Entscheidungsstichwort (Thema)
Freistellung für Beirat für Landespflege
Leitsatz (redaktionell)
Für die Tätigkeit im Beirat für Landespflege besteht nach dem Manteltarifvertrag Technische Überwachungsvereine von 1977-02-11 kein Anspruch auf Gewährung bezahlter Freizeit.
Normenkette
TVG § 1; BAT § 52; BGB § 616; Verf RP Art. 21, 59
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 05.12.1979; Aktenzeichen 14 Sa 1073/79) |
ArbG Siegen (Entscheidung vom 17.07.1979; Aktenzeichen 2 Ca 778/79) |
Tatbestand
Der Kläger ist bei dem Beklagten als Angestellter in der Abteilung Fertigungsüberwachung S als Materialprüfer tätig. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Bestimmungen des zwischen der Tarifgemeinschaft Technischer Überwachungsvereine e.V. und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr abgeschlossenen Manteltarifvertrages (MTV-TÜV) vom 11. Februar 1977 Anwendung.
In seiner Freizeit betätigt sich der Kläger auf dem Gebiet des Natur- und Umweltschutzes und wurde mit Wirkung vom 29. Mai 1979 von der Bezirksregierung in Koblenz in den Beirat für Landespflege berufen. Rechtsgrundlage für die Bildung der Beiräte für Landespflege ist § 33 des Landesgesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege in der Fassung vom 5. Februar 1979 (GVBl.Rheinland-Pfalz 1979 S. 36). Das Nähere über die Zusammensetzung des Beirates, die Berufung, die Amtsdauer und die Entschädigung der Beiratsmitglieder ist gemäß § 33 Abs. 4 LPflG in der Landesverordnung über die Beiräte für Landespflege vom 9. Oktober 1973 in der Fassung vom 16. Januar 1979 (GVBl. 1979 S. 21) geregelt.
Der Beirat für Landespflege bei der Bezirksregierung Koblenz, dem der Kläger angehört, hat sich unter dem 29. Mai 1979 eine Geschäftsordnung gegeben, wonach der Beirat mindestens zweimal jährlich zusammentritt. Die Sitzungstermine werden von dem Vorsitzenden im Einvernehmen mit der obersten Landespflegebehörde festgesetzt. Der Beirat tagt am Sitz der oberen Landespflegebehörde. Sitzungstermine und Tagesordnung sollen den Beiratsmitgliedern drei Wochen vor der Sitzung mitgeteilt werden. Neben den Sitzungen finden von Fall zu Fall Ortstermine statt. Der Kläger hat am 30. Mai 1979 an einem derartigen Ortstermin teilgenommen. Für die konstituierende Sitzung des Beirates am 29. Mai 1979 bat der Kläger unter Berufung auf § 10 des MTV-TÜV bei dem Beklagten um einen halben Tag bezahlter Freizeit, was der Beklagte jedoch ablehnte.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten, ihn unter Fortzahlung der Vergütung zur Ausübung seiner Beiratstätigkeit freizustellen. Er hat vorgetragen, er sei nach Art. 21 der Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz verpflichtet, ein Ehrenamt zu übernehmen. Insoweit übe er ein Ehrenamt zur Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten aus und sei gemäß § 10 Abs. 1 lit. a MTV-TÜV unter Fortzahlung der Vergütung für die Dauer der unumgänglich notwendigen Abwesenheit von der Arbeit freizustellen. Es widerspreche auch dem Sinn der Regelung, wenn er die für die Wahrnehmung der Beiratstätigkeit anfallende Zeit im Rahmen der betrieblichen Gleitzeitregelung vor- bzw. nacharbeiten müsse. Insoweit liefe die Gleitzeitregelung auf eine Aushöhlung des tariflichen Anspruchs hinaus.
