Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankheitsbedingte Kündigung. Personenbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen. Anforderungen an die Beteiligung des Personalrats, hier: summarische Mitteilung der Fehlzeiten für das jeweilige Kalenderjahr und des Gesamtbetrages der Lohnfortzahlungskosten für mehrere Kalenderjahre. Zurückweisung der Kündigung nach § 174 BGB bei Unterzeichnung der Kündigung durch einen städtischen Amtsleiter. Auslegung und Bedeutung einer allgemeinen Geschäftsanweisung. Personalvertretungsrecht. Zurückweisung der Kündigung nach § 174 BGB
Orientierungssatz
- Ist in einer größeren Verwaltung die Personalabteilung lediglich für die Sachbearbeitung und für Grundsatzfragen zuständig, während die Federführung in Personalfragen den einzelnen Abteilungsleitern vorbehalten bleibt, so sind gegenüber den Arbeitnehmern ihrer Abteilung die einzelnen Abteilungsleiter, nicht jedoch der Leiter der Personalabteilung kündigungsbefugt. Die Abteilungsleiter können deshalb nach § 174 Satz 2 BGB bei entsprechender Kenntnis des Arbeitnehmers ohne Vollmachtsvorlage kündigen.
- Bei einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen sind dem Personalrat regelmäßig die einzelnen Ausfallzeiten der letzten Jahre mitzuteilen, auf die der Arbeitgeber seine Prognose stützt, es sei auch in Zukunft mit Krankheitszeiten im selben Umfang zu rechnen. Gleiches gilt für die aufgewandten Lohnfortzahlungskosten, wenn der Arbeitgeber hieraus die erforderlichen betrieblichen Beeinträchtigungen infolge der krankheitsbedingten Ausfälle des Arbeitnehmers herleitet.
- Insbesondere in Fällen, in denen der Arbeitnehmer seit Beginn des Arbeitsverhältnisses fortlaufend jedes Jahr überdurchschnittliche Krankheitszeiten aufzuweisen hatte und hohe Lohn/Entgeltfortzahlungskosten verursacht hat, kann es je nach den Umständen allerdings ausreichen, daß der Arbeitgeber lediglich nach Jahren gestaffelt die überdurchschnittliche Krankheitshäufigkeit darlegt und die Entgeltfortzahlungskosten der letzten Jahre in einem Gesamtbetrag mitteilt.
Normenkette
KSchG § 1; HPVG § 77 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 174; HGO § 73 Abs. 1, § 71 Abs. 1 S. 3, § 9 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. Dezember 2000 – 12 Sa 1986/99 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.
Der 1955 geborene Kläger ist geschieden; das Sorgerecht für die zwei gemeinsamen Kinder wurde seiner Frau zugesprochen. Er ist bei der Beklagten seit dem 1. Februar 1990 beschäftigt. Zunächst war er als Marktgehilfe im Marktbetrieb der Beklagten tätig. Im Hinblick auf Fehlzeiten von jeweils mehr als 100 Kalendertagen in den Jahren 1990 und 1991 wurde er im November 1991 auf Empfehlung des betriebsärztlichen Dienstes in das Amt für Wissenschaft und Kunst versetzt. Dort wurde er als Angestellter im Post- und Botendienst eingesetzt. Sein Aufgabengebiet umfaßte den Postein- und -ausgang, den Boten- und Postverteildienst, Kopier- und Faxarbeiten sowie Sonder- und Eilaufträge. Die Vergütung des Klägers betrug bei einer Eingruppierung in die VergGr. VIII BAT zuletzt ca. 3.400,00 DM brutto monatlich.
§ 5 des Arbeitsvertrages vom 12. Oktober 1994 sieht die Verpflichtung des Klägers vor, die übertragenen Aufgaben entsprechend den gesetzlichen und tarifvertraglichen Bestimmungen sowie den allgemeinen und besonderen Dienstanweisungen der Stadt Frankfurt am Main gewissenhaft und ordnungsgemäß durchzuführen. Dem Kläger war die Allgemeine Dienst- und Geschäftsanweisung für die Stadtverwaltung Frankfurt am Main (AGA), die ua. Regelungen zur Unterschriftsbefugnis enthält, bekannt.
Der Kläger hatte ab 1992 folgende krankheitsbedingten Fehltage (Kalendertage):
1992: |
61 |
1993: |
88 |
1994: |
70 |
1995: |
91 |
1996: |
36 |
1997: |
92 |
1998: |
174 (bis August 1998 105). |
In der Zeit von November 1994 bis Juli 1998 wandte die Beklagte für den Kläger Lohnfortzahlungskosten in Höhe von insgesamt 50.628,23 DM auf, davon in den Jahren 1994 (ab Oktober) 1.700,45 DM, 1995 13.566,13 DM, 1996 5.401,51 DM, 1997 14.518,72 DM und 1998 15.441,42 DM.
