Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Arbeitnehmers
Normenkette
BGB §§ 611, 276-277, 280, 286, 823; Manteltarifvertrag für die Arbeiter des Bundes (MTB II) § 72
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 19. Februar 1988 – 15/9 Sa 800/87 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Beklagte ist seit 1975 bei der Bundeswehr als Kraftfahrer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist der Manteltarifvertrag für Arbeiter des Bundes (MTB II) anzuwenden.
Am 14. und 15. Januar 1986 war der Beklagte im Teildepot Gerät H. -N. für einen erkrankten Kollegen als Gabelstaplerfahrer eingesetzt. Der Beklagte verursachte in Ausübung dieses Dienstes zwei Unfälle, bei denen der Klägerin gehörende Fahrzeuge beschädigt wurden, die auf dem Dienstgelände abgestellt waren. Die Beseitigung der Schäden kostete 1.136,12 DM und 126,– DM.
Die Klägerin hat den Beklagten auf Ersatz dieses Schadens in Anspruch genommen und vorgetragen, der Beklagte sei mit dem beladenen Gabelstapler entgegen der Dienstanweisung vorwärts gefahren, ohne die Hilfe eines Einweisers in Anspruch zu nehmen. Dies sei grob fahrlässig gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.262,12 DM nebst 6,5 % Zinsen seit 15. Januar 1986 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgerichts hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Dieses wird erneut bestimmen müssen, in welchem Umfang der Beklagte für die von ihm verursachten Schäden haftet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat den Klageanspruch zu Unrecht mit der Begründung abgewiesen, der Beklagte habe nicht grob fahrlässig gehandelt; die unter Abwägung der Gesamtumstände vorzunehmende Haftungsteilung führe dazu, daß der Beklagte „mit einer Quote von Null” hafte.
Der Beklagte ist wegen der am 14. und 15. Januar 1986 fahrlässig verursachten Unfälle der Klägerin aus positiver Forderungsverletzung (§§ 280, 286 BGB analog) und unerlaubter Handlung (§ 823 Abs. 1 BGB) zum Schadenersatz verpflichtet. Da der Beklagte in Ausübung gefahrgeneigter Arbeit gehandelt hat und ihm in beiden Fällen mittlere Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, haftet er anteilig.
1. Nach den das Revisionsgericht bindenden Feststellungen war das Führen des Gabelstaplers für den Beklagten in beiden Fällen gefahrgeneigte Arbeit.
Als gefahrgeneigt wird eine Arbeit angesehen, wenn sie es mit großer Wahrscheinlichkeit mit sich bringt, daß auch dem sorgfältigsten Arbeitnehmer gelegentlich Fehler unterlaufen, die zwar für sich allein betrachtet vermeidbar sind, mit denen aber als einem typischen Abirren der Dienstleistung angesichts der menschlichen Unzulänglichkeit erfahrungsgemäß zu rechnen ist (BAGE 5, 1, 7 = AP Nr. 4 zu §§ 898, 899 RVO, zu III 1 der Gründe; vgl. auch BAGE 49, 1, 4 = AP Nr. 86 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, zu B I 1 a der Gründe). Die Tätigkeit eines Kraftfahrers ist regelmäßig gefahrgeneigt, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen können (vgl. BAGE 42, 130 = AP Nr. 82 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; BAGE 44, 170 = AP Nr. 84 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Das Führen eines LKWs auf einem geschlossenen Betriebshof ist nicht gefahrgeneigt, wenn der Betriebshof keine Hindernisse aufweist und übersichtlich ist (vgl. BAG Urteil vom 13. Mai 1970 – 1 AZR 336/69 – AP Nr. 56 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers).
