Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung nach Einigungsvertrag. mangelnde persönliche Eignung
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 20 Abs. 1; Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1; GG Art. 12 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2, 5
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 14. Februar 1995 – 9 Sa 887/94 – aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 25. Mai 1994 – 4 Ca 380/94 – abgeändert, soweit es die Klage abgewiesen hat.
Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 22. Dezember 1993 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 Einigungsvertrag (künftig: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.
Der im Jahre 1960 geborene Kläger erwarb 1979 den Facharbeiterabschluß und arbeitete dann als Heizungsinstallateur und Betriebshandwerker. Nach dem Wehrdienst 1983/84 wurde er ab dem 1. Januar 1985 beim Rat des Stadtbezirks Süd der Stadt L. eingestellt. Er war dort in der Abteilung Innere Angelegenheiten zunächst Sachbearbeiter im Bereich Betreuung und Wiedereingliederung Strafentlassener Bürger. Im Juli 1986 wechselte er in den Bereich Ordnungs- und Genehmigungsangelegenheiten, der u.a. für die Entgegennahme und Bearbeitung von Ausreiseanträgen zuständig war.
Am 1. Januar 1987 wurde der Kläger Leiter des Bereichs Ordnungs- und Genehmigungsangelegenheiten und stellvertretender Abteilungsleiter. Er war damit auch selbst für Ausreiseangelegenheiten zuständig. Zu seinen Aufgaben gehörte daneben die Wiedereingliederung entlassener Strafgefangener. Hierbei war er mit der Organisation und Durchführung zweier umfangreicher Amnestien befaßt.
Anfang 1989 wurde der Kläger zum Abteilungsleiter berufen. In dieser Funktion war er dem Leiter der Abteilung Innere Angelegenheiten unterstellt und zugleich dessen Stellvertreter. Ihm unterstanden die vier Leiter der Bereiche Betreuung und Wiedereingliederung von kriminell gefährdeten und straffällig gewordenen Bürgern, Ordnungs- und Genehmigungsangelegenheiten, Brandschutz sowie Standesamt und Staatsbürgerschaftsfragen.
Soweit der Kläger in Ausreiseangelegenheiten tätig war, hatte er die Anträge entgegenzunehmen und die persönlichen Daten sowie die Gründe für die Ausreise aufzunehmen. Er war angewiesen, Ausreisewillige in Gesprächen zum Verbleib in der DDR zu bewegen. Über die Ausreisewilligen legte er Akten und Karteien an und schickte Durchschläge an den Rat der Stadt. Dabei war ihm bekannt, daß der Ausreiseantrag in der Regel mit erheblichen Benachteiligungen durch die Staatsgewalt und die Betriebe verbunden war. Aufgrund von Dienstvorschriften erteilte er u.a. Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) Auskünfte.
Über die Genehmigung von Ausreiseanträgen hatte der Kläger ebensowenig wie über Repressalien zu entscheiden. Ihm oblag es, die von anderer Stelle getroffene Entscheidung zu eröffnen. Soweit eine Ausreisegenehmigung erteilt wurde, übergab er einen sog. Laufzettel mit den zu erledigenden Formalitäten (Wohnung und Strom abmelden, Sparkonto auflösen usw.). Nach entsprechender Bestätigung mußten die ausreisewilligen Bürger einen Antrag auf Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft stellen, den der Kläger über den Rat der Stadt an die Volkspolizei, Abteilung Paß- und Meldewesen, weiterleitete. Die erforderlichen Urkunden wurden vom Rat des Bezirkes ausgestellt und dem Kläger zur Übergabe an die ausreisewilligen Bürger zugeleitet.
Die Beklagte übernahm nach dem 3. Oktober 1990 die Abteilung Innere Angelegenheiten des Rats des Stadtbezirks Süd als Ganzes. Der Kläger wurde auf seinen Wunsch mit Wirkung vom 1. Februar 1991 in das Ordnungsamt der Beklagten, Bereich Gewerbekontrolle, versetzt. Dort gehörte zu seinen Aufgaben die Kontrolle des Reisegewerbes, des Schwarzhandels und des Hütchenspiels.
