Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgabenfreiheit einer Treuezulage nach dem RKV-NVA

 

Leitsatz (redaktionell)

  • Eine rahmenkollektivvertragliche Regelung, die vorsieht, daß für ein besonderes zusätzliches Arbeitsentgelt, hier eine halbjährlich zu zahlende Treuezulage, keine Steuern und Sozialabgaben zu zahlen sind, hat nicht bis zur Ablösung des Rahmenkollektivvertrages durch einen neuen Tarifvertrag fortgegolten (Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 14).
  • Es handelt sich materiell um staatliches Abgabenrecht der früheren DDR, das nach den hierfür geltenden Regelungen des Einigungsvertrages durch das Steuer- und Sozialversicherungsrecht der Bundesrepublik Deutschland abgelöst worden ist.
 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 8, 9, Anlage I Kap. VIII Sachgebiet A Abschn. III Nr. 14; Rahmenkollektivvertrag für die Zivilbeschäftigten der Nationalen Volksarmee der DDR (RKV-NVA)

 

Verfahrensgang

LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 01.07.1992; Aktenzeichen 2 Sa 6/92)

KreisG Rostock-Stadt (Urteil vom 17.10.1991; Aktenzeichen 4 Ca 292/91)

 

Tenor

  • Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rostock vom 1. Juli 1992 – 2 Sa 6/92 – wird zurückgewiesen.
  • Die Kosten der Revision hat die Klägerin zu tragen.

Von Rechts wegen !

 

Tatbestand

Die Klägerin war bei der Nationalen Volksarmee der ehemaligen DDR tätig und wurde von der Beklagten als Zivilbeschäftigte übernommen.

Auf das Arbeitsverhältnis fand bis zu seinem Außerkrafttreten am 31. März 1991 der Rahmenkollektivvertrag für die Zivilbeschäftigten der Nationalen Volksarmee (RKV-NVA) Anwendung. Unter “VI. Treuezulage für ununterbrochene Beschäftigungsdauer” des RKV-NVA heißt es u. a.:

  • Treuezulage
  • Für ununterbrochene Beschäftigungsdauer erhalten Zivilbeschäftigte Treuezulage.
  • Die Treuezulage beträgt bei ununterbrochener Beschäftigungsdauer

    nach Ablauf von zwei Jahren 

    4 %

    nach Ablauf von fünf Jahren 

    8 %

    nach Ablauf von zehn Jahren 

    10 %

    nach Ablauf von fünfzehn Jahren 

    12 %

    nach Ablauf von zwanzig Jahren 

    15 %

    des Bruttogehaltes, das der Berechnung des Durchschnittslohnes zugrunde gelegt wird, sowie der aufgabengebundenen Leistungszuschläge für die Lösung von Forschungs-, Entwicklungs- und Projektierungsaufgaben, objektgebundenen Gehaltsprämien, Vergütungen und Zuschläge für Überstundenarbeit, außerplanmäßige Arbeitsleistungen der PKW-Fahrer, Arbeitsbereitschaft, Hafenwache und Tagesdienste.

  • Die Treuezulage ist für den Zeitraum vom 1. Februar bis 31. Juli zum “Tag der Republik” und für den Zeitraum vom 1. August bis 31. Januar zum “Tag der Nationalen Volksarmee” nach den festgelegten Prozentsätzen und Bedingungen zu zahlen.
  • …”

Nach Maßgabe dieser Regelung legte die Beklagte für die Klägerin einen Prozentsatz von 8 % zugrunde und errechnete daraus für den Zeitraum bis zum 31. Januar 1991 eine Treuezulage von 712,69 DM. Von diesem Betrag behielt die Beklagte 242,57 DM an Lohnsteuern und Sozialabgaben ein.

