Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitszeitverkürzung bei Teilzeitbeschäftigung
Normenkette
BeschFG 1985 § 2 Abs. 1, § 6 Abs. 1-2; BGB § 134; GG Art. 3; EWGVtr Art. 119
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 10. Januar 1992 – 13 Sa 767/91 – aufgehoben.
2. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch der teilzeitbeschäftigten Klägerin auf anteilige Gewährung einer Arbeitszeitverkürzung, die dem Ausgleich besonderer Belastungen im Wechselschichtdienst dienen soll.
Die Klägerin ist bei der beklagten Rundfunkanstalt seit Februar 1987 als „gehobene Technikerin” in der Abteilung Produktionstechnik beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Einheitliche Manteltarifvertrag (eMTV) für den Deutschlandfunk vom 15. Juli 1976 Anwendung. Nach Ziff. 311 eMTV betrug die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden. Die mit der Klägerin vereinbarte Arbeitszeit betrug 20 Stunden in der Woche. Die Fußnote 12 zu Ziff. 311 eMTV lautet:
Die Tarifpartner stimmen darin überein, daß für Arbeitnehmer, die unter besonders erschwerten Arbeitsbedingungen tätig sind, eine von der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit abweichende Verkürzung der tatsächlichen Arbeitszeit durch Dienstplan festgelegt wird; dabei muß die tatsächliche wöchentliche Arbeitszeit mindestens auf 38 Stunden verringert werden. Aus einer so verkürzten Arbeitszeit kann der Arbeitnehmer bei einem Arbeitsplatzwechsel keine Ansprüche herleiten.
Durch Betriebs-Dienstvereinbarung ist festzulegen, welche Arbeitnehmer unter besonders erschwerten Arbeitsbedingungen tätig sind. Dabei sind Ort und Zeit sowie Art und Weise der Arbeitsleistung zu berücksichtigen.
In der Dienstvereinbarung vom 4./11. Februar 1981 i.d.F. vom 20. September 1983 (im folgenden: Dienstvereinbarung) haben der Personalrat und der Beklagte u.a. festgelegt:
1. Besonders erschwerte Arbeitsbedingungen im Sinne von Fußnote 12 zu TZ 311 eMTV gelten für:
1.1 …
1.2 Arbeit in Wechselschichten an allen Kalendertagen, wenn das in Kraft befindliche Dienstplanschema Schichten vorsieht, deren früheste um 06.00 Uhr oder früher beginnt und deren späteste um 22.00 Uhr oder später endet, und wenn jeder Mitarbeiter im Durchschnitt mindestens zwei Schichten pro Woche leisten muß, die um 06.00 Uhr oder früher beginnen oder um 22.00 Uhr oder später enden.
2. …
3. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erschwernisse werden bei den nachstehend aufgeführten Arbeitsbereichen besonders erschwerte Arbeitsbedingungen anerkannt.
…
3.2.1 Hauptabteilung Hörfunkbetriebstechnik
- …
- Produktionstechnik
…
7. Die Arbeitszeitverkürzung gilt nur für Mitarbeiter, die persönlich unter den Voraussetzungen der Ziffer 1. arbeiten und deren Pensum mindestens 51 % eines Vollzeitpensums beträgt.
Der eMTV wurde durch Tarifvertrag vom 7. September 1989 geändert. Danach beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit seit 1. September 1989 nur noch 38,5 Stunden. Die wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin beträgt seitdem 19.25 Stunden. Die Klägerin wird abwechselnd in einer Woche in drei, in der folgenden Woche in zwei Vollschichten eingesetzt.
Nach erneuter Änderung des eMTV durch Tarifvertrag vom 5. Juni 1990 bestimmt dieser u.a.:
I. …
II.
- Arbeitnehmer, die unter besonders erschwerten Arbeitsbedingungen gemäß der Fußnote 12 zu TZ 311.1 eMTV (311 a.F. eMTV) tätig sind, erhalten im Jahr 1990 insgesamt vier zusätzliche Freischichten und ab dem Jahr 1991 insgesamt fünf zusätzliche Freischichten …
- …
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr müßten diese Freischichten zeitanteilig gewährt werden. Ziff. 7 der Dienstvereinbarung sei, soweit darin Teilzeitbeschäftigte, deren Arbeitspensum unter 51 % eines Vollzeitpensums betrage, von der Leistung ausgeschlossen seien, wegen Verstoßes gegen § 2 Abs. 1 BeschFG unwirksam. Außerdem sei die Regelung nicht mit Art. 119 EWG-Vertrag vereinbar, da durch sie Frauen diskriminiert würden, die von Teilzeitarbeit in größerem Umfang betroffen seien als Männer. Für die unterschiedliche Behandlung gebe es keine sachlichen Gründe. Durch die ungünstige Lage der Wechselschichten seien beide Gruppen benachteiligt, wenn dies für die Teilzeitbeschäftigten auch nur zeitanteilig gelte. Bei beiden Arbeitnehmergruppen werde der normale Biorhythmus gestört, und beide würden durch die Wechselschichtarbeit vom sozialen Leben der sonstigen arbeitenden Bevölkerung ausgeschlossen.