Nach Eingang einer Beschwerde wurde der Kläger im Herbst 1993 von der Personalkommission der Beklagten angehört. Danach unterrichtete die Beklagte den Personalrat über die beabsichtigte Kündigung. Dieser erhob am 21. Dezember 1993 Einwendungen. Mit Schreiben vom 22. Dezember 1993 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers ordentlich zum 31. Januar 1994 wegen mangelnder persönlicher Eignung.
Mit der am 11. Januar 1994 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigung sei rechtsunwirksam. Er sei nicht persönlich ungeeignet im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV. Beim Rat des Stadtbezirks Süd sei er überwiegend mit Fragen der Wiedereingliederung Straffälliger und weniger mit Ausreiseanträgen befaßt gewesen. Hierbei habe er keinen eigenen Entscheidungsspielraum besessen, insbesondere auch auf den Ausreisezeitpunkt keinen Einfluß gehabt. Er habe lediglich die Verfügungen des Rates des Bezirks überbracht. Noch im November 1993 habe ihm sein Vorgesetzter hohes Engagement bescheinigt und die Übernahme auf eine leitende Stelle im Stadtordnungsamt empfohlen; dies und sein Einsatz bei den Wahlen und der Währungsumstellung im Jahre 1990 bewiesen sein Einstehen für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Die Beklagte beschäftige sogar den früheren Leiter der Abteilung Innere Angelegenheiten ungekündigt als Leiter der Bußgeldstelle weiter. Im übrigen sei die Unterrichtung des Personalrats unzureichend erfolgt und die Kündigungsfrist nicht eingehalten.
Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung, beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 22. Dezember 1993 aufgelöst worden sei.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe sich durch seine Tätigkeit in der Abteilung Innere Angelegenheiten beim Rat des Stadtbezirks Süd in besonderer Weise mit dem Regime der DDR identifiziert. Aus der fachlichen Qualifikation ließen sich keine Schlüsse auf die persönliche Eignung ziehen. Das Vertrauen der Bürger in die neue Verwaltung sei erheblich gestört, wenn ein früherer Mitarbeiter des Bereichs Ausreisegenehmigungen nunmehr im sensiblen Bereich der Eingriffsverwaltung tätig sei. Zusätzlich lasse die Zusammenarbeit des Klägers mit dem MfS berechtigte Zweifel an der Verfassungstreue aufkommen, die einer Weiterbeschäftigung im Ordnungsamt entgegenstünden.
Das Arbeitsgericht hat die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erst zum 30. Juni 1994 festgestellt und die Klage im übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klagantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Kündigung vom 22. Dezember 1993 ist nicht gem. Abs. 4 Ziff. 1 EV wirksam. Sie hat das Arbeitsverhältnis der Parteien daher nicht aufgelöst.
A. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seines gegenteiligen Standpunktes im wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei für eine Beschäftigung als Angestellter im Ordnungsamt der Beklagten persönlich nicht geeignet. Er habe mit der Bearbeitung von Ausreiseanträgen bewußt in einem Bereich der öffentlichen Verwaltung der ehemaligen DDR mitgewirkt, in dem die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit schwer mißachtet worden seien. Ausreisewillige Bürger der DDR hätten nach dem Stellen eines Ausreiseantrages regelmäßig erhebliche Repressalien hinnehmen müssen. Auch wenn der Kläger unmittelbar keine Repressalien veranlaßt habe, liege in dem nachhaltigen Einwirken auf die Ausreisewilligen, den Antrag zurückzunehmen, eine grobe Mißachtung des freien Willens. Dem Kläger habe zwar keine Entscheidungsbefugnis über den Ausreiseantrag, aber doch ein Vorschlagsrecht und teilweise die Fristsetzung für die Ausreise zugestanden. Er habe insgesamt keineswegs nur eine untergeordnete Hilfsfunktion gehabt, sondern sei als Repräsentant des Unrechtsregimes mit erheblicher Außenwirkung aufgetreten. Zu berücksichtigen sei, daß er im Rahmen dienstlicher Anweisungen Auskünfte gegenüber dem MfS erteilt habe. Für die zuletzt durchaus hervorgehobene Position des Klägers bei der Durchsetzung des Unrechts spreche auch die Ordnung über die Antrags-, Prüfungs- und Entscheidungsverfahren bei ständigen Ausreisen in die BRD und nach West-Berlin vom 7. Dezember 1988. Der Kläger habe beim Rat des Stadtbezirks eine nicht unbeachtliche Karriere gemacht. Es könne daher von seiner Linientreue im Sinne des SED-Regimes ausgegangen werden. Seinem Vorbringen seien keine Umstände zu entnehmen, die der durch die ausgeübte Tätigkeit indizierten mangelnden persönlichen Eignung entgegenstünden.
B. Diese Ausführungen halten der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht ist zwar zutreffend von der ständigen Rechtsprechung des Senats zur persönlichen Eignung des Angestellten im öffentlichen Dienst gem. Abs. 4 Ziff. 1 EV ausgegangen. Es hat aber die Anforderungen im konkreten Fall überspannt. Schon das Indiz mangelnder Eignung ist nach Auffassung des Senats nicht gegeben.
I. Nach Art. 20 Abs. 1 EV gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts der neuen Bundesländer die in der Anlage I zum Einigungsvertrag vereinbarten Regelungen. Der Kläger gehörte als Angestellter beim Rat des Stadtbezirks dem öffentlichen Dienst an. Durch das Gesetz zur Verlängerung der Kündigungsmöglichkeiten in der öffentlichen Verwaltung nach dem Einigungsvertrag vom 20. August 1992 (BGBl. I S. 1546) ist die Sonderkündigungsregelung des Abs. 4 Ziff. 1 EV wirksam bis zum 31. Dezember 1993 verlängert worden (vgl. nur Senatsurteil vom 27. Juni 1996 – 8 AZR 1024/94 – zur Veröffentlichung vorgesehen, zu B II 1 der Gründe).
II. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht.
1. Der Senat hat in seinen Entscheidungen vom 18. März 1993 und 4. November 1993 (– 8 AZR 356/92 – BAGE 72, 361 = AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX und – 8 AZR 127/93 – BAGE 75, 46 = AP Nr. 18, a.a.O., m.w.N.) die Wirksamkeit der Kündigung nach einer auf den Kündigungszeitpunkt bezogenen Einzelfallprüfung beurteilt und hierzu im einzelnen folgende Grundsätze entwickelt:
a) Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.
b) Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Der Angestellte des öffentlichen Dienstes muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BAG Urteil vom 18. März 1993, a.a.O., zu B III 1, 2 der Gründe).
c) Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber im übergeordneten staatlichen Interesse nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers in jedem Falle zunächst zu erproben. Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen, denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.
d) Ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit den Zielsetzungen der SED identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen, nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist. Eine Umkehr der im Kündigungsschutzprozeß allgemein bestehenden Beweislast findet nicht statt (vgl. Senatsurteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – BAGE 76, 323, 332 = AP Nr. 22 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu B II 3 b der Gründe).