Mit ihrer am 1. Juli 1991 zugestellten Klage hat sich die Klägerin gegen diesen Einbehalt gewendet und den Standpunkt vertreten, daß die Treuezulage wie auch in den Jahren zuvor in der errechneten Höhe ungekürzt auszuzahlen sei. Im Rahmenkollektivvertrag, der nach den Regelungen des Einigungsvertrages zunächst fortgegolten habe, sei eine Nettoauszahlung vereinbart worden, so daß die Beklagte im Verhältnis zur Klägerin etwaige Steuern und Sozialabgaben tragen müsse. Die Klägerin hat sich hierfür auf eine Tabelle in der Anlage 3 zum RKV-NVA berufen, in der die im Rahmenkollektivvertrag vorgesehenen Entgelte aufgelistet werden und in zugeordneten Spalten jeweils der Regelungsort im RKV-NVA angegeben wird. Ferner werden die Fragen beantwortet, ob das entsprechende Entgelt zum Tarifgehalt/Lohn, zum Durchschnittslohn gehört, und ob es “lohnsteuerpflichtig lt. Tabelle bzw. 5 %” und “SV-beitragspflichtig” ist. Bei der Treuezulage nach Abschn. VI Nr. 1 RKV-NVA werden alle vier Fragen mit “nein” beantwortet. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, nach dieser Regelung der Treuezulage im Rahmenkollektivvertrag sei es ausgeschlossen, daß eine Änderung in der Rechtslage, was die Abgabenpflichtigkeit angehe, allein zu Lasten der Arbeitnehmer gehe. Nach dem im Rahmenkollektivvertrag zum Ausdruck gekommenen Willen müsse eine solche zusätzliche Last von der Beklagten als Arbeitgeberin getragen werden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 242,57 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat in Abrede gestellt, daß hinsichtlich der Treuezulagen eine Nettolohnvereinbarung im Rahmenkollektivvertrag enthalten sei. Auf den zum Zeitpunkt der Auszahlung der Treuezulage bereits geltenden bundesdeutschen Steuer- und Sozialversicherungsgesetzen beruhe, daß insoweit von der Klägerin Abgaben zu tragen seien. Eine von diesen Bestimmungen abweichende Regelungsabsicht könne dem Rahmenkollektivvertrag nicht unterstellt werden, weil der der neuen Situation zugrunde liegende Umstand der Vereinigung bei Abschluß des Rahmenkollektivvertrages nicht habe vorhergesehen werden können.

Das Kreisgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung gegen sein Urteil zugelassen. Die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer zugelassenen Revision verlangt die Klägerin weiterhin die Verurteilung der Beklagten zur Auszahlung des einbehaltenen Teils der Treuezulage. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, daß die Beklagte den einbehaltenen Teil der Treuezulage an sie auszahlt.

A. Die Klägerin hatte einen Anspruch auf eine Treuezulage für das Halbjahr vom 1. August 1990 bis zum 31. Januar 1991 in Höhe von 712,69 DM nach Abschn. VI. Nr. 1 RKV-NVA.

Dieser Rahmenkollektivvertrag war unter der Registernummer 174 a/79 beim Staatssekretariat für Arbeit und Löhne des Ministerrats der DDR registriert. Er trat deshalb erst mit Inkrafttreten der für das Beitrittsgebiet abgeschlossenen Tarifverträge im öffentlichen Dienst am 1. April 1991 außer Kraft (Anl. I zum Einigungsvertrag, Kap. VIII Sachgeb. A Abschn. III Nr. 14). Zu diesem Zeitpunkt war der streitbefangene Anspruch auf die Treuezulage bereits entstanden und fällig geworden.

B. Die Klägerin kann nicht verlangen, daß die Beklagte über die gezahlten 470,12 DM hinaus weitere 242,57 DM an sie auszahlt. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Beklagte berechtigt und verpflichtet war, diesen unstreitig rechnerisch richtig ermittelten Betrag als von der Klägerin zu tragende Lohnsteuern und Sozialabgaben einzubehalten und abzuführen.

