Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsnachfolge vor Konkurs
Orientierungssatz
Parallelsache zu BAG Urteil vom 8.11.1988 3 AZR 87/87 = BB 1989, 914.
Verfahrensgang
LAG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 12.11.1986; Aktenzeichen 6 (3) Sa 600/85) |
ArbG Flensburg (Entscheidung vom 25.09.1985; Aktenzeichen 1 Ca 666/85) |
Tatbestand
Die Parteien streiten, ob die Beklagte als Betriebsnachfolgerin der Gemeinschuldnerin oder der Pensions-Sicherungs-Verein VVaG (PSV) für die Versorgungsanwartschaft des Klägers einstehen muß.
Der am 18. Juli 1930 geborene Kläger trat am 28. Oktober 1963 in die Dienste der A GmbH & Co. KG, Maschinenfabrik und Eisengießerei. Er arbeitete in der Abteilung "Mechanische Werkstatt und Maschinenbau". Das Unternehmen beschäftigte rd. 140 Arbeitnehmer. Es gewährte Leistungen der betrieblichen Altersversorgung über eine Unterstützungskasse, aufgrund Direktzusagen sowie aufgrund einer Lebensversicherung.
Der Kläger war Mitglied und Versorgungsberechtigter der Unterstützungskasse. Die Versorgung wird gewährt nach einer Wartezeit von 25 Jahren und Erreichen des 65. Lebensjahres. Die Versorgungsleistungen betrugen 50,-- DM monatlich. Ein Rechtsanspruch auf die Versorgungsleistungen ist ausgeschlossen.
Am 1. November 1973 sagte die Arbeitgeberin dem Kläger zu, für ihn eine Kapitallebensversicherung über 3.000,-- DM abzuschließen. Diese Lebensversicherung sollte am 1. November 1985 fällig werden. Im Jahre 1974 teilte ihm die Arbeitgeberin mit, daß sie die Beiträge voll eingezahlt habe. In der Folgezeit belieh sie die Versicherung in Höhe von 1.740,-- DM.
Am 23. April 1979 wurde ein Antrag auf Eröffnung eines Vergleichsverfahrens über das Vermögen der A GmbH & Co. KG gestellt. Zum vorläufigen Vergleichsverwalter wurde der Steuerberater G G ernannt. Dieser legte den Gießereibereich zum 15. Juli 1979 still und kündigte den dort beschäftigten Arbeitnehmern. Die Abteilung "Mechanische Werkstatt und Maschinenbau" übertrug er auf die damals in Gründung befindliche Beklagte. Am 25. Juli 1979 billigte der Gläubigerbeirat der Vergleichsschuldnerin die Übertragung auf die Vorgründungsgesellschaft. Am 26. Juli 1979 wurde über das Vermögen der A GmbH
Entscheidungsgründe
Die Revisionen des Klägers und seines Streithelfers sind begründet. Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Beklagte muß die verschiedenen Versorgungsversprechen erfüllen.
I. Die Beklagte ist vor Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Gemeinschuldnerin deren Betriebsnachfolgerin geworden. Der Betriebsteil, in dem der Kläger beschäftigt war, ist durch Rechtsgeschäft auf die Beklagte nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB übergegangen.
1. Die Beklagte hat die Abteilung "Mechanische Werkstatt und Maschinenbau" übernommen.
a) Diese Abteilung war ein Betriebsteil im Sinne von § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB. Von einem Betriebsteil im Sinne dieser Bestimmung ist dann auszugehen, wenn Teile des Betriebes veräußert werden, mit denen betriebstechnische Teilzwecke weiterverfolgt werden können (BAGE 27, 291, 295 = AP Nr. 2 zu § 613 a BGB, zu 1 a der Gründe; BGH Urteil vom 10. Februar 1981 - VI ZR 185/79 - AP Nr. 26 zu § 613 a BGB, zu II 3 der Gründe). Die Abteilung war ein selbständiger Teil des Fertigungsprogramms der Beklagten. Sie war damit ein Betriebsteil im Sinne von § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB.
b) Dieser Betriebsteil ist auf die Beklagte übergegangen. Ein Fertigungsbetrieb geht dann auf einen Betriebsnachfolger über, wenn der Erwerber von dem Veräußerer die materiellen und immateriellen Produktionsmittel übernimmt und damit den Betriebszweck weiterverfolgen kann (BAG Urteil vom 18. August 1976 - 5 AZR 95/75 - AP Nr. 4 zu § 613 a BGB, zu 1 a der Gründe; Urteil vom 15. November 1978 - 5 AZR 199/77 - AP Nr. 14, aa0, zu II 1 a der Gründe; BAGE 35, 104, 106 = AP Nr. 24, aa0, zu 1 der Gründe; 48, 365, 371 = AP Nr. 42, aa0, zu II 1 der Gründe; Urteil vom 3. Juli 1986 - 2 AZR 68/85 - AP Nr. 53, aa0, zu B II 4 der Gründe; Urteil vom 28. April 1987 - 3 AZR 75/86 - EzA Nr. 67 zu § 613 a BGB, zu II 1 a der Gründe).
