Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag (EV)
Leitsatz (redaktionell)
Zum Nachschieben von Kündigungsgründen, wenn sich vor dem Nachschieben ein Personalrat installiert hat.
Normenkette
EV Anlage I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 15.02.1994; Aktenzeichen 1 Sa 229/93) |
ArbG Chemnitz (Urteil vom 10.12.1992; Aktenzeichen 1 Ca 516/92) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 15. Februar 1994 – 1 Sa 229/93 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin (geboren am 11. Oktober 1939) ist seit dem 1. August 1984 im Schuldienst des beklagten Landes als Lehrerin beschäftigt, und zwar an der Medizinischen Fachschule in N.; zu ihren Aufgaben gehörte die zweijährige Ausbildung von Krippenerzieherinnen, Zahnarzthelferinnen und Krankenschwestern. Für das Arbeitsverhältnis war zuletzt der Änderungsvertrag vom 23. Oktober 1991 maßgeblich; die Klägerin erhielt danach eine Vergütung von 1.984,– DM brutto monatlich.
Die Klägerin hat eine Ausbildung als Freundschaftspionierleiterin (Abschlußprüfung 1969) und als Diplom-Lehrerin für Staatsbürgerkunde. Daneben hat sie die Lehrbefähigung für die unteren Klassen der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule der DDR für die Fächer Werken und Kunsterziehung. Von 1976 bis 1990 war sie Lehrerin für Marxismus-Leninismus und besuchte 1971 die Bezirksparteischule. Von 1987 bis 1989 war sie ehrenamtliche Schulparteisekretärin. Mit Schreiben vom 10. Januar 1992 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1992 unter Berufung auf Kap. XIX Sachgeb, A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 der Anl. I zum Einigungsvertrag (künftig: Abs. 4 Ziff. 1 EV) mit der Begründung auf, die Klägerin sei wegen ihrer Tätigkeit nicht geeignet, die ihr anvertrauten Schüler zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu erziehen und dieses Erziehungsziel im Unterricht glaubwürdig zu vertreten. Zu dieser Kündigung hatte der Beklagte den Kreispersonalrat angehört, da seinerzeit ein Bezirkspersonalrat beim Oberschulamt Chemnitz noch nicht bestand. Letzterer konstituierte sich erst am 7. Februar 1992.
Die Klägerin hat geltend gemacht, aus der kurzfristigen ehrenamtlichen Funktion als Parteisekretärin könne nicht darauf geschlossen werden, sie sei persönlich ungeeignet, als Lehrerin an der Medizinischen Fachschule weiter tätig zu sein. Für dieses Amt sei sie durch den früheren Parteisekretär H. angeworben worden, ohne es für ihre Karriere auszunutzen. Sie habe ihre Tätigkeit zu einer Zeit ausgeübt, als alles staatliche Handeln an den Vorgaben der SED ausgerichtet gewesen sei, wobei eine Verweigerung die Abberufung zur Konsequenz gehabt hätte.
Außerdem seien die Darlegungen des Beklagten zur Aufgabe und Punktion des Parteisekretärs abstrakt und unzutreffend: Der Parteisekretär habe keine herausgehobene Lenkungs- und Kontrollfunktion gehabt, sei nicht Mitglied der Schulleitung gewesen, sondern die alleinige Verantwortung habe dem Schulleiter oblegen. Der Parteisekretär habe auch keinen Einfluß auf die Besetzung von Arbeitsplätzen gehabt, ebensowenig wie eine Überwachung des Direktors erfolgt sei; letzteres sei nur Aufgabe des Schulrats gewesen. Dem Parteisekretär habe auch nicht die Kontrolle der Pionierleiter oblegen; schließlich habe er keine Verantwortung für die politische Bildung an der Schule gehabt; es habe auch nicht zu seinen Aufgaben gehört, Namen nicht linientreuer Arbeitskollegen an die SED-Kreisleitung weiterzuleiten, eventuelle Disziplinarverfahren einzuleiten und Wehrkundeunterricht zu erteilen. Die Werbung für den militärischen Berufnachwuchs habe vielmehr den Klassenlehrern und nicht den Schulparteisekretären oblegen.