I. Treuezulagen, die zweimal jährlich zusätzlich zum laufenden Entgelt im Hinblick auf die Beschäftigung in der Vergangenheit und der Höhe nach gestaffelt nach der ununterbrochenen Dauer der Beschäftigung ausgezahlt werden, sind steuerpflichtige Einkünfte im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG und beitragspflichtiges Arbeitsentgelt nach § 14 Abs. 1 SGB IV (vgl. für das Steuerrecht Littmann/Bitz/Meinecke, Das Einkommensteuerrecht, 14. Aufl., § 19 Rz 21, 23; Offerhaus/Schmidt, Lohnsteuerrecht für Arbeitgeber, 2. Aufl., Rz 35, Stichwort: Stetigkeitsprämien; für das Sozialversicherungsrecht: Sozialgesetzbuch, Sozialversicherung, GesKomm/Gurgel, § 14 SGB IV Anm. 2, S. 112).

Die vom Arbeitnehmer nach § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG zu tragende Einkommensteuer hat der Arbeitgeber nach § 38 Abs. 3 EStG vom Bruttoentgelt einzubehalten und abzuführen. Soweit der Arbeitnehmer nach den für die einzelnen Versicherungszweige geltenden Vorschriften die Beiträge zur Sozialversicherung zu tragen hat, hat der auch insoweit zahlungspflichtige Arbeitgeber einen durch Abzug von Arbeitsentgelt geltend zu machenden Erstattungsanspruch gegen den Arbeitnehmer (§ 28 g Sätze 1 und 2 SGB IV).

Im Frühjahr 1991, dem für die Abgabepflicht maßgeblichen Zeitpunkt des Zuflusses der Treuezulage (vgl. Littmann/Bitz/ Meinecke, aaO, § 19 Rz 22; Sozialgesetzbuch, Sozialversicherung, GesKomm/Gurgel, § 14 SGB IV Anm. 2, S. 114), galten die genannten gesetzlichen Bestimmungen auch im Beitrittsgebiet (Art. 8, 9 Einigungsvertrag i.V.m. Anl. I Kap. IV Sachgeb. B Abschn. II Nr. 16 und Anl. I Kap. VIII Sachgeb. F Abschn. III Nr. 1 Buchst. e, o). Sie waren damit auch auf die der Klägerin zu zahlende Treuezulage anwendbar.

II. Der sich hieraus ergebenden Befugnis der Beklagten, den geltend gemachten Teil der Treuezulage nicht an die Klägerin auszuzahlen, stehen die Bestimmungen im RKV-NVA nicht entgegen. Deren Inhalt verpflichtete die Beklagte nicht, die errechnete Treuezulage in voller Höhe an die Klägerin auszuzahlen.

1. Registrierte Rahmenkollektivverträge wirken ebenso wie die unter der Geltung des Tarifvertragsgesetzes zustandegekommenen Tarifverträge normativ (vgl. § 14 Abs. 2 AGB-DDR 1977). Sie sind deshalb auch wie diese nach den für die Gesetzesauslegung geltenden Grundsätzen in erster Linie vom Wortlaut her auszulegen. Aufgrund der anderen, um umfassende Regelung auch aller Einzelfälle bemühten Normsetzungstradition in der früheren DDR spricht viel dafür, die weiteren Grundsätze über die Auslegung von Tarifverträgen, was die Orientierung an der Regelungssystematik und am Sinn und Zweck der Regelung angeht (vgl. BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung), bei Rahmenkollektivverträgen nur zurückhaltend und bei deutlichen Anhaltspunkten im Wortlaut der Bestimmungen anzuwenden. Dies kann aber letztlich unentschieden bleiben. Im Wege der Auslegung läßt sich mit der Anlage 3 zum RKV-NVA in keinem Falle das von der Klägerin angestrebte Ziel erreichen.

2. Die Anlage 3 zum RKV-NVA enthält keine im Jahre 1991 das staatliche Abgabenrecht der Bundesrepublik Deutschland verdrängende Regelung dahin, daß auf die Treuezulage keine Steuern und Sozialabgaben zu zahlen wären.

a) Es ist schon sehr zweifelhaft, ob die Anlage 3 überhaupt eine eigenständige Regelung enthält. Es kann sich auch lediglich um eine Zusammenstellung des anderweit im staatlichen Abgabenrecht der früheren DDR Geregelten zur besseren Handhabung der im RKV-NVA vorgesehenen Geldleistungen für die Arbeitnehmer und Personalabteilungen handeln.