Die Klägerin hat beantragt,
- den Beklagten zu verurteilen, ihr als Arbeitszeitverkürzungsausgleich für 1990 zwei freie Tage zu gewähren;
- den Beklagten zu verurteilen, ihr im Laufe des Jahres 1991 insgesamt 2,5 freie Schichten zu gewähren.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Unterscheidung sei nicht wegen der Teilzeitbeschäftigung erfolgt, sondern wegen der unterschiedlichen Arbeitsbelastungen. Die Erholungs- und Freizeit, die der nur hälftig beschäftigten Klägerin zur Verfügung stehe, reiche aus, etwaige Belastungen des Schichtdienstes auszugleichen. Dies sei bei Vollzeitkräften nicht der Fall. In der Dienstvereinbarung komme die für die rechtliche Beurteilung maßgebende übereinstimmende Auffassung von Personalrat und Beklagtem zum Ausdruck, daß ausgleichsfähige Belastungen erst ab einem Schwellenwert von 51 % des Vollzeitpensums entstünden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an des Berufungsgericht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat einen anteiligen Anspruch der Klägerin auf die in der Dienstvereinbarung vorgesehenen Freischichten abgelehnt, weil die nur halbtags beschäftigte Klägerin nicht zu den Mitarbeitern gehöre, denen der Anspruch auf diese Arbeitszeitverkürzung zustehe. Die von den Dienstpartnern in Ziff. 7 der Dienstvereinbarung festgesetzte Grenze erscheine vertretbar und genüge daher den Anforderungen, die an einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung gegenüber den Mitarbeitern mit mindestens 51 % eines Vollzeitpensums zu stellen seien.
II. Diese Ausführungen des angefochtenen Urteils halten der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nicht stand. Ob ein sachlicher Grund besteht, die teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer mit weniger als 51 % des Arbeitspensums eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers von der Gewährung von Freischichten auszuschließen, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Insoweit bedarf es weiterer tatrichterlicher Feststellungen.
1. Nach § 2 Abs. 1 BeschFG darf der Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, es sei denn, daß sachliche Gründe die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Dabei erstreckt sich das Gebot der Gleichbehandlung sowohl auf einseitige Maßnahmen als auch auf vertragliche Regelungen (ständige Rechtsprechung: BAG Teilurteil vom 25. Januar 1989 – 5 AZR 161/88 – BAGE 61, 43, 46 = AP Nr. 2 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 24. Oktober 1989 – 8 AZR 5/89 – BAGE 63, 181 = AP Nr. 29 zu § 11 BUrlG und zuletzt Senatsurteil vom 5. November 1992 – 6 AZR 420/91 – EzA § 2 BeschFG 1985 Nr. 24).
a) Die Klägerin wird wegen ihrer Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandelt.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gehört die Klägerin zu dem von Ziff. 1.2 und 3.2.1 b der Dienstvereinbarung erfaßten Personenkreis und verrichtet in der Produktionstechnik die gleichen Tätigkeiten wie ihre vollzeitbeschäftigten Kollegen; sie wird auch in vollen Schichten eingesetzt; die Arbeitsbedingungen unterscheiden sich nur durch die kürzere Arbeitszeit der Klägerin. Die Klägerin ist aber nach Ziff. 7 der Dienstvereinbarung von der Arbeitszeitverkürzung ausgeschlossen, weil ihr Arbeitspensum nicht mindestens 51 % eines vollzeitpensums beträgt.
b) Ob sachliche Gründe bestehen, die die unterschiedliche Behandlung der Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten rechtfertigen (§ 2 Abs. 1 BeschFG), läßt sich aufgrund der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilen.
Der Beklagte hat zur Rechtfertigung der Regelung ausgeführt, die besonderen Erschwernisse, die die Dienstvereinbarung in den genannten Bereichen ausgleichen wolle, lägen nur bei Arbeitnehmern vor, deren Arbeitspensum mindestens 51 % des Pensums Vollzeitbeschäftigter beträgt. Die amtliche Begründung für den Regierungsentwurf zum BeschFG 1985 nennt als mögliche Gründe für eine zulässige Schlechterstellung von Teilzeitkräften Arbeitsleistung, Qualifikation, Berufserfahrung, soziale Lage oder unterschiedliche Arbeitsplatzanforderung (RegE BT Drucksache 10/2102 S. 24). Diese Aufzählung ist nicht vollständig. Eine Ungleichbehandlung kann auch aus Gründen des Arbeitsschutzes, insbesondere aus arbeitsmedizinischen Gründen gerechtfertigt sein (Senatsurteil vom 9. Februar 1989 – 6 AZR 174/87 – BAGE 61, 77 = AP Nr. 4 zu § 2 BeschFG 1985).