Die Betriebsärztin stellte beim Kläger gemäß ihrer Mitteilung vom 12. Januar 1996 “eine generell erhöhte Krankheitsanfälligkeit auf Grund von Überbewertung geringfügiger Beschwerden” fest. Auf ihre Empfehlung führte die Beklagte mit dem Kläger ein Gespräch mit dem Thema “Arbeitsmotivation”. 1998 empfahl die Betriebsärztin eine Rehabilitationsmaßnahme. Einer Aufforderung der Beklagten, sich einer derartigen Maßnahme zu unterziehen, befolgte der Kläger auch auf eine Nachfristsetzung hin nicht.
Mit Schreiben vom 25. September 1998 hörte die Beklagte den Personalrat zur beabsichtigten Kündigung des Klägers an. In dem Schreiben ist die Anzahl der kalendertäglichen Fehlzeiten bezogen auf das jeweilige Kalenderjahr seit 1990 aufgeführt und sind die Lohnfortzahlungskosten für die Zeit von November 1994 bis Juli 1998 in Höhe von insgesamt 50.628,23 DM angegeben. Der Personalrat stimmte der Kündigung am 1. Oktober 1998 zu. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 7. Oktober 1998, das dem Kläger am 12. Oktober 1998 übergeben wurde, zum 31. März 1999. Die Kündigung ist von dem Leitenden Magistratsdirektor, der als Leiter des Amtes für Wissenschaft und Kunst auch den Arbeitsvertrag unterzeichnet hatte, “im Auftrag” unterschrieben. Mit Schreiben vom 13. Oktober 1998 wies der Kläger die Kündigung zurück, weil ihr keine Vollmachtsurkunde beigefügt gewesen sei.
Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam und macht geltend, der Amtsleiter sei zum Ausspruch der Kündigung nicht bevollmächtigt gewesen. Jedenfalls ergebe sich die Unwirksamkeit der Kündigung aus § 174 BGB, weil bei Ausspruch der Kündigung keine auf den Amtsleiter lautende Vollmachtsurkunde vorgelegt worden sei. Es gebe keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach Amtsleiter größerer Kommunen regelmäßig Kündigungsvollmacht hätten. Darüber hinaus sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Da dem Personalrat die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit lediglich summarisch für das jeweilige Kalenderjahr und die Lohnfortzahlungskosten nur insgesamt mitgeteilt worden seien, sei dieser nicht ohne eigene Nachforschungen in der Lage gewesen, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen. Schließlich sei die Kündigung sozialwidrig. Er sei vertragswidrig mit körperlich schweren Arbeiten beschäftigt worden, obwohl er hierzu auf Grund der der Beklagten bekannten Einschränkungen im Bandscheibenapparat nicht in der Lage gewesen sei.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 7. Oktober 1998 – dem Kläger zugegangen am 12. Oktober 1998 – nicht zum 31. März 1999 aufgelöst wurde.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, der Amtsleiter sei zur Kündigung bevollmächtigt gewesen. Hiervon habe der Kläger auch auf Grund der ihm vorliegenden AGA Kenntnis gehabt. Der gesonderten Vorlage einer Vollmachtsurkunde bei Ausspruch der Kündigung habe es daher nicht bedurft. Sie habe dem Personalrat die aus ihrer Sicht maßgeblichen Kündigungsgründe mitgeteilt. Hierfür sei die Verteilung der einzelnen Fehlzeiten auf das Kalenderjahr ebensowenig maßgeblich gewesen wie die Verteilung der Lohnfortzahlungskosten auf die einzelnen Kalenderjahre. Die sich insgesamt ergebende Höhe der Fehlzeiten und der Lohnfortzahlungskosten sei für sie ein ausreichender Anlaß gewesen, die Kündigung auszusprechen. Zu berücksichtigen sei, daß der Personalrat in einem Erörterungsgespräch keinen weiteren Aufklärungsbedarf geltend gemacht habe. Die Kündigung sei auch sozial gerechtfertigt.
Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Kündigungsschutzantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Schmitz-Scholemann, Bensinger, Röder
Fundstellen
BuW 2003, 437 |
ARST 2003, 151 |
NZA 2003, 520 |
ZTR 2003, 304 |
AP, 0 |
EzA-SD 2003, 14 |
EzA |
PersV 2003, 387 |
ZfPR 2004, 84 |
BAGReport 2003, 158 |
NJOZ 2003, 1481 |
SPA 2003, 3 |
Tarif aktuell 2003, 2 |