Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung von Rente auf tarifliches Übergangsgeld

 

Orientierungssatz

Für vor dem 1. Januar 1982 beendete Arbeitsverhältnisse gilt § 42 SchwbG alter Fassung; er verbietet die in § 63 Abs 5 BAT vorgesehene Anrechnung von Renten auf das Übergangsgeld (Bestätigung von BAG Urteil vom 16.11.1982, 3 AZR 177/82 = BAGE 40, 355).

 

Normenkette

SchwbG § 42; BAT § 63 Abs. 5

 

Verfahrensgang

ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 24.01.1984; Aktenzeichen 1 Ca 1963/83)

 

Tatbestand

Die am 21. März 1920 geborene Klägerin war seit dem Jahre 1965 als Verwaltungsangestellte bei dem beklagten Landkreis beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis kamen die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) zur Anwendung. Die Klägerin war als Schwerbehinderte anerkannt. Das Arbeitsverhältnis endete am 31. Dezember 1981, nachdem die Klägerin Altersruhegeld beantragt und das Arbeitsverhältnis fristgemäß gekündigt hatte. Seit dem 1. Januar 1982 bezieht die Klägerin vorgezogenes Altersruhegeld.

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte berechtigt war, das an die Klägerin gezahlte Übergangsgeld gemäß §§ 62 ff. BAT, das er mit 14.289,84 DM errechnet hatte, um den Betrag von 10.439,20 DM wegen des Bezugs der Rentenleistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes zu kürzen. Die Klägerin leugnet die Zulässigkeit der Kürzung und beruft sich dafür auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. November 1982 - 3 AZR 177/82 - BAG 40, 355 = AP Nr. 8 zu § 42 SchwbG. Sie hat beantragt,

den beklagten Landkreis zu verurteilen, an die

Klägerin 10.439,20 DM nebst 4 % Zinsen seit

dem 15. April 1982 zu zahlen.

Der beklagte Landkreis hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er sieht die Berechtigung für die vorgenommene Kürzung in § 63 Abs. 5 BAT und in der aufgrund von Art. 6 des Zweiten Haushaltsstrukturgesetzes vom 22. Dezember 1981 am 1. Januar 1982 in Kraft getretenen Änderung des § 42 SchwbG. Die zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts sei nicht überzeugend, weil bei der tariflichen Anrechnungsvorschrift für die Frage des Anrechnungsverbots auf den jeweiligen Zahlungszeitpunkt abgestellt werden müsse.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Sprungrevision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klagabweisung weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist zulässig.

1. Gegen das Urteil eines Arbeitsgerichts kann unter Übergehung der Berufungsinstanz unmittelbar die Revision (Sprungrevision) eingelegt werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie vom Arbeitsgericht auf Antrag im Urteil zugelassen wird. Die Zustimmung des Gegners ist der Revisionsschrift beizufügen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 und 3 ArbGG). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

2. Die Zulassung der Revision durch das Arbeitsgericht ist wirksam.

Das Revisionsgericht ist nach § 76 Abs. 2 Satz 2 ArbGG an die Zulassung gebunden. Es darf nicht nachprüfen, ob die Zulassung auf einer fehlerhaften Beurteilung der Rechtslage beruht, ob zum Beispiel eine Grundsatzfrage vorliegt und entscheidungserheblich sein kann. Dagegen ist das Revisionsgericht nicht der Prüfung enthoben, ob die gesetzlichen Mindestvoraussetzungen der Zulassung nach den Nummern 1 bis 3 des § 76 Abs. 2 Satz 1 ArbGG vorliegen (BAG 40, 355, 356 f. = AP Nr. 8 zu § 42 SchwbG, zu I 2 der Gründe).

Demnach kommt es nicht darauf an, ob das Arbeitsgericht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache annehmen durfte, obwohl das Bundesarbeitsgericht die entscheidungserhebliche Streitfrage in seiner Entscheidung vom 16. November 1982 (BAG 40, 355, aaO) bereits geklärt hatte und abweichende Gerichtsentscheidungen nach diesem Zeitpunkt nicht ergangen sind. Entscheidend ist allein, ob das Arbeitsgericht die grundsätzliche Bedeutung bejaht hat. Das hat es nach der von ihm angeführten Begründung ersichtlich tun wollen. Auch betrifft der Rechtsstreit die Auslegung eines Tarifvertrages, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk des Landesarbeitsgerichts hinaus erstreckt (§ 76 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG), wie das Bundesarbeitsgericht in dem parallel gelagerten Fall BAG 40, 355 bereits ausgeführt hat.