Den Betriebsübergang hat das Landesarbeitsgericht festgestellt. Nach dem unstreitigen Parteivorbringen, das auf dem Bericht des vorläufigen Vergleichsverwalters beruht, hat die Vorgründungsgesellschaft der Beklagten den Geschäftsbetrieb in der Abteilung "Mechanische Werkstatt und Maschinenbau" fortgeführt. Es wurde weiter produziert; die Kundenaufträge wurden erledigt und der kaufmännische Geschäftsbetrieb wurde in allen Sparten aufrechterhalten. Allein der Betriebsteil Eisengießerei ist stillgelegt worden.
2. Die Beklagte hat den Betriebsteil "Mechanische Werkstatt und Maschinenbau" am 15. Juli 1979 übernommen, also vor Konkurseröffnung.
a) Maßgebend für den Betriebsübergang oder den Übergang eines Teilbetriebes ist der Zeitpunkt, zu dem der Erwerber in die technische Leitungsmacht des Betriebes eintritt. Die Kritik an dieser Formulierung (vgl. Willemsen in Anm. III zum Urteil des Senats vom 28. April 1987 - 3 AZR 75/86 - EzA Nr. 67 zu § 613 a BGB) hält der Senat nicht für berechtigt. Ein Betrieb ist der Inbegriff materieller und immaterieller Gegenstände; er geht über, wenn die Verfügungsgewalt über diese Betriebsmittel auf einen Dritten übergeht. Willemsen verwechselt das Tatbestandsmerkmal "Übergang" mit dem Tatbestandsmerkmal "kraft Rechtsgeschäfts".
b) Der Betriebsnachfolge am 15. Juli 1979 steht nicht entgegen, daß sich die Beklagte zu diesem Zeitpunkt noch im Vorgründungsstadium befand und die Kaufverträge über das Anlage- und Umlaufvermögen erst am 29. August 1979 abgeschlossen wurden. Vergleichs- und Konkursverwalter müssen vielfach kurzfristig entscheiden, ob ein Unternehmen ganz oder teilweise stillgelegt wird, ganz oder teilweise fortgeführt wird und in welcher Form es verwertet werden soll. Auf der Grundlage dieser Entscheidungen kann es schon vor Übergabe der Betriebsmittel an einen Dritten, den Erwerber des Betriebes oder Betriebsteils kommen, auch wenn noch nicht alle Verpflichtungsgeschäfte, die den Rechtsgrund der Geschäftsführung bilden, abgeschlossen werden.
c) Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 28. April 1987 (- 3 AZR 75/86 - EzA Nr. 67 zu § 613 a BGB, zu III 1 der Gründe) zu der Frage Stellung genommen, unter welchen Voraussetzungen die Rechtsfolgen einer Betriebsveräußerung aus konkursrechtlichen Gründen eingeschränkt werden müssen und wann die Rechtsfolgen der Betriebsnachfolge ohne diese Einschränkung eingreifen. Er hat angenommen, daß die konkursrechtlichen Grundsätze auch dann anzuwenden sind, wenn der spätere Konkursverwalter den Betrieb bereits vor Konkurseröffnung überträgt, die Betriebsübertragung aber wirtschaftlich bereits eine Maßnahme der Masseverwertung darstellt. Dagegen seien, so hat der Senat ausgeführt, die Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs nicht aus konkursrechtlichen Gründen eingeschränkt, wenn die Betriebsübergabe bereits endgültig vor Konkurseröffnung stattgefunden habe. In diesen Fällen diene die Konkurseröffnung nur dazu, dem Konkursverwalter für die Verwertung des Restvermögens die notwendigen Legitimationen zu verschaffen (zustimmend Willemsen in Anm. III 3, aa0).
