Entscheidungsstichwort (Thema)

Freistellung nach dem AWbG

 

Normenkette

AWbG § 1 Abs. 1, § 7 S. 1; ZPO § 561

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 18.07.1991; Aktenzeichen 4 Sa 1621/90)

ArbG Herne (Urteil vom 22.10.1990; Aktenzeichen 2 Ca 914/90)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 18. Juli 1991 – 4 Sa 1621/90 – aufgehoben.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 22. Oktober 1990 – 2 Ca 914/90 – abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.730,12 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 5. Mai 1990 auf den Nettobetrag zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten, ob dem Kläger der Lohn für eine von ihm besuchte zweiwöchige Bildungsveranstaltung nach dem nordrhein-westfälischen Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz (AWbG) fortzuzahlen ist.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie mit Sitz in Nordrhein-Westfalen. Der Kläger wird bei ihr seit mehreren Jahren beschäftigt. Am 23. November 1989 teilte er ihr mit, daß er beabsichtige, vom 28. Januar 1990 bis 9. Februar 1990 an einer zweiwöchigen Bildungsveranstaltung mit dem Thema „Arbeitnehmer in Betrieb und Wirtschaft und Gesellschaft F III” im Bildungszentrum der IG-Metall teilzunehmen. Die Beklagte stellte den Kläger für den Besuch dieses Seminars von der Arbeit frei, weigerte sich jedoch den Lohn in Höhe von 1.730,12 DM brutto zu zahlen.

Mit seiner am 5. Mai 1990 erhobenen Klage hat der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.730,12 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit auf den sich ergebenden Nettobetrag zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat geltend gemacht, das Seminar habe sich vorwiegend an betriebliche Funktionsträger gerichtet und sei daher nicht allgemein zugänglich gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen worden. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger weiterhin seinen erstinstanzlichen Klageantrag. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte nach § 7 Satz 1 AWbG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 AWbG einen Anspruch auf Lohnfortzahlung in der unstreitigen Höhe von 1.730,12 DM brutto.

1. Die Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeit durch den 1. Die Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeit durch den Arbeitgeber zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung ist nach § 1 Abs. 1 AWbG eine hinreichende anspruchsbegründende Voraussetzung für den Lohnfortzahlungsanspruch nach § 7 Satz 1 AWbG, soweit der Arbeitnehmer tatsächlich an der Bildungsveranstaltung teilnimmt (vgl. Senatsurteile vom 9. Februar 1993 – 9 AZR 648/90 – NZA 1993, 1032, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; vom 11. Mai 1993 – 9 AZR 231/89 – EzA § 7 AWbG Nr. 9, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; vom 21. September 1993 – 9 AZR 335/91 – BB 1993, 2531; vom 9. November 1993 – 9 AZR 306/89 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Auf die vom Landesarbeitsgericht geprüften Anerkennungsvoraussetzungen im Sinne von § 9 Satz 1 AWbG kommt es nicht an (vgl. Senatsurteil vom 21. September 1993 – 9 AZR 335/91 – a.a.O.; ebenso schon Arbeitsgericht Bielefeld Urteil vom 7. Mai 1986 – 2 Ca 2880/85 –).

2. Das Landesarbeitsgericht hat § 1 Abs. 1 AWbG nicht angewendet. Es hat die eigene Feststellung nicht berücksichtigt, daß die Beklagte den Kläger zur Teilnahme an der von ihm in der Zeit vom 28. Januar bis 9. Februar 1990 besuchten Bildungsveranstaltung von der Arbeit freigestellt hat. Soweit die Beklagte in der Revisionsverhandlung dazu neue Tatsachen vorgetragen hat, dürfen diese nach § 561 Abs. 2 ZPO vom Revisionsgericht nicht berücksichtigt werden. Da in bezug auf die Feststellung des Berufungsgerichts kein zulässiger und begründeter Revisionsangriff im Sinne von § 561 Abs. 2 ZPO erhoben worden ist, ist die Feststellung des Berufungsgerichts für das Revisionsgericht bindend.

3. Im Streitfall ist die Freistellungserklärung des Arbeitgebers für eine zweiwöchige Arbeitnehmerweiterbildungsmaßnahme abgegeben worden. Der Kläger hatte bereits in seiner Mitteilung vom 23. November 1989 seine Ansprüche aus den Kalenderjahren 1989 und 1990 für die später besuchte zweiwöchige Veranstaltung zusammengefaßt (vgl. Senatsurteil vom 11. Mai 1993 – 9 AZR 126/89 – NZA 1993, 1086). Mit dem Fernbleiben des Klägers von der Arbeit und dem Besuch der Weiterbildungsveranstaltung ist der mit der rechtsgeschäftlichen Beseitigung der Arbeitspflicht durch den Arbeitgeber beabsichtigte Erfüllungserfolg eingetreten. Damit schuldet die Beklagte nach § 1 Abs. 1 AWbG in Verbindung mit § 7 Satz 1 AWbG das für die Zeit der Arbeitnehmerweiterbildung fortzuzahlende Arbeitsentgelt, ohne daß es auf die Allgemeinzugänglichkeit der Bildungsveranstaltung oder weitere Anerkennungsvoraussetzungen im Sinne von § 9 Satz 1 AWbG ankommt.

4. Die Beklagte hat die Forderung vom Eintritt der Rechtshängigkeit an mit dem gesetzlichen Zinsfuß zu verzinsen (§ 291 Satz 1 in Verbindung mit § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB).

II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen.

 

Unterschriften

Dr. Leinemann, Dörner, Düwell, Holze, Schwarz

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1081357

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