Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitanteilige Kürzung der Betriebsrente. Gleichbehandlung

 

Normenkette

BetrAVG § 1 Gleichbehandlung, § 1 Abs. 1 S. 1, § 2 Abs. 1 S. 1, § 6 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 01.03.1993; Aktenzeichen 19 (5) (18) Sa 1551/92)

ArbG Wuppertal (Urteil vom 22.10.1992; Aktenzeichen 2 Ca 3616/92)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 1. März 1993 – 19 Sa 1551/92 – aufgehoben.

2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Berechnung einer Betriebsrente. Der Kläger verlangt ungekürzte Auszahlung seiner Rente, während die Beklagte die Rente wegen des vorzeitigen Ausscheidens des Klägers zeitanteilig kürzt.

Der am 18. Oktober 1931 geborene Kläger war seit 2. Mai 1955 bei der Beklagten als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete am 31. Dezember 1990 auf Wunsch des Klägers, der zu diesem Zeitpunkt gerade das 59. Lebensjahr vollendet hatte. Anschließend war der Kläger arbeitslos. Er bezieht ab 1. Januar 1992 vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Seitdem zahlt die Beklagte dem Kläger eine Betriebsrente von monatlich 86,09 DM. Diese Rente errechnete die Beklagte, indem sie das dem Kläger nach Dauer seiner Dienstzeit zustehende Ruhegeld von 100,– DM wegen Beendigung seines Arbeitsverhältnisses vor dem 65. Lebensjahr zeitanteilig kürzte. Damit ist der Kläger nicht einverstanden. Er verlangte die Zahlung der ungekürzten Rente von 100,– DM. In der maßgeblichen Versorgungsordnung der Beklagten vom 1. Januar 1980 (VO) heißt es u.a.:

„IV. Feste Altersgrenze

Die feste Altersgrenze ist mit der Vollendung des 65. Lebensjahres erreicht.

V. Anspruchsvoraussetzungen für Ruhegeld

1. Den Anspruch auf Altersrente erwirbt der Anwärter, dessen Arbeitsverhältnis zur Firma mit oder nach Erreichen der festen Altersgrenze (IV) endet.

2. Den Anspruch auf vorzeitige Altersrente erwirbt der Anwärter, der vor Erreichen der festen Altersgrenze (IV) Altersruhegeld oder Knappschaftsruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung (§§ 1248 RVO, 25 AVG, 48 RKG) in Anspruch nimmt. …

VII. Höhe des Ruhegeldes

1.a) Das monatliche Ruhegeld beträgt nach Ableistung von

20 rentenfähigen Dienstjahren 100,– DM.

2. Als vorzeitiges Altersruhegeld wird das nach Absatz 1 ermittelte Ruhegeld gewährt, jedoch gekürzt um 0,5 % für jeden vollen Monat der Inanspruchnahme vor Vollendung des 65. Lebensjahres. Bei 25 oder mehr rentenfähigen Dienstjahren (IX 2) entfällt die Kürzung.

XIII. Unverfallbarkeit

1. Diese Versorgungsordnung schränkt das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Firma nicht ein.

2.a) Hat das Arbeitsverhältnis zur Firma geendet, ohne daß ein Anspruch nach dieser Versorgungsordnung erworben wurde, bleibt eine Anwartschaft auf Firmenrenten in dem im Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vorgeschriebenen Umfang aufrechterhalten. Sind dagegen bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Firma die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Anwartschaft nicht erfüllt, so erlischt die Anwartschaft.

b) Bei der Prüfung, ob eine Anwartschaft aufrechtzuerhalten ist, und bei der Berechnung des Verhältnisses, in dem sie aufrechtzuerhalten ist, wird auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit im Sinne des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung abgestellt.

…”

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, für eine Kürzung seiner Betriebsrente gebe es in der Versorgungsordnung keine Grundlage. Er habe nach mehr als 20-jähriger Betriebszugehörigkeit eine Betriebsrente von 100,– DM monatlich erdient (Abschnitt VII Nr. 1 a VO). Da er mehr als 25 Jahre rentenfähige Dienstjahre habe, scheide nach der Versorgungsordnung eine Kürzung wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Betriebsrente aus (Abschnitt VII Nr. 2 VO). Im übrigen hätten alle Mitarbeiter, die nach 25 Dienstjahren vorzeitig ausgeschieden seien, die Altersversorgung in voller Höhe erhalten.