Außerdem habe der Beklagte das Mitbestimmungsverfahren nach den personalvertretungsrechtlichen Vorschriften nicht beachtet. Im Kündigungsschreiben werde die Kündigung nicht auf die Tätigkeit als ehrenamtlicher Parteisekretär gestützt, so daß es sich hierbei um ein unzulässiges Nachschieben von Kündigungsgründen handele.
Die Klägerin hat beantragt,
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 10. Januar 1992 nicht aufgelöst worden sei,
- für den Fall des Obsiegens den Beklagten zu verurteilen, sie bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreits als Lehrerin für Kunsterziehung und Werken weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag vorgetragen, die Klägerin habe als Parteisekretärin nach außen den SED-Staat mit all seinen Funktionen und Merkmalen repräsentiert. Sie habe schon mit der Übernahme des Amtes intensiv an der Vewirklichung der SED-Ziele mitgearbeitet. Zur Beendigung der Tätigkeit sei es nur aufgrund der Auflösung der SED-Organisation gekommen. Innerhalb der von der SED beeinflußten Schulorganisation habe der Schulparteisekretär eine herausgehobene Lenkungs- und Kontrollfunktion gehabt. Er sei immer Mitglied der Schulleitung gewesen, habe Mitspracherecht bei jeder politischen Entscheidung des Direktors und bei Auszeichnungen und Beförderungen gehabt; er habe den Direktor hinsichtlich der Durchsetzung der vorgegebenen politischen Ziele kontrolliert und überwacht, was auch hinsichtlich der Pionierleiter gelte. Er habe über das politische Klima der Schule an die SED-Kreisleitung zu berichten gehabt, und zwar unter Nennung der Namen bei nicht linientreuen Äußerungen. Der Parteisekretär sei für politische Inhalte der Pionierversammlungen, PDJ-Nachmittage, für Wehrunterricht usw. mitverantwortlich gewesen, ebenso wie für die Werbung für militärischen Berufsnachwuchs. Aufgrund dieser vielfältigen Aufgaben und Einflußnahmen im Sinne der SED-Bildungspolitik habe auch zur Berufung in diese Funktion eine Identifikation mit den Zielen der SED gehört, die in der Ausübung der Funktion durchgesetzt worden sei.
Die besondere Systemnähe der Klägerin zum SED-Regime werde auch dadurch deutlich, daß die Klägerin 14 Jahre Lehrerin für Marxismus-Leninismus gewesen sei. Die Kündigung werde ferner darauf gestützt, daß die Klägerin bereits in der Zeit von 1968 bis 1970 Parteisekretärin, von 1971 bis 1984 stellvertretende Parteisekretärin und in der Zeit von 1967 bis 1976 Kreisleitungsmitglied der FDJ gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht nach ihren Klageanträgen erkannt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung ist schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil ein wesentlicher Teil der Kündigungsgründe mangels Beteiligung des Bezirkspersonalrats (§§ 12, 79 PersVG DDR) als Kündigungsbegründung nicht verwertbar ist.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine – gleichlautende – Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Zwar sei ein langjähriger ehrenamtlicher Parteisekretär für eine Tätigkeit als Lehrer im Sinne der Bestimmungen des Einigungsvertrages persönlich nicht geeignet, weil er – wenn auch auf unterster Ebene – in besonderer Weise an der Bekämpfung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der BRD mitgewirkt habe, denn es habe zu seinen Aufgaben gehört, der Kreisleitung der SED monatlich über das politische Klima an der Schule zu berichten und Parteiversammlungen der Schulparteiorganisation zu leiten, wobei er als Bindeglied zwischen der SED und der Schule die Ziel vor Stellungen der Partei auch in der Schulorganisation durchzusetzen gehabt und den SED-Staat mit allen Funktionen und Merkmalen zu repräsentieren gehabt habe. Diese Funktionen habe die Klägerin aber nur kurzfristig von 1987 bis 1989 ausgeübt, so daß von einer besonderen Identifikation mit dem SED-Staat noch nicht ausgegangen werden könne. Etwas anderes folge auch nicht aus dem Besuch der Bezirksparteischule und der Erteilung des Unterrichts in Marxismus-Leninismus, weil der Besuch der Bezirksparteischule einer ständigen Übung entsprochen habe; auch die bloße Unterrichtserteilung von Fächern, die nach dem Schulsystem zu unterichten waren, ließen keinen Rückschluß auf eine Unterstützung des Unrechtsstaates durch die Klägerin zu. Die im Berufungsverfahren nachgeschobenen Kündigungsgründe könnten wegen fehlender Mitwirkung des Personalrats nicht verwertet werden.
