Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichstellung einer OHG
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Anordnung eines Heimarbeitsausschusses, durch die im Lohnauftrag arbeitende Gewerbetreibende den Heimarbeitern und Hausgewerbetreibenden gleichgestellt werden sollen (Gruppengleichstellung im Sinne von § 1 Abs 2 Satz 1 HAG), muß mit Rücksicht auf die weitreichenden Folgen einer Gleichstellung den erfaßten Personenkreis eindeutig beschreiben.
2. Maßgebend für die Entscheidung, welche Gewerbetreibenden den Heimarbeitern und Hausgewerbetreibenden gleichgestellt werden sollen, ist die soziale Schutzbedürftigkeit. Sie wird insbesondere nach den in § 1 Abs 2 Satz 3 HAG genannten Kriterien (Zahl der beschäftigten Hilfskräfte, Abhängigkeit von anderen Unternehmen, Umsatz, Zugangsmöglichkeiten zum Absatzmarkt) ermittelt. Der Heimarbeitsausschuß kann die Gleichstellung auf natürliche Personen beschränken und damit offene Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften von der Gleichstellung ausschließen, weil diese Gesellschaften und die für sie tätigen Gesellschafter erfahrungsgemäß nicht im gleichen Umfang schutzbedürftig sind wie Lohngewerbetreibende, die als natürliche Personen auftreten.
3. Es bleibt offen, ob offene Handelsgesellschaften (Kommanditgesellschaften) den Heimarbeitern und Hausgewerbetreibenden gleichgestellt werden können. Die "Bekanntmachung einer Gleichstellung von Hausgewerbetreibenden, anderen im Lohnauftrag arbeitenden Gewerbetreibenden und Zwischenmeistern in der Herstellung von Damen- und Kinderoberbekleidung und verwandten Erzeugnissen" vom 29. Mai/ 11. Juli 1979 erfaßt nur natürliche Personen.
Normenkette
HAG §§ 2, 1 Abs. 2; KO § 59 Abs. 1 Nr. 3, § 61 Abs. 1 Nr. 6
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 10.12.1986; Aktenzeichen 2 Sa 64/86) |
ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 13.05.1986; Aktenzeichen 2 Ca 11/86) |
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten als Konkursverwalter die Bezahlung von Lohnaufträgen aus der Konkursmasse.
Die Klägerin ist eine offene Handelsgesellschaft. Gesellschafter sind die Eheleute A und G K. Die Klägerin stellt Damenoberbekleidung her. Schnittmuster und Stoffe werden von den Auftraggebern zur Verfügung gestellt. Beide Gesellschafter arbeiten am Stück mit. Es werden Arbeitnehmer und Auszubildende beschäftigt, und zwar in der Regel nicht mehr als 25 Hilfskräfte. Die Klägerin unterhält keine eigene Absatzorganisation. In den Jahren 1981 bis 1983 erzielte sie Umsätze zwischen 500.000,-- DM und 600.000,-- DM jährlich.
Die Klägerin fertigte für die Gemeinschuldnerin Kleidungsstücke. Die hierüber erstellten Rechnungen aus der Zeit vom 12. Januar bis 14. April 1983 im Gesamtbetrag von 13.175,90 DM wurden nicht bezahlt. Am 19. Mai 1983 wurde das Konkursverfahren eröffnet.
