Entscheidungsstichwort (Thema)
Verschulden bei Vertragsschluß
Normenkette
BGB § 276
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 25. Juli 1994 – 7 Sa 1217/93 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin macht Schadensersatz wegen Verschuldens bei Vertragsschluß geltend.
Die im Jahre 1939 geborene Klägerin war seit 1987 in einem Unternehmen der Quelle-Gruppe gegen eine Monatsvergütung von zuletzt 4.767,– DM brutto als Sekretärin tätig. Die Beklagten sind Patentanwälte.
Auf ein Inserat der Klägerin, die statt ihrer Vollzeittätigkeit eine Halbtagsstelle suchte, kam es zu Gesprächen mit dem Beklagten zu 2). Die Klägerin erklärte u.a., sie wolle bis zu ihrer „Pensionierung” arbeiten und nicht mehr die Stelle wechseln, weil sie mit fast 53 Jahren nur schwer eine neue Anstellung finden werde.
Mit Schreiben vom 7. Juli 1992 teilten die Beklagten der Klägerin die Vertragsbedingungen mit. Darin heißt es u.a.:
„4. Es ist eine Probezeit von 3 Monaten vereinbart, innerhalb der das Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen von beiden Seiten mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende gekündigt werden kann. Anschließend wird die gesetzliche Kündigungsfrist von 6 Wochen zum Quartalsende vereinbart.”
…
„Wir hoffen auf eine langjährige und angenehme Zusammenarbeit und bitten Sie, uns die anliegende Kopie dieses Schreibens zum Zeichen Ihres Einverständnisses unterschrieben zurückzureichen.”
Die Klägerin erklärte ihr Einverständnis und gab ihre bisherige Vollzeitstelle auf. Am 1. Oktober 1992 nahm sie ihr neues Arbeitsverhältnis auf. Mitte November 1992 stellten die Beklagten eine Patentanwaltsgehilfin als Vollzeitkraft ein.
Mit Schreiben vom 16. Februar 1993 kündigten die Beklagten „aus Rationalisierungsgründen” das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 31. März 1993. In einem Telefongespräch am 1. März 1993 erklärte der Beklagte zu 2) dem Ehemann der Klägerin, die Einstellung der Klägerin sei eine „Notlösung” gewesen.
Die Klägerin, die seit 1. April 1993 Arbeitslosengeld bezog, sieht die Kündigung im Zusammenhang mit dem Ablauf der Probezeit der neuen Mitarbeiterin und fühlt sich getäuscht. Sie hat die Unwirksamkeit der Kündigung und hilfsweise Ersatz ihrer Einbußen an Arbeitsentgelt und Arbeitslosengeld geltend gemacht. Sie hat vorgetragen, sie hätte ihren ungekündigten und sicheren Arbeitsplatz nicht für eine Anstellung bei den Beklagten aufgegeben, wenn diese gleich offenbart hätten, daß sie die Klägerin nur als „Notlösung” betrachteten. Statt dessen hätten die Beklagten mit den Hinweisen auf ihr Interesse an langfristiger Mitarbeit die Erwartung geweckt, daß die Beklagten der Klägerin – solange sie ihren Aufgaben gewachsen sein würde – jedenfalls nicht aus betrieblichen Gründen kündigen würden. Außerdem habe sie angesichts der zugesagten „langjährigen Zusammenarbeit” davon ausgehen dürfen, daß der Geschäftsverlauf bei sorgfältiger Prüfung ihre Einstellung rechtfertige.
Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 16. Februar 1993 nicht aufgelöst wurde.
hilfsweise,
- die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 13.745,43 DM Schadensersatz nebst 9 v.H. Zinsen ab 21. Oktober 1993 zu verurteilen.
- festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner ab 21. Oktober 1993 zur Zahlung von 34,10 DM Schadensersatz je Wochentag verpflichtet sind, solange sie Arbeitslosengeld beziehe, längstens jedoch für die Zeit von 676 Wochentagen ab 1. Januar 1993, wobei als Wochentage die Tage von Montag bis Samstag gelten, auch wenn einer dieser Tage gesetzlicher Feiertag ist, und die Beklagten die Zahlung jeweils für die zurückliegenden sechs Wochentage an dem nächstfolgenden Werktag zu leisten haben.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten haben sich auf betriebliche Gründe der Kündigung berufen und eine Verpflichtung zum Schadensersatz geleugnet.
Die Klägerin sei eine Notlösung gewesen, weil die Beklagten lieber eine Patentanwaltsgehilfin oder eine Bewerberin mit einschlägiger Erfahrung eingestellt hätten. Die Klägerin sei von den Interessentinnen diejenige gewesen, die am qualifiziertesten erschienen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin beschränkt auf die teilweise neu gefaßten und ermäßigten Hilfsanträge Berufung eingelegt.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Klägerin ihr Schadensersatzbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Klägerin stehen die erhobenen Schadensersatzansprüche nicht zu. Insbesondere liegen die Anspruchsvoraussetzungen der gewohnheitsrechtlich geltenden Grundsätze über eine Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluß (c.i.c. – vgl. BAG Urteil vom 10. November 1955 – 2 AZR 282/54 – BAGE 2, 217, 218 = AP Nr. 1 zu § 276 BGB Verschulden bei Vertragsabschluß; BGH Urteil vom 11. Mai 1979 – V ZR 75/78 – NJW 1979, 1983; Staudinger/Löwisch, BGB, 12. Aufl., Vorbem. 38 zu §§ 275 – 283; Palandt/Heinrichs, BGB, 54. Aufl., § 276 Rz 65) nicht vor.