II. Die Revision ist jedoch unbegründet. Der Klägerin steht der eingeklagte Betrag nebst Zinsen zu. Denn der beklagte Landkreis war nicht berechtigt, das der Klägerin zustehende Übergangsgeld gemäß § 63 Abs. 5 Satz 1 und 2 BAT zu kürzen.

1. Die Klägerin erfüllt nach Lebensalter und Beschäftigungsdauer die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 BAT für die Gewährung von Übergangsgeld. Ihre Kündigung erfolgte wegen der Erfüllung der Voraussetzungen zum Bezuge des Altersruhegeldes nach § 25 Abs. 1 AVG und wirkt sich daher nicht anspruchsvernichtend aus (§ 62 Abs. 2 Buchst. b, Abs. 3 Nr. 1 d BAT). Die Höhe des Übergangsgeldes ist mit dem Vierfachen der Monatsvergütung der Klägerin nach der Vorschrift des § 63 BAT richtig berechnet. All das ist zwischen den Parteien außer Streit.

2. Das Arbeitsgericht hat in Anwendung der bereits angeführten Entscheidung des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 16. November 1982 (BAG 40, 355, aaO) zutreffend erkannt, daß sich im Entscheidungsfall die Frage der Anrechnung von Versorgungsrenten gemäß § 63 Abs. 5 BAT nicht nach der ab dem 1. Januar 1982 geltenden Fassung des § 42 SchwbG, sondern nach § 42 SchwbG in der Fassung vom 29. April 1974 (BGBl. I, S. 1006) und 8. Oktober 1979 (BGBl. I, S. 1649) - im folgenden § 42 SchwbG a.F. - richtet. Die Ausführungen der Revision geben dem erkennenden Senat keinen Anlaß, von der angeführten Rechtsprechung des Dritten Senats abzuweichen.

a) In § 63 Abs. 5 Satz 1 BAT ist vorgesehen, daß ein Angestellter, der nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, nur den Unterschiedsbetrag zwischen Rente und seinem letzten Gehalt als Übergangsgeld ausgezahlt erhält. Das gleiche gilt nach § 63 Abs. 5 Satz 2 BAT für Renten aus einer Versorgungseinrichtung, zu der der Arbeitgeber die Mittel ganz oder teilweise beigesteuert hat, also u.a. auch für Renten aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes.

Das Bundesarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung die Vorschrift des § 63 Abs. 5 Satz 1 BAT insoweit für rechtsunwirksam gehalten, als sie sich auf das vorgezogene Altersruhegeld von Schwerbehinderten bezieht; auch die Anrechnung der VBL-Rente sei insoweit unzulässig (Urteil vom 10. Mai 1978 - 4 AZR 740/76 - AP Nr. 1 zu § 42 SchwbG; BAG 37, 245, 249 = AP Nr. 2 zu § 42 SchwbG; BAG Urteil vom 13. Juli 1982 - 3 AZR 576/80 - AP Nr. 3 zu § 42 SchwbG, unter 4 der Gründe; Urteil vom 16. November 1982 - 3 AZR 454/80 - AP Nr. 6 zu § 42 SchwbG, unter II 1 der Gründe; BAG 40, 355, 358, aaO, zu III 2 a der Gründe; Urteil vom 16. November 1982 - 3 AZR 160/82 - AP Nr. 9 zu § 42 SchwbG, unter II 3 der Gründe). Das Bundesarbeitsgericht hat dies damit begründet, daß nach § 42 SchwbG a.F. bei der Bemessung des Arbeitsentgeltes und der Dienstbezüge Renten eines Schwerbehinderten und vergleichbare Leistungen, die wegen der Behinderung bezogen werden, nicht berücksichtigt werden dürfen und es vor allem unzulässig ist, sie ganz oder teilweise auf das Arbeitsentgelt oder die Dienstbezüge anzurechnen. Der Gesetzgeber habe auf diese Weise sicherstellen wollen, daß die dem Schwerbehinderten zum Ausgleich seiner Leiden gewährten Sozialleistungen nicht mit dem vom Arbeitgeber geschuldeten Arbeitsentgelt verrechnet werden. Das Bundesarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung angenommen, daß das Übergangsgeld nach den §§ 62 bis 64 BAT zum Arbeitsentgelt im Sinne des § 42 SchwbG a.F. zähle (BAG Urteil vom 13. Juli 1982 - 3 AZR 576/80 - AP Nr. 3 zu § 42 SchwbG, unter 3 der Gründe m.w.N.) und daß vorgezogenes Altersruhegeld für Schwerbehinderte (§ 1248 Abs. 1 RVO, § 25 Abs. 1 AVG, § 48 Abs. 1 RKG) zu den nicht anrechnungsfähigen Renten gehöre, weil es wegen der Behinderung bezogen werde (BAG Urteile vom 10. Mai 1978 - 4 AZR 740/76 - AP Nr. 1 zu § 42 SchwbG und vom 16. November 1982 - 3 AZR 454/80 - AP Nr. 6 zu § 42 SchwbG, zu II 1 der Gründe). Dasselbe gelte für die entsprechenden Renten aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes.