Die Klägerin meldete ihre Forderung zunächst zur Konkurstabelle an, verlangte aber mit Schreiben vom 6. November 1985 Zahlung aus der Masse, da sie als Gleichgestellte zu dem bevorrechtigten Personenkreis nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KO zähle. Zur Begründung bezog sie sich auf die "Bekanntmachung einer Gleichstellung von Hausgewerbetreibenden, anderen im Lohnauftrag arbeitenden Gewerbetreibenden und Zwischenmeistern in der Herstellung von Damen- und Kinderoberbekleidung und verwandten Erzeugnissen" vom 29. Mai/11. Juli 1979 (BAnz. Nr. 191 vom 10. Oktober 1979 S. 2). Dort ist bestimmt:
"Auf Grund des § 1 Abs. 2 Buchstaben b bis d sowie
Abs. 4 des Heimarbeitsgesetzes ... hat der
Heimarbeitsausschuß für die Herstellung von
Damen- und Kinderoberbekleidung und verwandten
Erzeugnissen mit Zustimmung des Bundesministers
für Arbeit und Sozialordnung folgende natürliche
Personen, die
Damen und Mädchenoberbekleidung und verwandte
Erzeugnisse ...
herstellen oder herstellen lassen wegen ihrer
Schutzbedürftigkeit den in Heimarbeit Beschäftigten
(§ 1 Abs. 1 HAG) gleichgestellt.
a) Hausgewerbetreibende, die mit mehr als zwei
fremden Hilfskräften (§ 2 Abs. 6) oder Heimarbeitern
(§ 2 Abs. 1), aber nicht mehr als in
der Regel 25 fremden Hilfskräften oder Heimarbeitern
arbeiten;
b) andere im Lohnauftrag arbeitende Gewerbetreibende
mit nicht mehr als in der Regel 25 fremden
Hilfskräften (Betriebsarbeiter) oder Heimarbeitern,
die eine oder mehrere der nachstehend
aufgeführten Tätigkeiten in ihrem Betrieb
regelmäßig ausüben:
Einrichten, Zuschneiden, Nähen, Bügeln und
Abnehmen, sofern ihr unmittelbarer Umsatz für
den Absatzmarkt im vergangenen Kalenderjahr
nicht mehr als 25 v.H. des Gesamtumsatzes betragen
hat;
c) Zwischenmeister (§ 2 Abs. 3 HAG)."
Die Klägerin hat vorgetragen, sie erfülle sämtliche Merkmale der Gleichstellung. Daß sie im Rechtsverkehr als offene Handelsgesellschaft auftrete, sei unschädlich. Es komme nur darauf an, daß beide Gesellschafter am Stück mitarbeiteten. Es sei auch nicht rechtsmißbräuchlich, sich auf die Gleichstellung zu berufen. Die Gemeinschuldnerin habe ihre Verhältnisse gekannt und sie nicht gefragt, ob sie rechtlichen Beschränkungen nach dem Heimarbeitsgesetz unterliege.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie
13.175,90 DM nebst 10 % Zinsen seit Klagezustellung
zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat geltend gemacht, die Gleichstellung vom 29. Mai/11. Juli 1979 erfasse die Klägerin nicht. Eine offene Handelsgesellschaft könne ebensowenig wie eine juristische Person gleichgestellt werden. Zudem sei ein Unternehmen wie das der Klägerin nicht sozial schutzbedürftig im Sinne des Heimarbeitsgesetzes. Jedenfalls sei es geboten, die Gleichstellung entsprechend ihrem Wortlaut strikt auf natürliche Personen zu beschränken. Die Klägerin handele mit der Berufung auf die Gleichstellung auch arglistig. Als Handelsgesellschaft habe sie für die Pflichten eines ordentlichen Kaufmanns einzustehen. Sie habe deshalb ungeachtet der eingeschränkten Offenbarungspflicht Gleichgestellter nach § 1 Abs. 6 HAG von sich aus auf den von ihr beanspruchten Status hinweisen müssen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr mit Ausnahme der Zinsforderung stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, die Forderungen der Klägerin aus der Konkursmasse zu befriedigen.
I. Die Zahlungsansprüche der Klägerin sind weder dem Grunde noch der Höhe nach streitig. Umstritten ist allein, ob sie als einfache Konkursforderungen (§ 61 Abs. 1 Nr. 6 KO) oder aus der Masse zu befriedigen sind.
