Entscheidungsstichwort (Thema)
Nutzungsausfallschaden
Leitsatz (redaktionell)
Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers aufgrund einer Betriebsvereinbarung zur Regelung von versicherungsmäßig nicht abgedeckten Unfallschäden
Normenkette
BGB § 249 ff.
Verfahrensgang
LAG Brandenburg (Urteil vom 29.03.1994; Aktenzeichen 1 Sa 862/93) |
ArbG Potsdam (Urteil vom 04.08.1993; Aktenzeichen 4 Ca 318/93) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 29. März 1994 – 1 Sa 862/93 – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger fordert vom Beklagten Nutzungsausfall für seinen privaten Pkw nach einem auf einer Dienstfahrt erlittenen Unfall.
Der Kläger war von Mai 1991 bis März 1992 beim Beklagten als Rechtssekretär beschäftigt. Bei der Fahrt zu einem auswärtigen Gerichtstag kam es ohne grobe Fahrlässigkeit des Klägers zu einem Glatteis-Unfall, bei dem der Pkw des Klägers erheblich beschädigt wurde. Nachdem durch ein Sachverständigengutachten geklärt war, daß kein Totalschaden vorlag, ließ der Kläger den Pkw in einer Vertragswerkstatt reparieren. Er konnte ihn deshalb 43 Tage nicht nutzen.
Der Beklagte regulierte den am Pkw eingetretenen Sachschaden nach der (unstreitig) anwendbaren „Betriebsvereinbarung zur Regelung von versicherungsmäßig nicht abgedeckten Unfallschäden bei Benutzung eines angestellteneigenen Kraftwagens für Dienstzwecke”. Hierin heißt es u.a.:
„Anspruchsvoraussetzungen
Entsteht einem Beschäftigten des DGB während einer Dienstfahrt – unter Berücksichtigung von Ziffer 1.2 – an seinem Fahrzeug ein Unfallschaden, so gewährt der DGB Schadenersatz. Dieser entfällt, soweit seitens des Beschäftigten Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorliegt.”
Der Beklagte lehnte einen Ersatz des Nutzungsausfallschadens in Höhe von 3.741,– DM ab.
Der Kläger hat geltend gemacht, der Beklagte sei aufgrund der Betriebsvereinbarung auch zum Ersatz des Nutzungsausfallschadens verpflichtet. Eine vertragliche Haftung dürfe im Umfang hinter einem deliktischen Schadensersatz nur zurückbleiben, wenn eine derartige Einschränkung ausdrücklich vereinbart sei.
Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch erheblich, beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 3.741,– DM zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat geltend gemacht, die Betriebsvereinbarung regele die Ersatzleistungen abschließend. Ein Nutzungsausfall sei jedoch nicht erwähnt. Auch kraft Gesetzes sei nur der Schaden am Fahrzeug selbst zu ersetzen. Die Betriebsvereinbarung habe nicht eine gegenüber der kraft Gesetzes bestehenden Rechtslage günstigere Regelung schaffen wollen. Der Beklagte könne nicht mit einem deliktisch haftenden Schädiger gleichgesetzt werden. Eine Naturalrestitution rechtfertige sich allein aus der Schuldhaftigkeit der Schadenszufügung. Den Beklagten treffe aber kein Verschulden.
Der Ersatz eines Nutzungsausfallschadens sei nicht angemessen, weil der Kläger dadurch bessergestellt werden würde, als er bei einem Unfall auf einer Privatfahrt stehen würde. Hier würde selbst die Vollkaskoversicherung den Nutzungsausfall nicht bezahlen. Darüber hinaus ergebe sich aus dem Antragsformular, das bei dem Beklagten zur Abrechnung von Unfällen verwendet werde, daß eine Erstattung von Nutzungsausfall nicht vorgesehen sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage hinsichtlich des noch streitigen Teiles stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben den Beklagten zu Recht zur Zahlung von Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 3.741,– DM verurteilt.
A. Dieser Anspruch des Klägers ergibt sich unabhängig von einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage bereits aus der auf den vorliegenden Schadensfall anwendbaren „Betriebsvereinbarung zur Regelung von versicherungsmäßig nicht abgedeckten Unfallschäden bei Benutzung eines angestellteneigenen Kraftwagens für Dienstzwecke”.
I. Die Voraussetzungen dieses Schadensersatzanspruches sind gegeben.
Die Auslegung der Betriebsvereinbarung ergibt keine Beschränkung auf den reinen Fahrzeugschaden. Die Betriebsvereinbarung setzt die seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 8. Mai 1980 (BAGE 33, 108 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Gefährdungshaftung des Arbeitgebers) in ständiger Rechtsprechung angenommenen Grundsätze einer Gefährdungshaftung des Arbeitgebers um. Danach hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die ohne Verschulden des Arbeitgebers am Pkw des Arbeitnehmers entstandenen Unfallschäden zu ersetzen, wenn das Fahrzeug mit Billigung des Arbeitgebers in dessen Betätigungsbereich eingesetzt wurde. Um einen Einsatz im Betätigungsbereich des Arbeitgebers handelt es sich, wenn ohne den Einsatz des Arbeitnehmerfahrzeugs der Arbeitgeber ein eigenes Fahrzeug einsetzen und damit die Unfallgefahr tragen müßte.