Der Kläger hat beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn restliche Betriebsrente für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1992 in Höhe von 111,28 DM (acht Monate 13,91 DM) zu zahlen;
  2. die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. September 1992 eine monatliche Betriebsrente in Höhe von 100,– DM zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe nur die gezahlte laufende monatliche Rente in Höhe der beim Ausscheiden unverfallbar gewordenen Anwartschaft zu. Der Kläger könne sich auch nicht mit Erfolg auf den Grundsatz der Gleichbehandlung berufen. Dazu hat sie behauptet, sie habe stets und ohne Ausnahme von der Kürzungsmöglichkeit nach Abschnitt XIII der Versorgungsordnung bei solchen Arbeitnehmern Gebrauch gemacht, die – wie der Kläger – auf eigenen Wunsch vorzeitig, d.h. vor Erreichen der Altersgrenze bzw. der Möglichkeit, vorzeitiges Altersruhegeld zu beantragen, durch Eigenkündigung das Arbeitsverhältnis beendet haben. Auf die Kürzungsmöglichkeit habe sie nur bei Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis auf Wunsch der Beklagten durch Auflösungsvertrag beendet worden sei, verzichtet. Die Begünstigung dieser Arbeitnehmer habe den notwendigen Personalabbau gefördert. Betriebsbedingte Kündigungen seien vermieden worden. Der Betriebsrat habe der Regelung im Jahre 1985 zugestimmt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, die Versorgungsordnung sehe beim Kläger mit seinen über 25 Dienstjahren keine Kürzungsmöglichkeit vor. Ob Ansprüche des Klägers auch aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes begründet wären, hat das Landesarbeitsgericht offengelassen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Revision der Beklagten muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Es bedarf weiterer tatsächlicher Feststellungen zur Frage, ob der Kläger ungekürzte Altersrente aus Gründen der Gleichbehandlung verlangen kann.

I. Nach der Versorgungsordnung kann der Kläger keine höhere Rente verlangen. Der Senat kann der rechtlichen Beurteilung des Landesarbeitsgerichts nicht folgen.

1. Ansprüche des Klägers können sich nur aus Abschnitt XIII der Versorgungsordnung ergeben. Der Abschnitt behandelt die Anwartschaften eines Arbeitnehmers, dessen Arbeitsverhältnis endet, ohne daß er einen Anspruch aus der Versorgungsordnung erworben hat (Abschnitt XIII Nr. 2 a).

So liegt der Fall hier. Der Kläger ist aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, ohne einen Versorgungsanspruch erworben zu haben; er ist ohne Eintritt eines Versorgungsfalles ausgeschieden. Einen Anspruch auf Versorgung erwirbt nur derjenige Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen für den Bezug des Altersruhegeldes oder den Anspruch auf vorzeitige Altersrente erfüllt (Abschnitt V Nr. 1 und 2). Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger bei seinem Ausscheiden nicht. Er hatte weder das 65. Lebensjahr vollendet (Abschnitt V Nr. 1 i.V.m. Abschnitt IV) noch hatte er einen Anspruch auf vorzeitige Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung konnte er erst mit Vollendung des 60. Lebensjahres beziehen.

2. Zur Berechnung des Wertes der Anwartschaft verweist die Versorgungsordnung in Abschnitt XIII Nr. 2 a auf die gesetzliche Regelung (§§ 1 und 2 BetrAVG).

a) Der Kläger ist am 31. Dezember 1990 mit einer unverfallbaren Anwartschaft (§ 1 Abs. 1 BetrAVG) aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Davon gehen beide Parteien zu Recht aus.

b) Nach § 2 Abs. 1 BetrAVG hat der Arbeitnehmer, der ohne Eintritt eines Versorgungsfalles aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist, einen Anspruch auf eine Teilrente. Zu ermitteln ist in einem ersten Schritt die Rente, die dem Arbeitnehmer ohne das vorherige Ausscheiden zustünde. Der Arbeitnehmer wird also zunächst so behandelt, als ob das Arbeitsverhältnis bis zum Eintritt des Versorgungsfalles fortbestanden hätte. In einem zweiten Schritt wird diese Leistung anteilig gekürzt. Es ist der Unverfallbarkeitsfaktor zu ermitteln. Er ergibt sich aus dem Verhältnis der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit zur möglichen Betriebszugehörigkeit (vgl. zur Berechnung der Teilrente bei vorzeitigem Ausscheiden eines Arbeitnehmers das Urteil des Senats vom 13. März 1990 – 3 AZR 338/89 – AP Nr. 17 zu § 6 BetrAVG).

Wäre der Kläger bis zum Eintritt des Versorgungsfalles bei seinem Arbeitgeber geblieben, hätte er eine Rente von monatlich 100,– DM erhalten. Der Kläger kam auf mehr als 20 rentenfähige Dienstjahre (Abschnitt VII Nr. 1 a). Dieser Betrag wäre ihm nach Abschnitt VII Nr. 2 ungekürzt ausgezahlt worden. Der Kläger hatte auch 25 oder mehr rentenfähige Dienstjahre aufzuweisen.