II. Gemäß § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KO sind Masseforderungen die Ansprüche der in Heimarbeit Beschäftigten und der ihnen Gleichgestellten auf die Bezüge aus einem Beschäftigungsverhältnis mit dem Gemeinschuldner wegen der Rückstände für die letzten sechs Monate vor Eröffnung des Konkursverfahrens. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt.
1. Unstreitig handelt es sich bei den Forderungen der Klägerin um solche, die wenige Wochen vor der Eröffnung des Konkursverfahrens entstanden und fällig geworden sind und die sich auf Tätigkeiten in den letzten sechs Monaten vor Konkurseröffnung beziehen. Ist die Klägerin nach den Regeln des Heimarbeitsrechts Gleichgestellte, so handelt es sich um ein "Beschäftigungsverhältnis" i.S. des § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KO. Die Klägerin hat für die Gemeinschuldnerin Lohnaufträge ausgeführt, sie könnte daher, wenn sie Gleichgestellte wäre, als "in Heimarbeit Beschäftigte" zu behandeln sein (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Buchst. c HAG).
2. Die Klägerin wird jedoch von der Gleichstellung vom 29. Mai/11. Juli 1979 nicht erfaßt.
a) Die Klägerin erfüllt allerdings die Merkmale der Gleichstellung, was die Größe ihres Betriebes und die Art ihrer geschäftlichen Tätigkeit betrifft. Sie betreibt eine Lohnschneiderei ohne eigene Absatzorganisation, beschäftigt in der Regel nicht mehr als 25 Hilfskräfte und ihre beiden Gesellschafter arbeiten am Stück mit. Das hat das Berufungsgericht festgestellt und hiervon geht auch die Revision aus.
b) Das Berufungsgericht hat angenommen, auch eine offene Handelsgesellschaft könne durch eine Gleichstellungsanordnung, hier durch eine nach abstrakten Merkmalen beschriebene Gruppengleichstellung, den Schutzvorschriften des Heimarbeitsgesetzes unterstellt werden. Ob dies zutrifft, hängt davon ab, ob eine solche Gesellschaft schutzbedürftig sein kann i.S. des § 1 Abs. 2 HAG. Ausdrücklich unterscheidet das Gesetz nicht zwischen natürlichen Personen und Personengesellschaften. In § 1 Abs. 2 Buchst. a bis Buchst. d HAG werden Personen und Berufsbezeichnungen verwendet, aber keine Unterscheidungen nach der Rechtsform des Unternehmens getroffen. Maus/Schmidt (HAG, 3. Aufl., § 1 Rz 30 und § 2 Rz 35) vertreten die Auffassung, auch Personengesellschaften seien gleichstellungsfähig, nicht aber Gewerbetreibende in der Form einer juristischen Person. Das ergebe sich aus Wortlaut und Zweck des Gesetzes. So werde in § 2 Abs. 2 HAG für Hausgewerbetreibende vorausgesetzt, daß sie "am Stück mitarbeiten". Der mit dem Heimarbeitsgesetz bezweckte soziale Schutz solle nur natürlichen Personen zugute kommen.
Ob dieser Auffassung zu folgen ist, also offene Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft gleichgestellt werden können, weil sie keine juristischen Personen sind, kann im Streitfall unentschieden bleiben. Richtig ist, daß das Heimarbeitsgesetz zunächst keine Hinweise darüber enthielt, wann Schutzbedürftigkeit i.S. des Gesetzes vorliegt. Erst die Novellierung des Heimarbeitsgesetzes durch Gesetz vom 29. Oktober 1974 (BGBl I S. 2879) brachte zusätzliche Kriterien, die der Heimarbeitsausschuß zu beachten hat, wenn er eine Gleichstellung in Erwägung zieht. Die Formulierungen des Gesetzes sind aber weder abschließend noch genau (vgl. z.B. § 1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. c: ähnliche Stellung wie Hausgewerbetreibende; § 1 Abs. 2 Satz 2: Ausmaß der wirtschaftlichen Abhängigkeit). Bei der Beratung des Gesetzes bestand indes Übereinstimmung darüber, daß eine Ausdehnung der Gleichstellungen nicht wünschenswert sei, daß im Gegenteil eine restriktive Handhabung der Gleichstellungsbefugnis naheliege, um nur die wirklich schutzbedürftigen Personen und Personengruppen zu erfassen (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 23. April 1974, BT-Drucks. 7/2025, S. 4 zu Art. I Nr. 1 b; ebenso Brecht, BArbBl 1974, 677, 678; Maus/Schmidt, aao, § 1 Rz 35).
