Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichstellung von Mischbetrieben in Heimarbeitsrecht
Leitsatz (redaktionell)
Eine Gleichstellung von Hausgewerbetreibenden nach § 1 Abs 2 HAG, die auf bestimmte Tätigkeiten abstellt, gilt im Zweifel auch für Mischbetriebe, wenn die dort überwiegend ausgeführten Arbeiten, die dem Mischbetrieb das Gepräge geben, von der Gleichstellung erfaßt werden.
Orientierungssatz
Gleichstellung von Hausgewerbetreibenden, anderen im Lohnauftrag arbeitenden Gewerbebetreibenden und Zwischenmeistern in der Herstellung von Damen- und Kinderoberbekleidung und verwandten Erzeugnissen vom 29.5./11.7.1979 (BAnz 1979, Nr 191).
Normenkette
HAG §§ 1-2, 22
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 05.07.1984; Aktenzeichen 4 Sa 9/84) |
ArbG Heilbronn (Entscheidung vom 01.12.1983; Aktenzeichen 3 Ca 273/83) |
Tatbestand
Die Klägerin war vom 1. Januar bis zum 6. Mai 1983 bei der Beklagten als Näherin beschäftigt. Sie verlangt für diese Zeit von der Beklagten zusätzliche Arbeitsvergütung und Urlaubsabgeltung.
Die Beklagte betreibt zusammen mit ihrem Ehemann und elf Mitarbeiterinnen einen Konfektionsbetrieb für Damen- und Kinderoberbekleidung. Sie erhält Fertigungsaufträge und - in geringerem Umfang - Änderungs- bzw. Ausbesserungsaufträge und wird nach Stückpreisen bezahlt. Sie und ihr Ehemann arbeiten selbst am Stück mit. Eine Absatzorganisation unterhält sie nicht.
Die Klägerin hat geltend gemacht, ihre Arbeitsvergütung bestimme sich nach der bindenden Festsetzung über Mindestarbeitsbedingungen (allgemeine Vertragsbedingungen) für fremde Hilfskräfte der Heimarbeit in der Herstellung von Damen- und Kinderoberbekleidung, Herren- und Knabenoberbekleidung und Wäsche vom 17. September 1980/11. November 1980/29. Januar 1981 (Bundesanzeiger Nr. 132 vom 22. Juli 1981). Der Urlaubsabgeltungsanspruch folge aus der bindenden Festsetzung zur Änderung der bindenden Festsetzung über den Urlaub für fremde Hilfskräfte der Heimarbeit in der Herstellung von Damenoberbekleidung, Herren- und Knabenoberbekleidung und Wäsche vom 28. Juli 1982 (Bundesanzeiger Nr. 183 vom 28. Juli 1982). Der Höhe nach sind die Forderungen der Klägerin unstreitig.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie
1. DM 254,45 brutto Restlohn für Januar 1983
zuzüglich 4 % Zinsen aus dem sich daraus erge-
benden Nettobetrag seit 12.9.1983 zu zahlen;
2. DM 195,67 brutto Restlohn für Februar 1983
zuzüglich 4 % Zinsen aus dem sich daraus erge-
benden Nettobetrag seit 12.9.1983 zu zahlen;
3. DM 791,-- brutto abzüglich DM 144,37 netto
für März 1983 zuzüglich 4 % Zinsen aus dem sich
daraus ergebenden Nettobetrag seit 12.9.1983
zu zahlen;
4. DM 477,68 brutto Restlohn für April 1983
zuzüglich 4 % Zinsen aus dem sich daraus erge-
benden Nettobetrag seit 12.9.1983 zu zahlen;
5. DM 409,83 brutto Restlohn sowie Urlaubs-
abgeltung für Mai 1983 zuzüglich 4 % Zinsen aus
dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit 12.9.1983
zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, sie habe die Arbeitsvergütungen einzelvertraglich wirksam vereinbart. Bindende Festsetzungen seien für sie nicht maßgebend, sie brauche daher auch nicht die dort für Hilfskräfte der Heimarbeit festgesetzten Mindestvergütungen zu zahlen. Zwar treffe es zu, daß ihr Betrieb die äußeren Merkmale erfülle, die in der Bekleidungsbranche zu der Gleichstellung nach dem Heimarbeitsgesetz geführt hätten. Die allein in Betracht kommende Gleichstellung von Hausgewerbetreibenden, anderen im Lohnauftrag arbeitenden Gewerbetreibenden und Zwischenmeistern in der Herstellung von Damen- und Kinderoberbekleidung und verwandten Erzeugnissen vom 29. Mai/11. Juli 1979 (Bundesanzeiger Nr. 191 vom 10. Oktober 1979 S. 2) treffe auf sie aber nicht zu. Ihr Betrieb nehme eine Zwischenstellung ein, da sie nicht nur mit der Herstellung von Kleidungsstücken der genannten Art, sondern auch mit Ausbesserungen und Änderungen überwiegend im Ausland konfektionierter Teile befaßt sei. In manchen Monaten mache die Änderungstätigkeit bis zu 80 % des Arbeitsergebnisses aus.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Nach der Feststellung des Berufungsgerichts liegt der Anteil der Änderungs- und Ausbesserungsarbeiten insgesamt zwischen 30 und 40 % der Arbeitsergebnisse. Mit der Revision verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Beklagte zu den Gleichgestellten i. S. der im Tatbestand näher bezeichneten Gleichstellung vom 29. Mai/11. Juli 1979 gehört.
