Nr. 39 zu § 63 HGB). Um solche Besonderheiten geht es hier nicht. Es geht hier um Punktspiele in der Meisterschaftsrunde und damit um Spiele, die in der Saison regelmäßig, nämlich nahezu jede Woche, stattfinden. Schon von daher ist es nicht erforderlich, auf einen längeren Referenzzeitraum in der Vergangenheit zurückzugreifen.
II. Dem Landesarbeitsgericht ist ferner darin zu folgen, daß die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers allein ursächlich dafür ist, daß der Kläger bei den Punktspielen nicht aufgestellt wurde und daß er an den Punktgewinnen nicht durch persönlichen Einsatz teilhatte.
1. Voraussetzung für einen Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 616 Abs. 2 BGB a.F. ist, daß die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung und damit für den Verlust des Vergütungsanspruchs ist (statt vieler: BAG Urteil vom 22. August 1984 – 5 AZR 539/81 – AP Nr. 65 zu § 616 BGB, zu I 2a der Gründe, m.w.N.).
2. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wäre der Kläger ohne seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in den Spielen für den beklagten Verein eingesetzt worden.
Der Beklagte hält dem entgegen, es lasse sich überhaupt nicht feststellen, ob die Ergebnisse, die den Prämienanspruch ausgelöst hätten, auch bei Mitwirkung des Klägers erzielt worden wären. Es trifft zu, daß die Ergebnisse von Fußballspielen regelmäßig nicht auf die Leistung eines einzelnen Spielers zurückzuführen sind, sondern auf die Leistung der gesamten Mannschaft. Dieser Einwand ist aber rechtlich ohne Bedeutung. Die Betrachtung der Kausalität der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit im Hinblick auf eine erzielte oder erzielbare Erfolgsvergütung – und um eine solche handelt es sich bei der hier vorliegenden Prämienregelung – ist notwendigerweise stets hypothetisch. Möglich ist nur eine mehr oder weniger zuverlässige Wahrscheinlichkeitsannahme. Zuzugeben ist dem Beklagten, daß der Verlauf eines Fußballspiels nicht prognostiziert werden kann. Dennoch bleibt es sachgerecht, darauf abzustellen, welchen Verlauf das Spiel tatsächlich genommen hat und welchen Punktgewinn die Mannschaft tatsächlich erzielt hat. Bei aller Unsicherheit liegt es am nächsten, die tatsächlich eingetretene Entwicklung der Kausalitätsprüfung zugrundezulegen. Nur wenn Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, daß der erkrankte Spieler ohnehin nicht eingesetzt worden wäre, etwa wegen einer Sperre, eines Formtiefs oder aus spieltaktischen Gründen, könnte die Kausalität der Erkrankung für den Lohnausfall zu verneinen sein. Über diesen Gesichtspunkt streiten die Parteien indessen nicht; nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Beklagte die Behauptung des Klägers, er wäre eingesetzt worden, nicht bestritten.
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke, Enck, Kreienbaum
Fundstellen
Haufe-Index 872277 |
BAGE, 357 |
BB 1995, 2659 |
BB 1996, 699 |
NJW 1996, 2388 |
NZA 1996, 640 |
Wüterich / Breucker 2006 2006, 317 |