Im vorliegenden Fall kann unentschieden bleiben, ob bei Betriebsübertragungen vor Konkurseröffnung Handlungen des späteren Konkursverwalters denkbar sind, die die Betriebsveräußerung als vorkonkursliche Masseverwertung ausweisen. Die Übertragung der Abteilung "Mechanische Werkstatt und Maschinenbau" war jedenfalls keine Übertragung des Betriebes im Konkurs, sondern eine Übertragung vor dem Konkurs. Der vorläufige Vergleichsverwalter und spätere Konkursverwalter hat berichtet, daß er die lebensfähigen Teile der späteren Gemeinschuldnerin technisch, geschäftlich und leitungsmäßig voll funktionsfähig gehalten habe. Sie seien übertragen worden, um den Kundenstamm, die Belegschaft und den "good will" zu erhalten. Ein Ausschlachten habe er verhindern wollen.
3. Der Betriebsteil ist von der späteren Gemeinschuldnerin auf die Beklagte durch Rechtsgeschäft übergegangen.
Das in § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB vorausgesetzte Rechtsgeschäft ist die Einigung des bisherigen Betriebsinhabers mit dem neuen Betriebsinhaber, daß die Verfügungsgewalt über die sächlichen und immateriellen Gegenstände auf den Betriebsnachfolger übergehen soll. Das Rechtsgeschäft bezieht sich nach dem Wortlaut der Bestimmung auf den Übergang des Betriebes. Damit ist der Übergang der Leitungsmacht gemeint. Dies folgt auch aus dem mit § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB verfolgten Zweck: Es soll sichergestellt werden, daß die Arbeitsverhältnisse auf denjenigen übergehen, der die sächlichen und immateriellen Betriebsmittel übernimmt. Das Tatbestandsmerkmal "durch Rechtsgeschäft" bringt zum Ausdruck, daß von § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB alle Fälle des Betriebsübergangs erfaßt werden, die sich nicht kraft Gesamtrechtsnachfolge vollziehen (BAGE 35, 104, 107 ff. = AP Nr. 24 zu § 613 a BGB, zu 2 a, b, c der Gründe). Von dem einem Betriebsübergang zugrunde liegenden Rechtsgeschäft ist dasjenige Rechtsgeschäft zu unterscheiden, das den Vermögensübergang letztlich legitimieren soll, also z.B. ein Kauf- oder Pachtvertrag (vgl. BAGE 48, 376, 382 ff. = AP Nr. 43 zu § 613 a BGB, zu II 2, 3 der Gründe). Dieses Rechtsgeschäft kann dem Betriebsübergang nachfolgen.
II. Mit dem Betriebsübergang am 15. Juli 1979 ist die Beklagte in die bestehenden Arbeitsverhältnisse eingetreten. Damit wurde die Beklagte auch Schuldnerin der Versorgungsversprechen und der daraus erwachsenden Ruhegeldverbindlichkeiten.
1. Das Arbeitsverhältnis des Klägers hat über den 15. Juli 1979 fortbestanden. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist das Arbeitsverhältnis des Klägers erst zum 31. Juli 1979 gekündigt worden. Es hat demnach im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestanden. Es ist aber auch über den 31. Juli 1979 fortgesetzt worden. Der Kläger hat über diesen Zeitpunkt hinaus bei der Beklagten weitergearbeitet.
2. Die Beklagte ist in die Verpflichtungen eingetreten, die ursprünglich von der Unterstützungskasse der A GmbH & Co. KG zu erfüllen waren.
a) Wird eine betriebliche Altersversorgung durch eine Unterstützungskasse durchgeführt, so verspricht der Arbeitgeber Leistungen der Altersversorgung durch eine Unterstützungskasse nach Maßgabe ihrer Richtlinien. Zwischen dem Arbeitgeber (Veräußerer) und den Arbeitnehmern besteht ein Vertrag, gerichtet auf eine Altersversorgung, in die der Betriebsnachfolger eintritt. Im Falle der Betriebsnachfolge kann der Betriebsveräußerer die Unterstützungskasse auf den Betriebsnachfolger übertragen und diesen damit in die Lage versetzen, die Versorgungsansprüche weiter aus dem Vermögen der Unterstützungskasse zu erfüllen. Kraft Gesetzes geht die Unterstützungskasse nicht auf den Erwerber über (BAG Beschluß vom 5. Mai 1977 - 3 ABR 34/76 - AP Nr. 7 zu § 613 a BGB, zu II 2 b der Gründe). Wird die Unterstützungskasse nicht übertragen, so ist es dem Betriebsnachfolger nicht möglich, die Leistungen aus dem Vermögen der Unterstützungskasse zu erbringen. Er haftet alsdann auf Erfüllung der Versorgungszusage mit seinem eigenen Vermögen (BAG Urteil vom 15. März 1979 - 3 AZR 859/77 - AP Nr. 15 zu § 613 a BGB, zu 2 c der Gründe).