Nach diesen Grundsätzen hat der Beklagte die Schaden in Ausübung gefahrgeneigter Arbeit verursacht. Zwar besteht beim Führen eines Gabelstaplers auf dem Betriebsgelände wegen der niedrigen Geschwindigkeit und mangels allgemeiner Zugänglichkeit des Grundstücks nicht die typische Gefahrenlage des öffentlichen Straßenverkehrs. Eine besondere Gefahr ist mit dem Führen eines Gabelstaplers aber dann verbunden, wenn dieser, wie hier festgestellt, hoch beladen ist. Dadurch werden die Sicht nach vorn beeinträchtigt und die Lenkung erschwert. Außerdem muß darauf geachtet werden, daß die Ladung nicht verrutscht oder teilweise herabfällt. Eine weitere Gefahr der Arbeit des Beklagten ergab sich daraus, daß die Möglichkeit bestand, im Falle eines Fahrfehlers mit Fahrzeugen der Klägerin zusammenzustoßen, die in der Nähe des Arbeitsbereichs abgestellt waren.
Ob die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Haftungsbeschränkung bei gefahrgeneigter Arbeit (vgl. BAGE 57, 55 = AP Nr. 93 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers) auch auf betriebliche Tätigkeiten anzuwenden sind, die nicht gefahrgeneigt sind (vgl. dazu Beschluß des Senats vom 12. Oktober 1989 – 8 AZR 741/87 – zur Veröffentlichung vorgesehen), ist somit entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts unerheblich.
2. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe die Unfälle fahrlässig (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB), aber nicht grob fahrlässig (§ 277 BGB) verursacht.
Der Begriff des Verschuldens und der der einzelnen Arten des Verschuldens, wie einfache oder grobe Fahrlässigkeit, sind Rechtsbegriffe (vgl. BGHZ 10. 14, 16 und 10, 69, 74). Die Feststellung ihrer Voraussetzungen liegt im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet, wobei dem Tatrichter ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum zusteht. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob der Tatrichter von den richtigen rechtlichen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist und Denkgesetze, Erfahrungssätze und Verfahrensvorschriften verletzt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG Urteile vom 13. März 1968 – 1 AZR 362/67 – und vom 7. Juli 1970 – 1 AZR 505/69 – AP Nr. 42 und 58 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers und BAGE 23, 151 = AP Nr. 63 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Dieser eingeschränkten Nachprüfung halten die Ausführungen des Berufungsgerichts stand, soweit dieses grobe Fahrlässigkeit abgelehnt hat.
Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß es sich bei grober Fahrlässigkeit um eine Sorgfaltspflichtverletzung in ungewöhnlich hohem Maße handelt, wobei eine besonders grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung gegeben sein muß. Mit dieser Auslegung des Begriffs der groben Fahrlässigkeit befindet sich das Landesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG Urteile vom 13. März 1968 – 1 AZR 362/67 –, vom 22. Februar 1972 – 1 AZR 223/71 – und vom 20. März 1973 – 1 AZR 337/72 – AP Nr. 42, 70 und 72 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers) wie auch des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 10, 14, 16).
Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, daß der Beklagte keine ausdrückliche Anweisung erhalten hat, beim Vorwärtsfahren mit dem beladenen Gabelstapler stets einen Einweiser hinzuzuziehen oder rückwärts zu fahren. Der Beklagte hat zwar 1981 einen Berechtigungsschein zum Führen von sog. „Flurförderzeugen” erhalten. Das Landesarbeitsgericht hat aber nicht festgestellt, daß der Beklagte auf die in der „Dienstanweisung für Fahrer von motorisch angetriebenen Flurförderzeugen” enthaltene besondere Anweisung zum Führen beladener Gabelstapler ausdrücklich hingewiesen wurde.
Ohne Rechtsirrtum hat das Landesarbeitsgericht aus den Unfallumständen keinen besonders schweren Schuldvorwurf gegen den Beklagten hergeleitet. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen war es zu dem Unfall am 14. Januar 1986 gekommen, weil die Ladung verrutschte und eine Lenkkorrektur erforderlich machte, die mißlang, und zu dem Unfall am 15. Januar 1986, weil die Fahrbahn uneben war und ein Teil der Ladung auf die Fahrbahn fiel. Die Unfälle waren daher nicht allein auf zu hohe Geschwindigkeit und Fahrens ohne Sicht zurückzuführen.