Für eine Zusammenstellung ohne eigenen Regelungswillen spricht die in die Form einer tabellarischen Aufstellung gekleidete vollständige Aufzählung aller geldwerten Zuwendungen nach dem RKV-NVA und der Umstand, daß die für die Besteuerung von Arbeitnehmern in erster Linie maßgebliche Verordnung vom 22. Dezember 1952 über die Besteuerung des Arbeitseinkommens (AStVO, GBl DDR S. 1413) keine Öffnungsklausel zugunsten von rahmenkollektivvertraglichen Regelungen über die Steuerpflicht enthält. Andererseits sind in der genannten Verordnung ebensowenig wie in den Anweisungen und Richtlinien hierzu Bestimmungen zu finden, aufgrund derer von einer Steuerfreiheit für Treuezulagen infolge staatlicher Normsetzung auszugehen wäre. Darüber hinaus kann es wegen der Mitwirkung des Staates beim Abschluß von Rahmenkollektivverträgen und insbesondere des für den staatlichen Steueranspruch zuständigen Ministeriums für Finanzen bei deren Registrierung nach dem Rechtsverständnis der früheren DDR statthaft gewesen sein, daß ein Rahmenkollektivvertrag, der eine bestimmte neue Zulage einführte, auch eine verbindliche Bestimmung über deren Abgabenpflichtigkeit traf (vgl. auch Lohnsteuertabellen für monatliche und tägliche Lohnzahlungen, bearbeitet von Balling, Berlin 1978, S. 7).

b) Die aufgeworfene Auslegungsfrage kann letztlich dahinstehen. Die Klägerin kann unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt in keinem Fall eine ungekürzte Auszahlung der Treueprämie verlangen.

Versteht man die Angaben in der Anlage 3 zum RKV-NVA als bloßen Hinweis auf das bei Abschluß des Rahmenkollektivvertrages geltende staatliche Steuer- und Sozialversicherungsrecht der früheren DDR, dann fehlt es bereits an einer rahmenkollektivvertraglichen Norm, die das an die Stelle des Rechts der früheren DDR getretene Abgabenrecht der Bundesrepublik Deutschland verdrängen könnte.

c) Nichts anderes gilt im Ergebnis dann, wenn man der Anlage 3 eine rechtsbegründende Regelung zur Abgabenfreiheit der Treuezulage entnimmt. Eine solche Regelung hätte nicht bis zur Ablösung des RKV-NVA durch die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst am 1. April 1991 fortbestanden. Sie unterfiele den für staatliches Recht geltenden Ablösungsregelungen des Einigungsvertrages und nicht der Bestimmung in der Anlage I zum Einigungsvertrag, die eine vorübergehende Fortgeltung rahmenkollektivvertraglicher Bestimmungen enthält (Kap. VIII Sachgeb. A Abschn. III Nr. 14).

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts bedarf es keines Rückgriffs auf den Staatsvertrag vom 18. Mai 1990. Kommt dem RKV-NVA konstitutive Bedeutung für die Abführung von Steuern und Sozialabgaben zu, so handelt es sich um staatliches Steuer- und Sozialversicherungsrecht, das wegen der staatlichen Beteiligung bei der Registrierung von Rahmenkollektivverträgen nach dem Recht der DDR vielleicht vorgekommen ist. Derartige Regelungen sind entsprechend den Vorschriften des Einigungsvertrages und der Anlagen hierzu spätestens zum 1. Januar 1991, und damit vor Fälligwerden der streitbefangenen Treuezulage, durch das Steuer- und Sozialversicherungsrecht der Bundesrepublik Deutschland abgelöst worden (Art. 8 und 9 Einigungsvertrag).

