Entscheidungsstichwort (Thema)
Verspätete Urteilsabsetzung
Normenkette
ZPO § 551 Nr. 7
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 25. Oktober 1993 – 5 (3) Sa 425/93 – aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 29. April 1992 und die Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
Die 1964 geborene Klägerin war seit 1980 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als 1. Anlagenfahrerin mit einer Vergütung nach Entgeltgruppe E 7 des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrages der chemischen Industrie. Die Klägerin war an einer Anlage zur Gaserzeugung tätig, die die Beklagte nach Fertigstellung einer neuen Synthesegasanlage, deren Bau im Jahre 1989 begonnen wurde, stillegen wollte. Die Arbeitsplätze an der neuen Anlage besetzte die Beklagte zunächst ausschließlich mit männlichen Arbeitnehmern, die bereits 1990/Anfang 1991 für entsprechende Schulungsmaßnahmen ausgewählt worden waren. Die Klägerin sollte wie andere Arbeitnehmerinnen nach Stillegung der alten Anlagen befristet mit Entsorgungs- und Abrißarbeiten beschäftigt werden. Ein entsprechendes Angebot machte die Beklagte von dem Abschluß eines endgültigen Aufhebungsvertrages zum 31. Dezember 1992 abhängig, was die Klägerin jedoch ablehnte.
Eine erste Kündigung der Beklagten vom 27. September 1991 zum 31. Dezember 1991 führte nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das Landesarbeitsgericht hat in einem Vorprozeß rechtskräftig festgestellt, daß diese Kündigung wegen Verstoßes gegen § 15 KSchG unwirksam ist. Im vorliegenden Verfahren streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer weiteren ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 29. April 1992 zum 15. Mai 1992.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Kündigung sei unwirksam. Sie hat vorgetragen, sie falle unter die Regelung des § 15 Abs. 1 KSchG, da sie im Juli 1991 als Ersatzmitglied in den Betriebsrat eingerückt sei. Es komme nicht darauf an, daß sie an der fraglichen Betriebsratssitzung, zu der sie eingeladen gewesen sei, nicht teilgenommen habe. Außerdem sei die Kündigung nach § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam. Die Beklagte habe schon bei der Auswahl der Arbeitnehmer, die sie im Hinblick auf die Arbeit an der neuen Anlage entsprechend geschult habe, soziale Gesichtspunkte nach § 1 Abs. 3 KSchG berücksichtigen müssen. Außerdem habe die Beklagte insoweit durch die Nichtberücksichtigung weiblicher Arbeitnehmer gegen § 611 a BGB verstoßen.
Die Klägerin hat, soweit für die Revisionsinstanz noch von Interesse, beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die schriftliche ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29. April 1992 zum 15. Mai 1992. aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, weil der absolute Revisionsgrund gemäß § 551 Nr. 7 ZPO vorliegt. Das angefochtene Urteil ist als Urteil ohne Entscheidungsgründe anzusehen.
I. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat mit Beschluß vom 27. April 1993 (– GmS-OGB 1/92 – AP Nr. 21 zu § 551 ZPO) erkannt, daß abweichend von der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefaßtes Urteil i.S.v. § 551 Nr. 7 ZPO als nicht mit Gründen versehen anzusehen ist, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind. Dieser Rechtsprechung hat sich das Bundesarbeitsgericht angeschlossen (BAG Urteil vom 4. August 1993 – 4 AZR 501/92 – AP Nr. 22 zu § 551 ZPO, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; Senatsurteil vom 7. Oktober 1993 – 2 AZR 293/93 –, n.v.).
II. Das angefochtene Urteil vom 25. Oktober 1993 ist erst am 14. April 1994 ordnungsgemäß unterzeichnet zur Geschäftsstelle gelangt, wie sich aus dem Schreiben des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 25. Mai 1994 (Bl. 53 SenA) ergibt. Das angefochtene Urteil, das danach nicht innerhalb von fünf Monaten nach seiner Verkündung mit Tatbestand und Entscheidungsgründen von allen Richtern unterschrieben zur Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts gelangt ist, gilt nach dem Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 und der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts i.S.v. § 551 Nr. 7 ZPO als nicht mit Gründen versehen. Es ist deshalb auf die entsprechende ordnungsgemäße Verfahrensrüge der Beklagten hin ohne weitere Sachprüfung gemäß §§ 564, 565 ZPO aufzuheben.
Unterschriften
Etzel, Bröhl, Fischermeier, Dr. Bächle, Bobke
Fundstellen