Entscheidungsstichwort (Thema)
Gratifikation und Gleichbehandlung
Orientierungssatz
1. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, bei freiwilligen Leistungen die Leistungsvoraussetzungen so abzugrenzen, daß kein Arbeitnehmer hiervon aus sachfremden oder willkürlichen Gründen ausgeschlossen bleibt. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine Differenzierung nicht finden läßt.
2. Die Bestimmung der Höchstgrenze der freiwilligen Leistungen durch Anknüpfung an die jeweilige Festvergütung der Arbeitnehmer (Tariflohn/Tarifgehalt plus fester übertariflicher Vergütungsbestandteil) ist nicht sachwidrig und willkürlich, auch wenn damit ein Teil der Arbeitnehmer eine effektive Monatsvergütung erhält und ein anderer Teil einen Betrag unter seinem Effektivlohn bekommt.
3. Auslegung des § 12 des Einheitlichen Manteltarifvertrages für die Kühlhäuser und Eisfabriken in Nordrhein- Westfalen vom 3.7.1980.
Normenkette
TVG § 1; BGB §§ 242, 611
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 14.10.1985; Aktenzeichen 17 (13) (4) 965/85) |
ArbG Duisburg (Entscheidung vom 02.05.1985; Aktenzeichen 2 Ca 534/85) |
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe einer Jahressonderzuwendung für 1984.
Die Beklagte unterhält einen Betrieb der Ernährungsindustrie. Sie beschäftigte im Jahre 1984 111 Arbeitnehmer, davon 44 gewerbliche Arbeitnehmer. Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem Jahr 1966 als Staplerfahrer in der Abteilung "Bulk" beschäftigt.
Die gewerblichen Arbeitnehmer der Beklagten wurden in unterschiedlichen Vergütungsformen entlohnt. Einige erhielten allein einen Zeitlohn. Der weitaus überwiegende Teil, darunter der Kläger, der seit dem 1. Mai 1984 einen monatlichen Festlohn von 2.705,68 DM brutto, bestehend aus Tariflohn in Höhe von 2.355,55 DM und einer Besitzstands- und Betriebszugehörigkeitszulage von 350,13 DM, erhielt, bekam darüber hinaus auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung vom 27. April 1984 einen leistungsorientierten Lohnanteil, die sog. Tonnenprämie. Nach der Betriebsvereinbarung wurden die Arbeiten der gewerblichen Arbeitnehmer in Zeit- oder Leistungslohn verrichtet und entlohnt. Das Leistungsmaß bestimmte sich nach den Richtzeiten, die für die einzelnen Hantierungsarten erstellt wurden. Zeit und Leistungslohn traten bedingt durch die jeweiligen Arbeitsplatzverhältnisse wechselnd auf und wurden je nach Anfall bezahlt. Im November 1984 erzielte der Bulkbereich einen Zeitgrad von 135 %. Dies entsprach einem zusätzlichen Stundenlohn von 2,45 DM brutto. Die Vergütung des überwiegenden Teils der Angestellten setzte sich aus dem Tarifgehalt zuzüglich einer übertariflichen Zulage zusammen. Diese wurde für jeden einzelnen Arbeitnehmer gesondert festgesetzt und differierte in der Höhe stark.
Die Beklagte wendete auf die Arbeitsverhältnisse mit ihren Arbeitnehmern den einheitlichen Manteltarifvertrag für die Kühlhäuser und Eisfabriken in Nordrhein-Westfalen vom 3. Juli 1980 an, der in seinem § 12 u.a. folgende Bestimmungen über die Zahlung einer Jahressonderzuwendung enthält:
§ 12
Jahressonderzuwendung
1. Alle Arbeitnehmer, die mindestens 6 Monate
(Wartezeit) dem Betrieb angehören, erhalten eine
Jahressonderzuwendung. Die Jahressonderzuwendung
beträgt 100 Prozent des tariflichen Monatseinkom-
mens für Angestellte, des tariflichen Stundenloh-
nes x 173 für gewerbliche Arbeitnehmer, der tarif-
lichen Ausbildungsvergütung für Auszubildende.
Protokollnotiz: Maßgebend für die Berechnung der
Jahressonderzuwendung sind die Ta-
rifsätze für November der betreffen-
den Jahre.
...