b) Diese Rechtslage ist durch Art. 6 des Zweiten Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur vom 22. Dezember 1981 (BGBl. I, S. 1523) geändert worden. Seit dem 1. Januar 1982 gilt das Anrechnungsverbot des § 42 SchwbG nur noch für Arbeitsentgelte und Dienstbezüge, soweit sie aus "bestehenden Beschäftigungsverhältnissen" herrühren. Hierzu gehört das Übergangsgeld nach §§ 62 ff. BAT nicht, wie der erkennende Senat durch Urteil vom 11. Dezember 1985 - 7 AZR 254/84 - in Übereinstimmung mit den Urteilen des Dritten Senats vom 16. November 1982 (BAG 40, 355, aaO) und vom 21. August 1984 (- 3 AZR 565/83 - BAG 46, 245, 248 = AP Nr. 13 zu § 42 SchwbG, zu I 2 b der Gründe) entschieden hat. In seiner Neufassung steht deshalb § 42 SchwbG der in § 63 Abs. 5 BAT vorgeschriebenen Anrechnung der vorgezogenen Altersrenten nicht mehr entgegen.

c) Für den Streitfall ist mithin entscheidend, ob die Ansprüche der Klägerin bereits von der dargestellten Neuregelung erfaßt werden. Das ist nicht der Fall.

Der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seinem angeführten Urteil vom 16. November 1982 (BAG 40, 355, aaO) entschieden, daß die Neuregelung noch nicht für Angestellte gilt, deren Arbeitsverhältnis vor dem 1. Januar 1982 geendet hat. Auch dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.

Entgegen der Auffassung der Revision kommt es auf den von ihr in den Vordergrund gestellten Gesichtspunkt, der Anspruch auf Übergangsgeld entstehe nicht bereits am letzten Tage des Arbeitsverhältnisses, weil er für eine Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt werde, nicht entscheidend an. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen einer Rückwirkung (vgl. hierzu insbes. BAG 46, 245, m.w.N.) bestimmt der Gesetzgeber selbst, welche Sachverhalte er durch eine Neuregelung erfassen will. Die Frage, ob die Neuregelung auch schon Übergangsgeldansprüche aus einem am 31. Dezember 1981 beendeten Arbeitsverhältnis erfaßt, ist deshalb durch Auslegung des Gesetzes und insbesondere seiner Inkrafttretensregelung zu entscheiden. Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, wann der Übergangsgeldanspruch der Klägerin entstanden ist, käme es daher nach Ansicht des erkennenden Senats nur an, wenn die Auslegung des Gesetzes ergeben würde, daß es selbst gerade auf das Entstehen des Anspruchs abstellt, daß es also nur nach dem 31. Dezember 1981 entstandene Ansprüche erfassen wollte. Hierfür fehlt jeder Anhaltspunkt; das Zweite Haushaltsstrukturgesetz sagt lediglich, die Neufassung des § 42 SchwbG trete am 1. Januar 1982 in Kraft.

Für die mithin erforderliche Auslegung dieser Inkrafttretensregelung ist nach Auffassung des erkennenden Senats ausschlaggebend, daß ein Gesetz, das sich Geltung für Sachverhalte beilegen will, deren möglicherweise entscheidende Tatbestandsmerkmale schon vor Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten sind, hinreichend deutlich machen muß, für welche Sachverhalte es dies tun will. Im Zweifel ist deshalb ein Gesetz hinsichtlich seiner Rückwirkung eng auszulegen. Auch unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte (vgl. insbesondere BT-Drucks. 9/842, S. 52) ergibt die Neufassung des § 42 SchwbG keinen Anhalt dafür, daß sie bereits in Übergangsgeldansprüche aus Arbeitsverhältnissen eingreifen will, die im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bereits beendet waren.

3. Da schon aus diesem Grunde der angeführten Rechtsprechung des Dritten Senats im Urteil vom 16. November 1982 (BAG 40, 355, 360, aaO, zu III 3 der Gründe) zu folgen ist, erweist sich die Revision als unbegründet. Sie war daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Dr. Seidensticker Roeper Dr. Steckhan

Imdahl Dr. Gentz

 

Fundstellen

Dokument-Index HI441230

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