Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonderurlaub im öffentlichen Dienst. freie Badekur
Leitsatz (amtlich)
Eine freie Badekur ist verordnet i.S. von § 47a Abs. 1 BMTG-II, wenn der die Kur bewilligende Sozialversicherungsträger Einfluß auch auf die planvolle Gestaltung des Kurverlaufs einschließlich der Lebensführung des Arbeitnehmers während der Kurzeit nimmt und jedenfalls den überwiegenden Anteil an den Kurkosten trägt.
Für die Ermittlung der Kurkosten ist für Unterkunft und Verpflegung auf die am Kurort entstehenden Durchschnittskosten abzustellen .
Bei der Feststellung der Durchschnittskosten für Unterkunft und Verpflegung haben die Tatsacheninstanzen einen Beurteilungsspielraum.
Normenkette
Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe i.d.F. des 26. Ergänzungstarifvertrags (BMT-G II) § 47a Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 27. Oktober 1989 – 6 Sa 51/89 – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Kläger sind miteinander verheiratet und bei der Beklagten als Pförtnerin und als Transportarbeiter beschäftigt.
Auf ihre Arbeitsverhältnisse ist der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die Tätigkeit beider Kläger wird nach Lohngruppe III des BlnBezTV Nr. 2 zum BMT-G II vergütet.
§ 47a Abs. 1 BMT-G II i.d.F. des 26. Ergänzungstarifvertrags lautet:
“ § 47a
Sonderurlaub
Dem Arbeiter ist für die Dauer einer von einem Träger der Sozialversicherung, einer Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung oder einem sonstigen Sozialleistungsträger verordneten Vorbeugungs-, Heil-- oder Genesungskur ein Sonderurlaub unter Zahlung des Urlaubslohnes bis zur Höchstdauer von sechs Wochen zu gewähren.
…”
Beiden Klägern war vom zuständigen Sozialversicherungsträger vom 24. Mai bis zum 14. Juni 1988 eine Vorbeugungskur als freie Badekur in Bad Füssing bewilligt worden. Vor Antritt der Kur unterzeichneten beide Kläger beim Beklagten die folgende Erklärung:
“Ich bin darüber unterrichtet, daß der mir während meiner Kur gewährte Urlaubslohn vorbehaltlich der nach der Kur zu treffenden Entscheidung über die Gewährung eines Sonderurlaubs unter Fortzahlung des Urlaubslohnes nach § 47a Abs. 1 BMT-G zunächst unter Vorbehalt gezahlt wird.
Ich verpflichte mich, den Urlaubslohn zurückzuzahlen, wenn sich ergibt, daß für die Kur die Anspruchsvoraussetzungen für einen Sonderurlaub unter Fortzahlung des Urlaubslohnes nach § 47a Abs. 1 BMT-G nicht gegeben waren.”
Für die Dauer der Kur hat der Beklagte die Kläger von der Arbeitspflicht freigestellt und der Klägerin 1.550,51 DM sowie dem Kläger 1.134,12 DM als Urlaubsvergütung gezahlt. Der zuständige Sozialversicherungsträger hat der Klägerin 1.451,25 DM und dem Kläger 1.425,75 DM als Kostenzuschuß zur Kur gewährt. Für Fahrtkosten haben sie jeweils 240,-- DM aufgewandt. Die Kosten für die Unterbringung in einem Appartement haben für beide Kläger insgesamt 1.171,-- DM betragen.
Der Beklagte hat gegenüber beiden Klägern am 12. September 1988 die Bewilligung von Sonderurlaub abgelehnt, weil nach seiner Berechnung der Durchschnittswert zwischen dem Höchstpreis von 130,-- DM (Unterkunft und Vollpension) und dem Niedrigstpreis von 46,-- DM (Unterkunft und Vollpension) auf 88,-- DM pro Tag festgelegt werde und damit der jeweilige Eigenanteil über dem Kostenzuschuß des Sozialversicherungsträgers gelegen habe. Dementsprechend hat der Beklagte die Kläger am 11. November 1988 zur Rückzahlung der ihnen gewährten Beträge aufgefordert.
Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß sie nicht verpflichtet ist, an den Beklagten 1.550,51 DM zu zahlen. Der Kläger hat beantragt festzustellen, daß er nicht verpflichtet ist, an den Beklagten 1.134,12 DM zu zahlen. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat den Klagen stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klagabweisungsantrag weiter. Die Kläger bitten, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Der Beklagte hat keinen Rückzahlungsanspruch gegen die Kläger, weil sie jeweils einen Anspruch auf Sonderurlaub nach § 47a Abs. 1 BMT-G II verwirklicht haben. Die vom Beklagten zurückgeforderten Beträge stehen den Klägern als Urlaubsvergütung zu.