Da der Kläger aber nicht mit Eintritt eines Versorgungsfalls ausgeschieden ist, erhält er nur die Teilrente entsprechend dem Unverfallbarkeitsfaktor. Bei einer tatsächlichen Betriebszugehörigkeit vom 2. Mai 1955 bis zum 31. Dezember 1990 (428 Monate) und einer möglichen Betriebszugehörigkeit bis zum 31. Oktober 1996 (Vollendung des 65. Lebensjahres = 498 Monate) beträgt der Unverfallbarkeitsfaktor 0,8594 (428: 498). Daraus ergibt sich eine Teilrente von 85,94 DM. Die Beklagte zahlt 86,09 DM.

3. Das Landesarbeitsgericht hat diesen Aufbau der Versorgungsordnung, die die gesetzliche Regelung übernimmt, verkannt. Es hat nicht unterschieden zwischen dem Ausscheiden eines Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis mit einem Anspruch auf Versorgung und dem Ausscheiden mit einer Anwartschaft. Für Arbeitnehmer, die mit einer Anwartschaft ausscheiden, kommt als Anspruchsgrundlage nur Abschnitt XIII in Betracht. Die Berechnungsvorschrift in Abschnitt VII Nr. 2 ist nur heranzuziehen, um die Rente eines Arbeitnehmers zu berechnen, der mit einem Anspruch auf Versorgung im Versorgungsfall „Vorgezogene Altersrente” aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Im Fall des Klägers ist diese Berechnungsvorschrift nur anzuwenden, um die Rente zu ermitteln, die ihm zustünde, wenn er nicht vorzeitig (ohne Eintritt eines Versorgungsfalls) aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden wäre. Weitere Kürzungsmöglichkeiten nach § 2 BetrAVG werden damit nicht ausgeschlossen.

4. Die Versorgungsregelung verstößt nicht gegen zwingendes Recht (§ 17 Abs. 3 BetrAVG). Die Versorgungsordnung verweist ausdrücklich auf § 2 Abs. 1 BetrAVG. Auf günstigere einzelvertragliche Vereinbarungen hat sich der Kläger nicht berufen.

II. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob dem Kläger Ansprüche aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes zustehen.

1. Das Landesarbeitsgericht hat offengelassen, ob der Anspruch des Klägers aus Gründen der Gleichbehandlung gerechtfertigt ist, da es aus seiner Sicht hierauf nicht ankam. Es hat deshalb auch keine entsprechenden tatsächlichen Feststellungen getroffen. Dies wird das Landesarbeitsgericht nachzuholen haben.

Der Kläger hat vorgetragen, alle Mitarbeiter, die – wie der Kläger – nach 25 Dienstjahren vorzeitig ausgeschieden seien, hätten die Altersversorgung in voller Höhe erhalten. Danach ist ein Anspruch aus Gründen der Gleichbehandlung nicht ausgeschlossen.

Träfe dagegen die Darstellung der Beklagten zu, wäre der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt. Die Beklagte hat nämlich behauptet, sie habe nur bei solchen Arbeitnehmern von der Kürzungsmöglichkeit wegen vorzeitigen Ausscheidens keinen Gebrauch gemacht, deren Arbeitsverhältnisse letztlich auf Wunsch der Beklagten – sei es aus betrieblichen Gründen, sei es aus anderen Erwägungen – durch Auflösungsvertrag beendet worden seien.

Diese Gruppenbildung wäre nicht zu beanstanden. Eine Gruppenbildung muß sachlichen Kriterien entsprechen. Eine Differenzierung ist dann sachfremd, wenn es für die unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 28. Juli 1992 – 3 AZR 173/92 – AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen). Im vorliegenden Fall wäre die unterschiedliche Behandlung der im betrieblichen Interesse ausscheidenden Arbeitnehmer und der aus Eigeninteresse ausscheidenden Arbeitnehmer berechtigt. Die Bindung des Arbeitnehmers an den Betrieb ist ein billigenswerter Zweck der Zusage einer Betriebsrente. Dabei kommt es nicht auf die Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses an, sondern auf den Beendigungsgrund. So kann ein durch Eigenkündigung auf Veranlassung des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidender Arbeitnehmer nicht von Leistungen ausgeschlossen werden, die ein durch Auflösungsvertrag auf Veranlassung des Arbeitgebers ausscheidender Arbeitnehmer erhält. Es gelten dieselben Grundsätze, die das Bundesarbeitsgericht für den Ausschluß von Leistungen eines Sozialplans aufgestellt hat (vgl. BAGE 67, 29 = AP Nr. 57 zu § 112 BetrVG 1972; BAG Urteil vom 11. August 1993 – 10 AZR 558/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen, zu 2 der Gründe).

2. Danach wäre die Klage begründet, wenn die Beklagte allen Arbeitnehmern, die mit einer Dienstzeit von 25 Jahren und mehr ausschieden, im Versorgungsfall die ungekürzte Rente gezahlt hätte.

Der Kläger könnte sich aber auch darauf berufen, er sei vorzeitig auf Veranlassung des Arbeitgebers ausgeschieden.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Griebeling, Dr. Wittek, Fieberg, O. Hofmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI916061

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