2. Die Auszahlung der Jahressonderzuwendung erfolgt
spätestens am 1.12. eines jeden Kalenderjahres.
.......
5. Voraussetzung für die Gewährung der Jahressonder-
zuwendung ist, daß das Arbeitsverhältnis im Zeit-
punkt der Auszahlung weder vom Arbeitnehmer gekün-
digt noch vom Arbeitgeber aus Gründen gekündigt
ist, die zu einer fristlosen Entlassung berechtigt
hätten.
6. Kündigt der Arbeitnehmer innerhalb von zwei Monaten
nach Auszahlung der Jahressonderzuwendung sein Ar-
beitsverhältnis oder wird er durch eigenes Ver-
schulden aus einem Grunde entlassen, der eine frist-
lose Kündigung rechtfertigt, so ist er verpflichtet,
die Hälfte der erhaltenen Jahressonderzuwendung
zurückzuzahlen.
Mit Schreiben vom 19. November 1984 teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit, sie werde wegen des zu erwartenden Jahresergebnisses die tarifliche Sonderzuwendung erhöhen. Zu der tariflichen Leistung komme die Differenz zum Festlohn bzw. Festgehalt zur Auszahlung. Die Angestellten erhielten daraufhin entweder die Zuwendung in Höhe eines Tarifgehalts oder eines Tarifgehalts zuzüglich der übertariflichen Zulage, d.h. effektiv ihr Monatsgehalt. Auch die im Zeitlohn arbeitenden gewerblichen Arbeitnehmer erhielten ihre Effektivvergütung (Tariflohn und Besitzstandszulage). Der Kläger erhielt lediglich eine Sonderzuwendung in Höhe von 2.705,68 DM brutto. Die Tonnenprämie blieb unberücksichtigt.
Der Kläger hat gemeint, die Beklagte verstoße mit der am Festlohn bzw. Festgehalt orientierten Gewährung der Sonderzahlung gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger
429,98 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem
25. März 1985 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, sie habe mit der Aufstockung der tariflichen Jahressonderzuwendung bis zur Höhe der monatlichen Festvergütung nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf eine höhere freiwillige Jahressonderzuwendung als ihm bereits gewährt worden ist. Die Beklagte hat nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, als sie ihren Mitarbeitern zur tariflichen Leistung die Differenz zum Festlohn bzw. Festgehalt versprach und auszahlte. Sie war aus Gleichbehandlungsgründen nicht gezwungen, der Gruppe der teilweise im Leistungslohn arbeitenden gewerblichen Arbeitnehmer die Differenz zwischen dem tariflichen Anspruch und dem monatlichen Effektivlohn zu gewähren. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Seine Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ist es dem Arbeitgeber verwehrt, in seinem Betrieb einzelne oder Gruppen von Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund von allgemein begünstigenden Regelungen des Arbeitsverhältnisses auszunehmen und schlechterzustellen (BAG Urteil vom 11. September 1985 - 7 AZR 371/83 - AP Nr. 76 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAGE 45, 66 = AP Nr. 66 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAGE 45, 76 = AP Nr. 67 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAGE 45, 86 = AP Nr. 68 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAGE 39, 133 = AP Nr. 51 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAGE 33, 57 = AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, bei freiwilligen Leistungen die Leistungsvoraussetzungen so abzugrenzen, daß kein Arbeitnehmer hiervon aus sachfremden oder willkürlichen Gründen ausgeschlossen bleibt (BAGE 39, 133 = AP, aaO; BAGE 33, 57 = AP, aaO; BAGE 28, 14 = AP Nr. 40 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG Urteil vom 11. September 1974 - 5 AZR 567/73 - AP Nr. 39 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine Differenzierung nicht finden läßt.
2. Die Beurteilung darüber, ob eine Differenzierung sachlich berechtigt ist oder nicht, richtet sich nach dem Zweck der Leistung (BAG, aaO). Dieser ist vom Arbeitgeber frei zu bestimmen. Jedoch bleibt auch insoweit zu prüfen, ob der mit den Leistungen verfolgte Zweck als solcher sachwidrig ist und die Differenzierung deshalb nicht gerechtfertigt ist (BAGE 45, 86 = AP, aaO).