II. Die gegenüber dieser Entscheidung angeführten Revisionsrügen greifen nicht durch.
Da die Klägerin als Lehrerin dem öffentlichen Dienst in den Beitrittsländern angehörte (Art. 20 Abs. 1 EV), wäre die Kündigung zulässig, wenn die Klägerin wegen mangelnder persönlicher Eignung nach Abs. 4 Ziff. 1 EV den Anforderungen nicht entspräche. Dazu sind in der einschlägigen Rechtsprechung des Achten und Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts (Urteile vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – AP Nr. 22 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen, m.w.N.; vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 248/93 –n.v.; vom 13. Oktober 1994 – 2 AZR 201/93 – NJ 1995, 161 und vom 13. Oktober 1994 – 2 AZR 261/93 –, beide auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen? vgl. dazu neuerdings auch BVerfG Beschluß vom 21. Februar 1995 – 1 BvR 1397/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) zum Nachweis einer solchen mangelnden Eignung aufgrund besonderer Identifikation des Lehrers mit den grundgesetzfeindlichen Zielen der SED bzw. von Entlastungstatsachen – kurz zusammengefaßt – folgende Grundsätze entwickelt worden:
Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die dann indiziert ist, wenn z.B. ein in der früheren DDR tätig gewesener Lehrer sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Positionen in Staat und Partei, die ein Lehrer seinerzeit innegehabt hat, können Anhaltspunkte für eine mangelnde Eignung sein. Allerdings erfordern Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 12 Abs. 1 GG) und im öffentlichen Dienst ergänzend Art. 33 Abs. 2 GG eine konkrete, einzelfallbezogene Würdigung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers, die sein Verhalten nach dem Beitritt der neuen Bundesländer unter Prüfung der Fähigkeit und inneren Bereitschaft einbezieht, seine dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung glaubwürdig wahrzunehmen (BVerfG Beschluß vom 21. Februar 1995 – 1 BvR 1397/93 –). Die Beweislast für den Nachweis der mangelnden persönlichen Eignung obliegt dem Arbeitgeber, wobei allerdings die Darlegungslast für be- und entlastendes Vorbringen abgestuft ist: Schon angesichts der Tatsache, daß zahlreiche Personalakten nach der sog. Wende „gesäubert” wurden, würden die Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers überspannt, wenn von ihm ohne konkretes Gegenvorbringen die detaillierte Darlegung verlangt würde, der mit der Umsetzung der grundgesetzfeindlichen SED-Ideologie beauftragte Funktionsträger habe im konkreten Fall die Funktion auch tatsächlich entsprechend diesen Zielen ausgeübt. Wie er im Einzelfall die Funktion tatsächlich ausübte, weiß der belastete Arbeitnehmer in aller Regel weitaus besser. Er hat sich deshalb zu der allgemeinen Funktionsbeschreibung konkret zu äußern. Das Maß der gebotenen Substantiierung von Entlastungsvorbringen hängt ebenfalls davon ab, wie sich die andere Seite darauf einläßt (§ 138 Abs. 2 ZPO). Es bedarf des Vortrages konkreter Entlastungstatsachen unter Benennung geeigneter Beweismittel. Der Arbeitgeber kann dann seine Ermittlungen auf die vorprozessual oder im Prozeß konkretisierten Tatsachen konzentrieren, wobei die Beweislast auch insoweit bei ihm verbleibt.