1. Abschnitt I dieser Gleichstellung hat folgenden Wortlaut:
"Auf Grund des § 1 Abs. 2 Buchstaben b bis d sowie
Absatz 4 des Heimarbeitsgesetzes vom 14. März 1951
in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungs-
nummer 804-1, veröffentlichten bereinigten Fassung,
geändert durch das Heimarbeitsgesetz vom 29. Oktober
1974 (BGBl. I S. 2879), hat der Heimarbeitsausschuß
für die Herstellung von Damen- und Kinderoberbeklei-
dung und verwandten Erzeugnissen mit Zustimmung des
Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung folgen-
de natürliche Personen, die
Damen- und Mädchenoberbekleidung und verwandte Er-
zeugnisse - Fertigkleidung - ab Größe 122 sowie
Kinderoberbekleidung in den Größen 80 bis 116 aus
allen Stoffarten sowie aus Leder, Kunstleder und
Kunststoffen - einschließlich Dienstbekleidung
und Sportbekleidung (letztere soweit oberbeklei-
dungsmäßig verarbeitet), Morgenröcke und -jacken,
Hausanzüge und -mäntel
herstellen oder herstellen lassen, wegen ihrer Schutz-
bedürftigkeit den in Heimarbeit Beschäftigten (§ 1
Abs. 1 HAG) gleichgestellt,
a) Hausgewerbetreibende, die mit mehr als zwei frem-
den Hilfskräften (§ 2 Abs. 6) oder Heimarbeitern
(§ 2 Abs. 1), aber nicht mit mehr als in der Re-
gel 25 fremden Hilfskräften oder Heimarbeitern
arbeiten;
b) andere im Lohnauftrag arbeitende Gewerbetreibende
mit nicht mehr als in der Regel 25 fremden Hilfs-
kräften (Betriebsarbeiter) oder Heimarbeitern, die
eine oder mehrere der nachstehend aufgeführten Tä-
tigkeiten in ihrem Betrieb regelmäßig ausüben;
Einrichten, Zuschneiden, Nähen, Bügeln und Abneh-
men, sofern ihr unmittelbarer Umsatz für den Ab-
satzmarkt im vergangenen Kalenderjahr nicht mehr
als 25 v.H. des Gesamtumsatzes betragen hat;
c) Zwischenmeister (§ 2 Abs. 3 HAG).
Die Gleichstellung gilt nicht für
a) Berufs- und Arbeitskleidung einschließlich
Arbeitsschutzkleidung,
b) Hüte und Mützen,
c) Änderungsarbeiten."
Daß die Beklagte die zur Gleichstellung führenden Merkmale erfüllt, ist unter den Parteien nicht streitig. Die Beklagte ist Hausgewerbetreibende i.S. des § 2 Abs. 6 i. Verb. m. § 1 Abs. 2 Buchstabe b HAG; sie arbeitet selbst wesentlich am Stück mit, überläßt die Verwertung ihrer Arbeit ihren Auftraggebern und beschäftigt weniger als 25 Mitarbeiter (fremde Hilfskräfte oder Heimarbeiter).
2. Der Umstand, daß die Beklagte im Umfang von 30 bis 40 % des Arbeitsergebnisses Änderungs- und Ausbesserungsarbeiten ausführt, hat entgegen der Auffassung der Revision nicht zur Folge, daß die Beklagte von der Gleichstellung ausgenommen wäre.
a) Das Berufungsgericht hat die Ansicht vertreten, die Übernahme von Änderungs- und Ausbesserungsarbeiten in dem festgestellten Umfang sei für die Gleichstellung ohne Bedeutung. Einmal treffe die Gleichstellung vom 29. Mai/11. Juli 1979 keine Unterscheidung danach, ob neben der Herstellung von Kleidungsstücken zusätzlich andere Arbeiten übernommen würden. Zum anderen sei auch im Bereich des Heimarbeitsrechts der im Tarifrecht geltende Grundsatz anzuwenden, daß es bei Mischbetrieben, die in den sachlichen Geltungsbereich mehrerer Tarifverträge fielen, auf die insgesamt überwiegende Tätigkeit ankomme oder aber auf diejenige Tätigkeit, die dem Unternehmen im ganzen sein Gepräge gebe.