Der Kläger hat beantragt
1. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, den Kläger unter Fortzahlung der Bezüge zur Wahrnehmung seines Ehrenamtes als Mitglied des Beirates nach dem Landespflegegesetz (LPflG) in der Fassung vom 5. Februar 1979 Rheinland-Pfalz freizustellen,
2. hilfsweise festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, den Kläger unter Verrechnung seines Sitzungsgeldes gemäß § 4 der Landesverordnung über die Beiräte für Landespflege vom 9. Oktober 1979 unter Fortzahlung seiner Bezüge zur Wahrnehmung eines Ehrenamtes als Mitglied des Beirates nach dem Landespflegegesetz Rheinland-Pfalz in der Fassung vom 5. Februar 1979 für die Beiratssitzungen freizustellen,
3. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger zur Wahrnehmung seines Ehrenamts als Mitglied des Beirats nach dem Landespflegegesetz Rheinland-Pfalz in der Fassung vom 5. Februar 1979 für den Sitzungsdienst des Beirats unbezahlte Freizeit zu gewähren.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und erwidert, es fehle für die Klage schon am Feststellungsinteresse. Denn nach dem Tarifwortlaut bestehe ein Anspruch auf Freizeit nur dann, wenn nicht die Angelegenheit außerhalb der Arbeitszeit, gegebenenfalls nach ihrer Verlegung erledigt werden könne, was immer eine Einzelfallentscheidung sei. Darüber hinaus sei die Klage aber auch unbegründet, da die Beiratstätigkeit des Klägers keine Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten im Sinne der Tarifnorm darstelle. Denn eine Verpflichtung zur Übernahme derartiger Aufgaben bestehe nicht. Darüber hinaus gebe es in der Verfassung von Nordrhein-Westfalen keine dem Art. 59 der Verfassung von Rheinland-Pfalz vergleichbare Vorschrift. Selbst wenn dem Kläger ein Anspruch auf Freistellung zustehen sollte, könne er keine bezahlte Freizeit verlangen. Im Rahmen der Gleitzeitregelung sei es möglich und dem Kläger auch zuzumuten, die für die Ausübung der Beiratstätigkeit ausfallende Arbeitszeit vor- bzw. nachzuarbeiten.
Das Arbeitsgericht hat unter Abweisung der Klage im übrigen festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger zur Wahrnehmung seines Ehrenamts als Mitglied des Beirats nach dem Landespflegegesetz Rheinland-Pfalz in der Fassung vom 5. Februar 1979 für den Sitzungsdienst des Beirats unbezahlte Freizeit zu gewähren. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Feststellungsanträge zu 1) und 2) weiter. Der Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision war zurückzuweisen.
Mit dem Landesarbeitsgericht ist allerdings entgegen der Auffassung des Beklagten davon auszugehen, daß dem Kläger für seine Klageanträge ein Rechtsschutzinteresse an der alsbaldigen Feststellung (§ 256 Abs. 1 ZPO) darüber zusteht, ob ihm für die Erfüllung der Tätigkeiten im Beirat für Landespflege ein Anspruch auf bezahlte Freizeit zusteht. In diesem Sinne wird über das Bestehen eines Rechtsverhältnisses als greifbarer Tatbestand entstandener Rechtsbeziehungen gestritten (vgl. das Urteil des BAG vom 14. April 1966 - 2 AZR 503/63 - = AP Nr. 2 zu § 13 AZO; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 41. Aufl., § 256 Anm. 2; Stein/Jonas, ZPO, 14. Aufl., § 256 Anm. II 1; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 256 Anm. B 1 a; Zöller, ZPO, 12. Aufl., § 256 Anm. II 1; Rosenberg/Schwab, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, 13. Aufl., § 94 II). Zwar ist richtig, daß ein Anspruch nach dem Tarifvertrag nur insoweit besteht, als nicht die Angelegenheit außerhalb der Arbeitszeit, gegebenenfalls nach ihrer Verlegung, erledigt werden kann. Der Kläger hat aber ausreichend dargelegt, daß die Beiratsaufgaben zumindest teilweise nicht außerhalb der Arbeitszeit erledigt werden können; er beantragt die Freistellung zur Wahrnehmung aller Aufgaben, die im Rahmen der Tätigkeit als Beirat für Landespflege anfallen.