1. Es könnte zweifelhaft sein, ob dem Landesarbeitsgericht, das im übrigen von ähnlichen Überlegungen ausgegangen ist, zu folgen ist, wenn es bereits aufgrund der wenigen von ihm getroffenen Feststellungen zur Funktion des ehrenamtlichen Parteisekretärs bei einer langjährigen Wahrnehmung dieser Funktion eine persönliche Ungeeignetheit annimmt. Das Landesarbeitsgericht hat nämlich aus der allgemeinen Funktionsbeschreibung des Beklagten nur übernommen, es gehöre zu den Aufgaben des Parteisekretärs, der Kreisleitung der SED monatlich über das politische Klima an der Schule zu berichten, Parteiversammlungen der Schulparteiorganisation zu leiten und auf diese Weise als Bindeglied zwischen SED und der Schule die Zielvorstellungen der Partei durchzusetzen sowie den SED-Staat mit allen Funktionen und Merkmalen zu repräsentieren. Die weitere, vom Beklagten behauptete und von der Klägerin im einzelnen bestrittene Funktionsbeschreibung, nämlich der Schulparteisekretär habe ein Mitspracherecht bei politischen Entscheidungen der Schule, bei Beförderungen und Auszeichnungen gehabt, habe den Direktor kontrolliert und überwacht, habe die Verantwortung für die politische Bildung – auch gegenüber den Freundschaftspionierleitern – gehabt, sei für die Einleitung von Disziplinarverfahren zuständig gewesen, habe Einfluß auf die Elternbeiräte ausgeübt und sei verantwortlich für den militärischen Nachwuchs gewesen, hat das Landesarbeitsgericht seiner Entscheidung nicht zugrundegelegt und insofern keine für den Senat nach § 561 ZPO verbindlichen Feststellungen getroffen.
Hier müßte außerdem noch berücksichtigt werden, daß die Klägerin an einer medizinischen Fachschule bei der Ausbildung von Krippenerziehern, Zahnarzthelferinnen und Krankenschwestern, also in der Erwachsenenbildung tätig war. Bei Erwachsenen dürfte eher als bei Jugendlichen – wobei allerdings entscheidend immer noch das Verhalten des Lehrers wäre – von einer eigenständigen Meinungsbildung – auch in politischen Dingen – auszugehen sein, so daß eine Indoktrination weniger wahrscheinlich ist; jedenfalls paßt das übliche Parteisekretär-Bild (Verantwortung für Inhalte von Pionierversammlungen, FDJ-Nachmittagen, Wehrunterricht, Werbung für militärischen Nachwuchs usw.) auf den vorliegenden Schultypus nicht.
2. Hierauf braucht indessen nicht abgestellt zu werden, denn dem Landesarbeitsgericht ist jedenfalls darin zu folgen, eine Kündigung der Klägerin komme deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin die Funktion als Parteisekretär nur kurzfristig ausgeübt habe. Die Klägerin hat nach den für den Senat verbindlichen Feststellungen (§ 561 ZPO) das Amt einer Parteisekretärin nur von 1987 bis 1989, also nur während einer Wahlperiode ausgeübt. Eine solche kurzfristige Funktionswahrnehmung wird in der einschlägigen Rechtsprechung (BAG Urteile vom 4. November 1993 – 8 AZR 127/93 – EzA Art. 20 Einigungsvertrag Nr. 28, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen und vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 248/93 – n.v.; Senatsurteil vom 13. Oktober 1994 – 2 AZR 201/93 –, a.a.O.) nicht als Indizierung einer besonderen Identifikation mit den SED-Zielen angesehen. Die Rechtsprechung hat für die von ihr vorausgesetzte Identifizierung mit den SED-Zielen eine wiederholte Wahl zum Parteisekretär gefordert, woran es hier fehlt.
3. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht auch in dem weit zurückliegenden Besuch der Bezirksparteischule (1971) keine besondere Identifikation mit dem SED-Staat gesehen, zumal es seinerzeit noch keine Kreisparteischule gab, so daß der Besuch der Bezirksparteischule dem für SED-Mitglieder Üblichen entsprach und nahezu obligatorisch war (vgl. BAG Urteil vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 168/93 –, n.v., zu II 4 b der Gründe). Ebensowenig ist in der Erteilung von Unterricht in Marxismus-Leninismus und Staatsbürgerkunde vorliegend ein besonders belastender Umstand zu sehen. Das Landesarbeitsgericht hat darauf hingewiesen, es habe sich um Fächer gehandelt, die nach dem Schulsystem zu unterrichten waren und nicht auf eine – hier hinzugefügt: besondere – Unterstützung des Unrechtsstaates Rückschlüsse zuließen. Die Klägerin sei mit der Erteilung dieses Unterrichts nur den Vorgaben des Staates nachgekommen, wobei der Beklagte selbst darauf hinweise, daß nach dem Lehrplanwerk der Akademie der pädagogischen Wissenschaften der DDR aus dem Jahre 1988 Hauptanliegen des Faches Marxismus-Leninismus war, die Schüler systematisch in ausgewählte Probleme der marxistisch-leninistischen Philosophie einzuführen; gerade diese theoretische Unterrichtung über eine philosophische Richtung könne aber nicht gleichgesetzt werden mit einem aktiven Tun für die SED und das damalige System; insoweit könne das Fach Marxismus-Leninismus und auch das Fach Staatsbürgerkunde nicht anders bewertet werden als z.B. das Fach Geschichte. Ob dem in dieser Allgemeinheit beigetreten werden kann, braucht nicht vertieft zu werden. Jedenfalls genügt die bloße Unterrichtung „ideologiebefrachteter” Fächer wie Geschichte und Staatsbürgerkunde für die Annahme einer besonderen Identifikation mit dem SED-Staat nicht (BAG Urteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 710/92 –, n.v.). Bei langjähriger Vermittlung von Lehrinhalten des Staatsbürgerkunde-Lehrplans kann allerdings eine Identifikation mit den Zielen des SED-Staates im Falle des Hinzutretens weiterer Umstände in Betracht kommen (BAG Urteil vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 24/93 –, n.v., zu III 2 c cc der Gründe) und deshalb eine Indizierung persönlicher Nichteignung möglich sein. Auf derartige weitere Umstände, wie sie der Beklagte erstmals anläßlich der Berufungsverhandlung vorgetragen hat, kann er sich nicht mit Erfolg berufen.
4. Soweit der Beklagte nunmehr die Tätigkeit der Klägerin als ehrenamtliche Parteisekretärin von 1968 bis 1970, als stellvertretende Parteisekretärin von 1971 bis 1984 sowie die Eigenschaft als Kreisleitungsmitglied der FDJ in den Jahren 1967 bis 1976 als weitere Kündigungsbegründung herangezogen hat, ist dem Landesarbeitsgericht darin zu folgen, daß der beklagte Freistaat aus personalvertretungsrechtlichen Gründen gehindert ist, diese Vervollständigung des Kündigungssachverhaltes nachzuschieben. Denn erst das Nachschieben würde dem bisher nicht ausreichenden Kündigungsgrund – sofern die erwähnten Tätigkeiten von Aufgabenstellung und Funktion her gesehen unstreitig wären oder noch festgestellt würden – das Gewicht eines tragenden Kündigungsgrundes im Sinne fehlender persönlicher Eignung geben. Dem Landesarbeitsgericht ist insofern zuzustimmen, daß es sich bei der Erstreckung auf die weitergehenden Zeiträume der Parteisekretärfunktion um eine zusätzliche Kündigungsbegründung und nicht nur um eine Umschreibung des bereits bestehenden Kündigungssachverhaltes handelt, weil dieser wesentlich durch die Dauer und die konkreten Zeiträume der ausgeübten Parteisekretärtätigkeit geprägt wird.