Die Revision macht demgegenüber geltend, die tarifrechtlichen Grundsätze gälten stets nur "im Zweifel". Im Streitfall sei aber keine Unklarheit gegeben, da die Gleichstellung nach ihrem Abschnitt I (letzter Absatz Buchstabe c) auf Änderungsarbeiten gerade keine Anwendung finden solle. Diese Auffassung der Revision vermag nicht zu überzeugen. Der Senat schließt sich den Ausführungen des Berufungsgerichts an.
b) Eine Gleichstellung nach § 1 Abs. 2 HAG dient dem Zweck, Hausgewerbetreibende, im Lohnauftrag arbeitende Gewerbetreibende, Zwischenmeister sowie deren Familienangehörige dem sozialen Schutz des Heimarbeitsrechts zu unterstellen, soweit sie die gesetzlichen Merkmale erfüllen und die Gleichstellung wegen der Schutzbedürftigkeit des betroffenen Personenkreises gerechtfertigt erscheint. Die Gleichstellung setzt Rechtsnormen unmittelbar zugunsten der betroffenen Personen. Sie kann mithin nur einheitlich wirken: Eine Gleichstellung nur hinsichtlich einzelner Tätigkeiten oder Geschäftszweige scheidet in der Regel aus. Damit stellt sich die Frage, welche Regeln zu gelten haben, wenn eine Person zugleich von der Gleichstellung erfaßte wie auch von ihr ausgeschlossene Tätigkeiten ausübt.
Das gleiche Problem stellt sich bei der Abgrenzung des fachlichen Geltungsbereichs von Tarifverträgen. Auch dort ist bei sog. Mischbetrieben zu entscheiden, ob ein Tarifvertrag einheitlich in einem Betrieb anzuwenden ist, in dem branchenfremde Tätigkeiten ausgeübt werden. Im Tarifrecht wird das Problem mit der Lehre vom Gepräge gelöst: Entscheidend ist, welche der verschiedenen Tätigkeiten dem Betrieb insgesamt das Gepräge gibt, wobei es in erster Linie darauf ankommen soll, welche betriebliche Tätigkeit überwiegt (vgl. BAG 4, 37 = AP Nr. 4 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Urteile vom 2. November 1960 - 1 AZR 251/58 - AP Nr. 8 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz und vom 27. November 1963 - 4 AZR 486/62 - AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 80 m. w.N.). Es drängt sich auf, diese tarifrechtlichen Grundsätze auch auf die vergleichbare Problematik bei Mischbetrieben im Heimarbeitsrecht anzuwenden und die Frage der fachlichen Geltung einer Gleichstellung ebenfalls danach zu beantworten, welche von mehreren Tätigkeiten überwiegt oder den Betrieb insgesamt stärker in die eine oder andere Richtung hin kennzeichnet. Die Auffassung der Revision, die Ausübung einer jeden anderen von der Gleichstellung nicht erfaßten oder von ihr ausgeschlossenen Tätigkeit schließe insgesamt die Anwendbarkeit der Gleichstellung aus, führt zu untragbaren Zufallsergebnissen.
c) Der Revision ist einzuräumen, daß die tarifrechtliche Lehre vom Gepräge nur eine Auslegungsregel darstellt, die widerlegbar ist. Im Einzelfall muß geprüft werden, ob ein Tarifvertrag wirklich über den fachlichen Geltungsbereich hinaus auf branchenfremde Tätigkeiten auszudehnen ist (Wiedemann/Stumpf, aa0). Das muß auch für Gleichstellungen im Heimarbeitsrecht gelten. Von der Gleichstellung hängt nicht nur die Geltung branchenspezifischer Mindestarbeitsbedingungen, sondern die Anwendung des Heimarbeitsrechts insgesamt ab. Deshalb ist eine Regelung des Heimarbeitsausschusses nur dann nicht anwendbar, wenn klar erkennbar ist, daß bei Mischbetrieben eine Gleichstellung ausscheiden soll, obwohl überwiegende oder den Betrieb kennzeichnende Tätigkeiten von ihr erfaßt werden. Für eine solche Auslegung gibt die im vorliegenden Rechtsstreit umstrittene Gleichstellung vom 29. Mai/11. Juli 1979 keine Anhaltspunkte. Auch die Revision hat keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die hierauf hindeuteten.
3. Gilt die Gleichstellung vom 29. Mai/11. Juli 1979 für die Beklagte, so richten sich die Vergütungsansprüche der Klägerin nach den Mindestarbeitsbedingungen, die der zuständige Entgeltausschuß am 17. September 1980/11. November 1980/29. Januar 1981 sowie hinsichtlich der Urlaubsabgeltung am 28. Juli 1982 festgesetzt hat (§ 22 HAG). Darin sind die Ansprüche der in Heimarbeit beschäftigten fremden Hilfskräfte im einzelnen geregelt. Da die Forderungen der Klägerin der Höhe nach unstreitig sind, braucht auf das Rechenwerk nicht näher eingegangen zu werden.
Dr. Dieterich Schaub Griebeling
Halberstadt Dr. Kiefer
Fundstellen
BAGE 51, 332-337 (LT) |
BAGE, 332 |
DB 1986, 2687-2688 (LT1) |
NZA 1986, 832-833 (LT1) |
RdA 1986, 336 |
AP § 1 HAG (LT1), Nr 3 |
AR-Blattei, ES 910 Nr 25 (LT) |
AR-Blattei, Heimarbeit Entsch 25 (LT) |