Der vom Arbeitgeber behauptete Differenzierungsgrund muß objektiv vorhanden sein. Der Senat schließt sich damit der Rechtsprechung des Fünften Senats an (BAG Urteil vom 29. Januar 1992 – 5 AZR 518/90 – AP Nr. 18 zu § 2 BeschFG 1985, zu B II 3 c cc der Gründe). Ob ein nach § 2 Abs. 1 BeschFG die unterschiedliche Behandlung rechtfertigender Grund vorliegt, ist gerichtlich nachprüfbar. Bei dem sachlichen Grund handelt es sich um einen Rechtsbegriff. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt. Wie der Fünfte Senat zu Recht ausgeführt hat, müssen arbeitsmedizinische, arbeitswissenschaftliche oder andere Erkenntnisse vorliegen, aus denen der Differenzierungsgrund abzuleiten ist. Dabei ist unerheblich, ob sie dem Arbeitgeber bewußt sind.
Die Revision rügt zu Recht, daß das Landesarbeitsgericht den von dem Beklagten in der Berufungsbegründung vom 22. Oktober 1991 beantragten Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht erhoben hat. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, damit dieses die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nachholen kann. Dabei kommt es darauf an, ob durch den Wechselschichtdienst, der im Betrieb des Beklagten in der Produktionstechnik der Abteilung Hörfunkbetrieb praktiziert wird, eine Belastung entsteht, die mit der Dauer der Arbeitszeit überproportional ansteigt, so daß sie für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer unverhältnismäßig höher ist als für hälftig teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer. Weiter kommt es darauf an, ob die gesundheitlichen und sozialen Belastungen durch Wechselschichtdienst bei Vollzeitbeschäftigten deutlich größer sind als bei Teilzeitbeschäftigten mit einem Arbeitspensum von weniger als 51 % der Vollzeitbeschäftigten, so daß die Arbeitszeitverkürzung durch Gewährung von Freischichten an Vollzeitbeschäftigte ein angemessenes und vernünftiges Mittel darstellt, um die Belastungen auszugleichen.
Läßt sich das Vorhandensein des behaupteten Differnzierungsgrundes nicht nachweisen, geht dies zu Lasten des Arbeitgebers (vgl. BAG Urteil vom 29. Januar 1992 – 5 AZR 518/90 – AP, a.a.O., zu B II 3 c cc der Gründe). In diesem Fall ist Ziffer 7 der Dienstvereinbarung wegen Verstoßes gegen § 2 BeschFG nichtig (§ 134 BGB). Der Beklagte schuldet der Klägerin dann anteilig die für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer geregelte Arbeitszeitverkürzung.
2. Der Rechtsstreit kann nicht aus anderen Gründen vom Senat abschließend entschieden werden.
a) Der Beklagte kann sich zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung nicht auf § 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BeschFG berufen. Danach sind abweichende Vereinbarungen nur durch Tarifvertrag, nicht jedoch durch Dienstvereinbarung zulässig.
b) Den mit der Klage geltend gemachten Ansprüchen steht nicht entgegen, daß die Klägerin Freizeitausgleich für zurückliegende Jahre verlangt, der sich infolge Zeitablaufs nicht mehr realisieren läßt.
Hat die Klägerin ihre Ansprüche fristgerecht geltend gemacht, der Beklagte diese aber zu Unrecht versagt und konnten die Ansprüche der Klägerin für 1990 und 1991 daher nicht mehr fristgerecht erfüllt werden, muß der Beklagte der Klägerin aus dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzugs als Schadensersatz Freizeitausgleich auch noch nach Fristablauf gewähren. Insoweit kommen die Grundsätze zur Anwendung, die bei rechtswidriger Versagung von Urlaubsansprüchen gelten (BAG Urteil vom 7. November 1985 – 6 AZR 169/84 – BAGE 50, 124, 129 f. = AP Nr. 16 zu § 3 BUrlG Rechtsmißbrauch, zu 5 der Gründe). Die tatsächlichen Voraussetzungen dieses Anspruchs wird das Berufungsgericht gegebenenfalls prüfen müssen.
3. Verstößt die Ungleichbehandlung in Ziff. 7 der Dienstvereinbarung nicht gegen § 2 Abs. 1 BeschFG und Art. 3 Abs. 1 GG, kommt es weiter darauf an, ob Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag Anspruchsgrundlage für den Anspruch auf Herabsetzung der Arbeitszeit sein kann, weil ein Fall mittelbarer Frauendiskriminierung vorliegt. Insoweit wird auf die Hinweise des Fünften Senats im Urteil vom 29. Januar 1992 (– 5 AZR 518/90 – AP, a.a.O., zu B II 6 der Gründe) Bezug genommen.
III. Das Landesarbeitsgericht wird auch über die in der Revisionsinstanz entstandenen Kosten mitzuentscheiden haben.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Spiegelhalter, Wax
Fundstellen