Es heißt zwar in der Maßgabe zu Nr. 14 der Anlage I Kap. VIII Sachgeb. A Abschn. III zum Einigungsvertrag, daß ein nach dem AGB der DDR registrierter Rahmenkollektivvertrag mit allen Nachträgen und Zusatzvereinbarungen bis zum Abschluß eines neuen Tarifvertrages weiter anzuwenden sei. Weiter wird dort bestimmt, daß ein Rahmenkollektivvertrag ganz oder teilweise außer Kraft tritt, soweit für denselben Geltungsbereich oder Teile desselben ein neuer Tarifvertrag in Kraft tritt, und daß Bestimmungen bisheriger Rahmenkollektivverträge, die im neuen Tarifvertrag nicht aufgehoben oder ersetzt werden, weiter gelten. Aus diesem Regelungszusammenhang folgt, daß der Einigungsvertrag eine Fortgeltung von Bestimmungen eines Rahmenkollektivvertrages nur dann anordnet, wenn es sich um den Tarifvertragsparteien offenstehende Regelungen der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen handelt. Nur in diesen Fällen kommt die Ablösung durch einen neuen, wirksamen Tarifvertrag in Betracht. Fehlt eine tarifvertragsrechtliche Regelungsmacht, müßte jede Ablösbarkeit einer entsprechenden rahmenkollektivvertraglichen Regelung ausscheiden.

Bei einer Regelung im RKV-NVA über das Bestehen oder Nichtbestehen der Steuer- und Sozialversicherungsbeitragspflicht handelt es sich um eine Disposition über den staatlichen Steueranspruch und den Beitragsanspruch der Versichertengemeinschaft. Hierüber können die Tarifvertragsparteien des Grundgesetzes nicht disponieren. Damit unterfiele eine entsprechende Regelung auch nicht der Fortgeltungsanordnung des Einigungsvertrages.

3. Die Angaben zur Treuezulage in der Anlage 3 RKV-NVA, entnimmt man ihr überhaupt einen Regelungswillen des RKV-NVA, können nicht als rahmenkollektivvertragliche Nettolohnzusage verstanden werden. Die Beklagte ist deshalb auch nicht verpflichtet, die Klägerin von einer kraft Gesetzes eingetretenen Pflicht freizustellen, Abgaben auf die Treuezulage zu zahlen.

a) Es ist möglich und zulässig, daß Partner eines Einzel- aber auch eines Kollektivvertrages vereinbaren, daß dem Arbeitnehmer ein bestimmtes Entgelt ohne Abzüge zufließen soll und der Arbeitgeber die an sich auf den Arbeitnehmer entfallenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge übernimmt und aus eigenen zusätzlichen Mitteln zugunsten des Arbeitnehmers abführt (BAGE 15, 168 = AP Nr. 15 zu § 670 BGB; BAG Urteil vom 18. Januar 1974 – 3 AZR 183/73 – AP Nr. 19 zu § 670 BGB; BAG Urteil vom 21. März 1990 – 5 AZR 227/89 –, n.v.; BAG Beschluß vom 18. Juni 1991 – 1 ABR 60/90 – NZA 1991, 903). Mit derartigen Regelungen werden nicht die abgabenrechtlichen Bestimmungen modifiziert, ob überhaupt auf ein bestimmtes Entgelt Abgaben zu zahlen sind. Diese Frage zu entscheiden obliegt allein dem staatlichen Gesetzgeber. Mit der Nettolohnabrede wird vielmehr die unbestrittene Abgabenpflicht im Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien zueinander allein auf den Arbeitgeber übertragen.

b) Für eine solche von der gesetzlichen Regelung abweichende Festlegung der Pflicht, die gesetzlich anfallenden Abgaben zu tragen, spricht nach Wortlaut und Systematik der Aussagen zur Treuezulage in der Anlage 3 zum RKV-NVA nichts. Schon der Wortlaut, mit dem die betreffenden Spalten in der Anlage 3 RKV-NVA überschrieben sind, sagt das Gegenteil. Wer die Frage, ob etwas lohnsteuerpflichtig und sozialversicherungsbeitragspflichtig ist, mit “nein” beantwortet, sagt damit nicht, das betreffende Entgelt solle dem Arbeitnehmer stets im Nominalbetrag zufließen, Steuern und Sozialabgaben habe der Arbeitgeber zu tragen. Hier handelt es sich vielmehr um einen Hinweis oder um eine Regelung dahin, daß weden der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer Abgabenpflichten hat. Dem entspricht es auch, daß die Klägerin nicht einmal behauptet, in der Vergangenheit seien seitens der Nationalen Volksarmee die an sich auf die Klägerin entfallenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zugunsten der Klägerin abgeführt worden.