Schließlich hat das Landesarbeitsgericht auch zu Recht zu Gunsten des Beklagten berücksichtigt, daß er nur gelegentlich als Gabelstaplerfahrer eingesetzt worden ist (Ersatzmann) und daher zur Unfallzeit keine Fahrpraxis hatte.
3. Die Verneinung der groben Fahrlässigkeit führt jedoch entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht zur vollständigen Klageabweisung. Bei gefahrgeneigter Arbeit sind Schäden, die ein Arbeitnehmer nicht grob fahrlässig verursacht hat, bei normaler Schuld in aller Regel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotal zu teilen und dabei die Gesamtumstände von Schadensanlaß und Schadensfolgen nach Billigkeitsgrundsätzen und Zumutbarkeitsgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen. Nur bei geringer Schuld des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber solche Schäden allein zu tragen (vgl. BAGE 57, 47 und 57, 55 = AP Nr. 92 und 93 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers).
Das Berufungsgericht kommt nach „Abwägung der Gesamtumstände von Schadensanlaß und Schadensfolgen nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgrundsätzen” dazu, daß der Beklagte „mit einer Quote von Null” haftet. Es meint im Hinblick auf das „nicht sonderlich gravierende Fehlverhalten” sei dem Beklagten nicht zuzumuten, auch nur einen Teil des Schadens zu tragen, zumal sich der Schaden, den die Klägerin allein zu tragen habe, in begrenzter Höhe bewege.
Hiergegen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Grundsätzlich ist die Haftung bei normaler Schuld zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu teilen. Dies mag zwar nicht auszuschließen, daß auch Fälle denkbar sind, in denen auch bei normaler Fahrlässigkeit die Haftung des Arbeitnehmers ganz entfällt.
Dazu wird es jedoch besonderer – in der Regel außerhalb des Verschuldens liegender – Umstände bedürfen, die bei der Abwägung zugunsten des Arbeitnehmers ins Gewicht fallen. Solche Umstände hat das Landesarbeitsgericht jedoch nicht festgestellt. Die begrenzte Schadenshöhe, auf die das Berufungsgericht abheben möchte, spricht eher dafür als dagegen, dem Beklagten eine Teilhaftung zuzumuten. Die Schadensteilung nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs kann daher nicht zum Haftungsausschluß des Beklagten führen.
II. Die Sache ist gemäß § 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, da der Klageanspruch noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Die Verteilung der Verantwortlichkeit für den entstandenen Schaden im Rahmen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs ist in erster Linie Sache tatrichterlicher Würdigung.
III. Das Landesarbeitsgericht wird zu prüfen haben, ob die Klägerin die Schadenersatzansprüche innerhalb der Ausschlußfrist nach § 72 MTB II geltend gemacht hat. Wie das Landesarbeitsgericht ausgeführt hat, bestehen Bedenken dagegen, die beiden Schreiben der Klägerin vom 7. und 17. April 1986 als ausreichende Geltendmachung im Sinne der tariflichen Ausschlußfrist anzusehen, weil sie keine Angaben über die Schadenshöhe enthalten (vgl. BAG Urteil vom 5. März 1981 – 3 AZR 559/78 – AP Nr. 9 zu § 70 BAT). Darauf hat das Landesarbeitsgericht die Klägerin jedoch nicht hingewiesen. Dadurch hat es § 139 ZPO verletzt, was die Klägerin zu Recht rügt. Den mit dieser Rüge verbundenen neuen Sachvortrag der Klägerin zur Frage der Geltendmachung wird das Landesarbeitsgericht als rechtzeitig ansehen müssen.
Unterschriften
Michels-Holl, Dr. Peifer, Dr. Wittek, Dr. Weiss, Brückmann
Fundstellen