Die danach zulässige Klage ist jedoch zu Recht von den Vorinstanzen als unbegründet abgewiesen worden. Dem Kläger steht ein Anspruch auf bezahlte Freizeit für die Tätigkeit im Beirat für Landespflege nicht zu. Maßgeblich ist § 10 MTV-TÜV, der folgenden Wortlaut hat:
"Der Mitarbeiter wird in den nachstehenden Fällen, soweit nicht die Angelegenheit außerhalb der Arbeitszeit, ggfs. nach ihrer Verlegung, erledigt werden kann, unter Fortzahlung der Vergütung für die Dauer der unumgänglich notwendigen Abwesenheit von der Arbeit freigestellt:
a) zur Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten nach deutschem Recht, insbesondere zur Wahrnehmung amtlicher, gerichtlicher oder polizeilicher Termine, soweit sie nicht durch private Angelegenheiten des Mitarbeiters veranlaßt sind.
Der Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung besteht nur insoweit, als der Mitarbeiter nicht Anspruch auf Ersatz der Vergütung geltend machen kann."
§ 10 MTV-TÜV regelt dabei die Gewährung von bezahlter Freizeit abschließend. § 616 Abs. 1 BGB ist damit wirksam abbedungen und modifiziert. Die Tarifvertragsparteien haben hier von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Gewährung bezahlter Freizeit abschließend in erschöpfender Weise zu regeln (vgl. die Urteile des BAG vom 20. Juni 1979 - 5 AZR 392/78 -, AP Nr. 51 zu § 616 BGB; BAG 9, 179, 181 = AP Nr. 23 zu § 616 BGB; BAG 3, 190, 192 = AP Nr. 8 zu § 616 BGB; BAG Urteil vom 25. August 1982 - 4 AZR 1147/79, zur Veröffentlichung bestimmt; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Band I, § 44 III 1 f., S. 339; Nikisch, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 3. Aufl., § 43 II 9, S. 622; Staudinger/ Nipperdey/Mohnen, BGB, 11. Aufl., § 616 Rz 65 ff. mit weiteren Nachweisen).
Nach diesen tariflichen Vorschriften hat der Kläger aber, wie die Vorinstanzen zu Recht feststellen, keinen Anspruch auf Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung, weil es sich bei der Wahrnehmung von Aufgaben im Beirat für Landespflege nicht um die Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten i.S. des Tarifvertrages handelt. Zwar haben die Tarifvertragsparteien den Begriff der allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten nicht näher erläutert. Sie haben aber klargestellt, daß darunter insbesondere die Wahrnehmung amtlicher, gerichtlicher oder polizeilicher Termine zu verstehen sein soll. Damit ist zum Ausdruck gekommen, daß die Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten solche Aufgaben sein sollen, die jeden Staatsbürger ohne weiteres treffen können und nach allgemeiner Erfahrung treffen. Anders läßt sich nicht erklären, daß die Tarifvertragsparteien keine Freistellung für jede staatsbürgerliche Pflicht unter Fortzahlung der Vergütung normieren wollten, sondern nur dann von der Gewährung bezahlter Freizeit ausgingen, wenn es sich um eine "allgemeine" staatsbürgerliche Pflicht handelt. In allen Fällen, in denen besondere oder spezielle staatsbürgerliche Pflichten erfüllt werden, soll mithin ein Anspruch auf bezahlte Freizeit, um den es hier allein noch geht, nicht entstehen.
Durchaus zutreffend weist die Revision auf die entsprechende Vorschrift des § 52 BAT hin. Auch nach § 52 Abs. 1 Ziff. 1 BAT wird der Arbeitnehmer unter Fortzahlung der Vergütung für die Dauer der unumgänglich notwendigen Abwesenheit von der Arbeit zur Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten nach deutschem Recht freigestellt. In dieser Vorschrift des § 52 BAT ist aber anders als nach der vorliegenden Vorschrift des § 10 MTV-TÜV die Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten durch die besonderen Untergliederungen a) bis f) im einzelnen erläutert und ergänzt. An entsprechenden Vorschriften fehlt es bei der hier zur Entscheidung stehenden tariflichen Regelung, in der nur die Wahrnehmung amtlicher, gerichtlicher oder polizeilicher Termine beispielhaft aufgeführt wird.