I. Nach diesen Grundsätzen wird durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen ein gesetzliches Schuldverhältnis begründet, das die Parteien einander zur verkehrsüblichen Sorgfalt verpflichtet (BAG Urteil vom 10. November 1955, a.a.O.; BGH Urteil vom 20. Juni 1952 – V ZR 34/51 – BGHZ 6, 330, 333). Bei der Anbahnung von Arbeitsverhältnissen darf der Arbeitgeber im Arbeitnehmer „keine Vorstellungen erwecken, die mit den tatsächlichen Möglichkeiten und Gegebenheiten im Widerspruch stehen” (BAG Urteil vom 7. Juni 1963 – 1 AZR 276/62 – BAGE 14, 206, 208 f. = AP Nr. 4 zu § 276 BGB Verschulden bei Vertragsabschluß). Er muß gegenüber seinem Arbeitnehmer „schon bei den Einstellungsverhandlungen auf dessen besondere Interessen Rücksicht nehmen und ihn insbesondere über künftige Verhältnisse aufklären …, wenn er erkennt, daß der Arbeitnehmer besondere Wünsche oder Erwartungen hat” (BAG Urteil vom 10. November 1955, a.a.O.). Vor allem darf er beim Arbeitnehmer nicht den Eindruck erwecken, dieser könne ohne größeres Risiko sein bisheriges Arbeitsverhältnis kündigen, um sich für die Aufnahme der Tätigkeit bei dem verhandelnden Arbeitgeber freizumachen (BAG Urteil vom 7. Juni 1963, a.a.O.).
II. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angewendet.
1. Eine c.i.c. durch Täuschung der Klägerin ist vom Berufungsgericht mit zutreffender Begründung abgelehnt worden. Es sind keine Tatsachen festgestellt, die die Annahme rechtfertigten, die Beklagten hätten vor und bei Vertragsabschluß bereits die Absicht gehabt, weiter nach einer Fachkraft zu suchen und die Klägerin durch diese abzulösen. Insbesondere kann daraus, daß der Beklagte zu 2) nach Ausspruch der Kündigung gegenüber dem Ehemann der Klägerin von einer „Notlösung” gesprochen hat, kein entsprechender Schluß gezogen werden. Die Auslegung dieser nicht rechtsgeschäftlichen Erklärung des Beklagten durch das Berufungsgericht ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagten suchten eine Fachkraft und hatten erkannt, daß wegen der Besonderheiten des Arbeitsmarktes in Nürnberg ihre Suche sich sehr schwierig gestaltete und keine Aussicht auf Erfolg versprach. Hiervon ausgehend stellten sie die nicht fachgerecht ausgebildete Klägerin ein. Daß diese Beschäftigung der Klägerin lediglich eine vorübergehende Lösung darstellen sollte, kann mit dem Begriff „Notlösung” nicht belegt werden. Wie das Berufungsgericht richtig ausgeführt hat, können auch Notlösungen auf Dauer angelegt und sogar im Ergebnis dauerhaft sein. Darüber hinaus sprechen der von der Klägerin dargelegte Verlauf der auf die Einstellung gerichteten Verhandlungen und insbesondere die von den Beklagten am Ende des Einstellungsschreibens vom 7. Juli 1992 ausgedrückte Hoffnung auf eine „langjährige und angenehme Zusammenarbeit” für eine gegenteilige Ansicht der Beklagten.
2. Eine c.i.c. wegen enttäuschten Vertrauens der Klägerin in eine bei Bewährung nicht aus betrieblichen Gründen auflösbare Anstellung ist gleichfalls nicht gegeben. Insofern wäre bei Vorliegen der entsprechenden tatsächlichen Voraussetzungen die Kündigung wegen Verstoßes gegen § 242 BGB (Treu und Glauben) unwirksam gewesen. Diese Frage ist jedoch vom Arbeitsgericht rechtskräftig zu Lasten der Klägerin entschieden worden. Das Arbeitsgericht hat mit dem insofern nicht angefochtenen Urteil festgestellt, daß die Kündigung nicht treuwidrig sei und das Arbeitsverhältnis der Parteien wirksam mit Ablauf des 31. März 1993 aufgelöst habe. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht keine Indizien dafür festgestellt, daß die Beklagten in der Klägerin die begründete Erwartung geweckt hätten, das auf Dauer angelegte Beschäftigungsverhältnis werde von den Beklagten nicht aus betrieblichen oder betriebsbedingten Gründen beendet werden. Vielmehr vereinbarten die Parteien ausdrücklich, daß das Arbeitsverhältnis in der Probezeit „ohne Angabe von Gründen” gekündigt werden könne. Die Klägerin genoß, wie das Arbeitsgericht rechtskräftig festgestellt hat, zur Zeit der Kündigung noch keinen Kündigungsschutz und hat die Treuwidrigkeit der Kündigung nicht darzulegen vermocht. Ihre Annahme, sie habe ihre Arbeitsstelle wegen der späteren Einstellung einer Fachkraft verloren, hat sie durch Sachvortrag nicht untermauert und dementsprechend auch keinen diesbezüglichen Beweis angetreten. Als hinsichtlich des Tatbestandes der c.i.c. darlegungs- und beweisbelastete Partei muß sie deshalb mit ihrem Schadensersatzanspruch unterliegen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Ascheid, Müller-Glöge, Mikosch, Dr. Scholz, B. Hennecke
Fundstellen