c) Der strengen Trennung zwischen Abgabenpflicht und Abgabentragungspflicht, die für das Recht der Bundesrepublik Deutschland selbstverständlich ist, stehen keine besonderen Gesichtspunkte aus dem Recht der früheren DDR entgegen. § 127 AGB-DDR 1977 bestimmte ebenso wie das Recht der Bundesrepublik Deutschland, daß der Betrieb berechtigt und verpflichtet war, vom Lohn des Werktätigen Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge entsprechend den Rechtsvorschriften einzubehalten und abzuführen. Diese Pflicht galt, wie § 15 Abs. 3a AGB-DDR 1977 und die Anlage 3 zum RKV-NVA selbst zeigen, auch im Arbeitsverhältnis von Zivilbeschäftigten der Nationalen Volksarmee.

III. Eine Nettolohnzusage, was die am 1. Februar 1991 fällig gewordene Treuezulage angeht, ergibt sich für die Klägerin weder unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer ergänzenden Auslegung des RKV-NVA noch unter dem eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage.

1. Entnimmt man dem RKV-NVA eine rechtsbegründende Regelung über die Abgabenfreiheit der Treuezulage, ist dieser Rahmenkollektivvertrag nicht durch das Inkrafttreten des Abgabenrechts der Bundesrepublik Deutschland lückenhaft geworden. Die materiell dem staatlichen Abgabenrecht zuzuordnende Regelung im RKV-NVA wäre in diesem Fall rechtswirksam durch andere staatliche Normen abgelöst worden.

2. Es ist auch ausgeschlossen, die Abgabenfreiheit der Treuezulage als Geschäftsgrundlage der rahmenkollektivvertraglichen Regelung anzusehen, deren Wegfall eine Anpassung im Sinne einer Nettolohnzusage zur Folge haben könnte.

Sieht man in der Anlage 3 RKV-NVA eine eigenständige Regelung zur Abgabenfreiheit, kann die Abgabenfreiheit nicht zugleich Geschäftsgrundlage sein. Die Regelung als solche unterliegt der Ablösung nach den hierfür maßgeblichen Bestimmungen des Einigungsvertrages.

Versteht man die Aufstellung in der Anlage 3 nur als Hinweis auf die staatliche Gesetzeslage, wäre zwar denkbar, den Fortbestand dieser Gesetzeslage als Geschäftsgrundlage der Zusage der Treuezulage anzusehen. Es ist aber zweifelhaft, ob bei Gesetzesänderungen das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage überhaupt im Kollektivvertragsrecht und insbesondere auf Rahmenkollektivverträge angewendet werden kann. Regelmäßig wird es Sache der Kollektivvertragsparteien sein, einen durch eine veränderte Gesetzeslage eingetretenen unerwünschten Zustand in ihrem Sinne zu beseitigen (Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 154; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 30).

Eine Anpassung an die neue Gesetzeslage kann zumindest nicht in der Weise erfolgen, daß an die Stelle der ursprünglichen Abgabenfreiheit beider Arbeitsvertragsparteien die Belastung der Arbeitsvertragspartei tritt, die nach der Verteilungsentscheidung des Gesetzgebers diese Abgaben nicht zu tragen hat. Das Risiko, daß aufgrund einer Entscheidung des Gesetzgebers an die Stelle der zugrunde gelegten Abgabenfreiheit die Abgabenpflicht tritt, hat ohne abweichende Anhaltspunkte in der getroffenen Vereinbarung derjenige zu tragen, dem der Gesetzgeber die Lasten hieraus aufbürdet.

C. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

 

Unterschriften

Schaub, Schneider, Bepler, Dr. Reinfeld, Bruse

 

Fundstellen

Haufe-Index 845961

BB 1993, 2308

NZA 1994, 672

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