Das Landesarbeitsgericht hat nicht ausdrücklich festgestellt, ob die Unterstützungskasse bei der A GmbH & Co. KG verblieben ist und möglicherweise von dort wegen der Ansprüche der Arbeitnehmer aus dem stillgelegten Betriebsteil auf den Streithelfer übergegangen ist (§ 9 Abs. 3 BetrAVG) oder ob die Unterstützungskasse bereits zuvor auf die Beklagte übertragen worden ist. Gleichwohl ist eine Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits nicht erforderlich. Will der Betriebserwerber im Rahmen einer Betriebsnachfolge geltend machen, für die Versorgungsverbindlichkeiten hafte weiterhin die Unterstützungskasse, muß er dies vortragen; der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis auf den Betriebserwerber übergeht, kann in aller Regel nicht wissen, ob der Betriebserwerber auch selbständige Versorgungseinrichtungen (§ 1 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG) übernommen hat.
b) Das Landesarbeitsgericht irrt, soweit es die Rechtsauffassung vertritt, die über die Unterstützungskasse zugesagten Versorgungsansprüche seien infolge Widerrufs erloschen. Dafür, daß die Beklagte die Versorgungszusage widerrufen hätte, gibt es keine Anhaltspunkte. Auf die Auseinandersetzung des Landesarbeitsgerichts mit der Rechtsprechung des Senats und des Bundesverfassungsgerichts kommt es nicht an.
Der Widerruf von Versorgungsleistungen ist eine einseitige, empfangsbedürftige, rechtsgestaltende Willenserklärung, durch die der Versorgungsanspruch für die Zukunft beseitigt wird. Aus dem Schreiben vom 27. September 1984 der Rechtsanwälte S & K läßt sich ein Widerruf nicht entnehmen. In diesem Schreiben teilen die Vertreter der Beklagten dem Kläger unter Hinweis auf eine Stellungnahme gegenüber dem DGB lediglich mit, daß sie die Rechtslage eingehend überprüft hätten und eine Verpflichtung der Beklagten zur Ruhegeldgewährung nicht bestehe. In dem beigefügten Schreiben vom 26. Juni 1984 vertreten die Rechtsanwälte wegen eines anderen Arbeitnehmers die Rechtsauffassung, daß dieser keine Versorgungsansprüche habe, weil sein Arbeitsverhältnis vor Betriebsübergang beendet worden sei und dieser keine unverfallbaren Versorgungsanwartschaften habe. Ein Widerruf der Versorgung durch die Unterstützungskasse wird nicht einmal erwähnt. Eine bloße Anspruchsleugnung bestehender Versorgungsansprüche aus anderen Rechtsgründen läßt sich nicht in einen Widerruf einer Unterstützungskassenversorgung umdeuten.
3. Die Beklagte ist schließlich in die Verpflichtung eingetreten, dem Kläger Ansprüche aus einer Lebensversicherung zu verschaffen (§ 328 BGB).
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hat dem Kläger am 1. November 1973 eine Kapitallebensversicherung zugesagt. Das Bezugsrecht aus dieser Lebensversicherung war bei Betriebsübergang unverfallbar. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG wird eine Versorgungsanwartschaft unverfallbar, wenn der Beginn der Betriebszugehörigkeit mindestens zwölf Jahre zurückliegt und die Versorgungszusage drei Jahre bestanden und der Arbeitnehmer das 35. Lebensjahr vollendet hat. Der Kläger war im Jahre 1979 48 Jahre alt und stand seit 15 Jahren in den Diensten der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Damit ergab sich für die Rechtsvorgängerin und die Beklagte gemäß § 1 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG die Verpflichtung, ihn so zu stellen, als ob die Lebensversicherung nicht beliehen worden wäre. Das bedeutet aber, daß die Beklagte die Verpflichtungen aus dem Versprechen erfüllen muß, soweit die Lebensversicherung wegen der Beleihung nicht zahlt.
4. Entsprechend diesen Verpflichtungen hat der Senat die Urteilsformel neu gefaßt.
Dr. Heither Schaub Griebeling
Gnade Weinmann
Fundstellen
BetrAV 1989, 176-177 (T) |
KTS 1989, 894-898 (ST1) |