Weder dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung noch anderen Auslegungsgesichtspunkten kann deshalb entnommen werden, daß die Schadensersatzpflicht des Beklagten eingeschränkt werden soll. Die Betriebspartner haben in der freiwilligen Betriebsvereinbarung zur Regelung von versicherungsmäßig nicht abgedeckten Unfallschäden mit dem Wort „Schadensersatz” einen Begriff der deutschen Rechts- und Gesetzessprache gebraucht, dem nach dem bürgerlichen Recht ein bestimmter Inhalt zuzuordnen ist. Nutzen die Betriebspartner ohne weitere Erläuterung einen derartigen Rechtsbegriff, so kann davon ausgegangen werden, daß sie ihn im allgemein anerkannten Sinne verstanden wissen wollen. Danach ergibt sich eine Übernahme der aus den §§ 249 ff. BGB abzuleitenden Rechtsfolgen für das Ausgleichsverfahren nach der Betriebsvereinbarung. Die Formulierung „entsteht … an seinem Fahrzeug ein Unfallschaden” beschreibt somit nur den Anlaß der Schadensersatzpflicht, nicht aber eine Begrenzung des ersatzfähigen Schadens.
Wie das Berufungsgericht mit Recht festgestellt hat, ergibt sich aus dem vom Beklagten vorgelegten Formular gleichfalls kein Ausschluß des Nutzungsausfallschadens von der Ersatzpflicht. Das Formular ist kein Bestandteil der Betriebsvereinbarung und deshalb ungeeignet, eine bestimmte Auslegung der Betriebsvereinbarung vorzugeben. Darüber hinaus kann allein aus dem Fehlen einer Rubrik nicht auf den Ausschluß des Nutzungsausfalls geschlossen werden.
II. Der zu leistende Schadensersatz umfaßt auch den Nutzungsausfallschaden. Der Bundesgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung (seit BGH Urteil vom 30. September 1963 – III ZR 137/62 – BGHZ 40, 345, 354 f.) angenommen, daß zum Schaden, der durch einen Unfall am Pkw entsteht, auch der Nutzungsausfall gehört. Wer Ersatz für die Beschädigung am Fahrzeug zu leisten hat, muß auch den Schaden ersetzen, der dadurch entsteht, daß das Fahrzeug bis zur Instandsetzung der Benutzung entzogen ist (BGH Urteil vom 18. Mai 1971 – VI ZR 52/70 – AP Nr. 14 zu § 249 BGB). Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs basiert auf der Annahme, daß in der Benutzungsmöglichkeit ein Vermögenswert liegt, der über die laufenden Kosten des Unterhalts eines Wagens hinausgeht. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.
Der Hinweis des Beklagten, die Leistungspflicht einer Vollkaskoversicherung umfasse nicht den Ersatz des Nutzungsausfallschadens, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Die Leistungspflicht der Vollkaskoversicherung bestimmt sich danach, für welche Risiken die Versicherung aufgrund des Versicherungsvertrags mit dem Versicherungsnehmer einstehen muß. Wenn diese vertragliche Risikoübernahme auf bestimmte Unfallrisiken beschränkt ist und andere Risiken unberücksichtigt läßt, können hieraus keine Rückschlüsse auf die Risikoverteilung in anderen Rechtsverhältnissen gezogen werden. Ist der Arbeitnehmer nicht in vollem Umfang gegen die Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos versichert, rechtfertigt dies nicht, ihm bei dienstlicher Nutzung seines Kraftwagens das andernfalls vom Arbeitgeber zu tragende Unfallrisiko eines Firmenkraftwagens aufzubürden. Zu diesem Unfallrisiko des Arbeitgebers würde auch der Nutzungsausfallschaden des Firmenkraftwagens gehören.
III. Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht daraus, daß der Beklagte nicht aus Delikt, sondern aufgrund einer freiwilligen Betriebsvereinbarung haftet. Die Pflicht zum Ersatz des Nutzungsausfallschadens beruht nicht, wie der Beklagte einwendet, auf einer Gleichsetzung mit einem schuldhaft handelnden Schädiger, sondern einer interessengerechten Risikoverteilung. Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer andernfalls bei ihm selbst erwachsende Vermögenseinbußen auszugleichen.
B. Die Höhe des Nutzungsausfallschadens ist nach den nicht gerügten Feststellungen im Urteil des Landesarbeitsgerichts unstreitig.
C. Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Ascheid, Müller-Glöge, Mikosch, Dr. Scholz, B. Hennecke
Fundstellen
Haufe-Index 1087229 |
BB 1995, 2429 |
NJW 1996, 476 |
NZA 1996, 32 |