a) Bestand im Kündigungszeitpunkt keine Personalvertretung, wohl aber im Zeitpunkt des Nachschiebens der Kündigungsgründe, so stellt sich die Frage, ob das Nachschieben zur Zeit der Kündigung bereits bestehender Kündigungsgründe stets eine Beteiligung der Personalvertretung voraussetzt. Der Achte Senat des BAG verneint dies für den Fall, daß der Arbeitgeber schon im Kündigungszeitpunkt Kenntnis von den nachgeschobenen Kündigungsgründen hatte (Urteile vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 613/92 –, n.v. und vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 248/93 –, n.v.). Dahinter steht die Überlegung, da bei Ausspruch der Kündigung keine Personalvertretung bestanden habe, sei zu allen die Kündigung aus der Sicht des Arbeitgebers rechtfertigenden Gründen im Kündigungszeitpunkt die Beteiligung einer Personalvertretung nicht erforderlich gewesen; ob der Arbeitgeber alle aus seiner Sicht bestehenden Kündigungsgründe in dem sich anschließenden Kündigungsschutzverfahren sofort geltend mache oder einzelne Gründe erst später nachschiebe, bleibe dann seiner Entscheidung vorbehalten.
b) Auch bei Kündigungsgründen, die dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung bekannt waren und die ihn zur Kündigung veranlaßten, bestehen nach Auffassung des Senats Bedenken, ob dem in dieser Allgemeinheit gefolgt werden kann. Dies kann jedoch offen bleiben. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Beklagte trotz Kenntnis des ergänzenden Kündigungssachverhalts zur Zeit des Kündigungsausspruchs (S. 10, 11 der Entscheidungsgründe) hierauf die Kündigung nicht – auch nicht gegenüber dem an sich unzuständigen Kreispersonalrat – gestützt, was auch die Klägerin in ihrer Revisionserwiderung zutreffend geltend macht. Dieser Sachverhalt war gerade nicht Grundlage seines Kündigungsentschlusses.
Der Achte Senat beschränkt ebenfalls seine Rechtsprechung zur Nicht-Notwendigkeit der Beteiligung des inzwischen gebildeten Bezirkspersonalrats auf Fälle, in denen der Arbeitgeber im Prozeß die Kündigungsgründe nicht völlig auswechselt (Urteil vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 613/92 –, n.v., zu B I 3 der Gründe). Es spricht schon viel dafür, einen der Auswechslung von Kündigungsgründen gleichstehenden Fall auch dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber mit der Schilderung zahlreicher zusätzlicher Aktivitäten die Begründung mangelnder persönlichen Eignung erst nachträglich dergestalt anreichert, daß sie nun erst das tragende Gewicht eines Kündigungsgrundes erhält. Der Beklagte hat sich hier auf eine weitere Parteisekretärtätigkeit von 1968 bis 1970 und stellvertretend von 1971–1984 sowie die Eigenschaft als Kreisleitungsmitglied der FDJ in den Jahren 1967 bis 1976 berufen. Damit würde – so denn dieser Sachvortrag unstreitig wäre – eine langjährige und später fortgesetzte Parteisekretärtätigkeit vorliegen, die den bisherigen Kündigungsvorwurf in eine in völlig anderen Licht erscheinen ließe. Damit stünde das Nachschieben solcher Kündigungsgründe im Ergebnis dem Ausspruch einer neuen Kündigung gleich. In letzterem Falle bedürfte es unzweifelhaft der Beteiligung des inzwischen konstituierten Bezirkspersonalrats (§§ 72, 79 PersVG-DDR). Auch ein Nachschieben von Kündigungsgründen ist nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. u.a. Urteile vom 1. April 1901 – 7 AZR 1003/78 – BAGE 35, 190 = AP Nr. 23 zu § 102 BetrVG 1972 und vom 11. April 1985 – 2 AZR 239/84 – BAGE 49, 39 = AP Nr. 39, a.a.O.; siehe ferner KR-Etzel. 