2. Bei der Auslegung und Anwendung des Abs. 4 Ziff. 1 EV ist der Bedeutung und Tragweite von Art. 12 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 2 GG Rechnung zu tragen. Danach begründet die für Verbleib und Aufstieg im öffentlichen Dienst der DDR notwendige und übliche Loyalität und Kooperation für sich allein keine mangelnde Eignung. Die Kündigung erfordert – auf der Grundlage des Parteivortrags – eine konkrete und einzelfallbezogene Würdigung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers nach seinem gesamten Verhalten vor und nach dem Beitritt. Abs. 4 Ziff. 1 EV eröffnet nicht die Möglichkeit, die Tragbarkeit eines Arbeitnehmers für den öffentlichen Dienst allein nach seiner Stellung in der Hierarchie der DDR und seiner früheren Identifikation mit den Zielen der SED pauschal zu beurteilen. Die innere Einstellung eines Menschen kann sich ändern, und die Erfahrungen und Einsichten, die gerade Bürger der DDR nach 1989 gemacht haben, können eine solche Änderung herbeigeführt haben (BVerfG Beschluß des 1. Senats vom 21. Februar 1995 – 1 BvR 1397/93 – BVerfGE 92, 140, 155 f. = AP Nr. 44 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu C I 3 b aa der Gründe). Der besondere Kündigungstatbestand des Abs. 4 Ziff. 1 EV ist in dieser – der dargestellten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entsprechenden – Auslegung verfassungsgemäß (BVerfG, a.a.O., zu C I der Gründe).
3. Eine solche Anwendung von Abs. 4 Ziff. 1 EV verstößt nicht gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25. Juni 1958 (BGBl. 1961 II S. 98). Die Kündigung wegen Nichteignung knüpft nicht an die politische Meinung an, sondern an die durch bestimmte frühere Funktionen begründete mangelnde persönliche Eignung, die Grundwerte unserer Verfassung zu achten und zu wahren. Wer über längere Zeit aufgrund seiner Funktion eine verfassungsmäßige Ordnung als revanchistisch und imperialistisch zu bekämpfen hatte, kann nun nicht zu den Grundwerten der Verfassung stehen, wenn er sich nicht durch konkretes Verhalten von dem ideologischen Auftrag distanziert hat. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob nicht das mit dem Rang eines innerstaatlichen Gesetzes geltende Übereinkommen Nr. 111 verfassungskonform im Lichte der mit Verfassungsrang bestehenden politischen Treuepflicht (Art. 33 Abs. 2 und 5 GG) einschränkend auszulegen ist (vgl. BAG Urteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 –, a.a.O., zu B II 2 e der Gründe, m.w.N.; BAG Urteil vom 13. Oktober 1994 – 2 AZR 261/93 – BAGE 78, 129, 137 f. = AP Nr. 36, a.a.O., zu B II 5 der Gründe).
III. Die Revision rügt zu Recht, daß sich aus der mit der beruflichen Stellung des Klägers zwangsläufig verbundenen Tätigkeit keine mangelnde Eignung ergibt. Die Beklagte hat auch keinen einzelfallbezogenen Vortrag für eine mangelnde Eignung des Klägers erbracht.
1.a) Der Kläger hat keine Parteiarbeit geleistet. Ihm oblag keine politische Kontroll- oder Berichtstätigkeit. Hierunter fallen die dienstlichen Auskünfte gegenüber dem MfS nicht. Sie waren im System der DDR vielfach vorgesehen, z.B. bei Schuldirektoren (vgl. nur BAG Urteil vom 30. August 1995 – 2 AZR 692/94 – n.v., zu II 2 der Gründe), ohne daß damit ein Eignungsmangel verbunden wäre. Die Beklagte hat eine besondere Parteinähe des Amtes des Klägers nicht behauptet.