3. Da die Beklagte keine eigenen Leistungskriterien aufgestellt hat, sondern lediglich die tarifliche Leistung aufstocken wollte, ist aus der Anknüpfung an die Tarifbestimmung zu schließen, daß sie ihrer Leistung denselben Zweck zu Grunde gelegt hat wie die Tarifvertragsparteien. Diese haben in § 12 MTV erkennbar einen Anspruch auf eine Gratifikation aus Anlaß des Weihnachtsfestes geschaffen, mit der erbrachte Betriebstreue belohnt und ein Anreiz für zukünftige Betriebstreue gegeben werden sollte. Das folgt aus der Wartezeitregelung des § 12 Abs. 1 MTV, der Stichtagsregelung des § 12 Abs. 5 MTV und der Rückzahlungsklausel des § 12 Abs. 6 MTV (BAG Urteile vom 18. Januar 1978 - 5 AZR 56/77 - und - 5 AZR 685/77 - AP Nr. 92 und 93 zu § 611 BGB Gratifikation; BAGE 31, 113 = AP Nr. 98 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG Urteil vom 19. September 1984 - 5 AZR 366/83 - nicht veröffentlicht).
4. Dieser mit der tariflichen Leistung verfolgte Zweck ist als solcher nicht sachwidrig, sondern entspricht rechtlich nicht zu beanstandenden Gepflogenheiten der Tarifvertragsparteien. Dasselbe gilt für die daran anknüpfenden freiwilligen Leistungen einzelner Arbeitgeber auf vertraglicher Grundlage.
5. Die Bestimmung der Höchstgrenze der freiwilligen Leistungen durch Anknüpfung an die jeweilige Festvergütung der Arbeitnehmer (Tariflohn/Tarifgehalt plus fester übertariflicher Vergütungsbestandteil) ist nicht sachwidrig und willkürlich, auch wenn damit ein Teil der Arbeitnehmer eine effektive Monatsvergütung erhält und ein anderer Teil einen Betrag unter seinem Effektivlohn bekommt. Anhaltspunkte für eine willkürliche Maßnahme, d.h. eine Heranziehung von der Rechtsordnung nicht gebilligter Differenzierungsmerkmale wie Herkunft, Geschlecht, Betriebsratstätigkeit und ähnliches, sind nicht erkennbar. Die Überlegung der Beklagten, einen variablen Lohnbestandteil unberücksichtigt zu lassen, der nur einer Gruppe von Arbeitnehmern die Chance gibt, nicht nur den Lohn im jeweiligen Bemessungszeitraum, sondern auch die Gratifikation zu steigern, ist sachlich billigenswert. Mit der Anknüpfung an die Festvergütung hat der freiwillig leistende Arbeitgeber von vornherein einen festen, von ihm wirtschaftlich für vertretbar gehaltenen Dotierungsrahmen geschaffen. Bei der Einbeziehung von variablen Lohnbestandteilen ist dieser nicht mehr konkret festzulegen, sondern nur bis zu einer gewissen Höhe bestimmbar. Die Überlegung, sich diese Ungewißheit aus betriebswirtschaftlichen Gründen zu ersparen, ist rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. das im Ergebnis noch weitergehende Urteil des BAG vom 25. Januar 1984 - 5 AZR 251/82 - BAGE 45, 86 = AP, aaO).
6. Die Differenzierung ist auch nicht deswegen sachfremd oder gar willkürlich, weil gewerbliche Arbeitnehmer einerseits und Angestellte andererseits unterschiedlich behandelt worden sein sollen. Die Beklagte hat nicht einmal mittelbar nach Arbeitnehmergruppen differenziert, wie die Tatsache belegt, daß auch die Zeitlöhner wie die Angestellten eine Zuwendung in Höhe des Effektivlohns bekommen haben. Das übersieht die Revision ebenso wie sie die Bewertung der Zuwendung zu Unrecht als 13. Monatsgehalt vornimmt. Schließlich verkennt die Revision, daß die außertarifliche Zulage der Angestellten nicht mit dem Leistungslohn der gewerblichen Arbeitnehmer vergleichbar ist, auch wenn sie eine Leistungszulage darstellt. Erstere ist ein fester von der Leistungssteigerung unabhängiger Vergütungsteil, letzterer ein unmittelbar am Leistungsergebnis anknüpfender, von Arbeitsstunde zu Arbeitsstunde unterschiedlich hoher Lohnbestandteil.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Dr. Jobs Schneider Dörner
Dr. Sponer Dr. Hoffmann
Fundstellen