3. Aufl., § 102 BetrVG Rz 187 f.; Lorenzen/Haas/Schmitt/Etzel, BPersVG, § 79 Rz 156) nur möglich, wenn zuvor der Betriebs- oder Personalrat auch zu den nachgeschobenen Gründen angehört worden ist. Dies folgt nach der erwähnten Rechtsprechung aus Sinn und Zweck des § 102 BetrVG bzw. den entsprechenden personalvertretungsrechtlichen Vorschriften, nämlich dem Betriebs- oder Personalrat einen Einfluß auf die Entscheidung des Arbeitgebers einzuräumen und diesen gegebenenfalls davon abzuhalten, die Kündigung auch auf diese Gründe zu stützen. Es entspricht ferner dem Grundsatz der Prozeßökonomie. Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer Kündigung möglichst in einem Kündigungsschutzprozeß zu konzentrieren und eine sonst erforderliche erneute Kündigung nach erfolgter Anhörung zu den nachträglich bekannt gewordenen Kündigungsgründen zu vermeiden (so ausdrücklich Senatsurteil vom 11. April 1985, a.a.O.).
Auch der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts geht davon aus (Urteil vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 24/93 – n.v., zu B III 2 a der Gründe), Sinn der Anhörung des Personalrats sei es, ihm einen Einfluß auf die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers zu geben; dieser Zweck werde durch eine nachträgliche Anhörung indessen nicht mehr erreicht, wenn in diesem Zeitpunkt die Kündigungsentscheidung auf der Grundlage vollständig bekannter Gründe in die Tat umgesetzt sei. Zur Grundlage seiner Entscheidung hat der Beklagte aber vorliegend nur die Tätigkeit als Parteisekretärin von 1987 bis 1989 und als Staatsbürgerkundelehrerin gemacht, wie der Mitteilung über die Kündigungsabsicht vom 2. Dezember 1991 und dem Kündigungsschreiben vom 10. Januar 1992 zu entnehmen ist. In letzterem wird auf das Ergebnis der Ermittlungen Bezug genommen und nur die Tätigkeit als Lehrerin für Marxismus-Leninismus zur Begründung der Kündigung herangezogen, obwohl dem Beklagten alle anderen Umstände bekannt waren. Will der Arbeitgeber diese Grundlage in wesentlichen Punkten ändern, ergänzen oder austauschen, so muß wie bei einer erneut auszusprechenden Kündigung dem Betriebs- bzw. Personalrat die Möglichkeit gegeben werden, auf den Entschluß des Arbeitgebers Einfluß zu nehmen, solche Kündigungsgründe in den Prozeß über die Wirksamkeit der Kündigung nachträglich einzuführen. Jede andere Entscheidung würde es dem Arbeitgeber ermöglichen, ohne Beteiligung des (inzwischen gebildeten) Personalrats mit dem Mittel des Nachschiebens von Kündigungsgründen im Ergebnis eine mitbestimmungsfreie Kündigung durchzusetzen. Das ist mit Sinn und Zweck der §§ 72, 79 PersVG-DDR nicht zu vereinbaren.
Es muß daher bei der obigen Würdigung (zu II 3 der Gründe) verbleiben, daß mangels Hinzutretens weiterer Umstände, die die besondere Identifikation mit dem SED-Staat nahelegen, die Kündigung der Klägerin nach Abs. 4 Ziff. 1 EV nicht gerechtfertigt ist.
5. Mit der Rechtskraft dieser Entscheidung hat sich der Weiterbeschäftigungsanspruch, der auf die Prozeßdauer beschränkt ist, erledigt, sodaß über ihn nicht mehr zu befinden war.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Bröhl, Rupprecht, Engelmann
Fundstellen
Haufe-Index 1093180 |
BB 1995, 1092 |
BB 1995, 1411 |