b) Allerdings kann auch eine bloße Verwaltungstätigkeit über die Mitwirkung bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR hinausgehen und in besonderer Weise eine Identifizierung mit den Zielsetzungen der SED begründen. Das setzt voraus, daß die Verwaltungsarbeit über den vordergründigen Gesetzesvollzug hinaus die spezifischen Zielsetzungen der SED ideologisch umsetzt. Dem Arbeitnehmer muß ein wesentlicher Anteil hieran zukommen. Eine nur vollziehende Tätigkeit ohne erhebliche Entscheidungsbefugnisse und Verantwortung genügt in der Regel nicht. Dasselbe gilt für die bloße Repräsentanz des Staates, sei es auch auf einem Gebiet, wo dieser Freiheits- und Menschenrechte schwerwiegend unterdrückt. Anders als Abs. 5 EV stellt Abs. 4 Ziff. 1 EV nicht auf das Erscheinungsbild der Verwaltung mit dem belasteten Mitarbeiter ab, sondern auf dessen individuelle Eignung.
c) Danach ist eine mangelnde Eignung des Klägers aufgrund der ausgeübten Funktion nicht indiziert. Der Kläger war zwar in einem Verwaltungsbereich tätig, in dem, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, grundlegende Menschenrechte schwerwiegend mißachtet wurden. Die äußerst restriktiven gesetzlichen und sonstigen Vorschriften der DDR über die sog. ständige Ausreise entsprachen in dem dargestellten Sinne der Ideologie der Staatspartei SED von der Verwirklichung des Marxismus-Leninismus.
Entgegen der Würdigung des Landesarbeitsgerichts hatte der Kläger aber weitgehend nur eine untergeordnete Hilfsfunktion. Die fehlende Ausreisefreiheit ergab sich aus der Rechtslage in der DDR. Das ganze Verwaltungsverfahren hierzu diente offenbar überwiegend nur zur Beruhigung der Bevölkerung und zur Täuschung des Auslands. Es bedeutete zwangsläufig, Anträge zurückzudrängen, ggf. unbequem gewordene und aus der Sicht des Staates „überflüssige” Bürger loszuwerden. Der Kläger konnte das aber nicht entscheiden. Seine Befugnisse waren gering. Sie beschränkten sich außer auf Formalien auf die Gespräche mit den Ausreisewilligen, eventuelle Vorschläge gegenüber der übergeordneten Behörde und die Fristsetzung bei erfolgter Ausreisegenehmigung. Der Kläger besaß danach keinen ins Gewicht fallenden Spielraum zur Umsetzung der menschenrechtswidrigen Rechtslage; er hatte sich in einem vorgegebenen Rahmen zu bewegen, ohne eine nennenswerte Verantwortung für die Rechtslage und deren konkrete Folgen zu tragen. Soweit er nach der Verfahrensordnung vom 7. Dezember 1988 an der „Zurückdrängung der Antragstellung” beteiligt war, ging es neben der „überzeugenden politisch-ideologischen Einflußnahme” vor allem um die „Erläuterung der Rechtslage” (fehlende bzw. äußerst geringe Erfolgsaussicht). Die Beklagte hat nicht behauptet, Sache des Klägers sei es gewesen, mit Repressalien zu drohen. Die vom Kläger einzusetzenden Mittel können demnach nicht als unmenschlich oder menschenrechtswidrig bezeichnet werden.
Zudem hat der Kläger unwidersprochen vorgetragen, er sei überwiegend mit ganz anderen Tätigkeiten befaßt gewesen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts dürfte der begrenzte Entscheidungs- und Bewertungsspielraum des Klägers auch erst ab dem 1. Januar 1989 und damit nur für kurze Zeit bestanden haben.
2. Die Beklagte hat nichts weiter vorgetragen, was zur Annahme einer mangelnden persönlichen Eignung des Klägers führen könnte. Insbesondere ist das konkrete Verhalten des Klägers anläßlich seiner Berufstätigkeit (Auftreten, Gesprächsinhalte usw.) nicht aufgezeigt. Die die Kündigung auslösende Beschwerde betraf im Zusammenhang mit der Stattgabe eines Ausreiseantrags eine Fristsetzung, die der Kläger unstreitig nicht zu verantworten hatte.
C. Die Beklagte hat als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits gem. § 91 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Ascheid, Müller-Glöge, Mikosch, Brückmann, Morsch
Fundstellen