1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß die Kur der Kläger den Voraussetzungen nach § 47a Abs. 1 BMT-G II entsprochen hat, weil der Sozialversicherungsträger für ein planvoll gestaltetes Heilverfahren gesorgt habe, mit dem der beabsichtigte Kurzweck habe erreicht werden können. Außer einer ausreichenden medizinischen Betreuung der Versicherten und einem gewissen Einfluß auf deren Lebensführung während der Kurzeit habe der Sozialversicherungsträger auch die überwiegenden Kosten der Kur für beide Kläger übernommen.
2. Damit ist das Landesarbeitsgericht von der Rechtsprechung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG Urteil vom 25. November 1965 – 5 AZR 167/65 – AP Nr. 6 zu § 50 BAT) ausgegangen.
Danach können auch freie Badekuren, bei denen die Kurzeit regelmäßig nicht in einem Kurheim oder in einer entsprechenden Anstalt verbracht wird, als “verordnet” i.S. von § 50 Abs. 1 BAT (inhaltsgleich mit § 47a BMT-G II) angesehen werden, wenn der die Kur bewilligende Sozialversicherungsträger in irgendeiner Form Einfluß auch auf die planvolle Gestaltung des Kurverlaufs einschließlich der Lebensführung des Arbeitnehmers während der Kurzeit nimmt, damit auf die Erreichung des Kurzwecks hinwirkt und jedenfalls den überwiegenden Anteil an den Kurkosten trägt. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlaß, von dieser Auffassung abzugehen. Auch der erkennende Senat geht bei seiner Entscheidung von diesen Merkmalen aus.
3. Diese Voraussetzungen liegen nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts vor. Sie werden mit Ausnahme der Berechnungen des Landesarbeitsgerichts und den von ihm dazu angenommenen Ansatzpunkten von der Revision nicht angegriffen.
4. Die Revision richtet ihre Angriffe allein gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Sozialversicherungsträger habe den überwiegenden Kostenanteil an den Kurkosten der Kläger getragen.
a) Nach den Darlegungen des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts (aaO) muß das Ausmaß der Kostenbeteiligung, soweit möglich, nach objektiven Maßstäben bestimmt werden, damit völlig unterschiedliche und zufällige Ergebnisse vermieden werden. Es kann danach also weder eine von den durchschnittlichen Verhältnissen abweichende besonders sparsame noch auch besonders aufwendige Lebensführung des Arbeitnehmers am Kurort zugrunde gelegt werden. Auch dieser Annahme folgt der erkennende Senat. Es ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, von anderen Grundsätzen auszugehen.
b) Das Landesarbeitsgericht hat für die Berechnung der den Klägern als Eigenanteil anzurechnenden Durchschnittskosten für Unterbringung und Verpflegung auf den durchschnittlichen Zimmerpreis unter Einbeziehung der Zimmerzahlen in den verschiedenen Preisangeboten für Unterkunft in Kurpensionen, Pensionen oder Gästehäusern abgestellt, wie ihn die Kläger von dem Beklagten unwidersprochen mit 25,32 DM pro Person und Tag dargelegt haben. Hinzugerechnet hat das Landesarbeitsgericht ebenfalls unter Zugrundelegung der örtlichen Preise noch einmal den gleichen Betrag für Verpflegung und hat daraus sowie den aufgewandten Kosten für ärztliche Behandlung, Heilmittel und Kurtaxe für Kläger und Klägerin jeweils Gesamtkosten von 2.204,69 DM festgestellt. Unter Berücksichtigung der Leistungen des Sozialversicherungsträgers von 1.451,25 DM für die Klägerin und 1.425,75 DM für den Kläger ergeben sich danach Eigenanteile für die Klägerin von 753,44 DM und 778,94 DM für den Kläger, damit jeweils 35,17 % bzw. 35,33 % der Gesamtkosten.
Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, daß auch dann von einem überwiegenden Kostenanteil des Sozialversicherungsträgers auszugehen sei, wenn nicht nur Kurpensionen, Pensionen und Gästehäuser, sondern auch Kurhotels und Kurkliniken in die Berechnung einbezogen werden. Unter Berücksichtigung der maßgeblichen Zimmerzahlen errechne sich ein Durchschnittspreis von 67,87 DM einschließlich Verpflegung. Bei Gesamtkosten von 2.608,52 DM entfallen dann auf die Kläger 44,37 % und 45,34 %, also weniger als die Hälfte der Gesamtkosten.
c) Diesen Erwägungen des Landesarbeitsgerichts ist beizutreten. Sie berücksichtigen die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts maßgeblichen objektiven Maßstäbe. Das Landesarbeitsgericht hat die für die Unterbringung und Verpflegung in Bad Füssing in der Regel erforderlichen Beträge ermittelt und in die Gesamtkostenberechnung eingesetzt. Dies schließt ein, daß nicht etwa nur auf Zimmerangebote mit Vollpension abzustellen ist, weil solche Angebote regelmäßig erheblich aufwendiger sind als die Verpflegungsangebote, die in einem Kurort sonst noch zu finden sind.
Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht für die Ermittlung der Durchschnittskosten für Unterbringung und Verpflegung auch auf die Einkommensverhältnisse der Kläger abgestellt. Die mit in die Wertermittlung einbezogenen wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger sind zwar subjektive Merkmale. Deren Berücksichtigung ist jedoch geboten, um dem konkreten Einzelfall, nämlich den jeweiligen Lebensgewohnheiten und Bedürfnissen der Kläger, Rechnung zu tragen.
Für die Entscheidung des Rechtsstreits kann hier dahingestellt bleiben, welcher Berechnungsart der Vorzug zu geben ist, weil jeweils beide vorliegend zu gleichen Ergebnissen führen und die Überprüfung der Einzelheiten dem Revisionsgericht verschlossen ist. Bei der Ermittlung der Durchschnittskosten für Unterkunft und Verpflegung handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, für dessen Einhaltung und Ausfüllung die Tatsachengerichte einen Beurteilungsspielraum haben. Die Subsumtion des Landesarbeitsgerichts unter den von ihm zutreffend bestimmten Rechtsbegriff kann daher vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das Landesarbeitsgericht dabei Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob seine Beurteilung wegen Außerachtlassung wesentlicher Umstände offensichtlich fehlerhaft ist. Solche Rechtsfehler sind dem Landesarbeitsgericht nicht unterlaufen.
d) Die Angriffe der Revision rechtfertigen kein anderes Ergebnis.
Zu Unrecht stellt der Beklagte darauf ab, daß für die Ermittlung der Durchschnittskosten allein das arithmetische Mittel aus dem höchsten und dem niedrigsten Angebot zu bilden sei. Er übersieht, daß die Bildung eines arithmetischen Mittels nur im Ausnahmefall die Feststellung des Durchschnitts sein kann, wenn nämlich nur zwei unterschiedliche Werte zu vergleichen sind. Das gerade trifft hier bei der Breite des örtlichen Angebots nicht zu.
Soweit der Beklagte im übrigen Überlegungen zur Benachteiligung von “Besserverdienenden” anstellt, ist dem entgegenzuhalten, daß seine Darlegungen auch jetzt noch trotz entsprechender Hinweise im Urteil des Landesarbeitsgerichts auf unzutreffenden Grundannahmen beruhen. Der Beklagte stellt für die Ermittlung, welcher Kostenanteil höher ist, nur auf die Gegenüberstellung des vom Sozialversicherungsträger gewährten Zuschusses und der dem Kläger entstandenen Fahrtkosten sowie den vom Beklagten angenommenen Kosten für Unterbringung und Verpflegung ab. Das ist fehlerhaft, weil damit nicht die für die Durchführung der Kur anzusetzenden Gesamtkosten und die jeweilige anteilsmäßige Beteiligung von Arbeitnehmer und Sozialversicherungsträger bestimmt, sondern willkürlich “Eigenanteile” der Kläger mit dem Zuschuß der Sozialversicherung “verglichen” werden. Bei zutreffender Berechnung relativieren sich die von dem Beklagten behaupteten Unterschiede zwischen den Kostenanteilen beträchtlich.
Auch wenn hiervon abgesehen wird, ist nicht zu erkennen, worin die angebliche Ungleichbehandlung von “Besserverdienenden” nach Auffassung des Beklagten besteht.
Unterschriften
Dr. Leinemann, Dr. Peifer, Bitter, Dr. Gaber, K. Fox
Fundstellen
Haufe-Index 839248 |
RdA 1991, 128 |
AP, 0 |