Insbesondere aus dieser Gegenüberstellung der nur in der Grundnorm identischen Tarifbestimmungen, die in der Ausgestaltung unterschiedlich gefaßt sind, muß aber entnommen werden, daß die Wahrnehmung von Aufgaben im Beirat für Landespflege nicht unter die allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten fällt. In § 52 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. e) BAT wird nämlich die Heranziehung zum Feuerlöschdienst, zum Wasserwehrdienst und zum Deichdienst besonders erwähnt. Erst durch den Änderungstarifvertrag vom 31. Oktober 1979 wurde ab 1. Januar 1980 eingefügt, daß nunmehr auch die Heranziehung zum Seenotrettungsdienst neben der Heranziehung zum Bergwachtdienst zur Gewährung bezahlter Freizeit führt. Daraus muß entnommen werden, daß die Ausübung solcher staatsbürgerlicher Pflichten wie des Wasserwehrdienstes, des Deichdienstes, des Bergwachtdienstes oder des Seenotrettungsdienstes nur dann unter die Bestimmungen über die Arbeitsbefreiung fallen, wenn sie eigens besonders erwähnt werden. Solche speziellen und besonderen Aufgaben werden nach dieser Regelung nur dann als allgemeine staatsbürgerliche Pflichten angesehen, wenn sie der Tarifvertrag diesen ausdrücklich gleichstellt. Solange das nicht geschieht, handelt es sich insoweit um besondere und spezielle Aufgaben, die nicht unter die allgemeine Grundnorm fallen. Anders hätte es keinen Sinn, daß die Heranziehung zum Seenotrettungsdienst beispielsweise erst ab 1. Januar 1980 nach dem BAT zur Gewährung bezahlter Freizeit berechtigt.
Solchen besonderen und speziellen staatsbürgerlichen Pflichten muß aber auch nach diesen Grundsätzen die Tätigkeit im Beirat für Landespflege gleichgestellt werden. Hier handelt es sich um Aufgaben, die - ungeachtet ihrer Bedeutung - nicht jeden Staatsbürger wie die Wahrnehmung amtlicher, gerichtlicher oder polizeilicher Termine treffen, sondern ähnlich wie der Bergwachtdienst oder der Seenotrettungsdienst, der Wasserwehr- oder Deichdienst immer nur bestimmte Teile der Staatsbürger. Da es nach dem Wortlaut der Tarifnorm auf die Erfüllung "allgemeiner" staatsbürgerlicher Pflichten ankommt, ergibt sich daraus, daß solche außergewöhnlichen, besonderen staatsbürgerlichen Pflichten, wie die Tätigkeiten im Beirat für Landespflege, hier die Gewährung bezahlter Freizeit nicht nach sich ziehen.
Unter diesen Umständen kommt es auch nicht darauf an, ob der Beirat für Landespflege ein Ehrenamt oder ein öffentliches Ehrenamt bekleidet. Hierauf stellen die vorliegenden tariflichen Vorschriften entgegen der Regelung des § 52 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. b BAT nicht ab. Zutreffend geht auch das Landesarbeitsgericht davon aus, daß aus Art. 21 der Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz nichts für den Anspruch des Klägers auf Fortzahlung der Vergütung für eine ehrenamtliche Tätigkeit hergeleitet werden kann. Nichts anderes ergibt sich auch aus Art. 160 der Weimarer Verfassung, wonach zwar die Freistellung geregelt ist, aber ausdrücklich der Anspruch auf Vergütung einer gesetzlichen Regelung vorbehalten bleibt.
Hat aber der Kläger nach § 10 MTV-TÜV keinen Anspruch auf Gewährung bezahlter Freizeit für die Wahrnehmung seiner Aufgaben im Beirat für Landespflege, kam es auch nicht mehr darauf an, inwieweit ggfs. diese Tätigkeiten außerhalb oder durch Verlegen der Arbeitszeit ohne Einbuße erledigt werden könnten. Der Anspruch auf Gewährung unbezahlter Freizeit ist durch das Arbeitsgericht rechtskräftig festgestellt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 439548 |
AP § 616 BGB (LT1), Nr 60 |
RiA 1984, 113-113 (T) |