Hieran gemessen erscheint es schon zweifelhaft, ob Personenhandelsgesellschaften den in Heimarbeit beschäftigten Personen gleichgestellt werden können. Offene Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften sind zwar keine juristischen Personen, sie sind aber juristischen Personen ähnlich. Sie treten selbständig als Gesellschaft im Rechtsverkehr auf, sie können unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, sie können vor Gericht klagen und verklagt werden (§ 124 Abs. 1 HGB). Zudem verkörpern beide Gesellschaftstypen im Rechtsverkehr den Zusammenschluß freier und persönlich uneingeschränkt haftender Kaufleute. Mit der Betätigung in dieser Rechtsform wird im Regelfall die Annahme einer besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit mit der Folge staatlich festgesetzter Preise und Löhne kaum vereinbar sein.
c) Die umstrittene Gruppengleichstellung vom 29. Mai/11. Juli 1979 erfaßt jedenfalls ihrem Wortlaut nach nur natürliche Personen. Eine solche Begrenzung des persönlichen Geltungsbereichs ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Schon mit Rücksicht auf die weitreichenden Folgen einer Gleichstellung, insbesondere die erheblichen Eingriffe in die Vertragsfreiheit der betroffenen Personen, muß sichergestellt sein, daß Zweifel über die Anwendbarkeit der zwingenden Vorschriften des Heimarbeitsrechts nicht auftreten. Die Beschränkung der Gleichstellungsanordnung auf natürliche Personen ist auch sachgerecht. Der soziale Schutz des Heimarbeitsgesetzes soll nur wirklich schutzbedürftigen Personen zuteil werden. Für gesellschaftsrechtliche Verbindungen des Handelsrechts, also offene Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft, ist dies zumindest zweifelhaft und müßte vom Heimarbeitsausschuß besonders geprüft werden. Gesellschafter, die sich in dieser Rechtsform wirtschaftlich betätigen, bedürfen des Schutzes in der Regel nicht.
d) Im Streitfall hat die Klägerin das Konkursvorrecht nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KO als Gesellschaft geltend gemacht, und zwar aus Rechtsgeschäften, die sie als Gesellschaft eingegangen ist. Die beiden Gesellschafter der Klägerin haben weder die vorliegende Klage im eigenen Namen erhoben noch die Rechtsgeschäfte mit der Gemeinschuldnerin im eigenen Namen abgeschlossen. Es kann daher nicht darauf ankommen, ob die beiden Gesellschafter der Klägerin persönlich gleichgestellt sein könnten. Da sie ihr Lohngewerbe in der Rechtsform einer Handelsgesellschaft betrieben haben, können sie als Gesellschafter nicht den Schutz der Gleichstellung genießen, der ihrer gesamthänderischen Verbindung, der offenen Handelsgesellschaft, zu versagen ist.
Dr. Heither Schaub Griebeling
Lichtenstein Dr. Schmidt
Fundstellen
DB 1988, 1960 (T) |
NZA 1988, 613-614 (LT1-3) |
RdA 1988, 256 |
AP § 1 HAG (LT1-3), Nr 5 |
AR-Blattei, ES 910 Nr 29 (LT1-3) |
AR-Blattei, Heimarbeit Entsch 29 (LT1-3) |